Dienstag, 31. August 2010

Deutsche Sullivan-Gesellschaft e.V.

An verschiedenen Stellen in diesem Blog ist es schon das ein oder andere Mal angeklungen, dass ich seit einigen Jahren eine Schwäche für klassische Musik aus Großbritannien und Irland habe, die hier bei uns auf dem Kontinent trotz ihrer zahlreichen Schönheiten aber leider eher nur am Rande zur Kenntnis genommen und noch viel seltener in hiesigen Konzerten auch tatsächlich einmal aufgeführt wird...

Eine Schlüsselrolle für die Wiederbelebung der britischen Musikszene (die zuvor in der Barockzeit mit Komponisten wie Purcell und Händel ihre letzte Hochphase hatte) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nimmt dabei Sir Arthur Sullivan (1842-1900) ein, der es während seines viel zu kurzen Lebens quasi als Pionier schaffte, in England sowohl in den Gattungen von Symphonie und Konzert, vor allem aber auch im Bereich von Oper und Oratorium qualitativ hochwertige Maßstäbe zu setzen und der Musik aus seinem Heimatland damit auch eine lange überfällige internationale Beachtung und Wertschätzung zu verschaffen.

Ihm folgten dann eine Reihe weiterer, zum Teil auch bei uns etwas bekannterer britischer Komponisten (wie z. B. Elgar, Holst, Vaughan Williams oder Holst), die von Sullivans beachtlicher Lebensleistung profitierten und an das durch seine Werke neu erwachte Interesse an britischer Musik im In- und Ausland anknüpfen konnten.

Sullivans Ruf als ernstzunehmender Komponist, der in vielen Werkgattungen tätig (und erfolgreich) war, hat allerdings relativ schnell nach seinem viel zu frühen Tod einen ziemlichen Schaden genommen, denn bis heute nennt man seinen Namen eigentlich nur in Verbindung mit Sir William Schwenck Gilbert (1836-1911), dem Librettisten der meisten seiner zahlreichen komischen Opern und engt seine kompositorischen Leistungen damit unverdienterweise auf eine einzige (zugegebenermaßen immerhin nicht nur zu seinen Lebzeiten auch erfolgreichste) Musikgattung ein. Das wäre an sich ja noch nicht so schlimm - das Fatale an dieser Fokussierung auf Gilbert and Sullivan (Nennung auch immer in dieser Reihenfolge!) ist jedoch, dass man einen Komponisten, der unterhaltende, komische Opern (bei uns bezeichnet man diese Stücke sogar eher als Operetten, wohl weil ihre Entstehungszeit in die Hochphase der Wiener Operette ["Fledermaus" & Co.!] fällt) vertonte, nicht als seriösen Musiker ernstnahm und diese Werke eher gönnerhaft belächelte...
Dabei wird gerne übersehen, dass wirklich gelungene und wirkungsvolle heitere Musik eigentlich viel schwerer zu komponieren ist, als getragene, ernste Musik! Eine solche, würdig-bedeutungsschwere Atmosphäre ist musikalisch meiner Meinung nach viel eher zu erzeugen als Musik, die die Menschen in gute Laune versetzt und die zum Mitsummen und -wippen animiert. Es spricht für Sullivans Meisterschaft, dass seine Musik zu den komischen Opern anscheinend so selbstverständlich und leichtfüßig daherkommt, dass man ihr die dahintersteckende Arbeit gar nicht mehr anmerkt.

Jedenfalls hat diese herablassende Einschätzung von Sullivans Zeitgenossen und der dann nachfolgenden Generationen in Bezug auf den Wert seiner Musik insgesamt viel dazu beigetragen, dass man ihn als den eigentlichen Wegbereiter für die ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts auch international recht erfolgreichen britischen Komponisten gar nicht mehr richtig wahrgenommen und gewürdigt hat. Man spielte (und spielt) die gerade in den englischsprachigen Ländern sehr populären Werke von Gilbert and Sullivan und das war's...

Bereits (oder erst?) im Jahr 1977 wurde in England die Sir Arthur Sullivan Society gegründet, um daran zu arbeiten, den Blickwinkel auf diesen Komponisten wieder etwas zurechtzurücken und sich auch für die Aufführung anderer, heute zu Unrecht in Vergessenheit geratener Werke einzusetzen.

Durch Zufall bin ich vor ein paar Wochen auf die Mitte 2009 gegründete Deutsche Sullivan-Gesellschaft e.V. (DSG) gestoßen, die hier bei uns mit derselben Zielsetzung für diesen Komponisten eintreten möchte.

Im Gegensatz zu den britischen "Kollegen" ist hier bei uns in Deutschland die Situation allerdings nicht nur in Bezug auf die Person von Sir Sullivan deutlich verbesserungsbedürftig, sondern sie bezieht sich wohl eher auf die gesamte klassische Musik, die von den Britischen Inseln stammt. Da scheint mir noch eine Menge an Überzeugungs- und Lobbyarbeit vonnöten, aber es lohnt sich, das weiß ich aus eigener jahrelanger Erfahrung!

Ich bin der DSG spontan beigetreten, weil ich die ganze Sache überaus sympathisch und ausgesprochen interessant fand und man auch als Liebhaber britischer Klassik hierzulande weiß Gott nicht mit Hintergrundinformationen zu diesem Thema gesegnet ist (man suche nur einmal in Konzert- oder Opernführern Werke von britischen oder irischen Komponisten!).
Irgendwie sucht sich ja jeder Gleichgesinnte und ich fand, dass diese Initiative Unterstützer verdient hat - auf interessante Kontakte zu und Austauschmöglichkeiten über diese ganze musikalische Thematik war ich immer schon aus...

Bisher bin ich nicht enttäuscht worden - allein die hier regelmäßig erscheinenden Sullivan-Journale bieten eine Fülle an Materialien und Hintergrundwissen!

Ich bin ausgesprochen angetan und kann die ganze Sache Interessierten nur wärmstens empfehlen!

Mittwoch, 25. August 2010

Musiker-Anekdoten


Wie an verschiedenen Stellen hier im Blog schon zu merken war, mag ich geistreiche, gerne auch ironisch-bissige Bemerkungen, Aphorismen oder eben Bonmots sehr gerne.

Aber auch oft hiermit in Verbindung stehende kleine Anekdoten oder Witze lese ich immer wieder gern. Am liebsten natürlich, wenn sie auch noch aus dem Bereich der Musik stammen, versteht sich :-)
Gerade der Konzert- und Opernbetrieb (vor und natürlich hinter den Kulissen!) mit seinen vielen interessanten, manchmal etwas verschrobenen oder exzentrischen Künstlerpersönlichkeiten bietet ja einen schier unerschöpflichen Fundus an originellen Situationen und Äußerungen, von denen immer wieder mal einige in Sammlungen erscheinen.Ich habe schon einige dieser meist handlichen Bändchen im Lauf der Jahre in meiner Bibliothek versammelt und lese immer wieder gerne darin. Man findet hier neben amüsanten Geschichten über berühmte Komponisten, Sängerinnen, Dirigenten, etc. auch Musiker- und Orchesterwitze aller Art, geistreiche Wortspiele und noch einiges mehr aus der Welt der Musik. Leichte und kurze Lektüre für zwischendurch, die gute Laune macht - was will man mehr? Ich kann Büchlein wie die hier vorgestellten jedenfalls nur empfehlen!
Hier zum Appetitanregen ein paar kurze Kostproben aus dem Band "…fast ein Meisterwerk" von Stefan Pflicht (erschienen bei Piper Schott/ Atlantis Musikbuch):
Nach dem Tode des Komponisten Giacomo Meyerbeer [1791-1864] kam ein Neffe des Verstorbenen zu Rossini [1792-1868] und spielte ihm einen selbstkomponierten Trauermarsch vor. Darauf meinte Rossini: "Es wäre besser gewesen, Sie wären gestorben und Ihr Onkel hätte den Trauermarsch komponiert!"

Nach dem Fünfuhrtee brachte die Dame des Hauses ihren Gästen eine Arie aus Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail zu Gehör. Da öffnete sich die Salontür und ein älterer Herr fragte besorgt: "Hat hier jemand um Hilfe gerufen?" Da flüsterte ein Gast seinem Nachbarn zu: "Wahrscheinlich Mozart!"

Während eines Hauskonzerts wurde plötzlich die Tür aufgerissen und ein Polizist trat ein. Der Hausherr ging auf den Ordnungshüter zu und fragte: "Was wollen Sie? Ist etwas passiert?" "Ja", meinte der Polizist, "soeben verließ ein Herr ganz aufgeregt dieses Haus und rief, er könne es nicht ertragen, dass hier ein gewisser Herr Wagner grausam misshandelt wird…"

Der Heldentenor Heinrich Knote [1870-1953] brauchte besonders lange zum Einstudieren seiner Partien. Als ihn einmal ein Freund in seinem Haus am Starnberger See besuchen wollte, hörte er, dass Knote an der Partie des Tristan arbeitete. Erstaunt fragte er das öffnende Hausmädchen: "Der Herr Kammersänger studiert den Tristan doch schon seit Wochen, kann er die Rolle denn immer noch nicht?" Darauf erklärte das Hausmädchen verzweifelt: "Ich kann die Partie, die Frau Knote kann die Partie, die Nachbarn können die Partie und auch unser Dackel kann die Partie - nur der Herr Kammersänger kann sie immer noch nicht!"

Enrico Caruso [1873-1921] gastierte in Puccinis Oper La Bohème am Münchner Nationaltheater. Eine Kulisse fiel um und streifte den Sänger so hart am Kopf, dass er sich hinlegen musste. Der Theaterarzt wurde geholt, aber der Unfall erwies sich als harmlos und Caruso konnte weiterspielen. Als sich der Intendant von seinem Schrecken erholt hatte und nach der Vorstellung erleichtert das Theater verließ, meinte der alte Pförtner: "Herr Intendant, wenn der Caruso invalid geworden wär', hätten wir ihn totschlagen müssen, denn eine lebenslange Rente hätten wir ihm nicht zahlen können."

Der für seinen Sarkasmus bekannte Hans Pfitzner [1869-1949] probte seine Oper Das Christ-Elflein. Nach dem Textbuch sang die junge Hauptdarstellerin: "Ich bin ja so dumm!" Da rief Pfitzner zur Bühne hinauf: "Mein Fräulein, bitte nicht so überzeugend!"

Der diktatorische Arturo Toscanini [1867-1957] hatte wieder einmal Streit mit einem Sänger. Wütend schrie er ihn an: "Ich weiß, es ist das Vorrecht der Tenöre, dumm zu sein. Aber Sie, mein Herr, missbrauchen Ihre Rechte!"

Montag, 23. August 2010

Neuerwerbung

... heute ganz spontan zum günstigen "Mitnahme-Preis" entdeckt:

Georg Friedrich Händels "Musical Drama" Hercules (UA im Januar 1745) - eine englischsprachige "Zwischenform", die irgendwo zwischen Oper und Oratorium anzusiedeln ist.

Diese Einspielung aus dem Jahr 1982 mit dem Monteverdi Choir, den English Baroque Soloists unter der Leitung von John Eliot Gardiner und mit so namhaften Solisten wie John Tomlinson, Sarah Walker und Anthony Rolfe Johnson war jahrelang in der Gruppe der "hochpreisigen" Aufnahmen im Katalog der Archiv Produktion, der "Alte Musik"-Sparte der Deutschen Grammophon, vertreten (siehe bisheriges Cover unten) - und mir damit irgendwie immer zu teuer...

Umso größer die Freude, als ich heute feststellen konnte, dass diese Aufnahme Bestandteil einer neu herausgebrachten, niedrigpreisigen Reihe der Dt. Grammophon ("OPERA!" betitelt) ist - das hat mir die Kaufentscheidung dann doch deutlich erleichtert, wenn auch die poppig-bunte Gestaltung des neuen Covers im Vergleich zum bisherigen kaum gegensätzlicher ausfallen könnte! Ich musste erst zweimal hinschauen, um die mir seit Jahren aus dem Katalog bekannte Aufnahme in diesem neuen Gewand überhaupt wiederzuerkennen... *grins*

An der Qualität der oben erwähnten Ausführenden besteht ja eigentlich überhaupt kein Zweifel (und die eingespielte Musik an sich ist ja schließlich auch das Wichtigste) - die günstige Neuauflage (2 CD) bietet dem Käufer im schmalen CD-Heftchen neben einer Besetzungsliste und der Tracklist allerdings nur eine knappe Handlungszusammenfassung.
Aber die "technischen Daten" zum Hintergrund der Entstehung dieses Werkes sowie das Textbuch kann man sich ja auch anderswo organisieren, somit stellen preiswerte Neuauflagen wie diese gerade für Sammler durchaus lohnenswerte Alternativen dar, die in ähnlicher Form mittlerweile bereits seit ein paar Jahren erfreulicherweise von vielen Klassik-Labels angeboten werden und nicht nur die älteren, sondern zunehmend auch (digitale) Aufnahmen aus den 1980er und 1990er Jahren (oder teilweise noch jünger!) mit einschließen.

Manchmal lohnt es sich halt doch, einmal ein paar Jahre Geduld zu haben *zwinker*

Freitag, 20. August 2010

Das Bonmot für Zwischendurch...

... heute mal zum Thema "Geburtstag" - quasi immer aktuell, da man ja mindestens einmal jährlich unmittelbar selber betroffen ist...

Je älter man wird, desto mehr ähnelt die Geburtstagstorte einem Fackelzug.
(Katharine Hepburn 1907-2003)

Du wirst alt, wenn die Kerzen mehr kosten als der Geburtstagskuchen.
(Bob Hope 1903-2003)

Je mehr Kerzen deine Geburtstagstorte hat, desto weniger Atem hast du, um sie auszublasen.
(Jean Cocteau 1889-1963)

Mit zwanzig Jahren hat jeder das Gesicht, das Gott ihm gegeben hat, mit vierzig das Gesicht, das ihm das Leben gegeben hat, und mit sechzig das Gesicht, das er verdient.
(Albert Schweitzer 1875-1965)

Mittwoch, 18. August 2010

Neuerwerbung

Bei manchen Komponisten ist es wirklich praktisch - verschiedene Gattungsbeiträge passen zeitlich genau auf eine CD.
Um im Orgelmetier (um das es hier heute gehen soll) zu bleiben, möchte ich beispielsweise auf das kompositorische Orgel-Gesamtwerk von Johannes Brahms hinweisen, das praktischerweise eine CD füllt. Auch W. A Mozart hat seine Kompositionen für Orgel solo freundlicherweise so dimensioniert, dass sie ebenfalls das Fassungsvermögen einer handelsüblichen CD nicht überschreiten.

Der Dritte im Bunde ist der diesjährige Jubilar Robert Schumann, für dessen Orgelkompositionen das Gleiche gilt.

Schumann hat "nur" drei Opusnummern mit Werken für Orgel (bzw. Pedalflügel) hinterlassen (Opp. 56, 58 und 60).
Beim Pedalflügel handelt es sich um eine experimentelle Klavierkonstruktion, bei der man mittels Pedal (wie bei der Orgel) eine dritte Stimme erklingen lassen kann - das Instrument hat sich nicht durchgesetzt, aber Schumann, der einen - oder den (?) - Prototypen ausprobieren durfte, begeisterte sich zusehends für dessen spieltechnische Möglichkeiten und komponierte schlussendlich sogar die sechs Studien für Pedalflügel in Kanonform op. 56 und die vier Skizzen für Pedalflügel op. 58.
Diese Kompositionen werden heute in der Regel (und mangels eines anderen geeigneten Instruments) auf der Orgel gespielt, was aufgrund der Stimmverteilung natürlich problemlos möglich ist.
Sämtliche mir bekannten Schumann-Orgelmusik-CDs sind ergänzt um die sechs Fugen über B-A-C-H op. 60, die Zeugnis ablegen für Schumanns große Verehrung des berühmten Thomaskantors.
Diese identische Zusammenstellung erleichtert natürlich den unmittelbaren Vergleich und da ich in den vergangenen Jahren immer wieder mal einzelne Sätze aus den erwähnten drei Opera von Schumann hören konnte, hatte ich die Neuanschaffung einer Aufnahme seines Orgel-Gesamtwerks schon länger auf der Wunschliste.

Drei Aufnahmen sind letztendlich in meine "persönliche Endrunde" gekommen:
Mario Hospach-Martini an der Walcker-Orgel in der Stadtkirche von Winterthur (Aufnahme von 2009),
Rudolf Innig an der Klais-Orgel von St. Stephanus, Beckum (aufgenommen 1994) und
Andreas Rothkopf an der Walcker-Orgel in Hoffenheim (Aufnahme entstand 1987).

Zwei historische, aus der Schumann-Zeit stammende Walcker-Orgeln also, die in Konkurrenz zu einem Instrument aus der Bonner Orgelmanufaktur Klais treten.

Die Einspielung mit Rudolf Innig fand ich für meinen Geschmack zu ausdrucksschwach: Alles klingt viel zu vorsichtig, ohne den rechten "Drive" und die Orgel ist ebenfalls recht zurückhaltend registriert. Ist das vielleicht als Annäherung an den Klang eines Pedalflügels gedacht, der ja auch über keine markanten, verschiedenfarbige Register verfügt? Hat mich jedenfalls im Vergleich zu den beiden anderen Aufnahmen nicht so besonders angesprochen.

Die ganz frisch bei BERLIN CLASSICS erschienene, derzeit jüngste Aufnahme mit Mario Hospach-Martini kommt wesentlich zupackender und energischer daher - hier herrscht definitiv keine vornehme Zurückhaltung, wie sie bei Innig zu erleben ist. Der Organist versucht, die Stücke mitreißend zu gestalten, um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, dass es sich bei diesen Kompositionen um akademisch-trockene kontrapunktische Übungen Schumanns handeln könnte. Leider hat mir die Registrierung der Orgel streckenweise überhaupt nicht zugesagt. Das wirkt mir manchmal dann doch zu rustikal und grob. Vielleicht liegt es auch an der historischen Orgel, ich weiß es nicht - aber mehrfach munter knarrende und schnarrende Bässe und ein für mich insgesamt nicht besonders "rund" wirkender Gesamtklang der Orgel, stören mich dann doch so sehr, dass ich die frische Spielweise des Organisten nicht mehr wirklich genießen kann.

Die mittlerweile nun auch schon 23 Jahre alte Einspielung von Andreas Rothkopf (erschienen beim Label AUDITE) bietet meiner Meinung nach ein sowohl zupackendes, frisches Orgelspiel wie auch einen schönen, vollen Gesamtklang des verwendeten Instruments. Da haben mich beide Komponenten überzeugt!
Und nicht zuletzt die Tatsache, dass diese Aufnahme mit Abstand auch noch die günstigste der drei hier vorgestellten Einspielungen ist, hat dann den Ausschlag gegeben.

Vergleichen lohnt sich also - und es ist immer wieder ausgesprochen interessant, was man hier so alles an Unterschieden entdecken kann... ;-)

Montag, 16. August 2010

Studie: Klassik ausgesprochen beliebt...!??

Die Meldung geisterte irgendwann in den vergangenen Tagen durch die Medien:
Einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Thema Musikkonsum zufolge wollen knapp 90% der Befragten hierzulande klassische Musik und Oper als musikalisches Erbe für kommende Generationen gewahrt wissen. Sogar 96% der Befragten finden Musikunterricht an Kindergärten und Schulen sehr wichtig.
Rund 25% der Musikhörer unter 30 Jahren hört einmal in der Woche klassische Musik entweder im Konzert oder auf CD, im Radio oder im TV.
Je älter die Befragten, desto höher wird dieser Prozentsatz: Bei den über 60-Jährigen sind wir schon bei einer Quote von knapp 50%.

Die beliebtesten Komponisten sind übrigens (welch Überraschung!) Mozart, Beethoven und Bach.
Wagner, Verdi oder Tschaikowski sind dagegen eher nur den älteren Hörern ein Begriff.

Diese ganzen sensationellen Erkenntnisse werden in diversen Pressemeldungen als "ermutigende Ergebnisse" verkauft...

Im Gegensatz zu denjenigen, die diese lächerlichen Erkenntnisse als durchweg positive Fakten betrachten wollen, finde ich das Ganze eher erschreckend - man muss sich Aussagen und Zahlen wie die oben erwähnten nur mal etwas genauer betrachten:

Was bedeutet es denn schon, wenn knapp 90% der Befragten hierzulande klassische Musik und Oper als musikalisches Erbe für kommende Generationen gewahrt wissen wollen? Das sind doch reine Lippenbekenntnisse! Viel interessanter wäre es doch in Zusammenhang hiermit, einmal den Prozentsatz derjenigen zu betrachten, der auch aktiv etwas dafür tut, den kommenden Generationen diese musikalischen Kulturgüter auch vorzuleben und damit weiterzugeben? Lediglich den Wunsch zu äußern, diesen ganzen "Klassik-Kram" als eine Art Kulturerbe irgendwie bewahrt und erhalten zu wissen, bedeutet ja noch lange nicht, dass den oder die Befragten selber irgend etwas mit der ganzen Sache verbindet.
Ich würde mich im Rahmen einer Umfrage wahrscheinlich auch für den Erhalt der monegassischen Schreispechte aussprechen, ohne jemals zuvor in näheren Kontakt zu dieser mir persönlich eigentlich unbekannten (aber sicher schon irgendwie mit einer Art Existenzberechtigung versehenen) Spezies gekommen zu sein...!

Daher überrascht es dann auch wieder überhaupt nicht, wenn man weiterliest und feststellt, dass 96% der Befragten hier vor allem mal wieder die Schule in der Pflicht sehen (Stichwort: Musikunterricht) - wie bequem: Sollen es die Lehrer mal wieder richten und den lieben Kleinen nun auch noch die Begeisterung für Mozart, Beethoven & Co. einpflanzen, dann müssen es Papi und Mami nicht tun, die sich für solchen Tingeltangel eh nicht interessieren...!
Dabei weiß ich aus eigener Erfahrung, dass auch der engagierteste Musikunterricht (und ich kann mich wahrlich nicht beschweren in Hinblick auf meine eigene Schulzeit) nichts (oder zumindest nicht viel) erreichen kann, wenn die Schüler an der Materie nicht irgendwie wenigstens grundlegend interessiert sind. Und hier ist eine aufgeschlossene Prägung durch das Elternhaus meiner Meinung nach unerlässlich. Sprich: Wenn die Eltern sich nicht schon im Vorfeld wenigstens ein bisschen in dieser ganzen Sache engagieren (und z. B. mal mit der ganzen Familie in Oper oder Konzert gehen oder sich mal gemeinsam klassische Musik auf CD anhören), warum sollten es dann ihre Kinder von sich aus tun? (Aber mit diesem Thema habe ich mich ja schon einmal beschäftigt...!)

Zumindest finde ich es begrüßenswert, dass in Bezug auf das Standing des Musikunterrichts als solchen ein offenkundiger Wertewandel stattgefunden hat: Noch vor sagen wir mal 10 Jahren schienen musische Fächer wie dieses im Vergleich zu Fremdsprachen und ganz besonders Naturwissenschaften doch eindeutig auf verlorenem Posten zu stehen! Ich hatte manchmal den Eindruck (ich verfolge diese Diskussion seit längerem mit großem Interesse), dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis der Musikunterricht komplett ausgedient hätte: Standardargumente wie keine messbaren Ergebnisse, kein erkennbarer Nutzen für das spätere Berufsleben, nur verklimperte Zeitverschwendung, etc. bekam man da immer häufiger zu hören und zu lesen.
Schön, dass man offenbar endlich erkannt hat, dass musische Fächer unbedingt zum Schulalltag dazugehören müssen und dass sie, wenn sie angeblich schon keinen sonstigen Nutzen für "später" haben sollen (das würde ich persönlich übrigens bis heute auch von Dingen wie dem in allen Einzelheiten eingepaukten Zitronensäurezyklus und der Integralrechnung behaupten...) doch wenigstens die jugendlichen Köpfe mal auf andere Weise fordern und Kreativität wecken, was dann wiederum die Aufnahmebereitschaft für die wirklich wichtigen Fächer (ha!) fördert.

Die Aussage, dass rund 25% der Musikhörer unter 30 Jahren einmal in der Woche klassische Musik entweder im Konzert oder auf CD, im Radio oder im TV hört, halte ich statt für eine Erfolgsmeldung eher für eine Bankrotterklärung. Was ist denn schon bitteschön "rund ein Viertel"? Und dann auch gerade mal einmal in der Woche (damit es auch nicht zu sehr wehtut...!) - hätte man hier die Hör-Häufigkeit auf "mehrmals in der Woche" oder gar "alle zwei Tage" heraufgesetzt, dann würde ich diesen Prozentsatz mal sehr gerne sehen wollen! Ob das dann auch noch
als "ermutigend" bezeichnet werden würde?

Naja - und dass Mozart, Bach und Beethoven den meisten Menschen (auch den Nicht-Klassikhörern) zumindest vom Namen her bekannt sind, ist ja nun auch nicht wirklich eine Überraschung (das sähe im Literaturbereich mit Goethe und Schiller doch ganz genauso aus - aber wer liest diese Herren heute noch freiwillig??), viel bedenklicher finde ich dagegen dann den nächsten Hammer, nämlich die Tatsache, dass Komponisten wie Wagner, Verdi oder Tschaikowski offensichtlich schon wieder kaum jemand der jüngeren Befragten kennt...
Wenn man jetzt nach Musikern wie Bellini, Donizetti, Weber, Mahler oder Richard Strauss gefragt hätte, dann könnte ich das ja noch eventuell irgendwie verstehen, aber Verdi und Wagner??? Ich will nicht hoffen, dass unter den Befragten auch Angehörige der 25% wöchentlich-jugendlichen Klassikhörern waren, denn dann müsste man sich fragen, was die da eigentlich einmal die Woche hören... wahrscheinlich Kuschelklassik oder so einen Schmus, der einem heutzutage schon via "Klassik-Radio" und dergleichen als "Klassik" verkauft wird!
Und bei Barock zum Backen, Beethoven zum Bügeln oder Klassik zum Kochen (wahlweise auch zum Klöppeln, Kacken, Kopulieren, oder wie diese unerträglich originell betitelten CD-Reihen im Handel noch alle heißen mögen!) ist es ja eigentlich auch völlig egal, was da eigentlich erklingt, Hauptsache, es passt ins Schema der immer präsenten "üblichen Verdächtigen": Klingt schick und einschmeichelnd, tut niemandem weh, geht schnell ins Ohr und genauso schnell wieder raus - bis man es beim Italiener um die Ecke oder im nächsten Aufzug wiederhört...
Und eine Studie, die solch deprimierende Ergebnisse zutage fördert, wird einem dann auch noch als "ermutigend" und "positive Entwicklung" verkauft - oh Mann!
Darauf erstmal eine Runde "Gegorianik zum Gruseln" oder doch lieber "Händel zum Heulen", oder...?

Mittwoch, 11. August 2010

Neuerwerbung

Vor einigen Jahren habe ich peu à peu die Werke britischer Komponisten (mit Schwerpunkt auf der Zeit so ca. zwischen 1870 bis 1930) für mich entdeckt.

Ich weiß gar nicht, von wem die bösartig-herablassende Äußerung von "Großbritannien, dem Land ohne Musik" stammt, aber spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts muss man diesem kontinentalen Vorurteil vehement widersprechen! Wer immer diese so griffige Charakterisierung in die Welt gesetzt hat, hat zumindest hierzulande ganze Arbeit geleistet:
In klassischen Konzerten oder im Opernhaus werden Werke von den britischen Inseln nach wie vor äußerst selten aufgeführt - obwohl es da jede Menge ausgesprochen dankbarer und lohnender Beiträge aller Gattungen (Kammermusik, Symphonien und sonstige Orchesterwerke, Oratorien und Opern) zu hören gäbe!
Auch in unseren Konzertführern findet man leider nicht allzu viele Fakten zu britischen Komponisten (es besteht ja auch keine große Notwendigkeit hierzu, wenn diese in Konzerten eh so gut wie nie gespielt werden...) - es ist ein Segen, dass es das Internet gibt, wo man (notfalls auch in Englisch) lange vergeblich gesuchte Fakten und zumindest grundlegende Informationen über Komponisten wie z. B. Arthur Sullivan (1842-1900), Hubert Parry (1848-1918), Charles Villiers Stanford (1852-1924), Edward Elgar (1857-1934), Frederick Delius (1862-1934), Ralph Vaughan Williams (1872-1958), Gustav Holst (1874-1934) oder Arnold Bax (1883-1953) finden kann!
Gut, den ein oder anderen Namen hat man auch hier bei uns schon mal gehört, man kennt evtl. sogar auch das ein oder andere Werk, aber welche Vielfalt an musikalischen Schätzen sich tatsächlich hinter diesen Namen verbirgt, hat sich auch mir erst im Lauf der Zeit Sück für Stück erschlossen. Das Ganze hat sich zu einer einzigartigen musikalischen Entdeckungsreise entwickelt, die ich (dank des großen Angebots auf dem internationalen CD-Markt zumindest "auf Konserve") in den letzten Jahren machen konnte, in deren Verlauf ich bislang tatsächlich noch nie enttäuscht wurde, egal, zu welchem Komponisten oder zu welcher Musikgattung ich auch gegriffen habe!
Es ist wirklich erstaunlich, dass so viel abwechslungsreiche, originelle, mitreißende und eingängige Musik hier bei uns nach wie vor so konsequent ausgeblendet wird! Ist das die Hybris eines Kulturraums, der musikalisch im 19. Jahrhundert (zumindest im symphonischen Bereich) die Führungsrolle übernommen zu haben glaubte und es nach wie vor nicht für besonders wichtig hält, auch mal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen?

Egal - bevor ich mich wieder unnötig (und leider auch umsonst) aufrege, möchte ich heute zwei CDs vorstellen, die ich mir kürzlich angeschafft habe (wieder einmal zum sympathisch-günstigen NAXOS-Preis!) und auf denen nicht ganz so häufig zu hörende Werke von Ralph Vaughan Williams eingespielt wurden, den man hierzulande am ehesten noch durch Werke wie die wunderbare "Thomas-Tallis-Fantasie" oder die "Greensleeves-Fantasie" kennt. Auf der CD mit den Orchesterwerken ist neben dem originellen Klavierkonzert in C-Dur die Suite "The Wasps" und die English Folk Song Suite (in der Orchesterfassung von Gordon Jacob) zu hören. Ashley Wass ist der Solist im Klavierkonzert, es spielt das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter der Leitung von James Judd - die Aufnahmen entstanden im Januar 2009.
Die CD mit den Chorwerken wurde im September 2009 aufgenommen - zu hören gibt es die Kantate Dona nobis pacem aus dem Jahr 1936 und das halbstündige Oratorium Sancta Civitas von 1926, beide in der Tradition der anglikanischen Chormusik angesiedelt, aber auch abwechslungsreich mit ausdrucksstarken Soli und dramatischen Höhepunkten angereichert.
Es singt der traditionsreiche britische Bach Choir (den unter anderen auch Vaughan Williams selbst geleitet hat), im Oratorium verstärkt durch die Winchester Cathedral Choristers und begleitet vom Bournemouth Symphony Orchestra unter der Leitung von David Hill.

Was soll ich sagen?
Ich bin wieder einmal äußerst angetan und freue mich schon auf künftige musikalische Entdeckungen von den britischen Inseln! :-)

Freitag, 6. August 2010

KLASSIKers Lieblingsopern: Cleofide

Auf die Oper, die ich heute vorstellen möchte, bin ich seinerzeit ganz zufällig gestoßen.
Es handelt sich um eine der Entdeckungen, die ich bereits als Teenager gemacht habe - dementsprechend "verfolgt" mich dieses Werk nun auch schon ein paar Jährchen. :-)

Ich hatte eine Phase, in der ich ziemlich regelmäßig WDR 3, also den Klassik-Sender des WDR, im Radio gehört habe. Die brachten zu der Zeit am Sonntagabend (?) immer komplette Opernaufnahmen, Live-Mitschnitte oder "Aufnahmen der Schallplattenindustrie", wie es damals immer so schön hieß. Und ich habe gerade diese Sendungen immer mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, denn da bot sich mir die Chance, ganz unverbindlich und ohne Kaufzwang Opern kennenzulernen, die mir bestenfalls vom Titel her bekannt waren - ich stand ja noch ganz am Anfang meiner "Klassik-Laufbahn"…

Und an einem dieser Abende (im Herbst 1986) gab es nun also die Oper CLEOFIDE von Johann Adolf Hasse (1699-1783) - ich hatte bis dato weder von dieser Oper noch von einem Komponisten dieses Namens je etwas vernommen. Mein Opernführer (von Reclam) bot unter dem Stichwort "Hasse" auch keine Informationen, ich war also ziemlich gespannt, was es da wohl zu hören geben würde.
Und was ich da in den folgenden knapp vier (!) Stunden zu hören bekam, faszinierte mich vom ersten Hören an ganz außerordentlich: Eine überaus abwechslungsreiche Parade verschiedener Arien, verbunden durch Secco-Rezitative (vom Cembalo und einer Theorbe, also einer Basslaute, begleitet), vorgetragen von zwei Sängerinnen und vier Solisten, die teils in Alt- und sogar in Sopranlage sangen.

Das war einer meiner ersten Kontakte mit der später von mir so geliebten Barockoper und definitiv mein erster Kontakt mit dem mich bis heute sehr faszinierenden Stimmfach des Countertenors, Altisten, oder wie auch immer man das nennen möchte - alles in allem also eine Begegnung, die mich sehr geprägt hat!
An jenem Abend habe ich mir etwas wahllos ein paar Stücke von dieser im Radio ausgestrahlten Opernaufnahme aufgenommen, die leider unter teilweise ziemlichem Rauschen litten, mir aber zunächst genügen mussten.

Die an diesem Abend gesendete Aufnahme war die Studioaufnahme einer vom WDR (mit-)produzierten konzertanten Aufführung dieser selten (bzw. bis dato noch gar nicht) zu hörenden Hasse-Oper, die meines Wissens bis heute die einzige Einspielung dieses Werkes ist (damit muss ich mir immerhin nicht die Mühe machen, meine Lieblingseinspielung dieser Oper vorzustellen und zu begründen, warum es für mich diese und keine andere ist…! *lach*).

Zum Glück musste ich dann auch nicht soooo lange warten, bis es von diesem Mitschnitt endlich eine käuflich zu erwerbende Aufnahme im Handel gab - beim Label CAPRICCIO erschien damals sowohl auf LP wie dann auch auf CD die am 13. September 1731 in Dresden für den Hof von Kurfürst August dem Starken komponierte dreiaktige Opera seria (bzw. "Dramma per musica", wie man solche Opern mit ernstem Sujet damals betitelte) Cleofide, die auf dem von Michelangelo Boccardi leicht bearbeiteten Original-Libretto "Alessandro nell' Indie" des italienischen Operndichter-Superstars Pietro Metastasio (eigentl. Domenico Trapassi, 1698-1782) basiert.

Hier die Besetzungsliste der Gesamtaufnahme dieser Oper:
Cleofide: Emma Kirkby (Sopran)
Poro: Derek Lee Ragin (Altus)
Alessandro: Dominique Visse (Altus)
Erissena: Agnès Mellon (Sopran)
Gandarte: Randall K. Wong (Sopran)
Timagene: David Cordier (Altus)
Yvon Repérant und Christophe Rousset, Cembalo
Yasunori Imamura, Theorbe
Rheinische Kantorei Dormagen
Cappella Coloniensis
Leitung: William Christie


Diese Aufnahme erfolgte offenbar als Ergebnis der Probenarbeiten, die im Mai 1986 im oberbergischen Lindlar stattfanden und der Vorbereitung von lediglich zwei konzertanten Aufführungen dieser Oper dienten: Am 31.05.1986 (Duisburg, Mercatorhalle; im Rahmen des 61. Bachfestes der Neuen Bachgesellschaft) und am 01.06.1986 (Gelsenkirchen, Kleines Haus des Musiktheaters im Revier; im Rahmen des Westfälischen Musikfestes).
Seitdem scheint es keine weiteren Aufführungen dieser schönen Oper mehr gegeben zu haben - man kann es eigentlich gar nicht glauben…

Ich habe mir im Anschluss an diese zumindest für mich legendäre Radioübertragung dann direkt noch eines der von diesen Live-Aufführungen übrig gebliebenen Programmhefte/ Textbücher, die der WDR damals kostenlos (!) an Interessenten versandt hat, gesichert. In deutlich verkleinertem Format lagen diese Texthefte dann später auch den CDs bei.

Beachtlich an dieser Einspielung finde ich die Tatsache, dass tatsächlich die gesamte Oper musiziert wurde (das kann man am Faksimile-Text des Original-Librettos, das der Aufnahme beiliegt, gut nachvollziehen) - keine Striche, keine Kürzungen, auch nicht in den Rezitativen (was ja leider sonst sehr gerne gemacht wird)!

Außerdem finde ich die Tatsache erwähnenswert, dass alle vier Männerrollen auch von Herren gesungen werden, also keine Kompromisse eingegangen wurden mit Sängerinnen in "Hosenrollen", wie man sie ja so ziemlich in jeder Barockopern-Einspielung antreffen kann. Wenn man bedenkt, dass sich Mitte der Achtziger Jahre Countertenöre noch längst nicht so durchgesetzt hatten und quasi überall präsent waren, so wie es heute z. B. mit Philippe Jaroussky, Max Emanuel Cencic, David Daniels oder Andreas Scholl der Fall ist, finde ich es eine ganz besondere Leistung, die Besetzung der "Cleofide" so konsequent "geschlechterkonform" zu realisieren!

Die Cappella Coloniensis spielt unter der Leitung von William Christie ausgesprochen schwungvoll, mit einem hellen und klaren Orchesterklang, der aber nie zu dünn oder trocken-akademisch klingt (wie man es leider manchmal bei Originalklangensembles hören kann) - im Gegenteil: Das relativ schlank besetzte Orchester ist in dieser Einspielung ein leidenschaftlich musizierender Partner der Solisten, der sich ideal an die oft reich verzierten Gesangslinien anzupassen versteht. Es ist in Bezug auf dieses Verhältnis von Gesangsstimme zum Orchesterklang hier sicher von Vorteil, dass die Solisten dieser Aufnahme allesamt eher über etwas "zartere" Stimmen verfügen, wie sie für Barockmusik heutzutage typisch sind - theaterfüllende "Stimmröhren" à la Pavarotti oder Birgit Nilsson sucht man in dieser Musiksparte - zum Glück - vergebens (die sind bei Wagner, Verdi & Co. definitiv besser aufgehoben)!

Die dreisätzige Sinfonia (das damalige Gegenstück zur Ouverture der französischen Oper) beginnt mit einem äußerst mitreißenden ersten Satz, dem ein etwas verhaltenerer zweiter Satz mit einem leicht dahinfedernden Grundrhythmus folgt. Der dritte Satz ist ein klassisches Menuett mit zwei gegensätzlichen Trios. Das Menuett-Thema habe ich vor ein paar Jahren zu meiner Überraschung im Nachdruck des Notenhefts gefunden, das Leopold Mozart zu Unterrichtszwecken für seine beiden Kinder Nannerl und Wolfgang angelegt hat. Und tatsächlich hat der gute Leopold nicht vergessen, über diesem Menuett den Hinweis "vom Signor Hasse" anzubringen - schließlich handelte es sich bei Johann Adolf Hasse Mitte des 18. Jahrhunderts um einen der auf europäischer Ebene bekanntesten und erfolgreichsten Komponisten italienischer (konkreter: neapolitanischer) Opern und Papa Mozart hat es bestimmt nicht versäumt, seinen beiden Wunderkindern neben dem praktischen Musizieren auch ein bisschen Hintergrundwissen über die berühmten Komponisten der damaligen Zeit zu vermitteln.

Die Sinfonia zu Cleofide ist im Jahr 1996 übrigens auch vom Ensemble Musica Antiqua Köln eingespielt worden und findet sich als rein "instrumentale Beigabe" auf einer CD, die ansonsten (ebenfalls sehr hörenswerte) geistliche Musik von Hasse enthält.

Im Verlauf der Oper gibt es dann noch zwei weitere kurze Orchesterstücke zu hören: Einen originellen "indischen" Marsch im ersten Akt, der ein für die damalige Zeit wahrscheinlich unerhört exotisches Flair durch die Verwendung von Schellen und Tamburins erhält und eine flotte kriegerische Sinfonia im zweiten Akt, die einen tollen Schwung und ein mitreißendes fanfarenartiges Thema besitzt, das sofort ins Ohr geht!

Die wie schon erwähnt ungekürzten (Secco-) Rezitative sind ebenfalls interessant anzuhören; Hasse hatte ganz offensichtlich ein Händchen für die abwechslungsreiche Komposition dieser oft eher vernachlässigten und deshalb heute gerne brutal zusammengekürzten oder ganz gestrichenen Verbindungselemente zwischen den einzelnen Arien. In der Aufnahme werden die Rezitative vom Cembalo und phasenweise auch von der Theorbe (meist an Stellen, an denen die Figuren "beiseite", also zu sich selber sprechen) begleitet.

Der eindeutige Schwerpunkt der ganzen Oper liegt aber natürlich bei den zahlreichen Arien, die auf die sechs Personen verteilt sind, wobei - und das ist typisch für die neapolitanische Opera seria - die Anzahl der Arien, die die einzelnen Charaktere zugewiesen bekommen, einem typischen "Verteilungsschlüssel" unterliegt: Je nach Bedeutung der Rolle schwankt das zwischen einer bis zu drei Arien pro Akt. Neben diesen zahlreichen Solonummern - und auch das ist typisch für diese Operngattung - gibt es in der ganzen, ungefähr vierstündigen Oper nur noch ein großes Duett am Ende des ersten, ein ganz kurzes Duett im zweiten sowie einen zweimal mit jeweils unterschiedlichem Text gesungenen Chor am Ende des dritten Akts! Ich glaube, ich werde demnächst mal was zu diesen heute ziemlich kurios anmutenden "Gesetzmäßigkeiten" schreiben, denen eine solche Oper damals unterworfen war!

Man merkt der Musik durchaus an, dass Johann Adolf Hasse mit dieser Oper in Dresden (nach seinem fast zehnjährigen Italienaufenthalt, den er unter anderem in Neapel mit Studien bei Alessandro Scarlatti begonnen hatte) quasi eine Art musikalische Visitenkarte abgeben wollte - eine eingängige Arie folgt der nächsten, zum Teil aufwendig mit verschiedenen Soloinstrumenten (Flöten, Hörner, Theorbe etc.) instrumentiert, die dann mit den Gesangsstimmen konzertieren. Die Uraufführung war dann auch das Ereignis der Saison (angeblich saßen auch Johann Sebastian Bach und sein ältester Sohn Wilhelm Friedemann im Publikum, die offenbar extra hierfür aus Leipzig angereist waren!) und brachte Hasse letztlich den Posten als Kapellmeister des sächsischen Hofes ein, den er dann immerhin für die nächsten 30 Jahre bekleidete!

Ein großer Trumpf der erwähnten Operneinspielung ist natürlich die legendäre Emma Kirkby in der Titelrolle - ihre einzigartige, leichte und helle Sopranstimme, die (bis heute) so unnachahmlich mädchenhaft-unschuldig klingt, passt perfekt zur tugendhaften Cleofide und Emma Kirkby gestaltet die zahlreichen Arien ihrer Figur ausdrucksstark und virtuos - denn spätestens in der großen Arie "Son qual misera colomba", die den zweiten Akt beschließt, brennt sie scheinbar ungerührt von allen technischen Schwierigkeiten ein Koloraturenfeuerwerk der Extraklasse ab - da kann man nur noch staunen! Spätestens an dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Johann Adolf Hasse (quasi standesgemäß für einen überaus berühmten Opernkomponisten) mit der wohl gefragtesten Primadonna seiner Zeit verheiratet war: Für die Venezianerin Faustina Bordoni (1697-1781), die er 1730 ehelichte und für die in London auch schon Händel komponiert hatte, schrieb er viele seiner weiblichen Hauptrollen - so auch die der Cleofide. Die Tatsache, dass die Dresdener Opernproduktion des Jahres 1731 mit dieser berühmten Primadonna stattfinden sollte, führte dann wohl auch zur Änderung des Titels der Oper zu Gunsten der weiblichen Hauptfigur - die Originalvorlage des Metastasio-Textbuchs hatte wie erwähnt ja noch den Titel "Alessandro nell' Indie" getragen und damit eindeutig den berühmten antiken Feldherrn Alexander den Großen in den Mittelpunkt gestellt…
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass die beiden Hasses eine wirklich glückliche, letztlich über 50 Jahre währende Ehe führten und noch im Alter ein hoch angesehenes, immer wieder gerne von berühmten Persönlichkeiten besuchtes Paar waren.

Agnès Mellon in der Rolle der heiteren, leichtfüßigen Erissena verfügt ebenfalls über einen schönen, natürlich-leicht klingenden Sopran. Bei dieser Figur finde ich die Arie "Vuoi saper se tu mi piaci?" am gelungensten - dieses Stück könnte ohne Weiteres so auch in einer komischen Oper bestehen.

Zu den Herrenrollen (witzigerweise keine tiefer als die Altstimmlage…):
Vom amerikanischen Countertenor Derek Lee Ragin habe ich mir, nachdem ich ihn in dieser Einspielung kennengelernt habe, noch einige weitere Aufnahmen zugelegt, in denen er mitwirkt, so z. B. Glucks Orfeo ed Euridice, Händel-Opern wie Giulio Cesare, Tamerlano und Flavio, oder - mal ganz etwas anderes - Spirituals. Ich mag seine charakteristisch gefärbte Stimme, die im Gegensatz zu anderen Countertenören nicht so körperlos "weiß" klingt - und damit oft schwer einem bestimmten Sänger zuzuordnen ist, sondern ein ganz unverwechselbares Timbre besitzt, das man schnell wiedererkennt. In seiner Rolle als Poro hat er einige interessante Arien zu singen, die meisten kraftvoll und dramatisch bewegt, was Ragins Stimme gut liegt. Poros mitreißende Arie "Generoso risuegliati, o core" aus dem zweiten Akt hat übrigens auch Eingang in den französisch-italienischen Film Farinelli aus dem Jahr 1994 gefunden, der viel dazu beigetragen hat, der Welt der italienischen Barockoper zu neuer Popularität zu verhelfen.

Mein ganz besonderer Liebling in dieser Operneinspielung ist jedoch der französische Altist Dominique Visse, der den Alessandro singt. Er hat eine ausgesprochen klangschöne, klar und makellos klingende Stimme, mit der er die Arien des Alessandro ganz unverwechselbar gestaltet - diese fünf Arien (deren Charakter von lyrisch bis energisch-entschlossen reicht) sind für mich die Höhepunkte der gesamten Aufnahme, sie haben mich vom ersten Hören an unglaublich fasziniert - nicht zuletzt dank der außergewöhnlichen Stimme von Dominique Visse. Der Franzose ist heute vor allem mit dem Ensemble Clément Jannequin und Les Arts Florissants aktiv.

Die beiden kleineren Rollen des Gandarte und Timagene sind mit dem Sopranisten Randall K. Wong und dem Altisten David Cordier recht passend besetzt - beide haben nicht allzu kräftige Stimmen, werden in ihren Arien aber vom Orchester gut getragen und nicht übertönt. Timagenes große Arie "E ver che l'amo intorno" (mit umfangreichen, sehr aparten Flötensoli) gefällt mir hier besonders gut.

Der Sopran von Randall Kevin Wong (ein US-Amerikaner chinesischer Abstammung) klingt - wie bei männlichen Sopranisten wohl leider üblich - ab und an etwas angestrengt. Es ist aber auch mit Sicherheit noch ein bisschen schwieriger, als Mann nicht nur in der Alt- sondern gleich in der Sopranlage zu singen! Unter diesem Aspekt macht er seine Sache wirklich gut - wenn man es nicht weiß, mag man es beim Zuhören gar nicht glauben, dass da keine Frau, sondern wirklich ein Mann singt! Meine Favoriten-Arie von ihm in dieser Oper ist das grazil-heitere "Appena amor sen nasce", mit dem sich Gandarte auch musikalisch als adäquater Partner der ebenfalls eher heiter angelegten Rolle der Erissena erweist.

Vor nicht allzu langer Zeit ist von dieser Opernaufnahme auch ein Querschnitt erschienen (denn nicht jeder könnte sich dazu veranlasst fühlen, sich gleich die komplette Oper auf immerhin vier CDs zuzulegen!), allerdings frage ich mich, was einem das merkwürdige Titelfoto auf dem CD-Cover sagen soll…
Die Zusammenstellung von Querschnitten ist ja immer so ein Thema - da würde wahrscheinlich jeder hierzu Befragte andere Stücke auswählen. Lobenswert ist sicher das Bestreben, von jedem der sechs Solisten mindestens ein Stück mit auf die CD zu packen. Musikalisch gesehen fallen dafür aber einige Perlen unter den Tisch - so ist zum Beispiel Dominique Visse als Alessandro nur mit einer Arie vertreten (immerhin ist es die sicherlich schönste Alessandro-Arie "Cervo al bosco" mit konzertierendem Solohorn!), obwohl es mindestens noch zwei weitere Arien dieser Figur verdient hätten, hier mit aufgenommen zu werden.
Deutlich überrepräsentiert ist auf diesem Querschnitt Emma Kirkby in der Titelrolle mit gleich drei Arien (plus dem Duett mit Poro vom Ende des ersten Aktes) - das mag Fans dieser Sängerin zwar freuen, aber die kämen mit Sicherheit auch auf anderen CDs dieser Sängerin auf ihre Kosten!
Dass das Koloraturen-Glanzstück "Son qual misera colomba" auf dem Querschnitt vertreten ist, versteht sich eigentlich von selbst, die beiden anderen zusätzlich enthaltenen Cleofide-Arien sind meiner Meinung nach eher überflüssig, da sie auch vom Ausdruck her einander sehr ähnlich sind. Die hierfür "verschwendeten" fast 20 Minuten (!) hätte man auf dieser Zusammenstellung weitaus sinnvoller für mehrere kürzere, aber eben musikalisch auch abwechslungsreichere Arien verwenden können!

Naja - wirklich empfehlen kann ich daher eigentlich wirklich nur die ganze Opernaufnahme! Wer sich für eine ungekürzte, musikalisch äußerst interessante, "klassische" Opera seria neapolitanischer Machart in Reinform interessiert (eine Operngattung, die in späteren Jahren ja häufig kritisiert und mit eher zweifelhaftem Erfolg auch immer wieder mal reformiert wurde) , sollte sich diese Aufnahme zulegen! Ich höre diese Oper seit vielen Jahren sehr regelmäßig und habe mich noch lange nicht daran sattgehört!

Mittwoch, 4. August 2010

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Da in den kommenden 4 Wochen in der Johanneskirche Proben anlässlich der hier in der Kirhe stattfindenden Aufführung von Verdis Oper Nabucco angesetzt sind (die Opernaufführung findet anlässlich des Düsseldorfer Altstadtherbsts statt und ich bin schon sehr gespannt auf dieses Ereignis!), gab es somit heute Mittag die letzte Lunch-Time-Orgel bis zum 08.09.10!

Gastorganist Raphael Nigbur präsentierte uns zu Beginn die klangprächtige, gravitätisch-festliche Pièce d'Orgue in G-Dur (BWV 572) von J. S. Bach (1685-1750).

Weiter ging es mit dem bekannten Hochzeitstag auf Troldhaugen von Edvard Grieg (1843-1907) - der dreiteilig angelegte Satz ist der wohl längste der sonst eher kurzen Lyrischen Stücke (im Original allesamt für das Klavier komponiert), von denen Grieg über mehrere Jahre hinweg immer wieder neue Sammelbände herausgab. Einige dieser Stücke hat er später für Orchester eingerichtet (der "Hochzeitstag auf Troldhaugen" gehört auch dazu) - die heute im Konzert gespielte Fassung für Orgel kannte ich auch noch nicht. Leider gab es keinen Hinweis, wer dieses Arrangement angefertigt hat...

Zum Schluss erklangen drei Sätze von Nicolas Jacques Lemmens (1823-1881): Fanfare, Cantabile und Finale. Lemmens gehört als relativ früher Vertreter in die Epoche der von mir so geliebten französischen Orgelromantik - und Stücke aus dieser Zeit bilden gerne den wirkungsvollen, klanggesättigten Abschluss eines Orgelkonzerts. Hat auch heute wieder funktioniert :-)