Mittwoch, 27. April 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Der erste Teil des heutigen Mittagskonzerts bestand aus einer mehrsätzigen Suite, die eigentlich für das Cembalo komponiert wurde, Organist Wolfgang Abendroth betonte in seiner Konzerteinführung jedoch, dass er das Stück durchaus auch für die Orgel geeignet fände, manche Sätze für ihn sogar besser auf der Orgel darstellbar seien als auf einem Cembalo.

Und so sah das heutige Programm aus:

Jean-Philippe Rameau (1683-1764)
Suite pour Clavecin e-moll

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-47)
Orgelsonate Nr. 5 D-Dur op. 65 Nr. 5


Zugegeben: Vor allem der zentrale, lautmalerisch umgesetzte Mittelsatz der Rameau-Suite mit dem Titel "Le rappel des oiseaux" ("Der Ruf der Vögel") und der abschließende, als furioser "Rausschmeißer" fungierende Tambourin-Satz wirkten auf der behutsam registrierten Orgel gespielt wirklich beeindruckend - wenn man nicht wüsste, dass der Komponist eigentlich gar keine Orgel für diese Suite im Sinn hatte, käme man wirklich nicht auf den Gedanken, hier an ein mehrsätziges Cembalo-Stück zu denken!

Im zweiten Teil des Konzerts stand dann mit einer der 6 Orgelsonaten von Mendelssohn wieder einmal einer der großen Orgelklassiker des 19. Jahrhunderts auf dem Programm - diese Sonaten sind einfach unverwüstlich, egal, wie häufig man sie schon zu hören bekommen hat!

Donnerstag, 21. April 2011

Musik zur Passionszeit

In den Wochen vor Ostern höre ich gerne die verschiedensten Vertonungen der Passionsgeschichte (das passt jetzt einfach am besten, im Sommer oder im Herbst bin ich dafür einfach so gut wie nie in der Stimmung!) - und dabei muss man sich nicht nur auf die Barockzeit beschränken: Es gibt eine erstaunliche Vielfalt an Passionsmusiken aus den verschiedensten Epochen der Musikgeschichte und ich habe hier in den letzten Jahren schon einige wirklich schöne persönliche Entdeckungen für mich machen können.

In diesem Jahr lag mein Schwerpunkt auf Passions-Vertonungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ich habe mich etwas eingehender mit folgenden Werken beschäftigt:

Frank Martin (1890-1974)
Golgotha (1948)

Krzysztof Penderecki (geb. 1933)
Lukas-Passion (1966)

Sofia Gubaidulina (geb. 1931)
Johannes-Passion (2000)


Die ursprünglich in russischer Sprache im Bach-Jahr 2000 entstandene Johannes-Passion von Sofia Gubaidulina habe ich in einer deutschsprachigen Einspielung aus dem Jahr 2007 vorliegen.
Helmuth Rilling dirigiert seine Gächinger Kantorei sowie den Kammerchor der Musikhochschule Trossingen und das Rundfunksinfonieorchester Stuttgart des SWR (in Kombination zur Passion enthält die Doppel-CD passenderweise auch noch Gubaidulinas 2001 entstandenes Werk Johannes-Ostern, also den zweiten Teil ihrer kompositorischen Auseinandersetzung mit der biblischen Ostergeschichte nach Johannes).

Man merkt der gut 70-minütigen Johannes-Passion durchaus an, dass die Komponistin der russisch-orthodoxen Kirche angehört - vor allem die mehrfach eingesetzten, für mich irgendwie typisch russisch klingenden Glocken erinnern mich frappant an die Welt der Ostkirche, obwohl strenggenommen eine Passionskomposition (noch dazu mit Orchesterbegleitung) wie die hier erwähnte in der strengen russisch-orthodoxen Liturgie gar keinen Platz hat und das Werk - es ist im Rahmen einer modernen Hommage an J. S. Bach anlässlich seines 250. Todesjahres entstanden - somit von vornherein für den Konzertsaal bestimmt war.

Eine "klassische" Johannes-Passsion beginnt in der Regel mit der Gefangennahme im Garten Gethsemane, bei Gubaidulina setzt die Geschichte bereits mit der Fußwaschung ein und wird in leicht gekürzter Form in mehreren Blöcken zusammengezogen. Unterbrochen wird der Passionsbericht mehrfach durch recht ausführliche Passagen aus der Offenbarung des Johannes (von dem man meines Wissens annimmt, dass er mit dem Evangelisten Johannes identisch war) - ein Prinzip, dass Gubaidulina auch in ihrem ein Jahr später entstandenen Werk Johannes-Ostern weiterverfolgt.
Ich muss zugeben, dass mir diese Kopplung Passionsbericht - Offenbarung nicht so recht einleuchten will, theologisch gesehen hat die Schilderung der Leiden Christi doch eine ganz andere Bedeutung als die Ereignisse der Apokalypse, oder?

Naja - die Musik, die Sofia Gubaidulina für ihre Johannes-Passion komponiert hat, überzeugt mich persönlich nicht besonders, muss ich sagen.

Eine gewisse Gleichförmigkeit innerhalb der einzelnen Sätze finde ich etwas ermüdend, zumal der mit der Schilderung der Passionsgeschichte befasste Bass (in meiner Aufnahme singt Nicholas Isherwood die Partie) das Ganze in einem nervigen Singsang vorträgt, den man weder als Rezitativ noch als ariosen Gesang bezeichnen kann - das Ganze hat etwas von einem mehr oder weniger teilnahmslos in den eigenen Bart Hineinbrummeln, was auf mich vor allem eher unfreiwillig komisch wirkt und das kann ja eigentlich in so einem Werk nicht beabsichtigt sein…?!
Allerdings weiß man als Zuhörer bei zeitgenössischen Werken oft nicht, ob das Ganze wirklich so gedacht ist oder ob in diesem Fall vielleicht eher der Solist für die merkwürdige Wirkung des Vortrags verantwortlich ist - das ist wirklich schwierig einzuschätzen. Jedenfalls finde ich diese Passagen als Zuhörer eher schwer zu ertragen und doppelt bedauerlich finde ich die Tatsache, dass der Chor im Hintergrund zu diesem seltsamen Evangelistenbericht oft wirklich interessante Passagen zu singen hat (von denen man gern etwas mehr hören würde), die aber eben leider total im Hintergrund verbleiben, weil der Solist absoluten Vorrang hat und die ganze Aufmerksamkeit des Hörers beansprucht - sehr schade! Warum hätte man statt dieser Gleichzeitigkeit das Ganze nicht etwas entzerren und damit dem Chor nicht auch Gelegenheit geben können, seine Partie "störungsfrei" darzubieten?

Die Passagen mit den Schilderungen aus der Offenbarung des Johannes folgen (leider) demselben Prinzip der steten Wiederholung einer oder mehrerer ziemlich spröder melodischer Floskeln, so dass sich auch hier meine Begeisterung eher in Grenzen hielt.
Erst gegen Ende des Stücks ("Der Gang nach Golgatha"), wo Passions- und Offenbarungsbericht zunehmend parallel ablaufen und ineinander verschränkt werden, nimmt die Spannung deutlich zu - diese intensive Passage hat mich noch am meisten angesprochen.

Die 1966 in Münster uraufgeführte, etwa 75-minütige Lukas-Passion von Krzysztof Penderecki ist in den vergangenen 45 Jahren ein echter "Klassiker" der Neuen Musik geworden. Ich besitze eine für NAXOS im Jahr 2002 aufgenommene Einspielung - Antoni Wit dirigiert das Warschauer Nationale Philharmonische Orchester und den zugehörigen Chor.

Wie in der katholischen Kirchenmusik üblich, verwendet Penderecki eine lateinische Textgrundlage für seine Passion und zwar den entsprechenden Text des Evangelisten Lukas (allerdings unter Auslassung mehrerer Verse), ergänzt durch Verse aus dem Johannesevangelium, verschiedener Psalmen und der Klagelieder des Jeremia. Neben diesen biblischen Texten finden auch noch einige sonstige liturgische Texte Verwendung in dieser Lukas-Passion, so integrierte Penderecki z. B. sein bereits im Jahr 1962 entstandenes Stabat Mater in das größere Werk.

Anders als bei Bach ist der Evangelist, der die Passionsgeschichte vorträgt, bei Penderecki ein Sprecher, während alle anderen Beteiligten (Jesus, Petrus, etc.) von Gesangsstimmen verkörpert werden. Neben einigen kürzeren Solonummern übernimmt aber vor allem der Chor in dieser Lukas-Passion den gesanglichen Hauptpart - und Penderecki verlangt diesem hier wirklich einiges ab: Extrem knifflige A-Cappella-Stellen und harmonische Herausforderungen aber auch "sangesferne" Lautäußerungen wie Schreien und Lachen, mit denen die Geschehnisse der Passionsgeschichte eine zusätzliche, fast naturalistische Dimension erhalten, die sehr beklemmend wirkt und mit dazu beiträgt, dass das ganze Werk unter einer großen Spannung steht, die den Zuhörer nur schwer unbeeindruckt lässt.

Allerdings kann ich mir vorstellen, dass der Besuch einer Live-Aufführung dieser Lukas-Passion noch viel mitreißender wirken dürfte, als das bloße Anhören einer CD-Aufnahme (obwohl gerade der Warschauer Philharmonische Chor in der erwähnten NAXOS-Einspielung wirklich exzellent ist!).
Dieses Werk in einer ansprechenden Konzertatmosphäre (wo sich die Intensität der Musik aus meiner Erfahrung heraus viel unmittelbarer von den Ausführenden auf die Zuhörer überträgt) erleben zu können, muss wirklich überwältigend sein - schon die bloße Wirkung aus der "Klangkonserve" hinterlässt ja bereits einen großen Eindruck; ich werde mal zusehen, dass ich möglichst bald einmal ein Konzert mit der Lukas-Passion von Penderecki besuche - das möchte ich mir nicht entgehen lassen!

Beeindruckend an diesem Werk finde ich vor allem die Tatsache, dass Penderecki nicht zu Gunsten einer möglichen besseren Akzeptanz beim Publikum auf irgendwelche der modernen kompositorischen Stilmittel verzichtet, sondern von Zwölftontechnik über Cluster, Vierteltöne, etc. eigentlich nichts auslässt, was zur Entstehungszeit der Lukas-Passion zum "guten Ton" zeitgenössischer Komponisten gehörte.
Irgendwie gelingt es ihm aber - trotzdem oder gerade deswegen? - das Ganze zu einem ausgesprochen überzeugenden Werk voller Dramatik, Spannung und großer Emotion zusammenzufügen, das seitdem beim Publikum verdientermaßen eine große Akzeptanz erfährt, was man ja nun weiß Gott nicht von vielen zeitgenössischen Kompositionen behaupten kann!

Wie gesagt, zum bloßen "Nur-Anhören" auf CD scheint mir persönlich Pendereckis Lukas-Passion weniger geeignet - hier ist für mein Empfinden die Live-Atmosphäre und der unmittelbare Klang im Rahmen einer Aufführung unbedingt erforderlich, um das Ganze zu seiner vollen Wirkung zu bringen, dennoch sagt mir diese Komposition deutlich mehr zu, als Gubaidulinas Johannes-Passion.

Ale eine echte Entdeckung hingegen, die ich auch als reines Hörerlebnis uneingeschränkt empfehlen kann, entpuppte sich das in den Jahren 1945 bis 1948 entstandene französischsprachige Passionsoratorium Golgotha des Schweizer Komponisten Frank Martin. Martin ist ein hierzulande leider ziemlich unbekannt gebliebener Komponist, dessen Musik zwar moderne Einflüsse seiner Zeit aufnimmt (u. a. aus der Zwölftonmusik), die aber immer im für die Zuhörerschaft gut fassbaren tonalen Rahmen verbleibt und deren Erfolg und Beliebtheit auch bei einem breiteren Publikum somit eigentlich nichts im Wege gestanden hätte. Keine Ahnung, warum das nicht in dem Maße geschehen ist, wie es diese ausgesprochen aparte und ausdrucksstarke Musik eigentlich verdient hätte!

Nun - es besteht ja immer Gelegenheit für eine Wiederentdeckung viel zu lange unbeachtet gebliebener Werke und gerade Golgotha ist ein wunderbarer Beitrag zur Gattung "Passionsmusik", die im 20. Jahrhundert entstanden ist!

Der französische Text dieses gut anderthalbstündigen Werks setzt sich aus Episoden der biblischen Passionsgeschichte (vom Einzug Jesu in Jerusalem bis zur Auferstehung in einer bunten Zusammenstellung aus entsprechenden Textstellen aller vier Evangelien) und thematisch passenden, das Geschehene reflektierende Passagen aus den Schriften des Kirchenlehrers Augustinus zusammen.

Ich habe mir die im Jahr 2009 aufgenommene, bei harmonia mundi im letzten Jahr erschienene Einspielung mit der Cappella Amsterdam, dem Estonian Philharmonic Chamber Choir und Estonian National Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Reuss angehört und war wirklich sehr angetan von diesem, mir bislang nur vom Titel her bekannten Oratorium!

Die Rolle des die Passionsgeschichte vortragenden Evangelisten wird bei Martin nicht von einem, sondern abwechselnd von allen vier Solisten und auch dem Chor übernommen. Hinzu kommt die umfangreiche Jesus-Partie, die hier ganz traditionell von einem Bariton übernommen wird.
Da in das Oratorium Golgotha - abweichend zu den meisten anderen Passionsvertonungen - auch die Palmsonntagsgeschichte und eine der längeren abschließenden Reden Jesu, die er unmittelbar vor Beginn der eigentlichen Passionsgeschichte gehalten hat, integriert wurden, stellt diese Bariton-Partie somit den umfangreichsten Solistenbeitrag zu diesem ansonsten vom Chor dominierten Werk dar.
In der mir vorliegenden Aufnahme singt Mattijs van de Woerd den Jesus mit einem leichten, angenehm timbrierten, zugleich aber auch intensiv und ausdrucksstark klingenden Bariton. Aber auch an den übrigen Ausführenden dieser Einspielung gibt es nichts zu bemängeln!

Die Musik des gesamten Oratoriums bewegt sich durchweg in einer an französischer, meinem Empfinden nach aber auch an englischer Chormusik der Spätromantik (also der Zeit um das Jahr 1900 herum) orientierten Klangwelt, während die expressiven Solopassagen mich gelegentlich unter anderem an Opernmusik dieser Epoche (z. B. an den späten Puccini) erinnerten.

Der ganze, zwischen (gemäßigter) Dramatik und meditativem Innehalten hin- und herwechselnde Tonfall von Golgotha mit seiner Mischung aus klanglicher Tradition und (behutsamer) Moderne überzeugte mich jedenfalls spontan sehr und hat mich wirklich angesprochen.
Über solche persönlichen Neuentdeckungen freue ich mich natürlich immer wieder sehr!

Ich wünsche einen besinnlichen Karfreitag und schöne Osterfeiertage!

Mittwoch, 20. April 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute hatte Gastorganist Jens-Peter Enk (Kantor der Christuskirche) für uns folgendes Programm zusammengestellt:

J. S. Bach (1685-1750)
Präludium und Fuge h-moll BWV 544
Choralbearbeitung "Schmücke dich, o liebe Seele" BWV 654

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-47)
Präludium und Fuge c-moll, op. 37 Nr. 1

Johannes Brahms (1833-97)
aus den 11 Choralvorspielen op. 122
"Mein Jesu, der du mich"
"O Welt, ich muss dich lassen"
"Schmücke dich, o liebe Seele"

Denis Bédard (geb. 1950)
aus der "Suite romantique"
I. Prélude - Choral
II. Allegro giocoso


Mit der ungewöhnlichen Tatsache, dass das heutige Konzert exakt mit dem Werk startete, mit dem das letztwöchige aufgehört hatte, begann der Reigen verschiedener größerer und kleinerer Orgelstücke aus drei Jahrhunderten. Ich vermute, dass es sich hierbei wohl eher um Zufall als um Absicht handelte, obwohl es interessant war, die Unterschiede in der Interpretation (Tempowahl, Registrierung) ein- und desselben Stückes herauszuhören: Während Wolfgang Abendroth in der vergangenen Woche das Präludium wesentlich wuchtiger anging, klang das Ganze bei Jens-Peter Enk heute deutlich leichtfüßiger und flinker (wobei ich mir nicht sicher bin, ob mir die "gewichtigere" Herangehensweise der letzten Woche nicht doch besser gefallen hat). Die Fuge hingegen spielte - wenn ich das noch richtig im Ohr habe - Wolfgang Abendroth in der letzten Woche etwas schneller als Herr Enk es heute tat.

Nach diesem immer wieder gern gehörten Einstieg ging es weiter mit einer Choralbearbeitung aus Bachs sogenannten "Leipziger Chorälen". Der Choral "Schmücke dich, o liebe Seele" kehrte etwas später im heutigen Konzert noch einmal als einer der drei Choralvorspiele von Johannes Brahms wieder, die dieser am Ende seines Lebens komponierte.

Dazwischen gab es ein "Präludium und Fuge"-Paar von Bach-Bewunderer Felix Mendelssohn Bartholdy, wobei mich immer wieder fasziniert, wie sehr es ihm gelingt, den musikalisch-kompositorischen Tonfall seiner Zeit in diese eigenlich so ganz in barocker Tradition stehenden Musikstücke (die zu Beginn des 19. Jahrhunderts eigentlich vollkommen "out" waren!) zu integrieren und beides zu einer überaus gelungenen Synthese zu verschmelzen.

Zum Schluss dieses reichhaltigen Mittagskonzerts erklangen noch zwei Sätze aus der - der Name sagt es bereits - ganz am Klangideal der französischen Orgelromantik Ende des 19. Jahrhunderts orientierten Suite romantique des Kanadiers Denis Bédard: Ein dankbarer und wirkungsvoller Abschluss der heute ausnahmsweise einmal mehr als 40 Minuten dauernden Lunch-Time-Orgel!

Freitag, 15. April 2011

Das Bonmot für Zwischendurch...

Heute habe ich mal wieder zwei Bonmots zum Thema Literatur ausgegraben - sie stammen von zwei berühmten französischen Denkern und vertreten zwei ziemlich gegensätzliche Positionen, wie es scheint...

Es ist unmöglich, gebildet zu werden, wenn man nur liest, was gefällt.

Joseph Joubert (1754-1824)


Der Mensch sollte lesen, wozu es ihn gerade treibt; was er nur aus Pflichtgefühl liest, wird ihm wenig nützen.

François de La Rochefoucauld (1613-80)

Mittwoch, 13. April 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Entgegen der Gewohnheit spielte uns Wolfgang Abendroth im heutigen Konzert zuerst ein Stück neueren Datums, bevor es zum Abschluss dann das ältere der beiden zu hören gab:

César Franck (1822-90)
Prière ("Gebet") op. 20

J. S. Bach (1685-1750)
Präludium und Fuge h-moll BWV 544


Nach dem durch und durch romantischen, teilweise sehr aufgewühlt daherkommenden Prière (einem erklärten Lieblingsstück unseres Organisten) bildete das h-moll-Präludium mit seinem strengen und irgendwie "kathedralenhaften" Beginn einen ausgesprochen wirkungsvollen Gegensatz. Bei der sich anschließenden Fuge gefiel mir das eingängige "wellenartige" Thema, das in einer pausenlosen Bewegung dahinzufließen scheint, ausgesprochen gut!

Montag, 11. April 2011

Buchkritik: "Die 5. Passion" von Oliver Buslau

Eigentlich bin ich überhaupt kein Fan von den seit einigen Jahren so wahnsinnig populären "Mystery-Thrillern", in denen sich alles um die Dechiffrierung verschlüsselter Botschaften aus längst vergangenen Zeiten dreht, hinter denen - natürlich - mehrere rivalisierende Personen und geheime Organisationen (je mächtiger und dubioser, desto besser!) gleichzeitig her sind und es somit zu einem munteren Wettrennen kommt, bei denen gerne schon mal der eine oder die andere Teilnehmer(in) skrupellos aus dem Weg geräumt wird…
Es ist wirklich erstaunlich, was hier allein in den letzten 10 Jahren alles für Titel zu diesem immer gleichen Strickmuster auf den Markt gekommen sind - viele gehen in dieser Masse sang- und klanglos unter, manch anderer (und nicht immer unbedingt die besten!) wird ein Welterfolg, der sogar mit großer Starbesetzung in Hollywood verfilmt wird…
Die geheimen Botschaften, die für unsere heutige Zeit natürlich immer von immenser Bedeutung sind (sonst würden sie ja niemanden mehr interessieren) sind bevorzugt in antiken Schriftrollen, Grabkammern, mittelalterlichen Gebäuden oder Renaissance-Gemälden in verschlüsselter Form anzutreffen und so gesehen fand ich die Idee (so naheliegend sie eigentlich ist) dann auch mal erfrischend originell, als ich auf das hier besprochene Buch gestoßen bin, in der sich zur Abwechslung einmal alles um eine verschollene Notenhandschrift dreht, die natürlich ebenfalls eine verschlüsselte Nachricht enthält.
Wer ist eh schon für seine vielfach zitierten, von religiösen Zahlensymbolen ja angeblich geradezu durchtränkten Partituren bekannt? Richtig - Johann Sebastian Bach! Und genau um den und seine (heute nur aus zeitgenössischen Berichten bekannte) leider komplett verschollene "5. Passion" dreht sich in dem im Jahr 2009 erschienenen Roman von Oliver Buslau dann auch alles.

Und weil ich zum einen diese Idee, endlich auch einmal einen berühmten Komponisten in einen dieser "Mystery-Thriller" einzubeziehen, originell fand und Herrn Buslau unter anderem bereits als Autor von Artikeln in Musikzeitschriften kannte (und ich somit die ganze "fachliche" Thematik bei ihm als studiertem Musikwissenschaftler in guten Händen wusste), habe ich mich dann tatsächlich voller Neugier auf die Lektüre dieses immerhin mehr als 500 Seiten starken Romans eingelassen.

Wie gesagt: Im Prinzip dreht sich auch die Handlung dieses Romans um die gleiche Thematik wie die anderen, weiter oben kurz beschriebenen Bücher dieses Genres - aber immerhin ist Herrn Buslau mit diesem originellen, vielleicht wirklich eher speziell für Klassik- und Musikfreunde gedachten Gattungsbeitrag ein Roman gelungen, der sich hinter anderen "Wir entschlüsseln eine geheime Botschaft und werden dabei von finsteren Bösewichtern gejagt"-Büchern nicht zu verstecken braucht!

Wenn ich das richtig recherchiert habe, ist "Die 5. Passion" der erste Roman Buslaus, der nicht im Bergischen Land spielt - denn in dieser Gegend ist er bisher vor allem als Autor solcher sogenannter "Regionalkrimis" bekannt geworden - einer Gattung, der ich etwas skeptisch gegenüber stehe, da ich immer den Eindruck nicht loswerde, dass der Reiz (und die Beliebtheit) dieser Bücher hauptsächlich darin begründet liegt, dass die Leser die darin beschriebenen Ort- und Landschaften bestens kennen und die Freude über diesen Wiedererkennungseffekt oft ein bisschen die eigentliche Qualität der trotz allem für einen solchen Krimi ja auch noch erforderlichen Handlung überdeckt…
Wenn man mal schaut, für wie viele Regionen und Städte mittlerweile solche "Regionalkrimis" erschienen sind, scheint der Erfolg eines solchen Buches ja fast schon ein Selbstläufer zu sein - und genau das macht mich eben ein bisschen stutzig. Eine gute (Krimi-)Handlung ist nicht unbedingt fast ausschließlich davon abhängig, wo sie spielt, das ist jedenfalls meine Meinung...

Aber gut: "Die 5. Passion" ist also - wie erwähnt - kein solcher Regionalkrimi, auch wenn die Geschichte mit teilweise ziemlich akribisch genauen Ortsbeschreibungen der Schauplätze (hier vor allem Leipzig und Paris, am Rande aber auch Köln) aufwartet.

Zu Beginn und dann auch wieder gegen Ende des Romans herrscht auch eine gute Mischung aus Spannung und geheimnisvoller Atmosphäre: Zu Beginn eben dann, wenn der obligatorische "Eröffnungsmord" geschieht und die handelnden Figuren im Nachgang hierzu festzustellen beginnen, dass da irgendwas nicht stimmen kann und offenbar mehr dahinter steckt, als es zunächst den Anschein hat und gegen Ende, wenn man als Leser dann gerne wissen möchte, wie denn die ganze Geschichte jetzt zu einem möglichst runden Ende geführt und alle im Verlauf der Lektüre aufgetauchten Rätsel zu einer hoffentlich befriedigenden Auflösung gelangen.

Dazwischen liegen in "Die 5. Passion" einige ziemlich ausführliche Passagen, in denen der Autor dem Leser natürlich die Bedeutung und die Entschlüsselung der geheimen Botschaft (und ihre Bedeutung) erklären muss - da wird dann viel geredet und erläutert (was ein bisschen auf Kosten der Weiterentwicklung der Handlung geht, aber unvermeidlich zu sein scheint, da sonst die Motivation der einzelnen Mitwirkenden nicht wirklich klar werden würde) und wer sich nicht wirklich für klassische Musik im Allgemeinen und die Kompositionen Johann Sebastian Bachs im Besonderen interessiert, dem könnte hier das ein oder andere Kapitel doch etwas langatmig erscheinen…

Ich fand die Konstruktion, mit der Autor Oliver Buslau seine im Rahmen der Romanhandlung natürlich logisch erscheinenden Theorien auf der Basis von Erkenntnissen, die zahlreiche Bach-Forscher in den vergangenen Jahrzehnten aus dessen Partituren herausgelesen haben wollen, schon ziemlich gelungen - der Autor hat sich immerhin gründlich Gedanken gemacht, wie er seine Geschichte um die verschlüsselte Botschaft in der verschollenen Bach-Partitur zumindest in Ansätzen plausibel nachvollziehbar rüberbringt (und dabei auch den Leser mitzunehmen versteht, der sich bislang eher weniger bis gar nicht mit solchen Dingen beschäftigt hat). Das Ganze schlüssig so zusammenzusetzen hat den Autor bestimmt eine Menge Arbeit gekostet, aber die teilweise recht lang geratenen Erklärungspassagen, die dafür notwendig waren, zeigen, warum man bislang "Mystery-Thriller" im Bereich der Notenhandschriften eher seltener antrifft: Verschlüsselte Botschaften, in alten Pergamentrollen oder in Gemälden versteckt, erklären sich offenbar irgendwie schneller und nicht jeder Autor legt dabei wirklich viel Wert auf eine einigermaßen plausible Begründung, so gesehen also ein großes Lob an den gründlich und sorgfältig vorgehenden Autor dieses Buches!
Dass hierbei einige Fakten zu Bachs Biographie und seinem kompositorischen Schaffen zwangsläufig "passend gemacht" werden müssen, damit sie für die Story wirklich Sinn ergeben, muss man wohl hinnehmen, obgleich ich das dann schon wieder etwas ärgerlich fand. So wird Bach unter anderem fast ausschließlich als Komponist geistlicher Musik rübergebracht, dessen kompositorisches Gesamtwerk von der ersten bis zur letzten Note einer absichtsvollen, quasi göttlichen Ordnung unterworfen ist, also einer Art bewusstem Lebensplan unterlag, in dem jede einzelne komponierte und niedergeschriebene Note eine tiefere Bedeutung besitzt.
Naja - das ist natürlich schon starker Tobak, aber das Ganze ist ja nur ein Roman, der sich allerdings immerhin um eine möglichst logische Konstruktion des darin enthaltenen "Mysteriums" bemüht und da sollte man dann meiner Meinung nach auch um eine möglichst authentische Schilderung von Bach und seinem kompositorischen Werk bemüht sein und nicht einfach Fakten unterschlagen, die gerade nicht so recht passen wollen - wobei mich schon interessiert hätte, wie der Autor die Tatsache untergebracht hätte, dass Bach als "Fünfter Evangelist", der den Menschen quasi göttliche Botschaften in seiner Musik vermittelt, z. B. eben auch ganz "profane" Unterhaltungsmusik für's Caféhaus komponiert und höchstpersönlich dort aufgeführt hat…

Oliver Buslau wagt einen etwas skurrilen Spagat, um dem Leser in diesem Roman eine Identifikationsfigur liefern zu können, mit der dieser dann auf Entdeckungsjagd gehen kann:
Die Hauptperson ist die berühmte, kurz vor ihrem internationalen Durchbruch stehende Opernsängerin Gwendolyn Fischer, deren Zugang zur Musik bislang ausschließlich auf der emotionalen Ebene erfolgte und die jegliche wissenschaftlich-theoretische Herangehensweise an Kompositionen verabscheut, was sie verständlicherweise in einen Konflikt zu ihrem Vater, einem Professor für Musikwissenschaft und bekannten Bach-Forscher bringt.
Mit Gwendolyn Fischer schafft Buslau also eine Figur, die - wie wahrscheinlich die meisten Leser seines Krimis - (klassische) Musik in der Hauptsache also durch bloßes Anhören oder Musizieren kennen- und liebengelernt hat und für die die ganze Musiktheorie in der Regel ein Buch mit sieben Siegeln ist, die obendrein für das Genießen und Erleben von Musik nicht unbedingt erforderlich, vielleicht sogar eher hinderlich ist.
So weit, so gut. Allerdings frage ich mich, ob man das ganze Spiel dann wirklich so weit treiben muss, dass diese immerhin studierte Sängerin noch nicht einmal richtig Noten lesen oder die einfachsten Intervalle bestimmen kann, weil ihr auch das alles ebenfalls viel zu theoretisch ist und sie ihre Partien dank eines phänomenalen Gedächtnisses lieber rein akustisch lernt?!? Wie Frau Fischer es so jemals geschafft haben will, ein Gesangsstudium an einer Hochschule zu absolvieren, wird leider dem Leser nicht erklärt - denn auch ein solches Studium enthält viele garstige theoretische Pflichtfächer und Übungen, die man bestehen muss, um einen Abschluss zu erlangen: Kontrapunkt, Harmonielehre, spontan und ohne Vorbereitung etwas "Vom-Blatt-Singen" können, etc.

Gerade für praktizierende Musiker ist die Notenschrift doch eher eine unglaubliche Hilfe als eine theoretische Belastung - und gerade wenn man musiziert, erschließt sich einem die Notenschrift doch fast ganz automatisch (während diese zugegebenermaßen für Leute, die nie ein Instrument gespielt oder gesungen haben, wirklich oft ein reines Theoretikum bleibt) - ich könnte ja verstehen, wenn man weitergehende Musiktheorien ablehnt, aber Noten lesen zu können, ist nun wirklich keine Hexerei - und für einen professionellen (klassisch ausgebildeten) Musiker in der heutigen Zeit wohl absolute Grundvoraussetzung!

Ich hatte während der Lektüre immer darauf gewartet, dass irgendwo noch der raffinierte Handlungsknackpunkt kommen würde, an dem es sich plötzlich als genialer (wenn, wie gesagt, auch recht unrealistischer) Schachzug des Autors erweisen würde, dass die Hauptfigur des Romans zwar wunderbar singen aber eben unerwarteterweise keine Noten lesen kann - aber genau dieser Punkt blieb leider aus, so dass ich mich im Nachhinein wirklich gefragt habe, warum Buslau dann dieses somit völlig überflüssige (weil eben so unwahrscheinliche) "Manko" seiner Heldin überhaupt in Kauf genommen hat?! Er stellt seine Hauptfigur damit zwar wirklich endgültig einem in musikalischen Dingen (bis auf das Zuhören) völlig unbeleckten Leser an die Seite, aber dieser würde - da bin ich ganz sicher - Gwendolyn Fischer auch als Identifikationsfigur akzeptieren, wenn diese Noten würde lesen können, wie man es von einer professionellen Sängerin auch erwarten dürfte. Denn diese Fähigkeit der Hauptfigur - soviel sei hier gesagt - würde die Entwicklung der ganzen Geschichte auch nicht anders verlaufen lassen, so dass wirklich die Frage nach dem "Warum?" für diese Entscheidung des Autors bleibt.

Überrascht hat mich übrigens auch, dass die zu Beginn des Romans relativ ausführlich eingeführten Leipziger Kriminalpolizisten im Verlauf des Buches zu absoluten Nebenfiguren degradiert werden und für die weitere Handlung wider Erwarten keine größere Bedeutung mehr bekommen. Da hätte man sich dann sicher einiges an Details sparen können - so etwas finde ich immer etwas ärgerlich, wenn der Leser einer Geschichte erst mit durchaus interessant erscheinenden Charakteren bekannt gemacht, seine so geweckte Neugier dann allerdings enttäuscht wird.

Dankenswerterweise hat Oliver Buslau in einem erläuternden Nachwort einige Punkte zu dem, was er in seinem vorangegangenen Roman thematisiert hat, näher erklärt und auch einige Dinge erwähnt, die er sich selber ausgedacht hat - genauso wie er aber auch Tatsachen erwähnt, die tatsächlich passiert sind und die ihm beim Schreiben als Inspiration und Anregung sehr gelegen kamen. So gesehen war es wirklich interessant, sich während der Lektüre dieses Buches einmal in die Gedankenwelt solcher Forscher hineinzuversetzen, die tatsächlich ernsthaft Partituren (nicht nur, aber wohl bevorzugt) von Johann Sebastian Bach auf darin versteckte Zahlensymboliken untersuchen und dafür auch bereit sind, die Takte der gesamten Matthäus-Passion zu zählen oder zu schauen, wie oft spezielle Töne, Intervalle oder Motive sich in Kompositionen wiederholen, etc., um daraus dann Zahlen zu erhalten, die wiederum weitere, in der Regel religiös motivierte Botschaften in sich bergen sollen.
Damit beschäftigen sich, das bekommt man immer wieder einmal mit, zumindest zeitweise tatsächlich mehr Wissenschaftler, als man meinen sollte - ob das Ganze wirklich irgendwelche erhellenden Erkenntnisse bringt, weiß ich allerdings auch nicht. Allenfalls vielleicht das Wissen darüber, dass Bach entweder unbewusst oder auch aus intellektuellem Vergnügen heraus derartige Zahlenbezüge in einige seiner Kompositionen eingearbeitet hat - auch wenn er selber zu dieser Thematik nie irgendwelche Hinweise oder Kommentare hinterlassen hat.
Aber meiner Meinung nach macht das alles Musik auch nicht besser oder schlechter; entweder eine Komposition ist gelungen oder eben nicht, wenn nicht, dann können etwaig in den Notentexte integrierte Zahlenspielchen da auch nichts mehr retten…

So hin- und hergerissen ich also während der Lektüre dieses Romans war - gut unterhalten habe ich mich auf jeden Fall, sowohl als Klassikfan wie zum großen Teil auch vom spannungstechnischen Aspekt her.
Und was will man von einem Buch aus der Kategorie Roman-Krimi-Thriller-Mystery anderes erwarten als gerade eben das?

Mittwoch, 6. April 2011

Philharmonie-Konzert

Gestern Abend hatte ich in diesem Jahr nun schon zum dritten Mal die spontane (und gern genutzte) Gelegenheit, ein Sinfoniekonzert des Gürzenich-Orchesters in der Kölner Philharmonie zu besuchen.

Auf dem Programm des insgesamt 8. Konzerts der laufenden Spielzeit standen folgende Werke:

Maurice Ravel (1875-1937)
"Ma Mère l'Oye" Suite für Orchester (1911)

Sergej Prokofjew (1891-1953)
Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 19 (1916/17)

Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908)
Scheherazade op. 35
Sinfonische Suite aus "Tausendundeine Nacht" (1888)

Akiko Suwanai, Violine
Gürzenich-Orchester Köln
Dir.: Emmanuel Krivine


Alle drei Werke sind absolute Klassiker, die in den Jahren kurz vor und nach Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Die Zuhörer in der zu gut drei Viertel ausgebuchten Philharmonie konnten einen rundum gelungenen Konzertabend erleben mit einem engagierten Dirigenten, einer virtuosen Solistin und einem wirklich gut aufgelegten Orchester, so dass eigentlich keine Wünsche offen blieben!

Der französische Dirigent mit russisch-polnischen Wurzeln Emmanuel Krivine, der nach mehreren internationalen Stationen seit 2006 dem Philharmonischen Orchester Luxemburg vorsteht, fühlte sich begreiflicherweise neben dem französischen auch im russischen Repertoire des gestrigen Abends absolut heimisch und dirigierte den Prokofjew und den Rimski-Korsakow auswendig mit einem schwungvollen und dynamischen Stil - klare, weit ausholende Gesten, deren Entschlossenheit Musikern wie Publikum unmissverständlich vermittelte, dass sich der Maestro dieser Musik durch und durch verbunden fühlt!

Aber auch dem französischen Klangzauberer Ravel entlockte er zu Beginn in der kurzen fünfsätzigen "Mutter Gans"-Suite die erforderlichen klangprächtigen kindlich-fantasievollen Assoziationen, die zur Umsetzung der mit Märchenfiguren bevölkerten einzelnen Episoden erforderlich sind.

Die Violinistin Akiko Suwanai spielt auf einer Stradivari aus dem Jahr 1714, die sie als Leihgabe von der Nippon Music Foundation zur Verfügung gestellt bekommen hat. Es war wirklich beeindruckend zu erleben, welch raumfüllenden Klang dieses immerhin 300 Jahre alte Instrument besitzt - vor allem, als Akiko Suwanai als Zugabe nach dem bravourös absolvierten Prokofjew-Konzert eine kleine Solozugabe spielte (es handelte sich hierbei wohl um einen Satz aus einer der Partiten für Solovioline von Bach, in diesem Fall also um ein Stück, das genauso alt wie die Stradivari selber ist!): Der warme und klare Ton ihrer Geige drang mühelos noch in die letzte Ecke des riesigen Saales!
Aber auch zuvor hatte die Japanerin sich souverän über alle technischen Klippen des enorm schwierigen ersten Violinkonzerts von Prokofjew hinweggesetzt (die charakteristische "Violinentonart" D-Dur und die über weite Strecken sehr hoch geführte Solostimme hat dieses Konzert mit dem berühmten Beethoven-Konzert gemeinsam!) - allein schon der rasend schnelle Mittelsatz "Scherzo - Vivacissimo" war wirklich beeindruckend! Hier würde ich zu gern mal erleben, wie sich "Pop-Geiger" David Garrett, der sich ja gerne als schnellster (oder einer der schnellsten) Geigenspieler der Welt bezeichnet, hier schlagen würde… aber natürlich lässt sich ein Satz wie dieser von Prokofjew längst nicht so medienwirksam rüberbringen, wie der ewige Hummelflug :-)

Womit wir bei Rimski-Korsakow wären (von dem man hierzulande eigentlich viel zu selten etwas zu hören bekommt - ich denke allein an seine zahlreichen, fast alle um Märchengeschichten kreisenden Opern!)…
Er war - genau wie Maurice Ravel - ein genialer Instrumentator, der einem Orchester die faszinierendsten Klangfarben entlocken konnte!
Das Paradestück ist in diesem Bereich eindeutig seine gut 45-minütige "Scheherazade"-Suite für groß besetztes Sinfonieorchester (die gestern den zweiten Teil des Konzerts füllte) - in diesem dankbaren und ausgesprochen wirkungsvollen (und deswegen wohl auch so beliebten) orientalisch-märchenhaft angehauchten Orchesterstück kann ein gutes Orchester wirklich zeigen, was es alles drauf hat!
Und das Kölner Gürzenich-Orchester hatte einiges drauf: Ein sehr kraftvoller und runder, zugleich "knackiger" Ensembleklang - sehr präzise in den Tutti-Passagen, vor allem im vierten Satz, der mit seinen zahlreichen, oft völlig abrupten Wechseln von Motiven, Tempi und Klangfarben und der fast allgegenwärtigen Dominanz eines alles vorantreibenden Rhythmus stilistisch schon weit voraus ins 20. Jahrhundert weist!

Außerdem bietet diese Suite so ziemlich allen Instrumenten und Instrumentengruppen des Orchesters anspruchs- und wirkungsvolle Solostellen, sei es für die Blechbläser oder Solo-Fagott, -Oboe, -Klarinette, -Cello, etc. Von den stets wiederkehrenden Soli für die erste Violine (zumeist in aparter, exotisch-orientalisch wirkender Begleitung der Harfe) ganz zu schweigen! Eine dankbare Herausforderung für jeden Konzertmeister - in diesem Fall souverän gemeistert vom fabelhaften Torsten Janicke. Alles in allem also eine wirklich mitreißende und begeisternde Leistung des gesamten Ensembles unter dem Dirigat eines sich hier sichtlich in seinem Element befindlichen Emmanuel Krivine - an mehreren Stellen bekam man wirklich Gänsehaut und das ging sichtlich nicht nur mir so! Es hat sich wieder einmal wirklich gelohnt!

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute stand Orgelmusik aus der großen stilistischen Umbruchszeit aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, in der sich der Übergang vom barocken zum galanten bzw. (früh-)klassischen Stil vollzog, auf dem Programm.

Wolfgang Abendroth spielte folgende Werke für uns:

J. S. Bach (1685-1750)
Präludium und Fuge f-moll BWV 534

Johann Ludwig Krebs (1713-80)
Vier Präludien
Trio d-moll
Fantasie und Fuge F-Dur


Während das Stück von Bach mit seinem feierlichen Ernst stimmungsmäßig gut zur aktuellen Passionszeit passte, stellten die drei heute vorgetragenen Werke seines Lieblingsschülers Johann Ludwig Krebs, der lange Jahre als Organist in Altenburg tätig war, mit ihrem fröhlich-festlichen und spielfreudigen Charakter hierzu einen wirkungsvollen Kontrast dar - und korrespondierten gleichzeitig wunderbar mit der draußen scheinenden warmen Frühlingssonne! :-)