Ein Trend der Zeit: Das Publikum der ernsten Musik wird immer älter und immer weniger
Im Kölner Stadt-Anzeiger erschien unter der obigen Überschrift am 30. März ein interessanter Artikel des Kulturredakteurs Markus Schwering, in dem er sich mit der Zukunft der Präsentation und der abnehmenden gesellschaftlichen Bedeutung von klassischer Musik auseinandersetzt.
Markus Schwering ist bereits seit ein paar Jahren beim Kölner Stadt-Anzeiger der für Konzerte und Operninszenierungen hauptverantwortliche Redakteur, der aber auch immer wieder einmal persönliche Kommentare zu Gesellschaft und Zeitgeschichte veröffentlicht. Was ich in den vergangenen Jahren so alles von ihm gelesen habe, fand ich immer wohlüberlegt, gut begründet und formuliert.
Besonders interessant fand ich aktuell den besagten Artikel vom 30.03. zu diesem, "meinem" Thema, daher möchte ich im Folgenden auch ein paar Sätze hieraus zitieren und einige der erwähnten Aussagen aufgreifen und aus meiner Sicht kommentieren.
Markus Schwering bezieht sich zunächst auf ein vom Kulturwissenschaftler Martin Tröndle herausgegebenes Buch mit dem Titel "Das Konzert", in dem es unter anderem um die Gründe für das seit einigen Jahren in unserer Gesellschaft anhaltende Phänomen immer weniger (und zugleich immer älter) werdender klassikinteressierter Musikfreunde geht.
Es ist die rasante Expansion der Popmusik in den vergangenen Jahrzehnten, die der klassischen Musik von Bach über Schönberg bis zur Avantgarde das Wasser abgräbt; der massive normative Druck der "Peer Groups" in der Jugendkultur, der Zusammenbruch der Vermittlung von klassischer Musik durch die Elternhäuser, die katastrophale Situation des Musikunterrichts an allgemeinbildenden Schulen. Angesichts dieses universalen Trends ist die beruhigende Auskunft mancher Adepten [Anhänger] des Klassik-Betriebs, die Jungen würden, wenn sie das gewisse Alter erreichten, schon noch "kommen", nicht besonders triftig. Tatsächlich altert das Konzertpublikum in exakt demselben Maße, wie diejenigen, die es stellen, älter werden. Das Ergebnis ist das bekannte Silbersee-Phänomen, der Blick auf die Reihen der 60- bis 90-jährigen Köpfe im philharmonischen Rund. Und dass eine Ansammlung von Oldies die Jungen nicht gerade zur Teilnahme animiert, liegt auf der Hand - hier verstärken sich die Effekte wechselseitig im Teufelskreis.
Die Hoffnung, dass dieser Überalterungstrend aufgehalten werden könnte durch die mittlerweile an zahlreichen Konzert- und Opernhäusern laufenden Kinder- und Jugendprogramme (wo unter anderem in Schulen und anhand konkreter Projekte versucht werden soll, Schüler und Teenies für Klassik zu interessieren und hier überhaupt zunächst einmal "Erstkontakte" zu dieser Musikform herzustellen) aufgehalten werden könnte, wird allerdings "angesichts der übermächtig durch den Pop geprägten Alltagskultur" eher skeptisch gesehen.
Zudem besteht die Gefahr, dass besagte Programme genau diejenigen, die sie erreichen wollen und sollen - die Kinder aus kultur- und bildungs- und also auch "klassikfernen" Schichten - gerade nicht erreichen.
Die traditionelle Art und Weise, wie ein klassisches Konzert in der Philharmonie heutzutage "zelebriert" wird, mag auch viele potenziell Aufgeschlossene und Interessierte abschrecken; das "Ritual des etablierten Klassik-Konzerts" müsse sich ändern - zwei (oder mehr) Stunden im abgedunkelten Saal stillsitzen und den Mund halten, nicht husten, nicht zwischen den Sätzen klatschen, sich ganz und ausschließlich auf die dargebotene Musik konzentrieren ("weihevolle Versenkung im Kreis der Gleichgesinnten") - das sei die wahre Abschreckung für die Jugend (und andere grundsätzlich interessierte Zuhörer), nicht die klassische Musik an sich.
Aber wie sollte ein "alternatives Konzertformat" aussehen? Es werden ja bereits viele "Konzerte der anderen Art" angeboten, wie z. B. erläuternde Gesprächskonzerte, Kinderkonzerte oder die in den letzten Jahren sehr erfolgreichen sogenannten "Crossover-Events", wo Künstler wie David Garrett mit unkonventionellen Mixturen aus Pop und Klassik ein auffallend junges Publikum begeistern.
Allerdings ist diese "Populäre-Häppchen-Kultur" ja auch nicht für alle Bereiche der Klassik das Allheil-Mittel: Wie soll man zum Beispiel eine 80-minütige Bruckner-Symphonie in gefällige 5-Minuten-Häppchen zerlegen? Bei solchen anspruchsvolleren "Schlachtrössern", die ihren Zuhörern schon einiges abverlangen, dürfte die zart aufkeimende Begeisterung von David Garrett-Fans für klassische Musik dann auch schnell wieder beendet sein, fürchte ich.
Wer nicht aufgeben will, kann versuchen, Pop-Hörer für die Klassik "aufzuschließen". Das ist freilich meist ein frustrierendes Geschäft. Dabei sind die Gründe, die Pop-Hörer dafür benennen, warum sie keine Klassik mögen, oft genug dürftig. Klassik sei "lahm" und "langweilig", heißt es da, sie sei "zu traurig". Die Substanzlosigkeit dieser "Begründungen" wird sofort deutlich, wenn man genauer nachfragt, was denn da langweilig oder traurig sei. Dann kommt meistens nichts mehr.
Ich persönlich sehe das Ganze übrigens ziemlich illusionslos - dass Klassik eine wirklich echte neue Popularität erlebt, habe ich nie für besonders realistisch gehalten (aber hat sie eine solche breitenwirksame Popularität je gehabt in den letzten 50 oder 60 Jahren?).
Ich kenne es eigentlich gar nicht anders, dass man als (junger) Klassik-Fan einer exotischen Randgruppe angehört - damit kann ich mich abfinden. Hingegen stört mich das damit einhergehende automatische Abgestempeltwerden als "Spießer" und "Langweiler" schon eher.
Die gesellschaftliche Bedeutung von klassischer Musik und Opernaufführungen, die sich heutzutage unter anderem ja auch in repräsentativen Konzerthäusern und Spielstätten an prominenten Standorten äußert, dürfte aber doch in einem bislang ungeahnten Ausmaß in den kommenden Jahrzehnten schwinden - dazu fehlen in der Zukunft einfach die Menschen in genügender Anzahl, denen diese Musik etwas bedeutet und die bereit sind, sie auf einen exponierten Sockel zu heben und zu zelebrieren. Vielleicht ist das Ganze - wenigstens teilweise, so Markus Schwering - mit der schwindenden Bedeutung der Kirche in unserer Gesellschaft vergleichbar. Auch hier hängt vieles mit der (auch auf diesem Gebiet nicht mehr wirklich vorhandenen) Prägung durch Elternhaus/ Schule zusammen.
In seinem Artikel hat Schwering seine Zukunftssicht jedenfalls sehr prägnant formuliert, wenn er schreibt:
Es wird wahrscheinlich immer Freunde klassischer Musik geben, aber ihre Zahl könnte in einer Weise schwinden, dass sich die Aufrechterhaltung des traditionellen einschlägigen Musikwesens wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Sie - die Freunde - werden dann weitgehend auf die digitale Konserve angewiesen sein. Vorauszusehen ist, dass klassische Musik ihre Präsenz in der Lebenswelt auf ungeahnte Weise einbüßen - und dies den weitaus größten Teil der Bevölkerung überhaupt nicht stören wird.
Das ist eine auf den Punkt gebrachte Vision, die ich zwar bedauerlich finde, die mich aber nicht wirklich schreckt: Schon heute konsumiere ich mehr als 90 % der klassischen Musik, die ich höre, via "digitaler Konserve" - ein Phänomen, das ja auch andere Musik-Fans aus dem Rock- und Pop-Bereich klaglos hinnehmen - warum auch nicht? Dank der modernen Technik klingt das Ganze ja auch fantastisch, ich habe nur bei wenigen Stücken wirklich das Gefühl, dass der Klangkonserve Grenzen gesetzt sind und ich stattdessen lieber im Konzertsaal säße.
Natürlich ist "live" immer am schönsten und intensivsten (das dürften auch Rockmusik-Freunde so sehen), aber das muss man sich auf Dauer ja auch leisten können, immer ins Konzert oder in die Oper zu rennen…
So bleibt ein Konzert- oder Opernbesuch für mich etwas Besonderes - und so etwas wird sicher auch in Zukunft noch möglich sein, wenn auch das Angebot auf diesem Sektor wahrscheinlich stark schrumpfen dürfte - aber Pop-Hörer können ja auch nicht in jeder größeren Stadt erwarten, dass ständig etwas für ihren Musikgeschmack live geboten wird und ihre Lieblingsbands permanent mit Konzertangeboten zur Verfügung stehen.
Ich glaube, was viele stört, die heute über den sich abzeichnenden "Niedergang der Klassik" jammern, ist die Tatsache, dass sich nach und nach auch andere, jahrelang herablassend belächelte Musikformen als gesellschaftlich gleichberechtigt etablieren (werden) und man auch dieses "Sehen-und-Gesehen-werden" im Opernhaus oder der Philharmonie nicht mehr so wie bisher zelebrieren kann.
An der Emanzipation der Jazzmusik im 20. Jahrhundert (ihr "Durchmarsch" von zwielichtigen schummrigen Bars in die großen Konzerthallen) kann man diesen Prozess gut nachvollziehen - mittlerweile herrscht friedliche Koexistenz zwischen Klassik und Jazz und geschadet hat es auch niemandem wirklich.
Klassik wird künftig halt nicht mehr und nicht weniger sein als eine Musikrichtung unter vielen anderen - also nichts besonders Angesehenes und Exponiertes mehr (wie bisher) - und genau das scheint einigen Zeitgenossen so gar nicht zu passen…
Solange ich selber klassische Musik weiter konsumieren kann, wie ich es heute auch tue (und das unterscheidet sich ja nicht wirklich von der Art, wie es die Hörer von Pop- und Rock-Musik auch tun), ist mir der sich abzeichnende gesellschaftliche Bedeutungsverlust eigentlich egal - aufhalten können wird man ihn eh nicht wirklich, da mache ich mir nix vor…
Viele überkommene Rituale im klassischen Konzert stammen halt noch aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert - der großen Zeit philharmonischer Konzerte und aufwendiger Opernaufführungen. Aber wenn man bedenkt, dass es zu der Zeit auch nur wenige bis keine Alternativen gab, sich überhaupt klassische Orchestermusik oder ganze Opern anzuhören, dann kann man verstehen, dass es heute durchaus Stimmen gibt, die solche Aufführungen - zumindest in dieser Menge und in der althergebrachten Form - für nicht mehr unbedingt zeitgemäß halten.
Das ist zwar schade (denn die besondere Atmosphäre eine Live-Konzerts dürfte wohl für alle Liebhaber von Musik gleich welcher Stilrichtung etwas sein, auf das sie nicht gänzlich verzichten wollen), aber man muss ja zumindest mal laut darüber nachdenken dürfen, dass sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert und die Einflüsse anderer Musikrichtungen an Bedeutung gewonnen haben - und natürlich auch die Art, wie man Musik heute hört ("rezipiert").
Und genau deshalb finde ich Artikel wie diesen sehr interessant - und auch notwendig. Denn man sollte über diesen sich in Gang befindlichen Umbruch schon auch offen diskutieren und ihn thematisieren - ein interessantes gesellschaftliches Phänomen ist es in jedem Fall!
Sehr schöner Artikel :)
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