Sonntag, 30. Dezember 2012

Ein Abend in der Oper - "Artaserse" in Köln

Am 27. Dezember habe ich in der Kölner Oper am Dom die letzte von lediglich drei konzertanten Aufführungen der im Jahre 1730 in Rom uraufgeführten Oper Artaserse des hauptsächlich in Neapel tätig gewesenen Leonardo Vinci (ca. 1690-1730) besucht.

Eine klassische neapolitanische Opera seria wie diese bekommt man in Köln nicht gerade häufig im Theater geboten und da diese Operngattung, deren Blütezeit so ca. zwischen 1720 und 1760 anzusetzen wäre, zu meinen absoluten Favoriten gehört, war ich schon beim ersten Blick auf das Programm der Spielzeit 2012/ 13 der Kölner Oper fest entschlossen, mir diese Aufführung keinesfalls entgehen zu lassen!

Im Sommer dieses Jahres war aber noch nicht in Gänze abzusehen, was für ein ungewöhnliches Projekt hinter dieser Produktion steckt:

Sämtliche Rollen dieser Oper (das sind für Opere serie und damit auch in diesem Fall im Regelfall sechs – nämlich zwei weibliche und vier männliche) sollten nämlich ausschließlich mit Männern besetzt werden, ganz so, wie es zum Zeitpunkt der Uraufführung im sittenstrengen päpstlichen Rom auch zu geschehen hatte, da es „Frauenzimmern“ dort aus sittlichen Gründen verboten war, auf einer Bühne aufzutreten!

Aus heutiger Perspektive fällt es schwer, nachzuvollziehen, was denn nun daran so verwerflich sein soll, aber wenn man bedenkt, dass die Oper an sich vielerorts schon als ein wahrer Sündenpfuhl angesehen und in Rom zu Beginn des 18. Jahrhunderts sogar schon mal für mehrere Jahre komplett verboten war, dann muss man wohl dankbar dafür sein, dass dort um 1730 immerhin rein männlich besetzte Opernaufführungen wieder möglich waren!

Wenn man sich Berichte durchliest, wie es in den Opernhäusern der Barockzeit zuging, mag man oft gar nicht glauben, dass hier tatsächlich Opernaufführungen beschrieben werden. Heute gilt der Besuch einer Opernaufführung vielen Mitmenschen quasi als Inbegriff des Konservativen und der gepflegten Langeweile - damals hingegen wurde während (!) der Vorstellung gegessen, dem Glücksspiel gefrönt, man traf Bekannte, knüpfte neue gesellschaftliche und geschäftliche Kontakte, widmete sich amourösen Abenteuern, bejubelte lautstark die Akteure auf der Bühne (oder buhte sie ebenso lautstark aus), empfing Besuche in der eigenen, angemieteten (oder gar erworbenen) Loge und so ganz nebenbei hörte man dann auch gelegentlich mal der Musik zu, die gerade gespielt wurde…

Ich bin nicht sicher, ob ich als Opernfreund so etwas auf Dauer ertragen würde, aber zumindest einmal würde ich zu gerne mal einer solchen Vorstellung beiwohnen wollen, die im wahrsten Sinne der Wortes eine gesellschaftliche, höchst gesellige Veranstaltung darstellte (die Leute hatten ja schließlich kein Kino, kein Fernsehen, kein Fußballstadion oder sonstige Unterhaltungsangebote unserer Zeit) und erst danach auch ein musikalisch-kulturelles Ereignis war, um miterleben zu können, in welchem für heutige Verhältnisse absolut ungewöhnlichen Umfeld die großen Opern der Barockzeit ihre Premieren erlebten!

Dass man in diesem geschilderten Umfeld um das moralische Wohl und die sittliche Unversehrtheit der Damenwelt fürchtete, führte dann wohl auch zu dem oben erwähnten (zeitweiligen) Auftrittsverbot für Sängerinnen auf der Opernbühne – zumindest in Rom. Andernorts gab es natürlich auch damals schon gefeierte Primadonnen, wie z. B. Faustina Bordoni oder Francesca Cuzzoni, denen die Bewunderer scharenweise zu Füßen lagen.

Und dennoch bleibt diese Epoche vor allem als die Blütezeit der Kastraten in Erinnerung – auch sie ursprünglich eine aus der Not heraus geborene „Erfindung“, die man anwendete, um das Gesangsverbot von Frauen in Kirchenchören zu umgehen und dennoch dauerhaft über hohe Gesangsstimmen in geistlichen Kompositionen verfügen zu können (hohe Knabenstimmen gingen ja oft nach nur wenigen Jahren durch den einsetzenden Stimmbruch verloren).

Und da den großen Stars unter den Kastraten auf der Opernbühne sagenhafter Ruhm und Reichtum zuteil wurde, sahen viele verarmte Familien damals ihr Heil darin, mehr oder weniger stimmbegabte Söhne durch eine gefährliche, unter primitivsten Umständen durchgeführte (und noch dazu illegale) Operation verstümmeln zu lassen, um später eventuell an deren im Opernbusiness erzielten Reichtum partizipieren zu können – eine tragische und ausgesprochen unrühmliche Epoche in der Geschichte der Oper!

Jedenfalls standen somit im späten 17. und im 18. Jahrhundert genügend – zum Teil exzellent ausgebildete – Kastratensänger zur Verfügung, um beispielsweise in Rom das Verbot von Sängerinnen auf der Opernbühne dahingehend zu umgehen, dass man die weiblichen Rollen einfach mit jungen Sopranisten und Altisten besetzte, deren entsprechende Kostümierung für viele Zuschauer einen weiteren Reiz darstellte, sich mit der eh schon frivol-faszinierenden, die Logik der Geschlechtergrenzen sprengenden Opernwelt zu befassen – denn auch wenn „echte“ Damen mitspielten, ihre Liebhaber auf der Bühne wurden in der Regel sowieso von Kastraten verkörpert und sangen daher mindestens in derselben Stimmlage wie die Damen (wenn nicht sogar noch ein wenig höher)…
Für viele Kastraten (auch die nachmals weltberühmten wie beispielsweise Farinelli)war es auch andernorts nicht ungewöhnlich, ihre Bühnenlaufbahn zunächst als Darsteller von Frauenrollen zu beginnen, vom Publikum wurde dies, wie gesagt, durchaus goutiert.

Ein solches Projekt im Rahmen der historischen Aufführungspraxis wenigstens annähernd (also mit Countertenören statt Kastraten) in der heutigen Zeit auf die Beine stellen zu können, galt lange Zeit wohl als nicht realisierbar – man musste oft (und dies nicht nur bei Besetzung der Frauenrollen) auf Sängerinnen zurückgreifen, um die virtuosen Alt-, Mezzo- und Sopranpartien dieser Barockopern wenigstens einigermaßen adäquat besetzen zu können.

Wer die Szene in den letzten Jahren beobachtet hat, konnte jedoch feststellen, dass da mittlerweile eine ganze Reihe junger, talentierter und exzellent ausgebildeter Countertenöre vorhanden sind (dieses Stimmfach hat zwischenzeitlich wohl endlich seinen Exotenstatus verloren!), so dass jetzt anscheinend die Zeit reif war, die Umsetzung einer solchen, ausschließlich von Männern besetzten Barockoper nach historischem Vorbild anzugehen.

Das Ergebnis ist nun also der Artaserse von Leonardo Vinci (der bitte nicht mit seinem weitaus berühmteren malenden [Fast-] Namenvetter aus der Renaissance zu verwechseln ist!) – eine ausgesprochen erfreuliche Wahl von hohem Repertoirewert, wie ich finde - schließlich hätte man auch die Oper eines bekannteren Komponisten auswählen können.

Der früh (und wohl auch nicht unter ganz natürlichen Umständen) verstorbene Leonardo Vinci war einer der absoluten Superstars seiner Zeit: In der relativ kurzen Zeitspanne seines kompositorischen Wirkens (von 1719 bis 1730) hatte er zunächst in Neapel mit den dort ausgesprochen beliebten, in neapolitanischem Dialekt verfassten komischen Opern Furore gemacht – die Opera buffa war zu der Zeit noch eine ganz neue eigenständige Gattung – das Publikum liebte seine eingängigen, am Volksliedton orientierten Melodien.
So blieb es dann auch nicht aus, dass Vinci bald auch in der „Königsdisziplin“, der höfisch-repräsentativen Opera seria, große Erfolge verbuchen konnte, so dass auch Bühnen außerhalb Neapels (vor allem in Venedig und eben auch in Rom) Opernkompositionen bei ihm in Auftrag gaben – Neapel war in den 1720er und 1730er absolut tonangebend und stilbildend für die italienische Oper, so dass man auch von der neapolitanischen Oper spricht, wenn man sich auf Opern dieser Epoche bezieht, die in diesem Stil in der Folgezeit natürlich nicht nur in Neapel komponiert wurden, sondern in ganz Italien und (bis auf Frankreich) auch im Rest Europas heiß begehrt waren.

Leonardo Vinci hatte also das Glück, als Opernkomponist nicht nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort tätig gewesen zu sein, seine Bedeutung wurde zusätzlich auch noch dadurch gesteigert, dass der bedeutendste und berühmteste Operntextdichter dieser Epoche, Pietro Metastasio (1698-1782) ihm mehrere seiner maßstabsetzenden Libretti, die in den folgenden Jahrzehnten (!) von zahllosen Komponisten immer und immer wieder neu vertont wurden, als Erstem zur Komposition überließ, was schon eine gewaltige Ehre darstellte!

Mit dem Artaserse verhielt es sich im Jahr 1730 genauso: Diese letzte Oper Leonardo Vincis, die in der Karnevalssaison am 4. Februar 1730 im Rom uraufgeführt wurde, basierte auf dem gleichnamigen brandneuen Textbuch Metastasios und hatte eine der für Opern dieser Art damals übliche Intrigengeschichte zum Inhalt. In diesem Fall spielte die Handlung (die in den Operndieser Zeit fast ausschließlich in der Antike oder dem frühen Mittelalter angesiedelt war) am antiken persischen Hof des Königs Xerxes (Serse), bzw. dessen Sohn Artaxerxes (Artaserse) und die Figurenkonstellation von vier männlichen und zwei weiblichen Rollen entsprach der klassischen Vorgabe für ernste Opern dieser Zeit – eine Konstellation, die durch die absolut stilbildend wirkenden Textbücher Metastasios, die zahlreiche solcher ungeschriebener „Gesetzmäßigkeiten“ enthielten, quasi zum ungeschriebenen Gesetz werden sollte.

Selbst der junge Mozart hat noch einige Arientexte aus dem Artaserse vertont und darüber hinaus natürlich auch mehrere vollständige Libretti Metastasios zu abendfüllenden Opern gemacht – ich erinnere nur an La clemenza di Tito im letzten Jahr!

Artaserse wurde übrigens zum größten Erfolg der viel zu kurzen Laufbahn Leonardo Vincis und in der Folge dieses Triumphs dann auch andernorts aufgeführt (was für Barockopern eigentlich unüblich war und Artaserse zu der wohl erfolgreichsten Opern der damaligen Zeit machte!) – dort dann mit Sicherheit auch mit „echten“ Frauen in den beiden weiblichen Partien…
Viele Zeitgenossen (aber – und das ist im in diesem Punkt erstaunlich kurzlebigen 18. Jahrhundert fast noch bezeichnender – auch Musikliebhaber späterer Generationen) rühmten Vincis Kompositionskunst, seine perfekt an die Gesangsstimme angepasste, eingängige Melodieführung und auch seine neuartige Orchesterbehandlung, die weniger Wert auf raffinierte Behandlung einzelner Stimmen oder Instrumente legte, wie es bislang der Fall gewesen war, sondern verstärkt auf Effekte des Orchesters als Ganzes legte, indem zum Beispiel der Streicherapparat einheitlich und flächig geführt wurde, um hier eine möglichst packende und mitreißende Klangstruktur zu erzielen. Die Hinzufügung einzelner Bläserstimmen (wie Oboen, Hörner oder Trompeten) diente da nur noch als gelegentlicher „Farbklecks“ oder zur Verstärkung bestimmter Effekte. Das alles war damals absolut neu und wirkte natürlich entsprechend stilbildend auf die komponierenden Kollegen.

In dem Zusammenhang war es beispielsweise für mich interessant, festzustellen, wie viel sich der in der Nachfolge des früh verstorbenen Leonardo Vincis europaweit berühmt gewordene Johann Adolf Hasse von diesem abgeschaut und angeeignet hat!
Während man in den vergangenen Jahren Musik von Hasse immer wieder – nicht zuletzt auch auf CD – anhören und für sich entdecken konnte, führten die Kompositionen Vincis bislang ein absolutes Schattendasein (warum auch immer?) und sein Name war mir bislang eigentlich nur in dem Zusammenhang bekannt, dass er eben – wie erwähnt – in mehreren Fällen der erste in einer schier endlosen Reihe (bekannter wie heute unbekannter) Komponisten war, der die Textbücher Pietro Metastasios vertont hat.

Umso erfreulicher, dass man mit dieser spektakulären Neuproduktion des Artaserse einen schlagkräftigen Beweis angetreten hat, dass die Musik Leonardo Vincis diese schmähliche Nichtbeachtung absolut nicht verdient hat und man mit Sicherheit in den nächsten Jahren noch weitere Werke von diesem Komponisten wird hören können – das würde ich mir jedenfalls wünschen!

„Spektakulär“ kann man die aktuelle Neuproduktion des Artaserse vor allem deshalb nennen, weil es hierfür tatsächlich gelungen ist, quasi die „Crème de la crème“ der aktuellen Countertenor-Szene (die ja nun weiß Gott sooo groß nun auch wieder nicht ist!) zu verpflichten.
Die Besetzungsliste vom vergangenen Donnerstag liest sich dann auch entsprechend wie ein „Who is who“:

Artaserse: Philippe Jaroussky
Mandane: Max Emanuel Cencic
Arbace: Franco Fagioli
Artabano: Juan Sancho
Semira: Valer Barna-Sabadus
Megabise: Yuriy Mynenko
Concerto Köln
Leitung: Gianluca Capuano


Diese absolut ungewöhnliche Besetzung führte zu der kuriosen Situation, dass der Tenor Juan Sancho in diesem Ensemble die tiefste Partie zu singen hatte und – für einen Tenor sicherlich eine sehr ungewöhnliche Erfahrung – auch noch die Rolle des Bösewichts übernehmen musste…! Er schlug sich zwar wirklich wacker mit seiner flexiblen, schlanken und klangschönen Stimme, konnte es aber dennoch nicht verhindern, dass seine Countertenor-Kollegen ihm die Schau stahlen, die Faszination ihrer hohen Gesangsstimmen war einfach zu groß.

Für den erkrankten Dirigenten Diego Fasolis war kurzfristig der Cembalist des Concerto Köln, Gianluca Capuano, eingesprungen, der seine Sache aber mindestens ebenso gut machte und sogar passagenweise die Cembalostimme in den Orchesterstücken – ergänzend zu seinem Kollegen, der ansonsten das zweite Cembalo bediente – mitspielte, wohl auch, um den Gesamtklang des nicht allzu großen Orchesters noch zu verstärken, was aber eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Ungewöhnlich fand ich, dass der Dirigent sein Cembalo im Stehen bespielte, das habe ich so auch noch nicht gesehen – da das Instrument auf dem leicht erhöhten Orchesterpodest vor ihm stand, hatte Signor Capuano die Tastatur unmittelbar in passender Höhe direkt griffbereit vor sich.

Das Orchester bestand – historischen Vorbildern folgend – lediglich aus je vier ersten und zweiten Violinen, je zwei Bratschen und Celli sowie einem Kontrabass, einem Fagott, einer Laute (Theorbe) und den beiden schon erwähnten Cembali. Dazu kamen neben einem Paar Kesselpauken noch je zwei Oboen, Hörner und Trompeten, die aber allesamt über weite Strecken der Partitur zu pausieren hatten.
Die Instrumente waren – soweit sich das erkennen ließ – nach historischen Vorbildern gefertigt, was zum Beispiel bedeutete, dass die Hörner und Trompeten keine Ventile besaßen.
Der Orchesterklang wirkte – vielleicht auch durch die raffinierte Kompositionsweise Vincis bedingt – ausgesprochen füllig und dennoch transparent und bekam durch das schwungvolle Dirigat gerade in den schnellen Nummern eine sehr akzentuierte, knackig-rhythmische Komponente, die nicht nur die Sänger wunderbar unterstützte sondern auch das Publikum immer wieder mitriss! (Da soll noch einer behaupten, Barockmusik hätte etwas antiquiert-akademisches!)

Meine anfänglichen Bedenken in Bezug auf die nicht ganz so optimale Akustik im ehemaligen Musical Dome erwiesen sich zum Glück als unbegründet: Da es sich um eine konzertante Aufführung handelte, musste das Orchester nicht in den meiner Meinung nach viel zu tief geratenen Orchestergraben verbannt werden, von wo ja schon das wesentlich größer besetzte Orchester der Macht des Schicksals Schwierigkeiten hatte, sich klanglich durchzusetzen – das Barockorchester hätte dort unten komplett auf verlorenem Posten gespielt!
In den Rezensionen zu der in dieser Ausweichspielstätte zwischenzeitlich (ebenfalls konzertant) aufgeführten Oper Fidelio und dem aktuell dort noch laufenden Musical My Fair Lady wurden ebenfalls kritische Bemerkungen zur dortigen Akustik gemacht und ich war wirklich froh, dass neben dem Orchester auch die unmittelbar davor am Bühnenrand positionierten Solisten problemlos vernehmbar waren und nicht gegen widrige akustische Verhältnisse anzukämpfen hatten!

Alle fünf Countertenöre waren wirklich grandios – angefangen bei dem jungen Ukrainer Yuriy Mynenko, dem sicherlich bislang noch unbekanntesten Sänger in dieser prominenten Riege, von dem man in Zukunft sicher noch einiges zu hören bekommen wird, genauso wie von dem gebürtigen Rumänen Valer Barna-Sabadus, der eine eindrücklich-gefühlvolle und sehr glaubwürdige Interpretation der Frauenrolle der Semira ablieferte.

Die beiden bekanntesten Sänger dieser Aufführung (die auch als prominente Zugpferde für das Marketing herhalten mussten) waren der ursprünglich aus Kroatien stammende Max Emanuel Cencic in der Frauenrolle der Mandane und dann natürlich vor allem der Franzose Philippe Jaroussky in der Titelrolle, die sich routiniert in das Ensemble einfügten und von denen ich persönlich den Eindruck hatte, dass sie am mühelosesten diese unwirklich hohen Gesangstöne zu produzieren imstande waren – das klang alles auch an den schwierigsten Stellen derart selbstverständlich, dass man immer wieder staunen konnte über die stupende Technik, die hinter diesem Gesang steckt! Jaroussky hatte ich zuletzt vor anderthalb Jahren in der Kölner Philharmonie mit seinem für einen Countertenor etwas ungewöhnlichen Konzertprogramm mit französischen Kunstliedern aus dem Fin de siècle gehört. Es war interessant, ihn jetzt einmal in seinem „natürlichen“ musikalischen Umfeld in Aktion erleben zu dürfen.

Obwohl Max Emanuel Cencic die Rolle der Primadonna übernommen hatte, gehörte die Krone des Abends jedoch definitiv dem Argentinier Franco Fagioli, der mir vor zwei Jahren schon als Nero in der Krönung der Poppea so gut gefallen hatte!
Ihm fiel die ausgesprochen dankbare Rolle des Arbace, also des Primo uomo (dem männlichen Gegenstück zur Primadonna) zu, eine Rolle, die bei der Uraufführung dem berühmten Kastraten Giovanni Carestini in die geläufige Gurgel komponiert worden war. Somit konnte er nicht nur die meisten, sondern auch einige der dankbarsten und schönsten Arien dieser Oper für sich verbuchen. Ihm sah man mitunter zwar an, dass Singen auch körperlich eine ausgesprochen anstrengende Sache ist, aber was man von ihm zu hören bekam, überzeugte wohl jeden davon, dass sich diese Anstrengung lohnt – ganz große Kunst, nicht nur in den zahlreichen atemberaubenden Trillern und Verzierungen, die am Ende der Arien in den hier vorgesehenen Kadenzen improvisiert werden müssen!
Arbaces berühmte Arie am Ende des ersten Aktes “Vo solcando un mar crudele“, die noch Jahrzehnte später von Komponistenkollegen als perfektes Beispiel für die ideale Kombination von optimal geführter Gesangsstimme und Instrumentalbegleitung gelobt wurde, hat mir denn neben dem einzigen (!) Duett dieser Oper im dritten Akt (Arbace - Mandane) auch mit am besten gefallen, wobei es bei den zahlreichen abwechslungsreichen Höhepunkten, die hier von allen Beteiligten wie an einer kostbaren Perlenschnur aufgereiht dargeboten wurden, schwerfällt, einen eindeutigen Favoriten zu finden!

Eine weitere Besonderheit dieser an sich ja schon bemerkenswerten Opernproduktion war außerdem die Tatsache, dass im Vorfeld eine Gesamtaufnahme des Artaserse auf CD erschienen war, die bis auf die Besetzung der Rolle des Artabano mit dem Tenor Daniel Behle genau dem Ensemble entsprach, das nun ein gutes Jahr nach der Aufnahme (die im September 2011 in Köln im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks und damit nur wenige hundert Meter von meinem Zuhause stattgefunden hatte!) zunächst in Nancy mit einer szenischen und jetzt in Köln mit drei konzertanten Aufführungen diese Opernrarität live präsentierte.

Aus dem Bereich der Popmusik kennt man so etwas ja: Eine Band nimmt ein neues Album auf und geht dann mit den neuen Songs auf Tour.
Im Bereich der Klassik kannte ich so etwas bislang höchstens in der Reihenfolge, dass ein Konzert oder eine Opernaufführung auf CD oder DVD aufgezeichnet wurde und einige Zeit danach dann im Handel erhältlich ist. Dass hier nun quasi der umgekehrte Weg eingeschlagen wurde und man so jetzt auch am vergangenen Donnerstag gleich die zugehörige CD zur soeben gehörten Opernaufführung noch im Foyer erwerben (und sich im Rahmen einer Autogrammstunde von allen Solisten auch noch signieren lassen) konnte, habe ich in der Form auch noch nicht erlebt; allenfalls, wenn es hierbei mal um einen Einzelkünstler ging, aber nicht gleich um ein gesamtes Opernensemble nebst Orchester und Dirigent!

Etwas merkwürdig fand ich die Tatsache, dass die erwähnte szenische Produktion aus Nancy mit – den Fotos nach zu urteilen, die ich in der Presse und im Programmheft gesehen hatte - sehr aufwendigen barocken Kostümen nicht mit nach Köln gebracht worden war; eine Bühne hätte hier vor Ort ja zur Verfügung gestanden?! Aber ich sehe das mal positiv: Auf den Fotos waren die grellweiß geschminkten, in den üppigen Federn und weiten Gewändern ihrer Kostüme fast versinkenden Sänger kaum noch zu erkennen.
In Köln trugen hingegen alle Sänger, die Herrenrollen zu spielen hatten, ganz normale schwarze Anzüge (wie für eine konzertante Aufführung üblich) und die beiden Darsteller der Frauenrollen waren – vielleicht auch um dem Publikum die Identifikation ihrer Rollen zu erleichtern – zusätzlich in orientalische anmutende Mäntel (oder Kaftane) mit bunten Ornamenten bzw. funkelnden Strass-Steinen gehüllt. Das war aber auch schon das Extravaganteste, was man an diesem Abend in optischer Hinsicht geboten bekam.
So gesehen war die puristische Version, die wir in Köln geboten bekamen, dann vielleicht doch die bessere Lösung, denn man konnte alle Künstler so viel besser bei ihren Vorträgen beobachten und außer den überbordenden Kostümen dürfte es in Nancy auch nicht viel mehr zu sehen gegeben haben, denn Barockopern wie diese sind meist recht handlungsarm (kein Wunder, bei den sperrigen Kostümen, die man damals getragen hat!) und auch in dieser konzertanten Version spielten sich die Solisten während der Rezitativszenen an, so dass man hier eigentlich nicht viel szenische Aktion vermisste. Etwas gewöhnungsbedürftig fand ich allein die Regelung, dass alle Darsteller, die bei Beginn einer Arie sonst untätig auf der Bühne herumgestanden hätten, diese dann regelmäßig verließen, so dass die Bühne dann dem mit der Arie bedachten Solisten allein gehörte, was den konzertanten Charakter dieser Aufführung natürlich verstärkte. Dadurch, dass in der Regel jedoch die unmittelbar zuvor abgegangenen Gesprächspartner nach Beendigung der Arie erneut auf der Bühne zu stehen haben (weil sie diese ja eigentlich in einer szenischen Produktion auch nicht verlassen haben), um die Handlung an dieser Stelle weiterzuführen, entstand an diesen Stellen dann ein zum Teil etwas unnötiges Hin-und Hergerenne – wie hat man das Problem denn in Nancy gelöst?

Etwas irritierend war außerdem noch die Tatsache, dass das recht aufwendige Bühnenbild der derzeit im Musical Dome laufenden Produktion von My Fair Lady an beiden Seiten der Bühne unverändert aufgebaut war:
So sah man rechts die klassizistischen Säulen von Covent Garden, passenderweise nebst einer überlebensgroßen Statue der Galathea davor (schließlich basiert My Fair Lady ja auf der antiken Pygmalion-Sage), was als Kulisse für eine Barockoper ja noch ganz gut passte, wenn nicht die linke Seite der Bühne von einer heruntergekommenen Fassade aus einem Londoner Arbeiterviertel dominiert worden wäre! Durch die Schwingtüren der sich dort befindlichen Eck-Spelunke namens „King George“ traten dann auch regelmäßig die Solisten unserer Oper auf, so wie es wahrscheinlich Müllkutscher Alfred Doolittle im Musical auch tut – was dem Ganzen eine unfreiwillig bizarre bis komische Note verlieh (das muss auch in der schon erwähnten konzertanten Produktion von Fidelio so gehandhabt worden sein, wie ich einer Rezension entnehmen konnte) – hätte man das nicht vielleicht durch einen hier dezent angebrachten Vorhang irgendwie ein bisschen kaschieren können…?

Die heute üblichen deutschsprachigen Obertitel gab es auch nicht, dafür hätte sich der Aufwand für die lediglich drei Gastspiele wahrscheinlich einfach nicht gelohnt. So enthielt das Programmheft zwar dankenswerterweise den kompletten italienischen Operntext nebst deutscher Übersetzung, aber im dunklen Zuschauerraum nutzte das während der Vorstellung auch niemandem. Aber bei dieser Aufführung war die eh nicht so entscheidende Handlung sowieso nicht wichtig – hier zählte wirklich allein nur die Musik!

Schade, dass für die Aufführung ca. ein Viertel der Oper gestrichen worden war, neben einigen Arien fielen vor allem in den Rezitativen einige längere Abschnitte weg, aber das, was an dem Abend geboten wurde, war ja eigentlich schon mehr als ausreichend – wer mag, der kann sich die ungekürzte Oper ja auf der sehr gelungenen CD-Einspielung, die aber der Spontaneität und mitreißenden Unmittelbarkeit der Live-Aufführung nicht auch nur annähernd nahekommt, anhören.

Naja – aber das ist jetzt wirklich Mäkeln auf hohem Niveau!
Der Abend, der (inklusive einer ca. 20-minütigen Pause) immerhin von 19:30 Uhr bis 22:50 Uhr dauerte, war so kurzweilig und musikalisch so begeisternd, dass er wie im Fluge verging!

Die Vorstellung war restlos ausverkauft und das dürfte auch für die beiden vorangegangenen Abende am 17. und 19.12. gegolten haben) und somit ein überzeugendes Plädoyer für diese wirklich gelungene Ausgrabung einer zu Unrecht vergessenen und zu ihrer Zeit verdientermaßen hochgerühmten Oper eines lange vernachlässigten Komponisten! Das hätte ich ehrlich gesagt bei einem so unbekannten Werk nicht erwartet, aber es spricht für das Interesse, das das Publikum mittlerweile dieser Musik und der Kunst der Countertenöre entgegenbringt – schön, dass sich das Risiko für die Veranstalter dieses ambitionierten Projektes gelohnt hat!

Am Ende gab es Standing Ovations für alle Beteiligten und eine Zugabe in Form des abschließenden, für eine Oper dieses Typ ganz typischen kurzen Schlussensembles. Große Begeisterung und zufriedene Gesichter bei allen Leuten auf und vor der Bühne!

Ein grandioser Abschluss dieses Theaterjahres, das – wie ich gerade feststelle – für mich im Januar bereits mit einer Aufführung begonnen hatte, in der ebenfalls ein Mann eine Frauenrolle übernommen hatte (Die Csárdásfürstin) – so schließt sich auf recht ungewöhnliche Weise der Kreis…

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Freitag, 28. Dezember 2012

Maurice Ravel - 75. Todestag

Kurz vor Jahresschluss gibt es heute noch einen weiteren prominenten “Jubilar“ des Jahres 2012, dessen man heute besonders gedenken kann, wenn man mag:

Heute vor genau 75 Jahren verstarb der französische Komponist Maurice Ravel nach längerer Krankheit (unmittelbar jedoch an den Folgen einer Schädeloperation) im Alter von 62 Jahren.

Der 1875 geborene Sohn eines Schweizers und einer französischen Baskin hat ein vielgestaltiges Werk hinterlassen, das sowohl Orchesterwerke, wie Klavier-, Vokal- und Kammermusik aber auch Bühnenwerke (Ballett und 2 kürzere Opern) umfasst.

Im Gegensatz zu seinem Landsmann Claude Debussy, zu dem er ein durchaus freundschaftliches, aber nicht immer ganz ungetrübtes Verhältnis hatte, sah er sich selber als Klassizisten, der althergebrachte musikalische Formen gern mit seinen neuartigen Rhythmen (die in seinem Spätwerk dann auch mal vom damals über Europa kommenden Jazz beeinflusst wurden) und modernen Harmonien anreicherte und der hiermit gern unerwartete und überraschende Effekte erzielte, die allerdings nicht immer bei seinem damaligen, eher konservativen Publikum ankamen. Wie so oft, haben erst nachfolgende Generationen seine Musik vollends zu schätzen gewusst.

Interessant ist, dass auch Ravel eine Faszination für (ein allerdings eher idealisiertes) Spanien und dessen musikalisches Kolorit hatte – gerade (aber natürlich nicht nur) französische Komponisten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts scheinen von Spanien geradezu magisch angezogen worden zu sein, da gäbe es zahlreiche weitere Beispiele unter anderem von Emmanuel Chabrier (1841-94) oder Georges Bizet (1838-75), dessen 1875 uraufgeführte Oper Carmen ja weltweit quasi als die Spanien-Oper überhaupt gilt, obwohl sie von einem Franzosen komponiert wurde…

Und so überrascht es nicht, dass auch – neben einigen anderen spanisch-kolorierten Werken – der 1928 entstandene Boléro (bis heute mit Abstand Ravels bekannteste Komposition) einen Tanz von der iberischen Halbinsel mit markantem Rhythmus zum Thema hat…

Dieses Werk, das von Anfang an ein großer Erfolg war (eine Tatsache, die Maurice Ravel im Verlauf seiner künstlerischen Laufbahn wahrlich nicht oft erleben durfte), betrachtete der Komponist eigentlich als gar nichts Besonderes, er äußerte gar, dass der Boléro eigentlich gar keine Musik enthalte, was sich wohl darauf bezieht, dass in diesem gut viertelstündigen Orchesterstück ein und dieselbe Melodie ständig wiederholt wird und sich dabei lediglich die Instrumentierung und die Lautstärke ändert, mit der diese Bolero-Melodie vorgetragen wird.
Aber dieses „lediglich“ ist eigentlich schon eine Anmaßung, denn das Stück ist ein Meisterwerk der Instrumentierungskunst, das zeigt, was für ein begnadeter Klangzauberer Ravel war, der dem Instrument „Orchester“ die raffiniertesten Klangfarben entlocken konnte!
Außerdem ist der Boléro auch ein Musterbeispiel für eine ausgesprochen gelungene und effektive Spannungssteigerung über einen längeren Zeitraum hinweg:
Während des Anhörens dieses Stückes empfindet man als Zuhörer keinen Moment der der Langeweile – im Gegenteil:
Man wird unweigerlich in den unwiderstehlichen Sog dieser Melodie und dieses einprägsamen Rhythmus hineingezogen, der immer mächtiger und dominanter wird. Ich kenne niemanden, der sich der Wirkung dieses Werkes entziehen könnte!
Die große Begeisterung, die gerade der Boléro beim Publikum ausgelöst hat, ist vielleicht symptomatisch für das von Maschinen und Industrie geprägte 20. Jahrhundert, das musikalisch definitiv ein ausgesprochen rhythmusdominiertes geworden ist – ich sehe da durchaus eine gewisse Wechselwirkung zwischen Musik und Technik.

Ravels Instrumentierungskunst hat übrigens auch den eigentlich als Klavierzyklus komponierten Bildern einer Ausstellung des früh verstorbenen Russen Modest Mussorgski (1839-81) endgültig zum Durchbruch verholfen – in seiner raffinierten Orchesterversion aus dem Jahr 1922 erklingt diese Komposition seither in den meisten Fällen.

Neben anderen Orchesterwerken wie der 1908 uraufgeführten Rhapsodie espagnole oder La Valse (1920) und den beiden Klavierkonzerten (entstanden in den Jahren 1929 bis 1931) hat es mir vor allem die Klaviermusik Ravels angetan – gerade auch im Vergleich (oder als Ergänzung) zu der von Debussy. In dem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass Ravel seinen Zeitgenossen Erik Satie und dessen zukunftsweisende, oft nüchtern und auch skurril anmutende Kompositionen bewunderte.

Ach ja – die witzige Oper L’Enfant et les Sortilèges („Das Kind und der Zauberspuk“), die 1925 in Monte Carlo uraufgeführt wurde, ist unbedingt auch noch erwähnenswert!

Auch wenn Maurice Ravel also das Schicksal vieler Komponisten teilt, die nur für ein (und nicht einmal unbedingt ihr bestes) Werk Berühmtheit erlangt haben, gibt es auch bei ihm eine Menge interessanter Musik zu entdecken, die am Beginn der Moderne steht und viele Einflüsse und Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts aufnimmt, auf eigene Art reflektiert und verarbeitet und ihren ganz eigenen Weg in die Zukunft weist!

Sonntag, 23. Dezember 2012

Merry Christmas - prettige kerstdagen...

... und natürlich "Fröhliche Weihnachten" wünsche ich auf diesem Wege allen, die regelmäßig, gelegentlich oder auch nur zufällig hier in diesem Blog zu Gast sind!

Alles ist vorbereitet, die Geschenke sind verpackt, die Weihnachtspost geschrieben und verschickt, Plätzchen gebacken und die Zutaten für den Weihnachtsschmaus organisiert. Im Hintergrund läuft gerade das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian B. (ein Konzertmitschnitt meines Chors - ich kann mir also quasi selbst beim "Jauchzen und frohlocken" zuhören...) - es kann losgehen, die Feiertage können kommen!

Ich wünsche viel Freude (auch und gerade an den kleinen Dingen), denn dafür ist Weihnachten schließlich da - und natürlich viel gute Musik - egal, ob selbst gemacht oder zum Zu- und Anhören!!

In diesem Sinne - man liest sich... 

Freitag, 21. Dezember 2012

Das Bonmot für Zwischendurch...

Passend zum heutigen Tag möchte ich einen Text aus der 1899 uraufgeführten Operette Frau Luna (also quasi der „Urmutter der Berliner Operette“) von Paul Lincke (1866-1946) präsentieren:

Oftmals ward es uns schon prophezeit
Von gelehrten Leuten weit und breit,
Dass nach ihrer Rechnungsübung
Eintritt 'ne Planetenschiebung,
Die uns überrascht mit Heftigkeit!

Von dem Mars soll ausgeh’n dieser Putsch,
Eines Tages mit 'nem großen Rutsch
Wirft er sich, oh wie entsetzlich,
Auf die arme Erde plötzlich
Und dann sind wir alle, alle futsch!

‘S geht alles in Scherben, wir müssen verderben,
Drum bis das Ende naht, folgt meinem Rat:

Ist die Welt auch noch so schön,
Einmal muss sie untergeh‘n,
Darum singt, darum springt, darum trinkt
Und genießt, was der Tag euch noch bringt!
Wenn der Erdenball zerplatzt,
Sind wir sowieso verratzt!
Flott gelebt, flott geliebt, eh’s zu spät
Und mit 'nem Knall die Erde untergeht!


Dieses ausgesprochen schmissige Lied mit seinem eingängigen Refrain wurde von Paul Lincke in eine spätere Fassung von Frau Luna integriert.
Entstanden ist dieses Lied im Jahr 1910 und es wird hier recht eindeutig Bezug genommen auf das Erscheinen des Halleyschen Kometen in jenem Jahr, dessen relativ naher Vorbeiflug an der Erde viele Leute in Angst und Schrecken versetzte und (wieder einmal) an das bevorstehende Ende der Welt glauben ließ…

Na denn – bis zum nächsten Mal! :-)

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Neuerwerbung

In der diesjährigen Adventszeit bin ich zu meinem großen Verdruss gar nicht dazu gekommen, hier im Blog - wie schon in den Vorjahren - ein paar weitere musikalische Weihnachtstipps vorzustellen.
Ich weiß auch nicht, was in diesem Jahr los war - beruflicher Vorweihnachtsstress in Reinform! Warum muss partout alles noch im alten Jahr passieren? Und warum fällt das den meisten Leuten anscheinend immer erst Anfang (oder besser noch Mitte) Dezember ein? So ein Jahresende kommt ja auch immer so völlig unerwartet…!

Naja – was nützt es, zu klagen? Eben!
Immerhin möchte ich noch die Gelegenheit nutzen, meine persönliche Weihnachtsplatte des Jahres 2012 vorzustellen:

In diesem Herbst bei der Deutschen Grammophon neu erschienen – das Album Weihnachtslieder, eine an nur zwei Novembertagen des Jahres 1970 entstandene Zusammenstellung selten zu hörender Weihnachtslieder aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, die der legendäre, in diesem Jahr leider verstorbene Bariton Dietrich Fischer-Dieskau zusammen mit seinem langjährigen Klavierbegleiter Jörg Demus aufgenommen hat.

Eine schöne Idee der Deutschen Grammophon, quasi als Hommage an den großen Liedsänger Fischer-Dieskau, der dem Label über viele Jahre fest verbunden war, dieses Weihnachtsalbum, das 1972 erstmalig als LP erschienen war, nun im nostalgischen Design (und mit dem auch auf dem Original-Cover abgebildeten Wintergemälde von Breughel) erstmals mit allen seinerzeit eingespielten Titeln auch auf CD zu veröffentlichen.

Dass Dietrich Fischer-Dieskau zu meinen absoluten Lieblingssängern gehört, habe ich andernorts wohl schon mehrfach erwähnt. Diese Weihnachtsliedersammlung besticht nicht nur durch ihren großen Repertoirewert (bis auf das Cantique de Noël des Franzosen Adolphe Adam kannte ich zuvor keinen einzigen der übrigen 13 Titel!), sondern eben auch durch Fischer-Dieskaus großes Talent, den von ihm gesungenen Text so unglaublich plastisch, verständlich und eindringlich rüberzubringen und dabei seine prägnante Stimme gleichzeitig immer gesanglich angenehm und nie aufdringlich oder forciert einzusetzen – das wird in dieser Einspielung noch einmal ganz besonders deutlich. Der ganze, knapp 50-minütige Vortrag klingt so wunderbar selbstverständlich und natürlich und ist doch ganz große Gesangskunst!

Und auch wenn ich mit Sicherheit eine Weihnachtslieder-Sammlung erstanden hätte, auf der Dietrich Fischer-Dieskau „nur“ altbekannte, -zig mal schon zuvor (und natürlich auch danach) eingespielte Weihnachtslieder zum Besten gegeben hätte, so ist doch die Freude umso größer, dass man mit dieser Aufnahme zugleich auch noch eine ganze Reihe selten (oder nie) zu hörender Kunstlieder auf weihnachtliche Texte präsentiert bekommt, von deren Existenz man bislang gar nichts geahnt hat…

Wie bereits erwähnt: Das bekannteste Stück dieser Aufnahme ist wohl das 1847 entstandene französischsprachige Cantique de Noël von Adolphe Adam (1803-56), das dem Publikum heutzutage – wenn überhaupt - eher mit dem englischen Text "O Holy Night" geläufig sein dürfte und gern im bombastisch-pathetischen Orchestersound daherkommt. Laut Booklet soll es sich bei der auf dieser CD enthaltenen Einspielung um die Originalversion für Gesangsstimme und Klavierbegleitung handeln, wobei ich mich schon frage, warum dann in der Tracklist unter dem Titel “arr. Hans Schmidt“ steht…?
Auf der ursprünglichen LP von 1972 war dieses Lied übrigens nicht vertreten - vermutlich, weil es sich hierbei um den einzigen nicht-deutschsprachigen Titel des ganzen Programms handelt?!? Schön, dass man ihm nun für diese Neu-Edition den ihm gebührenden Platz eingeräumt hat!

Weitere vertretene Komponisten sind unter anderem Carl Loewe (1796-1869), Engelbert Humperdinck (1854-1921), Peter Cornelius (1824-74), Carl Reinecke (1824-1910) oder Max Reger (1873-1916) - also quasi ein „Who-is-who“ deutschsprachiger Komponisten der Romantik (deren Musik gleichwohl heutzutage nicht unbedingt häufig gespielt wird…), ergänzt um einige Namen, die mir bislang auch nichts (oder zumindest nicht viel) sagten, wie z. B. Friedrich Mergner (1818-91) oder Armin Knab (1881-1951).

Besonders interessant finde ich die Weihnachtskantilene (mit 17 Minuten Dauer zugleich auch das längste Stück dieser Einspielung!) von Hermann Reutter (1900-85) (womit wir dann sogar noch bei zeitgenössischen Komponisten angekommen wären), der 1952 einen Text von Matthias Claudius (1740-1815) vertonte und dabei mehrere deklamatorisch-rezitativische und eher gesangsbetonte Abschnitte zu einem ausdrucksvollen gesungenen Vortrag der Weihnachtsgeschichte verband, wobei das begleitende Klavier auch noch immer wieder Zitate bekannter Weihnachtslieder beisteuert – das Stück ist für mich eine echte Entdeckung!

Und so komme ich dann wenigstens beim Anhören dieses alternativen Weihnachtsprogramms – neben meinen persönlichen, alljährlich erklingenden Klassikern wie den barocken Weihnachtskonzerten oder dem Weihnachtsoratorium von Camille Saint-Saëns, doch noch dazu, mich wenigstens ein bisschen vom Vorweihnachtsstress zu erholen…

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Vorweihnachtszeit – warum muss man grade jetzt immer sooo viele Termine haben, obwohl man gerade diese Zeit im Jahr doch so gerne etwas ruhiger und besinnlicher angehen würde?
In diesem Jahr ist es wirklich wie verhext, so schlimm war es schon lange nicht mehr – ich musste sogar (und das will schon etwas heißen) in den beiden vergangenen Wochen die Lunch-Time-Orgel ausfallen lassen, weil ich just an den Mittwochen (ist das wirklich der korrekte Plural?) nicht in Düsseldorf sein konnte!

Umso schöner, dass ich es wenigstens heute geschafft habe, die letzte Lunch-Time-Orgel dieses Jahres noch mitnehmen und mir eine gute halbe Stunde Auszeit bei weihnachtlicher Orgelmusik gönnen zu können!

Das Programm des heutigen Mittagskonzerts war natürlich bereits ganz von weihnachtlicher Atmosphäre geprägt - Organist Wolfgang Abendroth spielte folgende Stücke für uns:

Georg Böhm (1661-1733)
Choralbearbeitung „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘!“
Variationen über das Weihnachtslied „Gelobet seist du, Jesu Christ“

Dietrich Buxtehude (1637-1707)
Choralbearbeitung „In dulci jubilo“
Choralbearbeitung „Puer natus in Bethlehem“

Marcel Dupré (1886-1971)
Variations sur un Noël op. 20


Zu Beginn erklangen vier kürzere Stücke von zwei Meistern des norddeutschen Orgelbarocks – Variationen und Bearbeitungen schöner alter Weihnachtslieder.

Das Hauptstück des heutigen Konzerts bildeten dann aber die 10 Variationen des Franzosen Marcel Dupré über ein altes französisches Noël (also ein Weihnachtslied):
Das charakteristische, wohl aus dem 15. Jahrhundert stammende Lied Noël nouvelet, das man auch heutzutage und hierzulande immer wieder mal auf Weihnachts-CDs finden kann und das ich wegen seiner eingängigen Melodie und seines Rhythmus‘ sehr gerne mag.
Ich wusste gar nicht, dass Dupré über dieses Lied Variationen für Orgel komponiert hat – ausgesprochen raffinierte Variationen, wie man sagen muss:
Es gibt da unter anderem mehrere Kanons, in denen die Liedmelodie in klassischer Kanon-Manier (aber auf unterschiedlichen Tonhöhen!) sich selber hinterherläuft; einige recht skurril bzw. amüsant anmutende, ausgesprochen schnelle Virtuosenstücke und das Ganze wird dann noch von einem Fugato und einer wilden Toccata gekrönt und abgeschlossen, die dem Organisten noch einmal alles abverlangen an Finger- und Fußfertigkeit!

Ein schöner und passender Abschluss eines weiteren Orgelmusikjahres – ich freue mich schon auf das nächste!