Montag, 30. April 2012

Heia, Walpurgisnacht!


Es ist ein komischer Zufall, dass die beiden Nächte, in denen man auch heutzutage noch an Geister- und Hexenspuk erinnert (und dies mit zahlreichen Veranstaltungen auch entsprechend feiert), genau ein halbes Jahr auseinanderliegen: Am letzten Oktobertag ist Halloween und heute, am letzten Tag des Monats April Walpurgisnacht, das große Hexentanzfest auf dem Brocken im Harz (bzw. alternativ auch auf dem sprichwörtlichen „Blocksberg“, wo immer der auch liegen mag…)!
Am morgigen 1. Mai ist der Tag der Heiligsprechung von Walburga oder Walpurgis, somit ist (analog zum Abend vor Allerheiligen = Halloween) der Vorabend zu diesem Tag also die Walpurgisnacht.
Im Volksglauben treffen sich in dieser Nacht die Hexen auf dem Brocken (und anderen Bergen) zum sogenannten Hexensabbat, in dessen orgiastischen Verlauf es natürlich auch wilde Tänze um, durch und über lodernde Scheiterhaufen gibt.

Im Gegensatz zu den eher angloamerikanischen Traditionen, die im Rahmen des Halloween-Festes begangen werden (seit einigen Jahren nehmen ja entsprechende Events am 31. Oktober auch hier bei uns kontinuierlich zu), finde ich die Bräuche und Feiern rund um die Walpurgisnacht deutlich passender (außerdem ist der Frühling als Jahreszeit ja auch viel schöner!). Und wer nicht unbedingt als Hexe oder mit ihnen zusammen an diesem Abend um irgendein Feuer tanzen möchte, der kann alternativ ja auch an einer der zahlreichen „Tanz in den Mai“-Veranstaltungen teilnehmen – getanzt wird am heutigen Abend auf jeden Fall vielerorts!
Vielleicht hat der eine oder die andere Lust, sich passend zur Walpurgisnacht auch einmal mit einer klassischen Komposition zu beschäftigen – ich finde es immer besonders stimmungsvoll, wenn man Musik hören kann, die gerade zum jeweiligen (Feier-)Tag oder auch zur Jahreszeit passt!


Zum Einstieg vielleicht zunächst ein kleines Beispiel aus dem Bereich der am Volkslied orientierten, im Verlauf des 19. Jahhrunderts so überaus beliebten Chorsätze: Der bucklichte Fiedler, Op. 93a Nr. 1, eine Komposition von Johannes Brahms (1833-97), in der es in fröhlicher Weise um einen durch einen Buckel verunstalteten jungen Geiger geht, der einigen schönen Frauen (die sich später als Zauberinnen herausstellen) auf ihr Bitten zum Tanze anlässlich der Feier der Walpurgisnacht aufspielt und zum Lohn dafür von seinem garstigen Buckel befreit wird.

So unbekümmert geht es in der Regel allerdings nicht immer zu, wenn man weiter nach musikalischen Beispielen zum Thema Walpurgisnacht sucht. In der Regel wird eher der ausschweifend-orgienhafte, grotesk-bizarre Aspekt dieses Hexentanzvergnügens betont; vor allem auch (aber nicht nur) wenn es um hierzu passende Textvorlagen geht.

Interessanterweise kommt man hierbei vor allem um Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) nicht herum:
Da ist zum einen seine vom ihm bereits bei der Niederschrift 1799 als zur Vertonung vorgesehene Ballade Die erste Walpurgisnacht und dann natürlich die berühmte Walpurgisnacht-Szene aus dem 1. Teil seines Faust-Dramas (veröffentlicht 1808).
Die erste Walpurgisnacht op. 60 hat der junge Felix Mendelssohn (1809-47) zu Beginn der 1830er Jahre in Form einer orchesterbegleiteten Kantate (für Solisten und Chor) vertont (und seine Komposition 1842/43 nochmals überarbeitet).

Das ca. halbstündige Werk, in dem es quasi um die „Erfindung“ des Walpurgisnacht-Brauchtums geht (heidnische Druiden und ihr Gefolge wollen ungestört ihren Frühlingskult – zu dem auch ein großes Feuer gehört – feiern und veranstalten einen sehr erfolgreichen „Spuk“ mit Masken, Klappern und anderen unheimlichen Geräuschen, um die sie verfolgenden christlichen Wächter zu erschrecken und zu vertreiben) ist von Mendelssohn sehr effektvoll vertont worden, gerade der Chor bekommt hier eine sehr dankbare Aufgabe und es wäre schön, wenn man diese Komposition mal etwas häufiger im Konzert erleben könnte (live ist es halt immer am beeindruckendsten)!


Kommen wir zum Faust:

In Charles Gounods (1818-93) im Jahr 1859 uraufgeführter Erfolgsoper Faust nutzt der Komponist die zu Beginn des 5. Akts von ihm vertonte Walpurgisnacht unter anderem für eine wilde Ballettszene, die in einem Bacchanal (also einer zügellosen Orgie) gipfelt.

Eine Szene, in der Darsteller wie Orchester wirklich gut beschäftigt sind und die ihre Wirkung in einer entsprechenden Inszenierung bestimmt nicht verfehlt (gehört im Themenbereich „Musik zur Walpurgisnacht“ zu meinen Lieblingsstücken)!


Diese Walpurgisnachts-Szene im Faust mit ihren zahlreichen auch sexuellen Anspielungen und zügellosen Ausschweifungen war offenbar vielen Komponisten nicht ganz geheuer. So fehlt die Walpurgisnacht zum Beispiel in den von Robert Schumann (1810-56) vertonten Szenen aus „Goethes Faust“, die vom Komponisten selbst ausgewählten Szenen stammen in diesem Werk schwerpunktmäßig eher aus dem 2. Teil des Faust, aus dem 1. Teil übernahm Schumann vor allem Szenen, die sich mit der Gretchen-Tragödie befassen.
Und auch in der irgendwo zwischen Oratorium und Oper anzusiedelnden La Damnation de Faust (UA 1846) von Hector Berlioz (1803-69) fehlt leider die gerade von diesem genialen Klangvisionär sicher ganz besonders effektvoll gewordene Walpurgisnacht - Schade!

Aber gerade von Berlioz gibt es ja – quasi als Ersatz – dessen grandiose Symphonie fantastique op. 14 aus dem Jahr 1830! Nachdem im 4. Satz dieses Werks mit dem Gang zum Schafott schon eine passende „Einstimmung“ stattgefunden hat, folgt im abschließenden 5. Satz mit der musikalischen Schilderung eines „Hexensabbats“ der furiose Abschluss dieses visionären Orchesterwerks, das mit den bis dato gebräuchlichen Vorstellungen einer „ordentlichen“ Symphonie klassischer Prägung nicht mehr viel zu tun hat!

Gerade die durch und durch leidenschaftlichen Interpretationen des Dirigenten Leonard Bernstein kann ich hier nur wärmstens empfehlen – beim Anhören dieser Musik ist die Gänsehaut im Finale fast schon garantiert!



Ein weiteres Orchesterparadestück zu diesem Thema (wenn auch nicht explizit zur Walpurgisnacht) ist Eine Nacht auf dem kahlen Berge des russischen Komponisten Modest Mussorgsky (1839-81): Auch hier toben sich machtvoll-düstere Klänge richtig aus – geschildert wird ein Hexensabbat auf dem Berg Triglav (der liegt in Slowenien) in der Johannisnacht (also vom 23. auf den 24. Juni anlässlich der Sommersonnenwende), aber das Ganze passt natürlich auch wunderbar zur heutigen Walpurgisnacht und ist ein Fest für jedes Sinfonieorchester, das darin sämtliche Register ziehen kann (nicht zuletzt auch wegen des ruhig-besinnlichen Endes dieses Stücks, wo – dominiert von zarten Flötenklängen – die ganze schaurige Aufregung nun einen ausgesprochen friedlichen, aufgrund seiner Kontrastwirkung zum vorangegangenen Wüten und Toben umso effektvolleren Abschluss findet)!


Für einen ersten Überblick mag dies hier zunächst mal genügen – für weitere Tipps und Anregungen bin ich aber jederzeit sehr aufgeschlossen!
Mit einem herzhaften Heia, Walpurgisnacht! wünsche ich allen Tanz-, Musik und Feierfreudigen heute einen wunderschönen Abend und einen guten Start in den diesjährigen Wonnemonat Mai!

Freitag, 27. April 2012

Friedrich von Flotow - 200. Geburtstag

Heute vor genau 200 Jahren wurde der Komponist Friedrich von Flotow in Teutendorf geboren. Er entstammte einer alten mecklenburgischen Adelsfamilie und stieß – wie aber auch viele andere bürgerliche Kollegen von ihm – natürlich auf familiäre Vorbehalte, als sich abzeichnete, dass er Musiker werden wollte. Von seinem offensichtlichen Talent dann aber doch überzeugt, begleitete ihn schließlich sein Vater im Jahr 1828 persönlich nach Paris, wo Friedrich in den folgenden 2 Jahren bei Peter Johann Pixis Klavier und bei Anton Reicha Komposition studierte.
1830 vorübergehend in die Heimat zurückgekehrt (er hatte seine fast vollendete erste Oper Pierre et Cathérine im Gepäck, die aber erst 1835 ihre Uraufführung erleben sollte), konnte er Ende des Jahres in Güstrow sein erstes Klavierkonzert (in c-moll) präsentieren.
Schon im Frühjahr 1831 kehrte von Flotow wieder nach Paris zurück, wo er sich künstlerisch offenbar am wohlsten fühlte. Hier entstand sein zweites Klavierkonzert (in a-moll), dessen originelle Besonderheit die der Symphonie abgeschaute Viersätzigkeit ist – eine Idee, die allerdings erst durch das 2. Klavierkonzert (aus dem Jahr 1881) von Johannes Brahms (1833-97) wirklich bekannt werden sollte.
Vor allem als Opernkomponist trat Friedrich von Flotow in Paris aber nun in Erscheinung – sein Stil ist hier deutlich von den großen Namen der französischen Opernszene jener Zeit beeinflusst, so z. B. von Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871) oder Adolphe Adam (1803-56). Gerade die heiteren und unterhaltsamen Werke der Gattung der Opéra comique lagen ihm besonders.
Er traf in Paris viele der berühmtesten Künstler, Dichter und Musiker der damaligen Zeit (z. B. Gounod, Berlioz, Meyerbeer, Rossini, Chopin, Hugo, Balzac, Merimée und Heine). Außerdem verband ihn eine Freundschaft und künstlerische Partnerschaft mit dem jungen Jacques Offenbach (1819-80), der – das ist heutzutage fast unbekannt – zu Beginn seiner Karriere in Paris vor allem als Cello-Virtuose Furore machte und dort auch als „Paganini des Cellos“ betitelt wurde, bevor er in späteren Jahren mit seinen komischen Opern weltbekannt wurde. Zusammen mit v. Flotow, der ihn am Klavier begleitete, trat Offenbach 1838/39 im Rahmen zahlreicher Soiréen in den Pariser Salons auf.
Richtig große Erfolge mit seinen Opernkompositionen konnte Friedrich von Flotow allerdings dann vor allem im deutschsprachigen Raum erzielen:

Mit seiner am 30.12.1844 im Hamburg uraufgeführten romantischen Oper Alessandro Stradella und seiner am 25.11.1847 in Wien uraufgeführten Romantisch-komischen Oper Martha oder Der Markt zu Richmond konnte er die größten Erfolge seiner Laufbahn erzielen - beide Titel sind bis heute die bekanntesten Werke Friedrich von Flotows.

Es fällt auf, dass dieser Erfolg wohl auch in entscheidendem Maße mit der Wahl des Librettisten zusammenhing: In beiden Fällen war Wilhelm Friedrich – ein Pseudonym für den damals sehr erfolgreichen Bühnenautor Friedrich Wilhelm Riese (ca. 1805-79) – für die Textdichtung zuständig und dieses Beispiel zeigt wieder mal sehr schön, dass die Qualität eines Operntextes nicht zu unterschätzen ist und bei einem schlechten Textbuch auch die beste Musik nicht mehr allzuviel retten kann...
Leider überwarf sich v. Flotow in der Folge mit seinem Librettisten und sämtliche später entstandenen Opern sind heute (leider!) in absolute Vergessenheit geraten – was sicher auch (aber natürlich nicht ausschließlich) darauf zurückzuführen ist, dass v. Flotow keinen so talentierten Textdichter mehr finden konnte.
Von 1855 bis 1863 war v. Flotow als Intendant des Hoftheaters in Schwerin tätig, in dieser Zeit komponierte er unter anderem auch die Jubel-Ouvertüre und die Oper Johann Albrecht anlässlich der festlichen Wiedereröffnung des umgebauten Schweriner Schlosses im Jahr 1857.
Nach seiner Intendantenzeit zog es ihn dann aber wieder einmal nach Paris, eine Stadt, deren (künstlerische) Atmosphäre er sehr geliebt haben muss! In Paris entstanden dann weitere, französischsprachige Opern.

Am 24. Januar 1883 verstarb Friedrich von Flotow im Alter von 70 Jahren an seinem Alterswohnsitz in Darmstadt. Im Jahr zuvor konnte er in Wien noch Zeuge der immerhin 500. Aufführung seines Meisterwerks Martha oder Der Markt zu Richmond werden.

Ich finde die Parallelen der Künstlerbiographien von Friedrich von Flotow mit der des fast gleichaltrigen (aber viel zu früh verstorbenen) Otto Nicolai sehr interessant:
Auch wenn Nicolai – im Gegensatz zu v. Flotow - während seines ganzen kurzen Lebens fast ständig mit Geldsorgen und dann auch noch mit seiner häufig angegriffenen Gesundheit zu kämpfen hatte, so fällt auf, dass auch er zunächst im Ausland (in diesem Fall in Italien) als Opernkomponist zum Teil recht beachtliche Erfolge verbuchen konnte, bevor ihm in Deutschland mit einer Oper ein großer (und in seinem Fall leider auch einziger) Erfolg beschieden war – nämlich 1849 mit den „Lustigen Weibern von Windsor“. Diese Oper wird bewundert wegen ihrer so noch nicht dagewesenen ausgesprochen gelungenen Verschmelzung typisch italienischer Elemente mit dem deutschen Opernstil der Biedermeierzeit (was abwertender klingen mag, als es gemeint ist), wie ihn zum Beispiel Albert Lortzing (1801-51) praktiziert hatte.
Gerade Friedrich von Flotows Erfolgsoper Martha wiederum enthält Elemente (gerade in den leichtfüßig-spritzigen Ensemblenummern) der französischen Opéra comique (eine weitere Besonderheit ist, dass es sich hierbei um die erste deutschsprachige komische Oper handelt, die ausschließlich Rezitative und keine Dialoge enthält) und ist allein schon deshalb ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche Verschmelzung verschiedener europäischer Stilrichtungen, die auch dazu beitrug, dass eine Oper wie diese auch außerhalb ihres eigentlichen Entstehungslandes erfolgreich sein konnte. So ist die Martha nach ihrem Siegeszug durch nahezu sämtliche deutschen Opernhäuser 1858 zunächst in einer italienischen Übersetzung (unter dem Titel Marta, also mit ohne das „h“) im Pariser Théâtre Italien und dort schließlich 1865 auch in französischer Sprache im Théâtre lyrique aufgeführt worden. Weitere internationale Aufführungen folgten (z. B. London 1858, New York 1859).

Gerade die Tatsache, dass es die erwähnte italienische Version Marta gibt, hat dazu geführt, dass die dankbare Tenorpartie des Lyonel auch von italienischen Operntenören (u. a. Enrico Caruso) gerne gesungen wurde!

Vor allem die wunderschöne Tenor-Arie „Ach so fromm, ach so traut“ wurde in ihrer italienischen Fassung „M’appari tutt‘amor“ zu einem absoluten Klassiker, der auch heute noch gerne von international gefragten Tenören im Rahmen geschmackvoller Recitals dargeboten wird – auf dem Programm steht dann oft diese einsame Arie als einziger Beitrag eines deutschen Komponisten inmitten von zahlreichen Rossini-, Verdi- und Puccini-Klassikern!

Immerhin hat der deutsche Star-Tenor Jonas Kaufmann (um ein aktuelles Beispiel aus dem Inland zu nennen) auf seinem entsprechend international ausgerichteten Arien-Recital diese Arie mit ihrem deutschsprachigen Originaltext aufgenommen…

Aus heutiger Perspektive betrachtet, ist Friedrich von Flotow genauso ein klassischer „One-Opera-Hit-Wonder“-Komponist wie es - neben vielen anderen Kollegen - eben auch Otto Nicolai war. Flotows schon erwähnter Alessandro Stradella hat sich nämlich auf Dauer nicht auf den Bühnen halten können, so dass man heute – wenn überhaupt - Flotow als den Komponisten der Martha identifiziert.
Aber selbst diese Oper wird – wie so viele einstmals über Jahrzehnte hinweg aus dem Repertoire deutscher Opernhäuser nicht wegzudenkenden Stücke – in den letzten 20 oder 30 Jahren zunehmend seltener gespielt. Sie teilt damit das Schicksal nicht nur der Lustigen Weiber von Windsor sondern auch der vielen anderen Werke z. B. von Lortzing, Conradin Kreutzer (1780-1849) oder Heinrich Marschner.
Ihnen allen ist – meiner Meinung nach – der aus heutiger Perspektive zumindest im deutschsprachigen Opernkosmos alles überstrahlende Richard Wagner (1813-83) „zum Verhängnis“ geworden. Während seine Opern weltweit rauf und runter gespielt werden, fristen seine Zeitgenossen bestenfalls ein Nischendasein, wobei ein Vergleich zwischen dem künstlerisch-weltanschaulichen Anspruch, der von einer Oper von Wagner ausgeht, mit den vorrangig zur geist- und niveauvollen Publikumsunterhaltung konzipierten Opern eines v. Flotow oder Lortzing allein schon aufgrund der ganz anderen Konzeption dieser Werke völlig deplatziert ist und natürlich aus „Bayreuther Perspektive“ deutlich zu Ungunsten der Letztgenannten ausfallen muss!
Wobei ich es ungerecht finde, den Wert eines Werkes nur deshalb als niedriger anzusehen, weil es „bloß“ unterhalten möchte – so etwas hinzubekommen, ist schließlich eine Kunst, die keinesfalls unterschätzt werden sollte!
In Abwandlung eines Ausspruchs meines Lieblingsautors Oscar Wilde kann ich dazu nur sagen: „Es gibt weder höherwertige noch geringzuschätzende Opern. Opern sind entweder gut oder schlecht geschrieben. Weiter nichts.“
Wie im Fall von Nicolai ist die Diskographie der Werke Friedrich von Flotows erwartungsgemäß sehr übersichtlich. Aufnahmen neueren Datums fehlen fast gänzlich (was leider nur einmal mehr beweist, dass das Interesse an seiner Musik in den letzten Jahrzehnten weiter nachgelassen hat).

In dieser Hinsicht erscheint es fast wie ein Wunder, dass es im Jahr 2004 beim Label CAPRICCIO tatsächlich eine Neuaufnahme des Alessandro Stradella gegeben hat! Unter der Leitung von Helmuth Froschauer spielen und singen WDR Rundfunkchor und –orchester, zu den Solisten gehören unter anderem Jörg Dürmüller in der Titelrolle sowie Johannes Martin Kränzle und Sabine Paßow.

Und –welche Überraschung! – auf eine SACD-Aufnahme dieser Oper vom Wexford Festival bin ich bei meinen Recherchen auch noch gestoßen – das hätte ich wirklich nicht erwartet! Keine Ahnung, ob man diese Oper dort auf Deutsch oder eher auf Englisch gesungen hat, das Ganze scheint ja eine ziemlich internationale Produktion gewesen zu sein…

Erfreulich ist außerdem das Erscheinen einer Aufnahme aus dem Jahr 2007 (beim Label STERLING), auf der neben den beiden interessanten Klavierkonzerten v. Flotows auch die erwähnte Jubel-Ouvertüre sowie eine Schauspielmusik aus seiner Zeit am Schweriner Hoftheater zu hören sind! Es spielen die Pilsener Philharmoniker unter der Leitung von Hans Peter Wiesheu, der Klaviersolist ist Carl Petersson .

Die meiste Auswahl hat man natürlich noch bei Aufnahmen der Oper Martha, wobei der Begriff „Auswahl“ nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass er sich hierbei auf drei oder vier mehr oder weniger verfügbare (aber immerhin in regelmäßigen Abständen immer wieder mal neu herausgebrachte) Einspielungen dieser Oper bezieht! Allesamt sind aber älter als 30 Jahre und man fragt sich schon, warum eine solch bekannte und populäre Oper seit Jahren nicht mehr neu auf Tonträgern eingespielt wurde!?

Aus dem Jahr 1977 stammt eine Aufnahme mit dem Münchner Rundfunkorchester und dem Chor des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Heinz Wallberg.

Mit Lucia Popp in der Titelrolle, Siegfried Jerusalem als Lyonel, Siegmund Nimsgern als Lord Tristan und Karl Ridderbusch als Plumkett ist sie prominent besetzt und gefällt mir im Großen und Ganzen ziemlich gut.

Im Rahmen der Wiederveröffentlichung alter und älterer Aufnahmen aus den Archiven der EMI steht demnächst die von mir schon mit Spannung erwartete Martha-Einspielung mit Anneliese Rothenberger und Nicolai Gedda aus den frühen 1970er Jahren (?) an, die ich bislang noch nicht kenne.

Mit Anneliese Rothenberger in der Titelrolle ist mir auch ein Querschnitt der Oper aus den 1960er Jahren bekannt, in der Fritz Wunderlich als Lyonel brilliert. Ich bin nicht sicher, ob es seinerzeit bei dem Querschnitt geblieben ist, oder ob es mit dieser tollen Besetzung auch eine Gesamtaufnahme der Oper gegeben hat?

Und dann war da natürlich noch Loriot, der 1986 ausgerechnet mit der Martha sein Debüt als Opernregisseur bei den Schwetzinger Festspielen gegeben hatte! Ihm schien, so sagte er in Interviews in Bezug auf diese Wahl, eine Oper wie diese gut geeignet, weil sie unverfänglich war – was hätte man von ihm nicht alles erwartet, wenn er als bekennender Wagnerianer gleich eine Oper seines Lieblingskomponisten inszeniert hätte! Und um das elegant zu umgehen, entschied er sich für eine komische Oper (natürlich!), die zudem ein deutschsprachiges Werk sein sollte, weil er sich bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit einem Werk in seiner Muttersprache naturgemäß am sichersten fühlen würde.
Herausgekommen ist dabei nun ausgerechnet Flotows Martha - was einen echten Loriot-Fan eigentlich nicht wirklich überrascht haben dürfte – immerhin heißt es in seinem bekannten Sketch An der Opernkasse ja so schön „Martha ist meine Schwägerin!“ – welche Oper hätte es also sonst werden sollen? *grins*
Vor zwei Jahren ist nun erfreulicherweise eine DVD-Box erschienen (auf die ich hier bereits hingewiesen hatte), die unter anderem auch die damals fürs Fernsehen aufgezeichnete Aufführung enthält. Bild und Ton entsprechen der Qualität damaliger Fernsehproduktionen und das Ganze stellt in jedem Fall eine nette Ergänzung für Loriot- wie für Flotow-Freunde dar!

Natürlich würde ich mir wünschen, dass irgendein Operntheater (es dürfen gerne auch mehrere sein!) sich zumindest in diesem Jahr wieder einmal einer der zahlreichen Opern unseres heutigen Jubilars annehmen würde – verdient hätte er es allemal!
Allerdings ist mir bis dato leider keine Bühne bekannt, die sich hier hervortun möchte. Aber man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben…

Mittwoch, 25. April 2012

Heute in der Lunch-Time Orgel

Wolfgang Abendroth spielte heute folgendes Programm für uns:

Anonym (J. S. Bach zugeschrieben)
aus den "Acht kleinen Präludien und Fugen"
Präludium und Fuge F-Dur
Präludium und Fuge a-moll

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91)
Fantasie d-moll KV 397
für Orgel bearbeitet von Wolfgang Abendroth

J. S. Bach (1685-1750)
Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564


Die beiden heute gespielten kleinen Präludien und Fugen werden Bach wohl lediglich deshalb zugeschrieben, weil man nicht weiß, wer sie wirklich komponiert hat. Stilistisch stehen sie allerdings deutlich der Empfindsamkeit oder Frühklassik näher, als der von Bach gepflegten barocken Tonsprache. Vor allem das F-Dur Präludium erinnerte schon eher an Musik von Joseph Haydn.

Die eigentlich für das Klavier komponierte Mozart-Fantasie gehört zu den wenigen Stücken, die ich gelegentlich (mehr schlecht als recht) selber auf meinem Pianoforte zu spielen versuche. So gesehen fand ich die Orgelbearbeitung dieses mir daher besonders gut bekannten Stücks natürlich sehr interessant!
Wolfgang Abendroth nutzte in seiner Orgelversion den großen Tonumfang seines Instruments natürlich aus, um die zahlreichen auf- und absteigenden chromatischen Läufe dieser gerade in diesen Passagen sehr ungestümen Fantasie gut zur Geltung bringen zu können. Und der überraschend knapp komponierte, in versöhnlichen Dur-Klängen stehende Schlussabschnitt wurde mit der entsprechenden Registrierung zu einem fast schon idyllisch zu nennenden Finale…
Insgesamt muss ich sagen, dass man dem Stück schon deutlich anmerkte, dass es nicht wirklich für die Orgel gedacht ist – mehr als zwei Manuale werden nicht beansprucht, allenfalls bei den wenigen ganz tiefen Tönen (in den erwähnten weitgespannten Läufen) kommt auch einmal ganz kurz das Pedal zu Einsatz – es ist halt schwierig, ein reines Klavierstück für die Orgel „aufzubereiten“. Orchester- oder mehrstimmige Kammermusikstücke bieten da deutlich dankbarere Aufgaben.

Zum Abschluss wurde mit Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 ein häufig gespielter (aber dennoch immer wieder gern gehörter) „All-time-favourite“ der Orgelliteratur gegeben. Immerhin – schon im Januar diesen Jahres hatten wir das Stück zuletzt auf dem Programm stehen!

Freitag, 20. April 2012

Fundstück der Woche - Konzertplakat (II)


Vor wenigen Wochen hatte ich hier noch über die oft sehr originellen und gelungenen Plakataktionen der Düsseldorfer Symphoniker und der Tonhalle geschrieben – und jetzt legen die Veranstalter des Düsseldorfer Schumannfestes plakatmäßig nochmal ordentlich nach:

Das diesjährige Schumannfest (vom 24. Mai bis 4. Juni 2012) steht unter dem hierfür treffenden Motto „Romantisiere dich!“ und neben Plakaten, auf denen verschiedene Künstler aufgelistet sind, die im Rahmen dieses Festivals auftreten werden, gibt es auch ein paar, die eindeutig darauf abzielen, Aufmerksamkeit zu erzielen und Neugierde zu wecken – und den Vorbeigehenden und –fahrenden eben auch ein Schmunzeln zu entlocken, was meiner Meinung nach mit Slogans wie diesen durchaus gelungen ist…



Man sieht: Klassik kann auch Spaß bereiten :-)

Mittwoch, 18. April 2012

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute konnte ich zur Abwechslung einmal die Lunch-Time-Orgel in der Düsseldorfer Johanneskirche in Begleitung eines durch meine regelmäßigen Postings hier auf diese Veranstaltung aufmerksam gewordenen Gastes genießen - ich glaube, es hat uns beiden gefallen, was Wolfang Abendroth heute wieder der Beckerath-Orgel an Klängen entlockte:

Nicolas de Grigny (1672-1703)
aus dem "Livre d'Orgue" zum Kyrie (5 Sätze)

Claude Debussy (1862-1918)
Drei Stücke für Orgel
transkribiert von Léon Roques (1839-1923):
Première Arabesque
Deuxième Arabesque
La fille aux cheveux de lin


Nach den typisch französisch-barocken Orgelklängen mit ihrem vielfältigen Einsatz charakteristischer Registerstimmen (hier vor allem die Zungenstimmen) war im heutigen Konzert mit seinem - wenn auch sehr gegensätzlichen - ausschließlich französischen Programm natürlich die Musik Debussys von besonderem Interesse.

Debussy - der wohl prominenteste "Komponistenjubilar" dieses Jahres - hat keine eigenen Kompositionen für die Orgel hinterlassen, was insofern überrascht, als dass die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten dieses Instruments mit seinen zahllosen Registern die Orgel eigentlich als wie geschaffen für die typische Musik Debussys mit ihren zahlreichen Stimmungen und Klangfarben erscheinen lassen.
Vielleicht hat es sich einfach nicht ergeben, dass Debussy etwas für die Orgel komponieren konnte (er hat sich dann neben einigen Orchesterwerken ja vor allem auf das Klavier konzentriert), jedenfalls hat sein Zeitgenosse Monsieur Léon Roques ein paar dieser Stücke für die Orgel eingerichtet - das Ergebnis der heute zu hörenden, betont meditativ-zarten drei Sätze überzeugte mich sehr!
Da war ein geschickter Arrangeur am Werk, die Musik, die er bearbeitete, eignet sich aber auch besonders gut. Wie gesagt: Debussy hätte beim Komponieren ruhig mal an die Orgel denken können... :-)

Freitag, 13. April 2012

Das Bonmot für Zwischendurch...

„Komposition“ ist ein ganz niederträchtiges Wort, das wir den Franzosen zu verdanken haben und das wir sobald wie möglich wieder loszuwerden suchen sollten. Wie kann man sagen, Mozart habe seinen Don Juan „komponiert“! Komposition! Als ob es ein Stück Kuchen oder Biskuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zusammenrührt!

Aus den Gesprächen Goethes mit seinem Freund Johann Peter Eckermann (1792-1854)

Jawohl - heute präsentiere ich hier mal ein paar Aussprüche zum Thema Musik von Johann Wolfgang Goethe (1749-1832).

Und ja - ich gestehe – ich bin bekennender Goethe-Fan!

Schade, dass man den zum „deutschen Dichterfürsten“ Geadelten auf einen fast schon unerreichbar erscheinenden Thron in höchste Höhen gehoben hat und man heutzutage – wenn überhaupt - mehr über ihn spricht, als dass man mal etwas von ihm liest!

Ich finde zumindest, dass sich das durchaus lohnt.

Schon in der Schule fand ich „Die Leiden des jungen Werther“ toll – dieses kompromiss- und rücksichtslose "Sich-in-seinen-Gefühlen-Rumwälzen" in einer aussichtslos erscheinenden Liebesleidenschaft und der daraus folgenden Konsequenz bis zum bitteren Ende, das hatte schon was.
Und als wir dann noch „Iphigenie auf Tauris“ gelesen hatten, war ich restlos begeistert:
Zum einen das in diesem Stück propagierte ideale und edle (und deshalb auch leider völlig utopische) Menschenbild, in dem sich Aufrichtigkeit, Treue, Ehrlichkeit, Toleranz und Mitgefühl vereinen und dazu dann noch diese wunderschöne Sprache!
Ich hätte nie gedacht, dass die von Kritikern oft als plump und brachial klingend geschmähte deutsche Sprache (vor allem im Vergleich mit dem Französischen oder Italienischen) so elegant und harmonisch fließend rüberkommen kann – in Goethes Iphigenie gelingt dies mit scheinbar leichter Hand wie selbstverständlich!

Seitdem habe ich viele weitere Werke von ihm gelesen und enttäuscht war ich bislang eigentlich von keinem – im Gegenteil:
Die Lektüre ermöglicht viele interessante Einblicke in die Welt, die Ideen und Gedanken des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts – eine Welt, die immerhin unsere heutigen Lebensumstände und Denkweisen ganz grundlegend geprägt hat!

Goethe war neben seiner literarischen Begabung ausgesprochen vielseitig interessiert und engagiert: Geschichte, Philosophie, Botanik, Mineralogie, Optik (Farbenlehre!), etc.

Interessant nur, dass er ausgerechnet auf dem Gebiet der Musik (um hier mal wieder aufs eigentliche Thema zurückzukommen) einen eher konservativen Geschmack hatte und im Vergleich zu zahlreichen anderen Gebieten an Neuerungen und Weiterentwicklungen entweder nicht interessiert war oder ihnen sehr skeptisch gegenüberstand (z. B. seinen Zeitgenossen Beethoven und Schubert).

Irgendwie seltsam, dass seine sonst so typische Neugier und Aufgeschlossenheit in musikalischen Dingen nicht vorhanden war.

Ich vermute, dass das mit seiner persönlichen Auffassung vom Wesen der Musik zu tun hatte: Musik war für ihn etwas ganz Naturgegebenes und Ursprüngliches, eine Art menschlicher „Urinstinkt“ (von dem der eine mehr, der andere eben etwas weniger mitgegeben bekommt) und hatte daher möglichst natürlich, also so einfach und ungekünstelt wie möglich daherzukommen. Und da konnten ihm musikalische Entwicklungen, wie sie z. B. ein Ludwig van Beethoven vorantrieb, natürlich nicht behagen!

Ich habe daher mal ein paar Zitate des berühmtesten deutschen Dichters („Jeder kennt ihn, keiner liest ihn!“) zusammengetragen, aus denen diese seine persönliche Einstellung zur Musik sehr schön rüberkommt, wie ich finde:

„Merkwürdig ist“, sagte ich, „dass sich von allen Talenten das musikalische am frühesten zeigt, so dass Mozart in seinem fünften, Beethoven in seinem achten und Hummel in seinem neunten Jahre schon die nächste Umgebung durch Spiel und Kompositionen in Erstaunen setzten.“
„Das musikalische Talent“, sagte Goethe, „in Wundern wie der Erscheinung Mozarts, kann sich wohl am frühesten zeigen, indem die Musik ganz etwas Angeborenes, Inneres ist, das von außen keiner großen Nahrung und keiner aus dem Leben gezogenen Erfahrung bedarf."

Aus den Gesprächen Goethes mit Eckermann

Der Musiker ist glücklicher als der Maler. Er spendet willkommene Gaben aus, persönlich unmittelbar, anstatt dass der letzte nur gibt, wenn die Gabe sich von ihm absonderte.

Musik im besten Sinne bedarf weniger der Neuheit, ja vielmehr je älter sie ist, je gewohnter man sie ist, desto mehr wirkt sie.

Beide Zitate aus dem Roman „Wilhelm Meisters Wanderjahre“

Mittwoch, 11. April 2012

Heute in der Lunch-Time-Orgel

In den letzten drei Wochen hat mir die Düsseldorfer Lunch-Time-Orgel wirklich gefehlt - zweimal war ich beruflich verhindert, in der vergangenen Woche fiel das Konzert wegen der Probenarbeiten für die anstehende Aufführung der Matthäus-Passion in der Johanneskriche am Karfreitag aus.
Aber bevor die Entzugserscheinungen zu groß wurden - heute ging es für mich dann endlich wieder weiter mit der geliebten Mittagsorgel :-)

Gastorganist Jens-Peter Enk wartete denn auch gleich mit einem interessanten, österlich inspirierten Programm auf, an dem mir zum einen die Mischung aus barocker und moderner Orgelmusik gefiel und zum anderen die Tatsache, dass ich bis auf einen Komponisten (es darf geraten werden, welchen ich meine...) von keinem der anderen bis zum heutigen Tag auch nur den Namen schon einmal gehört hatte - das passiert mir auch nicht sooo häufig :-)

J. S. Bach (1685-1750)
"Christ ist erstanden" BWV 627
aus dem Orgelbüchlein

Daniel Magnus Gronau (1685-1747)
"Christ ist erstanden"
Choral mit Variationen für Orgel

Hans Friedrich Micheelsen (1902-73)
Präludium D-Dur
aus dem "Holsteinischen Orgelbüchlein" op. 32

Choralfantasie "Erschienen ist der herrlich Tag"

William Mathias (1934-92)
"Processional" für Orgel

Charles Callahan (geb. 1951)
AN EASTER SUITE für Orgel
1. Procession
2. An Easter Meditation
3. Toccata


Nach dem dreiteiligen Bach-Stück über den alten Osterchoral "Christ ist erstanden" war die Variationenfolge seines (mir bis dato ziemlich unbekannten) Zeitgenossen Gronau über den gleichen Choral eine passende Ergänzung.

Das folgende Präludium vom Norddeutschen Hans Friedrich Micheelsen fand ich sehr originell - moderne kompositorische Elemente (Harmonien, Rhythmen, etc.) waren zwar vorhanden, vermischten sich aber gut mit traditioneller gehaltenen Abschnitten, wie z. B. einer Fuge gegen Ende dieses mehrteiligen Stücks, das sich von seiner Gesamtanlage her ganz in die Tradition der norddeutschen Barockschule à la Buxtehude & Co. stellte (und auch sicher als Hommage an diese großen Orgelmeister gedacht war)! Sehr gelungen - da könnte man mehr von vertragen!

Die zu Gehör gebrachten Kompositionen des Briten Mathias und des US-Amerikaners Callahan standen in bester angloamerikanischer Orgelmusiktradition: Ausgesprochen gut anhörbar, wirkungsvolle Gesamtanlage, moderne Elemente geschickt integrierend!

Mathias' Processional und Callahans Easter Meditation (mit der unmittelbar daran anschließenden Toccata) gefielen mir hierbei spontan am besten!

Eine sehr gelungene Programmzusammenstellung, bei der es heute wirklich mal wieder viel Interessantes zu entdecken gab!

Mittwoch, 4. April 2012

Musik zur Passionszeit (II)


Und wieder einmal ist die Karwoche da…

Absolute „Hochsaison“ für Klassik- und natürlich ganz besonders Chormusikfreunde, sich mit einer (oder gleich mehrerer) der zahlreichen Passionsmusiken zu beschäftigen, die das Füllhorn der Musikgeschichte für den geneigten Hörer/ die geneigte Hörerin so bereithält!

Auch wenn für mich persönlich (und so wird es vermutlich noch vielen anderen Musikfreunden gehen) trotz der mannigfaltigen „Konkurrenz“ die beiden Bach’schen Passionen die schönsten, tiefempfundensten und musikalisch gehaltsvollsten Vertonungen der Musikgeschichte sind (analog hierzu gilt dasselbe auch für das Weihnachtsoratorium!), ist es doch immer wieder sehr spannend und interessant, sich hier auf Entdeckungsreise zu begeben und zu erleben, wie Bachs Zeitgenossen oder (und das ist fast noch spannender) Komponisten anderer Epochen sich mit der Passionsgeschichte auseinandergesetzt haben, welche Herangehensweise sie gewählt und welche Schwerpunkte sie gesetzt haben.

Nachdem ich hier im vergangenen Jahr ein paar Passionsmusiken aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgestellt habe, möchte ich diesmal vier Werke präsentieren, die schwerpunktmäßig aus dem 19. Jahrhundert stammen.

Dem ist voranzuschicken, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts die bis heute andauernde „Bach-Renaissance“ einsetzte, die sich zunächst nur auf wenige Werke des großen Thomaskantors stützte und dann im Verlauf der Zeit (und Forschungsarbeiten) immer breiter und vielfältiger wurde.
Die Speerspitze dieser so nachhaltigen Wiederentdeckung bildete natürlich die legendäre Aufführung der Matthäuspassion im Jahr 1829 in Berlin durch Felix Mendelssohn (1809-47) – eine wirkliche Pioniertat, deren Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann!

Somit stand eine Passionsmusik am Beginn des „Bach-Revivals“ und auch wenn das Interesse an der Johannespassion zunächst noch etwas geringer war, so begann man auch hier alsbald schon mit „Wiederbelebungsversuchen“ – Robert Schumanns Düsseldorfer Fassung von 1851 ist hier sicher der bedeutendste Meilenstein.

Dass beide erwähnte Wiederaufführungen etliche Änderungen in Bezug auf die Instrumentierung sowie Kürzungen enthielten, versteht sich fast von selber – vom Bewusstsein einer „historisch informierten“ Wiedergabe, wie sie heutzutage (fast) selbstverständlich ist, war man Mitte des 19. Jahrhunderts natürlich noch weit entfernt, aber immerhin spielte man die Bach-Passionen nun nach zum Teil mehr als hundertjähriger Pause wieder!

Interessanterweise sind alle 4 Passionsmusiken, die ich heute hier vorstellen möchte, in Auseinandersetzung mit den beiden Bach-Passionen entstanden, was zeigt, wie groß deren Einfluss schon innerhalb weniger Jahre bereits geworden war.
Beginnen wir mit Carl Loewe (1796-1869), der heutzutage – wenn überhaupt noch – hauptsächlich durch seine zahlreichen Balladenvertonungen (für Singstimme mit Klavierbegleitung) bekannt ist.

Er wirkte 46 Jahre als städtischer Musikdirektor in Stettin und hier entstand im Jahr 1847 auch sein Passions-Oratorium „Das Sühneopfer des neuen Bundes“.

Dieses ca. 90-minütige Oratorium gliedert sich in 3 Teile und umfasst die Passionsgeschichte von der Salbung in Bethanien bis zur Grablegung (wobei unter anderem aber die populäre Episode der Verleugnung durch Petrus fehlt); die Textdichtung von Wilhelm Telschow (1809-72) bezieht hierbei Bibeltexte aller 4 Evangelisten – vor allem Johannes und Matthäus - mit ein (nicht alle Episoden der Passionsgeschichte werden nämlich auch von allen 4 Evangelisten berichtet) und beinhaltet auch Choralstrophen und Psalmverse.

Loewe hatte bereits 1831, also nur 2 Jahre nach Mendelssohns Berliner Aufführung der Matthäuspassion diese auch in Stettin aufgeführt (und im Jahr 1841 offenbar auch noch die Johannespassion).
Somit kann man ihn wohl zu den großen Bach-Enthusiasten seiner Zeit rechnen und die Komposition seiner eigenen Passionsmusik steht somit natürlich unter dem Eindruck der beiden Bach-Werke.

Die Besetzung von Loewes Passions-Oratorium ist nicht sehr aufwendig – vier Solisten (Sopran, Alt, Tenor, Bass) und einem gemischten Chor wird ein reines Streichorchester sowie eine Orgel (die hauptsächlich in den Rezitativen Verwendung findet) zur Seite gestellt.

Anders als bei Bach gibt es in Das Sühneopfer des neuen Bundes keine festgelegte Stimme, die die Rolle des Evangelisten übernimmt (in der Regel ein Tenor) – alle Solostimmen tragen abwechselnd die Evangelientexte vor, die Christusworte werden hingegen der Tradition entsprechend auch in diesem Oratorium von einem Bariton (bzw. Bass) übernommen.

Wo es die Handlung erlaubt, gestaltet Loewe die Komposition auch dramatisch aus. Mich erinnerte der Chor der herannahenden Wachen, die Christus im Garten Gethsemane festnehmen wollen, z. B. ein wenig an die entsprechende Szene in Beethovens Oratorium Christus am Ölberge op. 85 aus dem Jahr 1803, in dem Beethoven zum Teil recht opernhaft vorgeht. Eventuell hat sich Loewe hier auch von diesem Werk inspirieren lassen.

Chorstellen wie „Ans Kreuz mit ihm“ oder „Der du den Tempel Gottes zerbrichst“ könnten hingegen ohne Weiteres auch von Bach selber stammen.

Der warme und intensive Klang des begleitenden Streicherensembles verleiht dem Ganzen eine eindringliche und intensive Atmosphäre und trägt durchaus zum positiven Gesamteindruck dieses Werkes bei. Zusätzliche Stimmen für Blasinstrumente, die die Streicherstimmen lediglich verdoppeln, wurden für eine spätere Fassung des Werkes hinzugefügt – eine Version, die jedoch musikalisch nichts Neues zu bieten hat und den besonderen Klangcharakter des reinen Streicherensembles verwässert.

Ich habe mir die im Jahr 2006 bei NAXOS erschienene Aufnahme dieses Oratoriums angehört. Es handelt sich hierbei um eine Live-Aufnahme aus dem August 2003:
Nathalie Gaudefroy (Sopran)
Christianne Stotijn (Alt)
Jacky da Cunha (Tenor)
Henk Neven und Edwin Crossley-Mercer (Bass)
Ensemble Vocal et Instrumental des Heures Romantiques
Leitung: Udo Reinemann


Es ist schade, dass es von diesem wirklich gelungenen Oratorium kaum greifbare Einspielungen gibt. Die NAXOS-Aufnahme ist immerhin preisgünstig zu erwerben und kann durchaus als gelungen bezeichnet werden – man bekommt einen guten Eindruck von diesem selten zu hörenden Werk!
Allerdings stören mehrfach die typischen Geräusche eines Live-Mitschnitts das Hörvergnügen, außerdem klingt der Chor an manchen Stellen etwas schrill (vor allem die Frauenstimmen!) und hat gelegentlich ein paar Koordinationsschwierigkeiten (z. B. in der Fuge im Schlusschor).
Der Tatsache, dass (bis auf den Dirigenten) ausnahmslos Nicht-Muttersprachler am Werk sind, sind einige kleinere Textunverständlichkeiten beim Chor wie bei den Solisten geschuldet, die aber nicht wirklich ins Gewicht fallen.
Insgesamt muss man feststellen, dass es schon ausgesprochen merkwürdig ist, dass die einzige derzeit verfügbare Aufnahme dieses Werks in Frankreich entstanden ist, was, wie ich finde, eine wirklich beachtliche und lobenswerte Leistung darstellt! Offenbar hat sich in Deutschland niemand finden können (oder wollen), der mit einem hiesigen Ensemble dieses Passions-Oratorium einmal einspielen wollte?!? Nun, was nicht ist, kann ja noch werden! Und mit der NAXOS-Aufnahme kann ich insgesamt gut leben!

Den österreichischen Komponisten Heinrich von Herzogenberg (1843-1900), der allerdings hauptsächlich in Leipzig und dann in Berlin tätig war, kann man ebenfalls als großen Bach-Verehrer bezeichnen.
Während seiner Leipziger Zeit gehörte er 1874 zu den Mitbegründern des Bach-Vereins und war in diesem Zusammenhang auch mit dem berühmten Bachforscher Philipp Spitta (1841-94) befreundet. Dessen Bruder, der Theologe Friedrich Spitta (1852-1924), der ab 1887 als Theologieprofessor in Straßburg wirkte, hatte Herzogenberg um die Komposition einer Passionsmusik für die elsässische Metropole gebeten (im Jahr 1894 hatte man zusammen bereits das Weihnachtsoratorium Die Geburt Christi realisiert).
Wichtige Voraussetzung für diese Komposition sollte die Berücksichtigung möglichst einfacher Anforderungen in puncto Besetzung und technischer Schwierigkeiten sein (die musikalischen Verhältnisse vor Ort waren wohl ausgesprochen bescheiden…).

So kam es, dass der Katholik von Herzogenberg in den Jahren 1895 bis 1896 eine evangelische Passionsmusik komponierte: Die Passion op. 93 („Kirchenoratorium für Gründonnerstag und Karfreitag“) – ein zweiteiliges, in Gänze etwas über 2 Stunden dauerndes Werk, das aber auch in zwei einzelnen Teilen an den liturgisch vorgesehenen beiden Tagen aufgeführt werden kann.

Am 22. März 1896 fand dann auch zunächst die Uraufführung des ersten Teils unter der Leitung von Friedrich Spitta in Straßburg statt, bevor von Herzogenberg das komplette Oratorium am 3. April 1897 in Berlin aus der Taufe hob.

Wie schon für das Weihnachtsoratorium lieferte Friedrich Spitta auch für die Passionsmusik das Textbuch. Er wählte hierbei vorrangig Textstellen aus dem Johannesevangelium (die eigentliche Abendmahlszene stammt aus Matthäus) und verschiedenen Bußpsalmen aus. Da es für den Gründonnerstag einen eigenen Teil gibt, fällt der Abendmahlsteil in diesem Oratorium ungewöhnlich ausführlich aus – so findet die sonst eigentlich fast nie vorzufindende Fußwaschung Berücksichtigung sowie einige der abschließenden Reden Jesu, die im Johannesevangelium unmittelbar vor der Gefangennahme im Garten Gethsemane stehen. Im Karfreitagsteil fehlen unter anderem die Episoden mit der Verleugnung des Petrus und die Grablegung – das Werk endet relativ abrupt mit dem Kreuzestod Jesu.

Gerade aufgrund des erwähnten ersten Teils fällt der Christus-Part in diesem Werk recht umfangreich aus und der Sänger dieser Partie muss wirklich ein gut ausgebildeter Künstler sein, um die expressiven Gesänge, die Herzogenberg für seinen Christus vorsieht (hier wiederum traditionell ein Bariton), entsprechend bewältigen und transportieren zu können. Auch der Part des Evangelisten (der Tradition folgend ein Tenor) ist ähnlich umfangreich und ausdrucksstark.

Die übrigen Anforderungen gerade an die Sänger, 4 Solisten (Sopran, Alt, Tenor und Bass) und den Chor, sind tatsächlich – der gestellten Aufgabe entsprechend – gut zu bewältigen. So fehlen größere Solo-Arien fast ganz, dafür ist der Chorpart entsprechend umfangreich, das Ganze ist eigentlich ein Fest für jeden Konzertchor! Umso erstaunlicher, dass das Werk fast nie aufgeführt wird…

Das Orchester beschränkt sich – wie bei Loewe – auf ein reines Streichorchester, die Choräle werden von der Orgel begleitet, in den Rezitativen kommt außerdem ein Harmonium zum Einsatz – ein Ende des 19. Jahrhunderts ja ausgesprochen weit verbreitetes und populäres Instrument.

Ein besonderes Charakteristikum dieser Komposition ist übrigens auch die Einbeziehung der zuhörenden Gemeinde in den gemeinschaftlich gesungenen Chorälen. Möglicherweise ist dies seinerzeit ja auch bei Bach sowohl in seinen Passionen wie auch in den sonntäglichen Kantaten so vorgesehen und praktiziert worden.

Es gibt auch einige Stellen, in denen Herzogenberg sich eindeutig an barocken Vorbildern orientiert hat – zum Beispiel im Chor „O große Lieb“ im 2. Teil. Im Gegensatz zu Bach fasst er sich hingegen in den sogenannten Turba-Chören (also immer dann, wenn die Volksmenge in der Bibelerzählung etwas von sich gibt) ausgesprochen kurz. Nichtsdestotrotz sind aber auch diese so kurzen Choreinwürfe ausgesprochen markant und verfehlen ihre Wirkung nicht.

Als musikalisches Fundament der ausdrucksstarken Rezitative (die wiederum eindeutig eher der Romantik als der Barockzeit zuzuordnen sind) verwendet Herzogenberg 2 Choralmelodien, die er stets neu variiert oder nur in Teilen zitiert: Für den Gründonnerstagsteil hat er sich den Choral „Schmücke dich, o liebe Seele“ ausgesucht, der traditionell als „Abendmahlschoral“ gilt.
Für den Karfreitagsteil zieht Herzogenberg den Passionsklassiker schlechthin heran: „O Haupt voll Blut und Wunden“ – gerade weil diese Melodie so besonders bekannt ist, kann man beim Anhören der Rezitative sehr gut nachvollziehen, wann und wie Herzogenberg Teile daraus verwendet. Eine wirklich ausgesprochen gelungene Idee, hier quasi einen musikalischen "roten Faden" einzufügen! Beide Choräle werden übrigens auch als solche im Verlauf des Oratoriums angestimmt und tauchen somit nicht nur als Zitat auf.

Auch für dieses Werk ist die verfügbare Diskographie nicht gerade üppig. Ich kenne nur die Aufnahme von 1997, die im Jahr 2007 beim Label ET’CETERA erschienen ist:
Ivan Goossens (Evangelist; Tenor)
Jan van der Crabben (Christus; Bariton)
Greetje Anthoni (Sopran)
Lieve Maartens (Alt)
Jan van Elsacker (Tenor)
Dirk Snellings (Bass)
Joris Verdin (Harmonium & Orgel)
Chor und Orchester von Ex Tempore
Leitung: Florian Heyerick


Nach der französischen Loewe- nun eine offenbar belgische Herzogenberg-Produktion. Keine Ahnung, warum man hierzulande solche Aufnahmeprojekte nicht auf die Beine zu stellen vermag…?
Aber auch den belgischen Nachbarn gebührt für die Einspielung höchstes Lob – nicht nur für das Schließen einer echten Repertoirelücke!
Die Aussprache fast aller Beteiligter ist wirklich mustergültig und die sehr engagierten, ausdrucksstark und dennoch stimmschön agierenden Herren Goossens und v. d. Crabben lassen wirklich kaum Wünsche offen.

Der Schlusschoral des 1. Teils „Mein Lebetage will ich dich aus meinem Sinn nicht lassen“ wird überraschenderweise nicht gesungen, sondern ausschließlich von der Orgel gespielt. Möglicherweise wollte man diesem Instrument (laut Booklet hat man intensiv nach einer zeitgenössischen Orgel gesucht und wurde schließlich in Wuppertal in Gestalt einer Sauer-Orgel aus dem Jahr 1894 fündig!) auf diese Weise auch einen etwas ausführlicheren Soloauftritt zubilligen.

Als großer Freund klassischer Musik von den britischen Inseln möchte ich die Gelegenheit nutzen, nun noch 2 Passionsmusiken von dort vorzustellen:
Herzogenbergs Zeitgenosse John Stainer (1840-1901), Organist an St. Paul’s Cathedral und Professor in Oxford, komponierte im Jahr 1887 das in London uraufgeführte Oratorium The Crucifixion („A Meditation on the Sacred Passion of the Holy Redeemer“).

Diese aus 20 Sätzen bestehende, etwas über eine Stunde dauernde „Meditation“ ist durchaus angelehnt an die Tradition lutherischer Passionsmusiken, der Geistliche W. J. Sparrow-Simpson (1859-1952) verfasste das Libretto.
Das Werk besteht aus einer Mischung aus erzählenden Teilen (unter Verwendung von Bibelversen aller 4 Evangelisten wird die Passionsgeschichte von Gethsemane bis zum Kreuzestod aufgerollt, dem Werktitel entsprechend liegt der Schwerpunkt aber eindeutig auf der eigentlichen Kreuzigungsszene, während die Szenen mit Pilatus und die Leiden Christi nur kurz abgehandelt werden), einigen wenigen betrachtenden Solo- und Chornummern und mehreren „Hymns“, also in bester anglikanischer Kirchenmusiktradition stehenden mehrstrophigen Chorliedern.

Letztere können als Stainers ganz besondere Spezialität bezeichnet werden – er hat zeitlebens eine ganze Reihe solcher Hymns komponiert und hatte ein quasi naturgegebenes Talent, hier fast durchgängig den richtigen, eingängig-liedhaften Tonfall zu treffen, der einen guten Choral ausmacht. So ließ er es sich natürlich nicht nehmen, sämtliche Choräle für The Crucifixion neu zu komponieren, von denen einige auch prompt zu Klassikern der anglikanischen Kirchenmusik avancierten und Eingang in die Gesangbücher fanden!

The Crucifixion wurde bewusst für eine möglichst einfache Realisierung komponiert, die es auch Laienensembles in der Provinz ermöglichen sollte, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln eine schöne und gehaltvolle Passionsmusik aufführen zu können. Die Besetzung mit nur je einem Tenor- und Bass-Solisten, gemischtem Chor und der Orgel als einzigem Begleitinstrument kommt dieser gewünschten einfachen Realisierbarkeit natürlich sehr entgegen.

Auch in England mit seiner großen Oratorientradition hatte zu dieser Zeit die Auseinandersetzung mit Bachs Passionen begonnen (vor allem unter Sir Joseph Barnby [1838-96] in London in den 1870er Jahren) und man kann Stainers durch und durch anglikanische „Volkspassion“ als dessen persönliche Antwort auf diese kunst- und anspruchsvollen Barockkompositionen sehen, wobei der von ihm gewählte musikalische Tonfall auch durch Mendelssohn geprägt ist, der ja auch ein großer Bach-Verehrer war und dessen Musik (und hier nicht zuletzt seine Oratorien Paulus und Elias) in England ja ausgesprochen populär war und nach wie vor ist.

Die Bezeichnung als „Meditation“ ist dabei von großer Bedeutung: Stainer vermeidet die dramatischen Aspekte der Passionsgeschichte weitgehend und transportiert hauptsächlich eine ruhig-betrachtende Atmosphäre.
Es gibt auch hier wie bei Loewe keine feste Rollenverteilung in den erzählenden Teilen; so werden zum Beispiel einige der Christusworte auch vom Chor übernommen.
Das Werk war – trotz einiger harter Kritikerurteile – ausgesprochen beliebt und fand die vom Komponisten erhoffte und beabsichtigte weite Verbreitung.
Einer der beliebtesten Chorsätze des Werks (ich persönlich finde ihn auch am schönsten) war und ist der a-cappella-Satz „God so loved the world“ - die Vertonung von „Also hat Gott die Welt geliebt“ aus dem Johannesevangelium – ein sehr eindringlicher Gesang, perfekt gesetzt, an Mendelssohn gemahnend und definitiv ein Höhepunkt der ganzen Komposition!

Aufgrund der Popularität dieses Werks in England gibt es von The Crucifixion ein paar mehr Einspielungen als von den bisher vorgestellten Passionsmusiken.
Ich habe mir die 2005 erschienene Aufnahme bei NAXOS zu Gemüte geführt (die Aufnahme entstand im Juni 2004):
James Gilchrist (Tenor)
Simon Bailey (Bass)
Choir of Clare College, Cambridge
Stephen Farr (Orgel)
Leitung: Timothy Brown


Eine, wie ich finde, rundum gelungene Aufnahme - gerade wegen der für diese Komposition so charakteristischen „anglikanischen Klangwelt“ ist man hier mit einem britischen Chor, der in diesem Metier zuhause ist, wohl am besten aufgehoben. Solisten, Orgel und das gesamte Klangbild sind ebenfalls nicht zu beanstanden.

Zu guter Letzt nun noch eine Komposition aus dem Jahr 1920:
Die St Mark Passion („The Passion of our Lord according to St Mark“) des Iren Charles Wood (1866-1926), der den größten Teil seines Lebens lehrend wie musizierend in Cambridge zugebracht hat.

Auch Wood leistete einen großen Beitrag für die anglikanische Kirchenmusik – die St Mark Passion stellt nur einen kleinen Teil dessen dar, was Wood über die Jahre an geistlicher Musik komponierte.
Die ca. einstündige Passion entstand 1920 und wurde am Karfreitag 1921 in Cambridge uraufgeführt.

Diese Komposition entstand, weil man zum einen die in England mittlerweile ebenfalls recht bekannt gewordenen Bach-Passionen als zu gewaltig und umfangreich für einen normalen Laienchor empfand (ich gehe mal davon aus, dass man die Bachwerke dort im Gegensatz zu heute auf Englisch sang - singbare englische Übersetzungen der Passionen wie des Weihnachtsoratoriums habe ich jedenfalls schon mal gesehen) und zum anderen einen Ersatz - oder zumindest eine Alternative - für die nach wie vor sehr weitverbreitete und beliebte (aber eben auch nicht unumstrittene) Crucifixion von John Stainer haben wollte.

Die St Mark Passion gliedert sich in 5 Evangeliumsteile, in denen die Passionsgeschichte erzählt wird, die von insgesamt 6 „Hymns“ gerahmt werden – zumindest zur Zeit der Entstehung der Komposition handelt es sich hierbei um bekannte englische Kirchenlieder (somit findet sich auch hier wieder dieses bekannte, so ja auch von Bach verwendete Choral-Element).

Es ist hervorzuheben, dass in dieser Passionsmusik tatsächlich konsequent der Evangeliumstext nach Markus vorgetragen wird (allerdings unter Auslassung einiger Verse im Verlauf des Passionsberichts, der hier vom Abendmahl bis zum Kreuzestod reicht, die Grablegung also wiederum auslässt) – die meisten anderen Werke (auch die in diesem Beitrag vorgestellten) bedienten sich ja aus allen 4 Evangelien bzw. verwendeten neu getextete Passionserzählungen. Für eine englischsprachige Passionsmusik stellt diese Tatsache offenbar eine Besonderheit dar – ich habe allerdings nicht herausfinden können, ob die St Mark Passion die erste (oder bislang sogar einzige?) englischsprachige Passionsmusik ist, die sich konsequent an den Text nur eines der 4 Evangelisten hält.

Der Tenor übernimmt in der St Mark Passion zwar mitunter traditionell die Rolle des Evangelisten, die Rollenverteilung ist aber nicht ganz so streng, denn der Chor löst den Tenor häufig ab und übernimmt dann selber die Erzählung der Passionsgeschichte. Hierbei herrscht dann dieser für anglikanische Chormusik so typische, meist einstimmige (wohlgemerkt aber nicht eintönige) Deklamationsstil vor, den man zum Beispiel auch in Psalmvertonungen vorfindet.

Während der gesamten St Mark Passion wechseln sich a-cappella-Abschnitte mit orgelbegleiteten Teilen ab.

Die von Charles Wood vorgesehene Besetzung mit 4 Solostimmen, Chor und Orgel ist ebenfalls eine sehr praxisbezogene und ermöglicht so – wie Stainers Crucifixion - Aufführungen mit den in fast jeder Kirche gegebenen Möglichkeiten.

Woods Affinität zur Tradition der anglikanischen Kirchenmusik ist zwar unüberhörbar, er lässt in seine Komposition aber durchaus auch „modernere“ Harmonien aus der Zeit der Spätromantik mit einfließen und auch klassischer Kontrapunkt in bester Bach-Tradition findet Verwendung.

Ich habe mich mit zwei Aufnahmen dieses Werks beschäftigt:

Die 1993 als „Weltersteinspielung“ betitelte Aufnahme des Labels ASV
William Kendall (Evangelist; Tenor)
Peter Harvey (Christus; Bariton)
Paul Robinson (Judas, Petrus, etc.; Bass)
Kwamé Ryan (Pilatus, Bass)
The Choir of Gonville & Caius College, Cambridge
Richard Hill (Orgel)
Leitung: Geoffrey Webber


Außerdem die im Jahr 2008 entstandene und bei NAXOS erschienene Aufnahme mit folgenden Interpreten:
Simon Wall (Evangelist; Tenor)
James Birchall (Christus; Bariton)
Edward Grint (Judas, Pilatus, etc.; Bass)
Ruth Jenkins (Sopran)
The Choir of Jesus College, Cambridge
Jonathan Vaughn (Orgel)
Leitung: Daniel Hyde


Zunächst muss ich sagen, dass ich es lobenswert und auch traditionsbewusst finde, dass sich Ensembles aus Woods langjähriger Wirkungsstätte Cambridge offenbar nach wie vor mit der Pflege von dessen musikalischem Erbe beschäftigen – aber wo, wenn nicht in Cambridge, legt man noch Wert auf Traditionspflege? *grins*

Die neuere Aufnahme mit dem Chor des Jesus College gefällt mir im Vergleich dann aber doch besser – der Klang ist hier einfach präsenter und Simon Wall als Evangelist überzeugt mich allein schon von seiner Stimmfarbe her etwas mehr. Aber auch die ältere Aufnahme, die immerhin den Rang einer „Weltersteinspielung“ für sich verbuchen kann, kann sich durchaus hören lassen.

Fazit:
Ich war überrascht, dass alle der hier vorgestellten Passionsmusiken als gemeinsame Parallelen eine mehr oder weniger deutliche künstlerische Auseinandersetzung mit den Bach-Passionen aufweisen – offenbar kam man bereits im 19. Jahrhundert, als die Bach-Renaissance ja noch ganz in den Anfängen steckte, nicht um diese beiden „Passions-Titanen“ herum und hatte sich entweder bei der Konzeption an ihnen zu orientieren (was sich dann meistens in Form einer Art Bach-Hommage niederschlug) oder sich bewusst von ihnen abzugrenzen.
Außerdem fand ich die mehrfach auftauchende Aufgabenstellung, aufführungstechnisch möglichst einfach zu realisierende Passionsmusiken zu komponieren, sehr interessant. Die gefundenen Lösungsansätze überzeugen durchaus – „einfach“ muss eben nicht immer direkt „belanglos“ bedeuten!
Von den vier hier vorgestellten Werken gefiel mir spontan Woods St Mark Passion am besten, allerdings dicht gefolgt von Herzogenbergs und auch Carl Loewes Passionen. Stainers Crucifixion mit ihrem eher betrachtend-meditativen Ansatz fand ich zwar auch nicht schlecht, aber ein bisschen Dramatik gehört für mich zu einer Passionsvertonung eben auch dazu, da das Ganze sonst leicht etwas eintönig zu werden droht!

Ich wünsche einen besinnlichen Karfreitag und schöne Osterfeiertage!

Montag, 2. April 2012

Kein Aprilscherz!

Vergangenen Samstag habe ich ein Päckchen bekommen, mit dem ich nun wirklich nicht gerechnet hätte:

Auf einem Briefbogen der Deutschen Grammophon teilte man mir mit, dass ich zu den Gewinnern des Gewinnspiels "Selected Classics 2011" gehöre und ich ein CD-Paket im Gesamtwert von 100 Euro gewonnen habe!
Natürlich war meine Freude groß - fast noch größer allerdings die Überraschung, überhaupt zu den Gewinnern zu gehören, denn ich kann mich beim besten Willen nicht (mehr) erinnern, an einem derartigen Gewinnspiel teilgenommen zu haben...
Wenn ich wenigstens wüsste, wann dieses Gewinnspiel stattgefunden hat? Kann gut sein, dass ich da irgendwann mal online irgendwas angeklickt habe - ich glaube, ich werde alt...
Naja, besser so ein unerwartet-erfreulicher Gewinn als wenn ich in der Folge umgehemmten Rumklickens im Netz am Ende noch irgendeine Waschmaschine oder einen neuen superdeluxe Handytarif geordert hätte - sowas kann ja schnell ziemlich teuer und unangenehm werden.

Jedenfalls hat sich die Deutsche Grammophon nicht lumpen lassen und in ihr Päckchen eine kleine Auswahl neuer und etwas älterer Aufnahmen ihres Hauses gelegt:

- Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis spielen die drei Violinsonaten von Johannes Brahms;
- 4 Violinsonaten von Mozart aus dem Anfang der 1990er Jahre entstandenen Zyklus mit Itzhak Perlman und Daniel Barenboim;
- ein Querschnitt der Zauberflöten-Aufnahme, die im Jahr 2006 mit dem Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von Claudio Abbado eingespielt wurde;
- Rolando Villazóns Album "Mexico!" aus dem Jahr 2010 und
- die DVD des Neujahrskonzerts 2007 mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Zubin Mehta.

Da kann man nichts sagen, oder?
Wie heißt es so schön: Dem geschenkten Gaul... :-)

Daher auf diesem Wege vielen Dank an das allen Klassikfreunden wohlbekannte und spendable Gelb-Label!