Donnerstag, 31. März 2011

KLASSIKers Lieblingsstücke (IV): Beethoven - Violinkonzert op. 61

Beethovens im Jahr 1806 uraufgeführtes Violinkonzert D-Dur op. 61 dürfte zweifellos das bedeutendste Violinkonzert aus der Epoche der Wiener Klassik sein.

Für mich persönlich handelt es sich bei diesem Werk jedenfalls um mein Lieblings-Violinkonzert - was durchaus auch darauf zurückzuführen sein mag, dass es das erste Violinkonzert überhaupt war, mit dem ich bereits als Kind konfrontiert wurde: Im Plattenschrank daheim befand und befindet sich sicher immer noch eine Aufnahme, bei der mich zunächst einmal das Cover neugierig machte - ein wahrscheinlich aus dem 19. Jahrhundert stammendes Gemälde, das einen jungen Mann zeigte, der, seine Geige in der Hand haltend, auf dem Fensterbrett eines geöffneten Fensters sitzt und gedankenverloren-sehnsuchtsvoll nach draußen in eine sonnendurchflutete Sommerlandschaft blickt.
Meine Neugier war jedenfalls geweckt (wobei mich hier mal wieder interessieren würde, ob schon einmal jemand untersucht hat, welche Wirkungen verschieden gestaltete Plattencover auf Betrachter und potentielle Hörer haben…), zu dem damaligen Zeitpunkt kannte ich von Beethoven lediglich die 5. und 6. Symphonie - ich habe sein wunderbares Violinkonzert daraufhin dann in kürzester Zeit sehr ins Herz geschlossen!

Vor allem der umfangreiche erste Satz, der von seiner Länge her in der Regel sogar den zweiten und dritten Satz zusammengenommen übertrifft, hat es mir sehr angetan!
Dieser Satz mit seinem ausgesprochen symphonischen Charakter, in dem das Soloinstrument und das Orchester gemeinsam zur musikalischen Entwicklung beitragen und das Orchester nicht bloß als schmückendes Beiwerk dient, um den Solisten möglichst glanzvoll dastehen zu lassen, entspricht für mich in Reinform den ästhetischen Prinzipien der Wiener Klassik, die unter anderem Werte wie Ausgewogenheit und Ebenmaß propagieren.
Als Gegensatz zu einem solchen Entwurf steht das sogenannte "Virtuosenkonzert", wie es im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts vielfach gang und gäbe werden sollte: Der - meist auch noch reich besetzte - Orchesterpart dient lediglich als grandioses Entree zu Beginn des Konzerts und wird in der Folge zur profanen Begleitung des Soloinstruments reduziert, während der Solist Gelegenheit bekommt, mit allen nur erdenklichen Mätzchen und Kunststückchen auf seinem Instrument zu brillieren und seine Zuhörerschaft in Erstaunen zu versetzen. Man höre sich zum Vergleich mit Beethovens Konzert beispielsweise nur einmal ein Violinkonzert von Paganini an - auch schön (und sehr effektvoll), aber eben unter ganz anderen ästhetischen Maßstäben komponiert.

Nicht, dass der Violinpart von Beethovens Konzert nicht anspruchsvoll wäre (wenn ich mich recht erinnere, hat man ihn eine Zeit lang sogar als "unspielbar" bezeichnet) - im Gegenteil: Die Geigenstimme bewegt sich über weite Strecken in großer Höhe, der Solist muss in der Lage sein, weite Melodiebögen zu gestalten, ohne die Spannung zu verlieren und das Ganze in einzelne Episoden zerfallen zu lassen. So gesehen besteht die Herausforderung an den Solisten/ die Solistin bei Beethoven eben nicht nur in der absoluten technischen Beherrschung des Instruments sondern darüber hinaus vor allem auch noch in der Fähigkeit, mit dem Blick auf das ganze Konzert einen ausgeprägten künstlerischen Gestaltungswillen (und die Fähigkeit, dies auch umsetzen zu können) an den Tag zu legen.
Kein Wunder also, dass viele der eher wie Zirkusartisten getrimmten Solisten vor allem des 19. Jahrhunderts mit einem Konzert wie diesem nichts anfangen konnten…! Der "Show-" und "Glamourfaktor" war hier ja auch viel zu gering - das mag albern klingen, scheint aber, nach allem, was ich so gelesen habe, gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für den Erfolg und die Beliebtheit von Solokonzerten eine ziemlich entscheidende Rolle gespielt zu haben.
Die Aufnahme, die ich seinerzeit im Plattenschrank gefunden habe, ist übrigens bis heute meine liebste Einspielung des Beethoven-Violinkonzerts geblieben - es gibt sie natürlich auch auf CD:

Es handelt sich um die 1962 erstmalig erschienene Aufnahme mit Wolfgang Schneiderhan als Solist und den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Eugen Jochum.

Wolfgang Schneiderhan (von dem ich auch seine Einspielungen der fünf Mozart-Violinkonzerte sehr empfehlen kann!) spielt seinen Part wie mühelos mit einem schwerelos wirkenden, leichten und zarten Ton - die Violinstimme schwebt quasi wie ein singender Vogel über einer sonnendurchfluteten Orchesterlandschaft, wenn ich mal ein solches Bild bemühen darf, um diese ganz besondere Stimmung zu beschreiben, die diese Aufnahme in mir auslöst.

Da Beethovens Violinkonzert noch aus einer Epoche stammt, in der die Komponisten die Solo-Kadenzen in ihren Konzerten in der Regel noch dem guten Geschmack und dem improvisatorischen Können der ausführenden Solisten überließen (Voraussetzungen, die wohl nicht immer gegeben waren, was dazu führte, dass die Komponisten nach und nach dazu übergingen, Solo-Kadenzen direkt in ihre Kompositionen als verbindlichen Bestandteil zu integrieren), ist es beim Anhören einer Aufnahme natürlich immer spannend, zu erleben, für welche Kadenz sich der Solist oder die Solistin entschieden hat, denn natürlich haben im Lauf der Zeit einige berühmte Solisten und Komponistenkollegen ihre eigenen Vorschläge und Ideen für die Kadenzen im ersten und dritten Satz des Beethoven-Konzerts aufgeschrieben und man kann heute aus den unterschiedlichsten Versionen auswählen (vom Ludwig selber gibt es hierzu leider - im Gegensatz zu seinen Klavierkonzerten - keinen eigenen Beitrag!).
Seit vielen Jahrzehnten erfreuen sich besonders die Kadenzen von Joseph Joachim (1831-1907) und Fritz Kreisler (1875-1962) bei den verschiedensten Solisten weltweit großer Beliebtheit.

Wolfgang Schneiderhan wählte für seine Einspielung einen ungewöhnlichen Ansatz: Von dem D-Dur-Violinkonzert existiert nämlich eine ebenfalls in D-Dur stehende Fassung für Klavier und Orchester (op. 61 a), die entweder von Beethoven selber oder evtl. von einem seiner Schüler stammen könnte. Für das auf diese Weise ganz neu entstandene Klavierkonzert hat Beethoven eine umfangreiche Kadenz für den ersten und dann noch eine für den dritten Satz geschrieben.
Wolfgang Schneiderhan stellte sich nun der Herausforderung, den natürlich mehrstimmigen Klavierpart auf die spieltechnischen Möglichkeiten der Solo-Violine zu reduzieren, ohne dass die musikalische Substanz dieses Parts verloren ging. Ich finde, er hat diese Aufgabe ganz hervorragend gelöst (und damit gleichzeitig eine Kadenz für das Violinkonzert erhalten, die nun doch noch von Beethoven selber stammt)! Ungewöhnlicherweise wählt er sich einen "Dialogpartner" für diese Kadenz: Die Pauke, deren viermalig klopfendes Motiv ja den ganzen ersten Satz entscheidend mitprägt, tritt zur Geigenstimme hinzu - eine interessante Idee. Von den mehr als 24 Minuten, die der erste Satz in dieser Aufnahme für sich beansprucht, entfallen immerhin fast 4 Minuten auf die erwähnte Solo-Kadenz!

Zum Vergleich kann man sich ja auch einmal die wirklich lohnenswerte Klavierversion dieses Konzerts anhören - Daniel Barenboim hat im Jahr 1973 dieses Werk zusammen mit dem English Chamber Orchestra eingespielt.


Ein wirklich extremes Beispiel für eine, sagen wir, etwas fremdkörperartig wirkende Kadenz, ist mit Sicherheit die von Alfred Schnittke (1934-98) verfasste Version, die im Rahmen der Neuaufnahme des Beethoven-Konzerts im Jahr 1981 von Gidon Kremer zusammen mit der Academy of St Martin in the Fields unter der Leitung von Sir Neville Marriner eingespielt wurde.
Zunächst - Solist und Orchesterpart, die Wahl der Tempi - gefallen mir sehr gut! Auch die "Zugabe" auf dieser CD (neben einer der beiden fast schon obligatorischen Violinromanzen Beethovens - hier ist es op. 40) ist originell gewählt:
Eine ebenfalls von Gidon Kremer als Solist dargebotene Aufnahme der Rekonstruktion eines frühen Versuch Beethovens, sich der Gattung des Violinkonzerts anzunähern - der Konzertsatz C-Dur WoO 5. Immerhin eine gute Viertelstunde lang erklingt ein wirklich beeindruckendes (meiner Meinung nach geschickt vervollständigtes) Jugendwerk Beethovens, das man als Freund des Violinkonzerts op. 61 unbedingt auch einmal kennenlernen sollte.

Aber: Als ich die Kadenzen - vor allem natürlich die des ersten Satzes - anhörte, wäre ich ja fast vom Stuhl gefallen! Ich hatte früher die bereits erwähnte Schneiderhan-Klavierkonzert-Pauken-Kadenz schon für "extravagant" im Vergleich mit einer "normalen" Violinkonzert-Kadenz gehalten, aber was Herr Schnittke da zusammenkomponiert hat, sorgte bei mir eigentlich nur noch für eine Mischung aus ungläubigem Kopfschütteln und unfreiwilligen Heiterkeitsanfällen!
Man muss sich ernsthaft fragen, ob das eigentlich wirklich ernst gemeint gewesen ist oder das Ganze von vornherein eine Parodie darstellen sollte?

Die Idee, mit dem ja eigentlich der Pauke zugeordneten Motiv einzusteigen (damit beginnt ja der 1. Satz), ist ja gar nicht so schlecht, aber wenn die Violinstimme dann irgendwann ausbricht und immer wildere Läufe anstimmt, die stilistisch ihre zeitliche Zugehörigkeit zum 20. Jahrhundert nicht leugnen können, klingt das für mich - jedenfalls im Rahmen eines Beethoven-Konzerts - unfreiwillig (oder absichtlich) komisch.
Gegen Ende dieser Kadenz im 1. Satz (auch sie dauert länger als 4 Minuten) darf dann tatsächlich auch noch die Pauke einstimmen (die Idee ist ja seit Schneiderhan nicht neu), allerdings im Gegensatz zu den eher sachten Paukenschlägen im von Beethoven komponierten Teil des ersten Satzes, darf der Pauker hier derart herzhaft auf die dicke Trumm hauen, dass es eine wahre Freude ist... *grins*

Ich fand die ganze Darbietung äußerst aufschlussreich (ausgelöst durch eine Profilneurose von Herrn Schnittke - oder ein mangelndes Einfühlungsvermögen in Beethovens Tonfall?) und in höchstem Maße unsensibel...
Vermutlich stammt die Kadenz aus einer Zeit (1950er/ 1960er Jahre???), als man es für unter seiner Würde empfand, Kadenzen im Stil einer längst vergangenen Epoche zu schreiben - auch wenn "störenderweise" der Rest des Konzerts aus einer ebensolchen stammen sollte. Dass es so eine provokant-progressive Einstellung unter einigen Komponisten und Musikern gegeben hat, die sich rücksichtslos auch über stilistische Bedenken hinwegsetzten, davon habe ich schon gehört.

Als CD-Käufer hätte ich allerdings einen erläuternden Hinweis zum Komponisten der hier eingespielten Kadenzen auf der erwähnten CD (zumindest in der Tracklist) schon sehr wünschenswert gefunden - leider findet sich hier jedoch nirgendwo ein Kommentar - auch für eine CD im Low-Budget-Preissektor sollte ein solcher kurzer Hinweis jedoch nicht zuviel verlangt sein, finde ich!
Ich habe dieses "Machwerk" gehört und mich gut amüsiert (und mir die Aufnahme ja auch gerade gezielt wegen der hier zu hörenden Schnittke-Kadenzen gekauft!), aber was passiert, wenn ein Neugieriger, der gern mal "irgendwas von Beethoven" hören möchte und dann zufällig zu dieser wirklich preisgünstigen CD greift und völlig unvorbereitet auf diese gewöhnungsbedürftigen Kadenzen trifft?
Entweder, er hält Beethoven ab diesem Zeitpunkt für einen ziemlich modernen Komponisten (aber ist er das nicht eigentlich sowieso?), oder er traut sich nie wieder an ein weiteres Werk des "wilden Bonners" heran... *lach*

Denn eines ist klar - so lustig diese Kadenz auch klingen mag, die Atmosphäre des bis dahin wirklich exzellent musizierten 1. Satzes zerstört sie natürlich völlig - sie passt ungefähr so gut zum Rest der Musik wie eine Dixieland-Kapelle in die Matthäus-Passion. Und das zeugt für mich von wenig Respekt Beethoven gegenüber!

Respekt hingegen für Gidon Kremer, dass er sich überhaupt an eine Neuaufnahme mit diesen ungewöhnlichen Kadenzen gewagt hat!

Man sieht also (um ein Fazit zu ziehen): Ein spannendes Thema und ein umwerfendes Konzert! Beethoven at his best, würde ich mal behaupten!

1 Kommentar:

  1. Volle Zustimmung zu allem, was Sie hier schreiben, sowohl zur Einspielung Schneiderhans als auch zu Kremer und den Schnittke-Kadenzen, die in der Tat das wundervolle Konzert regelrecht zersägen oder wie sie es ausdrücken "zerstören".

    Was vlt. zunächst als PR-Gag gedacht war, hat sich wohl als so hinderlich erwiesen, dass man die Kadenzen auf dem oben erwähnten CD-Cover dezent verschweigt.

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