Dienstag, 26. Januar 2010

Das Phänomen David Garrett



David Garrett gehört zu den aktuellen Klassik-Stars, denen ich sehr zwiespältig gegenüberstehe:

Zum einen freue ich mich natürlich, dass einem (mehr oder weniger) mit klassischer Musik beschäftigten Künstler eine derartig große Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, da ist man als Klassik-Freund ja nicht so sehr verwöhnt, findet normalerweise eine öffentliche Beschäftigung mit klassischen Musikern und Sängern doch eher versteckt "nur" in diversen Feuilletons oder Fachzeitschriften statt. Man bleibt also in der Regel unter sich.
Umso mehr ist man dann immer irritiert, wenn ab und an mal eine Opernsängerin oder ein Pianist derart gehyped wird, dass dieser Name dann tatsächlich so ziemlich jedem ein Begriff ist. Dennoch habe ich das Gefühl, dass gerade im Klassikbereich die Marketingmaschinerie in den letzten Jahren enorm an Fahrt aufgenommen hat: Namen wie Anna Netrebko, Rolando Villazón oder Lang Lang sind hier im Moment die wohl prominentesten Beispiele.

Und dann natürlich - seit spätestens 2007 - eben David Garrett.

Gut finde ich, dass Künstler wie er ein vorwiegend jüngeres Publikum ansprechen und für klassische Musik interessieren zu vermögen. Das hoffe ich jedenfalls.

Problematisch sehe ich in dem Punkt dann aber vor allem den Personenkult, der mit einer solchen Marketingstrategie verbunden ist: Die Fangemeinde akzeptiert klassische Musik nur dann, wenn sie vom verehrten Idol vorgetragen wird und interessiert sich ansonsten überhaupt nicht weiter für Klassik. In solchen Fällen dürfte es dann mit der vielzitierten "Gewinnung neuer Hörerschichten" wohl nicht allzu weit her sein. Es würde mich echt mal interessieren, auf wie viele der "neu gewonnenen" Klassik-Freunde das zutrifft…

Das Hauptproblem habe ich mit der hinter diesem ganzen PR-Zirkus stehenden Philosophie - oder zumindest dem, was ich als solche vermute: Es drängt sich wirklich der Verdacht auf, dass es vor allem um das Aussehen geht. Wenn der- oder diejenige dann auch noch ganz passabel singt oder spielt: Wunderbar!
Ist der- oder diejenige hingegen zwar ein begnadeter Musiker, kommt aber via TV oder Fotos eher nicht so gut rüber (um es mal vorsichtig zu formulieren), dann wird es schon schwierig…
Entweder verläuft die Klassik-Karriere dann - wie die meisten - ausschließlich innerhalb des "heiligen Zirkels" eingeweihter Klassik-Freaks. Oder man setzt auf den "Exoten"-Bonus à la Paul Potts - eine Strategie, die letztendlich aber auch wieder auf das (dann eben nicht so gute) Aussehen abzielt.

Vielleicht reagiert man als Klassik-Fan auf diese im Bereich der Pop- und Rockmusik ja seit Jahrzehnten übliche Vermarktungsstrategie etwas sensibler, weil man sich nicht daran gewöhnen mag, dass Personen (und deren Äußeres) plötzlich wichtiger oder zumindest genauso wichtig sein sollen, wie die Musik, die sie machen. Gerade im Bereich der klassischen Musik sollte diese meiner Meinung nach eben auch alleine im Vordergrund stehen - alles andere lenkt davon doch nur unnötig ab.

Ok - sooo neu ist auch im Klassik-Sektor diese Strategie nicht, aber meist war so was eher die Ausnahme und das Ganze lief auch wesentlich dezenter ab als heutzutage. Ich denke da z. B. an die ja auch nicht gerade unattraktive Anne-Sophie Mutter, mit deren Aussehen ihre Plattenfirma schon in den 1980er Jahren eifrig die Werbetrommel rührte - aber wenn man das mit heutigen Werbestrategien vergleicht…

Auch bei David Garrett (und der ist zugegebenermaßen ja wirklich ein "Leckerchen") werde ich den Verdacht nicht los, dass der ganze Bohei um ihn im Moment nur deshalb stattfindet, weil er perfekt in eine Marktlücke passt: Der attraktive, leicht rebellisch-rockig auftretende Geiger, der mit seinem Charme und seiner unkonventionellen Art die Herzen seiner meist weiblichen Fans (so ab 20 oder 25 Jahren aufwärts?) im Sturm erobert. Gerade für die bekanntermaßen ja sehr begeisterungsfähigen Damen gab es in den letzten Jahren ja eher weniger Musiker aus dem Klassikbereich, die man entsprechend vermarkten konnte. Da wurden ja meist eher die Herren der Schöpfung mit immer neuen "Objekten der Begierde" beglückt: Allen voran natürlich die schon erwähnte Anna Netrebko, aber auch ganze Heerscharen oft blutjunger Geigen-Debütantinnen (vor allem, geht aber natürlich auch mit Cello, Flöte, Klavier, etc.), die sich - ganz unabhängig von ihrem Können - gerne "à la Lolita" ablichten lassen dürfen… Da es hiervon eine ganze Menge zu geben scheint, hört man meist nicht allzu lange von ihnen, weil ja die nächsten "sensationellen" Newcomerinnen (natürlich noch attraktiver als ihre Vorgängerinnen!) schon auf der Lauer liegen, um als nächste verheizt zu werden. Schön, wenn sich dann doch mal die eine oder andere auch aufgrund ihres musikalischen Könnens durchzusetzen vermag und sich dann etwas dauerhafter im Klassikzirkus halten kann…

Naja - ein männlicher Gegenpart hierzu hat jahrelang gefehlt. Und das, wo doch das weibliche Publikum gerade für schwelgerisch-gefühlsbetonte klassische Musik doch viel eher zu begeistern wäre als die stumpfsinnigen Herren der Schöpfung :-)
Diese Lücke füllt David Garrett nun seit ein paar Jahren perfekt! Die Strategie ist voll aufgegangen.

Der bei uns nicht ganz so präsente US-Amerikaner Joshua Bell (Jahrgang 1967) erfüllt diese Rolle des jungenhaften Geigen-Beaus beim (auch hier wohl eher vorwiegend weiblichen) amerikanischen Publikum bereits seit mehr als 20 Jahren sehr erfolgreich und hat das Glück, auch mit mittlerweile mehr als 40 Jahren noch immer wie ein großer Schuljunge auszusehen :-)
















Aber zurück zu David Garrett:
Der 1980 in Aachen geborene Deutsch-Amerikaner hat Mitte der 1990er Jahre mit seinem Wunderkind-Bonus immerhin ein recht aufsehenerregendes Debüt gehabt - und das sogar bei der Deutschen Grammophon als "Hauslabel"!

Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1995

und eine von 1997


Ende der Neunziger wurde es dann aber zusehends ruhiger um ihn (der "Wunderkind-Bonus" hatte sich wohl abgenutzt) und zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte ich den Eindruck, als würde die Deutsche Grammophon eher verzweifelt versuchen, mit dem inzwischen Anfang Zwanzigjährigen irgendwie ein jüngeres Publikum anzusprechen - davon künden so einfallsreiche Plattentitel wie "Pure Classics" (2002) oder "Pure Ecstasy" (2001) *puuuh*
Aber das scheint nicht so richtig gefruchtet zu haben - ich habe "Pure Classics" beispielsweise drei oder vier Jahre später in der "Ramsch-Kiste" beim Kaufhof für 2,99 Euro erstanden…



Ganz ehrlich: Wenn ich mir die Cover dieser CDs so anschaue und an den späteren Imagewechsel Garretts denke, kann ich mir schon vorstellen, dass man auch diese Aufnahmen durchaus erfolgreicher hätte vermarkten können...

Nach einigen Jahren in der Versenkung tauchte der komplett neu durchgestylte David Garrett so ca. ab 2007 plötzlich wieder auf der Bildfläche auf - - und war kaum wiederzuerkennen! Und - welch Überraschung - auf einmal lief die ganze Chose wie geschmiert…
2007


2008


Seine neue Plattenfirma kann sich freuen :-)
Würde mich wirklich interessieren, inwieweit der Künstler selber sein Image und seinen bislang eher nichtssagenden Style geändert hat oder wie groß der Einfluss seines Managements hier war.
Der plötzliche Mega-Erfolg kann sich ja nicht unbedingt auf sein Violinspiel zurückführen lassen. Warum sollte dies jetzt auf einmal so viel besser sein als vor acht oder neun Jahren? Also liegt es wohl zu 99% an einer perfekt aufgegangenen Vermarktungsstrategie, dass Garretts Karriere jetzt so abgeht.

Was ich schade finde ist die Tatsache, dass sich Garrett zur Zeit sehr in die Richtung "seichte Wellness- und Entspannungs-Klassik" bewegt. Als ob es davon nicht schon genug gäbe…!



Seine neueste CD aus dem Jahr 2009 ("Classic Romance" betitelt), die zwar - wie immer wieder betont wurde - ein reines Klassik-Programm enthält und auf die bisher für den "neuen " David Garrett so charakteristisch gewordenen Crossover-Nummern verzichtet, enthält denn auch originellerweise die allbekannten "Zugnummern" aus dem Geigen- und Klassik-Repertoire, wie die unvermeidliche Méditation (aus der Oper "Thais") von Jules Massenet, die Vocalise von Rachmaninoff, Pablo de Sarasates Zigeunerweisen oder Schuberts Ständchen ("Leise flehen meine Lieder") - das ist alles schon sooooo oft aufgenommen worden, dass man sich ehrlich fragen muss, ob die Welt das alles jetzt auch noch in einer Aufnahme von David Garrett gebraucht hat!
Ich will mal hoffen, dass die Entscheidung für das Programm dieser CD "nur" beim geldgierigen Management lag und nicht beim Künstler selber, denn das wäre schade, wenn er jetzt komplett in diese Null-Acht-Fuffzehn-Klassik-Schiene abdriften würde und sich zu einem zweiten André Rieu für Noch-Nicht-Scheintote entwickelt - oh Graus!



Auch der schon erwähnte Ami Joshua Bell "erfreut" sein Publikum in den letzten Jahren bedauerlicherweise auch immer häufiger mit derartigen "Romantik-Klassik-CDs", wo er exakt das gleiche Repertoire dahinschmalzt wie jetzt David Garrett. Joshua Bell muss man immerhin zugute halten, dass er in seiner über zwanzigjährigen Karriere bereits so ziemlich alle großen und wichtigen Violinwerke aufgenommen hat. Da kann man ihm dann solche "Ausflüge" schon eher mal verzeihen.



Ich würde mich wirklich freuen, wenn David Garrett seine neugewonnene Popularität dazu nutzen würde, seinen zahlreichen Fans (und denen, die es werden wollen), auch mal ein seltener zu hörendes Repertoire vorzustellen, das deswegen ja nicht unbedingt schlechter sein muss. Und da gibt es gerade für die Geige unendlich viel spielbares Material aus mehreren Jahrhunderten…

Naja - noch ist nicht aller Tage Abend, vielleicht kommt er ja noch auf den Trichter, weil ihn dieses -zigtausendfach heruntergedudelte Zeug irgendwann nervt - er wird in diesem Jahr ja gerade erst mal 30 Jahre alt :-)

Es bleibt jedenfalls spannend, den Verlauf seiner Karriere weiter zu beobachten.

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