Heute gilt es wieder einmal eines runden Geburtstags zu gedenken, der - leider! - ähnlich wie die runden Jubiläen von Otto Nicolai oder Samuel Barber viel zu sehr im Schatten der in diesem Jahr alles überstrahlenden "Super-Promi-Geburtstage" von Frédéric Chopin und Robert Schumann steht: Heute vor 250 Jahren wurde in Florenz der Komponist Luigi Cherubini geboren. Nur 4 Jahre jünger als Mozart überlebte er diesen seinen Zeitgenossen um ganze 51 (!) Jahre (was einem hierbei auch wieder einmal vor Augen führt, wie tragisch früh Wolfgang Amadé doch aus dem Leben gerissen wurde)!
Cherubini starb hochgeehrt 1842 in Paris, wo er bereits (von einigen kürzeren Unterbrechungen abgesehen) seit Mitte der 1780er Jahre lebte und arbeitete. Hier wurde er 1795 Inspektor am neugegründeten Pariser Konservatorium, dessen Direktor er schließlich von 1822 bis 1842 war.
Bekannt wurde Cherubini zunächst als Komponist italienischer, dann französischsprachiger Opern, er schrieb aber auch mehrere Messen (zum Teil als Auftragsarbeiten des französischen Königshofs) und zahlreiche andere geistliche Werke, eine Symphonie und Kammermusik (hier sind vor allem die 6 Streichquartette und das Streichquintett zu nennen).Cherubini, der einer der angesehensten Musiker seiner Zeit war und von Kollegen wie zum Beispiel Haydn, Beethoven, Mendelssohn, Chopin und Wagner hoch geschätzt, ja verehrt wurde, teilt allerdings auch das undankbare Schicksal nicht weniger zu ihrer Zeit berühmter und allgemein beliebter Komponisten - ihre Musik ist oft bereits wenige Jahre nach ihrem Ableben in die Archive gewandert, wurde danach (komplett oder zumindest in großen Teilen) selten bis gar nicht mehr aufgeführt und ist heute oft nur noch eingefleischten Fans und Spezialisten ein Begriff. Namen wie Salieri, Spontini, Spohr und Meyerbeer fallen mir da spontan ein - um jetzt nur einmal bei Cherubinis Zeitgenossen zu bleiben…
Die Gründe, warum die Musik von Komponisten wie Cherubini seit Jahrzehnten kaum noch gespielt wird, sind vielfältig - wahrscheinlich hätte keiner seiner Zeitgenossen, die Musiker wie ihn so sehr bewunderten, eine solch schmähliche Nichtbeachtung seiner Werke jemals für möglich gehalten…
Meine Theorie zu diesem Phänomen ist die, dass Komponisten wie Cherubini zu ihrer Zeit oft deshalb so erfolgreich waren, weil sie den musikalischen Stil ihrer Epoche perfekt beherrschten und dem Publikum somit stets Werke liefern konnten, die damals der Höhe der Zeit entsprachen und entsprechend schnell äußerst populär wurden - genau wie ihre deshalb von den Zuhörern gefeierten Schöpfer.
Das soll die Lebensleistung dieser Künstler keinesfalls schmälern - aber es zeigt sich in der Folge allzu oft, dass die Werke solcher "modisch versierten" Komponisten genauso schnell in der Versenkung verschwanden, wie sich die Geschmäcker änderten. "Überlebt" haben oft nur die Komponisten, deren Musik zu ihrer Zeit entweder als "unbequem" und "kompliziert" galt und die vom Publikum oft deshalb eigentlich gar nicht so besonders beachtet und geschätzt wurden, eben weil sie ihrer Zeit irgendwie schon etwas voraus waren und sich erst im Nachhinein als wegbereitende Neuerer herausgestellt haben, was natürlich die Masse der Zeitgenossen nicht ahnen konnte und diesen Künstlern oft genug die ihnen eigentlich gebührende Wertschätzung versagt hat.
Tragisch irgendwie, denn umgekehrt haben die zu ihrer Zeit oft überaus populären Komponisten - wie schon erwähnt - diesen Ruhm später mit dem fast kompletten Vergessen "bezahlen" müssen…
Da kann die Musikgeschichte (und nicht nur die!) oft unglaublich grausam und unerbittlich sein - denn es fallen allzu oft auch Komponisten und Musikstücke mit in diesen "Abgrund des Vergessens", die es eigentlich gar nicht verdient hätten. Man merkt das in der heutigen, musikhistorisch ausgesprochen entdeckungsfreudigen Zeit immer wieder, wenn man aktuelles Konzertrepertoire mit dem von vor, sagen wir, 50 oder 100 Jahren vergleicht: Allein die ganze Sparte der Barockmusik hat eine erstaunliche Renaissance erlebt und ist heute so allgegenwärtig im Sektor der klassischen Musik präsent, dass man sich fragt, warum das eigentlich Mitte des 20. Jahrhunderts noch alles andere als selbstverständlich war. So gesehen kann man natürlich auch hoffen, dass die Musik von Komponisten wie Cherubini ihre verdiente Wiederentdeckung erleben wird!
Cherubinis Musik ist eine vielfältige und originelle Mischung aus Einflüssen der (Wiener) Klassik, vor allem Haydns und Mozarts, aber auch des Spätwerks Christoph Willibald Glucks, sowie dann später auch der Musik Beethovens und der Frühromantik. Cherubini nimmt im Laufe seines langen Lebens alle diese Einflüsse in sich auf und verschmilzt sie zu seinem eigenen Stil, der aus all diesen teilweise ja sehr gegensätzlichen Elementen eine Art ausgewogenen Mittelweg darstellt.
Wenn man das Ganze nun etwas ungerecht (weil verkürzt) zuspitzt, kann man seiner Musik vorwerfen, dass sie immer nur äußere Einflüsse aufnimmt und verarbeitet, aber niemals entschieden aus eigenem Antrieb voranschreitet, experimentiert und wirklich Neues wagt - Cherubini ist eben kein Berlioz oder Beethoven. Das erwartet natürlich auch niemand - aber es könnte einer der Gründe sein, warum Cherubini zwar nach wie vor in der Musikgeschichtsschreibung als einflussreiche und bedeutende Musikerpersönlichkeit respektvoll genannt wird, seine Musik aber bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr präsent ist.
(Soviel zu meiner höchsteigenen Theorie zu diesem Umstand!)
Was ist heute von Cherubinis Musik noch besonders präsent:
Da ist vor allem sein heute wohl bekanntestes Werk, das 1816 entstandene Requiem in c-moll, das (nach dem Ende der napoleonischen Ära) anlässlich des Gedenkens an die Hinrichtung des französischen König Ludwig XVI. (1793) uraufgeführt wurde. Ungewöhnlich an dieser Requiem-Vertonung ist die Tatsache, dass sie - im Gegensatz zu den anderen großen Totenmessen der Zeit - allein von Chor und Orchester bestritten wird und komplett auf Solisten verzichtet. Außerdem vermeidet Cherubini allzu plakative Effekte - ihm ist die gut verständliche Textvertonung und die Erzeugung einer durchgängigen, würdevollen Atmosphäre wichtiger. Gerade hier zeigt sich, dass Cherubinis Musik gut mit dem Stilbegriff des Klassizismus beschrieben werden kann: Ausgewogen, durch niveauvolle, gekonnte Selbstbeschränkung zu einem konzentrierten Gesamteindruck gelangend, im Dienst der Sache stehend, äußerliche "Show-Effekte", die nur einem reinen Selbstzweck dienen, ablehnend. In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, was Cherubini wohl zur Musik von Hector Berlioz, speziell zu dessen spektakulärer Requiem-Vertonung, gesagt hätte…
Jedenfalls wurde sein eigenes c-moll-Requiem von den Zeitgenossen sehr geschätzt, teilweise (wie ich gelesen habe) sogar bedeutender als das Mozart-Requiem eingestuft. So erklang Cherubinis c-moll-Requiem unter anderem auch bei Beethovens Totenfeier im Jahr 1827.
Zwanzig Jahre nach der Komposition des c-moll-Requiems komponierte Cherubini im Jahr 1836 (da war er immerhin schon 76 Jahre alt!) ein weiteres Requiem, diesmal in d-moll. Er nahm sich hierbei noch weiter zurück, in dem er nicht nur auf Gesangssolisten verzichtete, sondern statt eines gemischten nun nur noch einen reinen Männerchor einsetzte. Solche freiwillig sich selbst auferlegten Beschränkungen scheinen Cherubini immer wieder ganz besonders herausgefordert zu haben. Das hochkonzentrierte, passagenweise recht ernste d-moll-Requiem (dessen weitgehend dunkle Stimmung durch den reinen Herrenchor noch verstärkt wird) hatte der alte Meister wohl auch für seine eigene Totenfeier vorgesehen, bei der es dann im Jahr 1842 auch erklang.Stets etwas im Schatten des bekannteren c-moll-Requiems stehend, ist das d-moll-Requiem erst im Jahr 1962 in Prag unter der Leitung von Igor Markevitch erstmalig in einer maßstabsetzenden Aufnahme auf Tonträger eingespielt worden.
Anlässlich des Cherubini-Jubiläums in diesem Jahr ist eine schöne Sammelbox bei EMI erschienen, die vor allem die zahlreichen, langjährigen Bemühungen des italienischen Dirigenten Riccardo Muti um die zum Teil sehr vernachlässigten geistlichen Kompositionen seines Landsmanns dokumentiert - Muti hat in den letzten Jahren viele Messvertonungen und andere Werke Cherubinis in klangprächtigen Referenzaufnahmen eingespielt, die hier versammelt sind.
Maria Callas ist es zu verdanken, dass Cherubinis Oper "Médée" (Medea), die 1797 in Paris uraufgeführt wurde, nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf in den 1950er Jahren eine spektakuläre Wiederentdeckung erlebte. Die Primadonna assoluta war von der Gestaltung dieser tragischen, zwischen Liebe und totalem Hass hin- und hergerissenen mythologischen Figur der Medea fasziniert und bewies dem Publikum, dass Cherubinis Musik (in Verbindung mit der ihr eigenen leidenschaftlichen Hingabe an die von ihr verkörperte Rolle) alles andere als museal sondern nach wie vor höchst bühnentauglich war! Dies führte durchaus zu einer kleinen Cherubini-Renaissance - man interessierte sich plötzlich auch wieder für andere seiner Bühnenwerke und geistlichen Kompositionen.
Leider war die Version der Oper "Médée", die die Callas erneut populär gemacht hatte, nicht die französischsprachige Original-Fassung Cherubinis sondern eine anhand einer gekürzten deutschsprachigen Version weiter ins Italienische übersetzte "Medea", die auch nicht mehr die gesprochenen Dialoge des Originals sondern vom Münchner Hofkapellmeister Franz Lachner (1803-90) komponierte Rezitative enthielt!
Es wäre ausgesprochen interessant, dieses mehrfach übersetzte, gekürzte und bearbeitete "Etwas", das in dieser Version als Cherubinis mittlerweile bekannteste Oper in zahlreichen Aufnahmen und Aufführungen bekannt geworden ist, einmal mit dem eigentlichen Original zu vergleichen - aber hier zeigt sich wieder einmal die nach wie vor doch sehr oberflächliche Beschäftigung mit Cherubini und seiner Musik: Es gibt noch nicht einmal eine richtige Aufnahme der Original-"Médée" und auch auf der Bühne scheint die Originalversion kurioserweise eher die Ausnahme denn die Regel zu sein (wenn sie denn überhaupt aufgeführt wird)!Ein Gelegenheitswerk mit einer interessanten Entstehungsgeschichte ist auch die Kantate "Chant sur la mort de Haydn" für drei Solostimmen und Orchester, ein "Gesang über den Tod Haydns" also, den Cherubini komponierte, als sich zu Beginn des Jahres 1805 die Falschmeldung in Europa verbreitete, dass der berühmte Komponist Joseph Haydn im Alter von 97 Jahren verstorben wäre. Haydn war damals allerdings "nur" 73 Jahre alt und erfreute sich noch immer bester Gesundheit und Cherubini lernte den von ihm verehrten Kollegen im selben Jahr sogar noch persönlich in Wien kennen, als er dort die Uraufführung seiner einzigen deutschsprachigen Oper "Faniska" vorbereitete. So erlebte die Kantate dann auch erst im Jahr 1810 ihre Uraufführung, nachdem Haydn im Mai 1809 tatsächlich in Wien verstorben war…
Mein abschließendes Fazit zu Cherubinis Musik: Wer den Stil der späten, französischen Gluck-Opern mag oder die großen Messvertonungen des späten Haydn schätzt (um jetzt nur mal zwei der bekannteren "Vorbilder" zu zitieren, an die mich seine Werke erinnern), der wird sich bei Cherubini ausgesprochen wohl fühlen: Ausgesprochen qualität- und niveauvolle Musik, der grelle Extreme und bloße Effekthascherei fremd sind - Klassizismus in perfekter musikalischer Gestalt eben!
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"Es gibt noch nicht einmal eine richtige Aufnahme der Original-Médée" ...
AntwortenLöschenDoch, die gibt es schon. Siehe:
http://www.amazon.de/M%C3%A9d%C3%A9e-2-Audio-CDs-Luigi-Cherubini/dp/3867354804/ref=sr_1_2?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1285168716&sr=8-2
Danke für den Tipp!
AntwortenLöschenTrotzdem bleibt es erstaunlich, dass es bis zum Jahr 2008 gedauert hat (lt. Amazon ist dies das Erscheinungsdatum dieser Einspielung), bis sich mal jemand der Original-"Médée" erbarmt hat...! Das Ganze scheint mir eher eine kleine "Nischenproduktion" zu sein, jedenfalls sagt mir das veröffentlichende Label gar nichts?!
Eine Neuaufnahme der französischen Originalpartitur, die auch größeren Kreisen musikinteressierter Mitmenschen publik gemacht worden wäre, wäre ja eigentlich auch eine nicht uninteressante Idee für dieses Jahr gewesen, quasi als "Geburtstags-Geschenk" zu Ehren des Jubilars - aber nix ist bisher passiert, leider...