Echte Opernklassiker, die dem heiteren Genre zuzurechnen sind, ziehen rein zahlenmäßig gegenüber Opern mit hochdramatischen oder tragischen Stoffen deutlich den Kürzeren.
Das ist wirklich schade, zeigt es doch, wie schwer es anscheinend ist, eine wirklich gute und zeitlose komische Oper zu komponieren - gerade im Bezug auf Humor und Komik wandelt sich der Publikumsgeschmack im Laufe der Jahre offenbar deutlich schneller:
Während eine tragische Handlung irgendwie immer eine solche bleiben wird, wirkt manch komischer Opernstoff oft nach einiger Zeit eher etwas betulich, albern oder gar belanglos und wird vom Publikum nicht mehr als sonderlich unterhaltsam empfunden, was definitiv so etwas wie den "Todesstoß" für eine komische Oper bedeutet und diese dann meist ziemlich schnell und unwiederbringlich zuerst aus den Spielplänen der Opernhäuser und dann auch noch aus den etwas geduldigeren Opernführern verschwinden lässt, was dazu führt, dass diese Stücke dann nur noch ein Fall für Wissenschaftler und Spezialisten sind, wenn sie nicht sogar gänzlich unbeachtet in irgendwelchen Archiven vor sich hin stauben - womit wir dann doch wieder im Bereich der Tragik angekommen wären…! ;-)
Umso schöner, dass mit IL BARBIERE DI SIVIGLIA von Gioacchino Rossini (1792-1868) auch ein wirklich unverwüstlicher Klassiker der Opera buffa zur nicht allzu großen Gruppe derjenigen Opern zählt, die seit ihrer Uraufführung nie aus den Spielplänen der Opernhäuser verschwunden sind - und komische Opern sind, wie erwähnt, in diesem exklusiven Club ja leider deutlich in der Minderheit!
Über die Entstehung dieser Oper (Rossini soll sie im unglaublich kurzen Zeitraum von ca. zwei bis vier Wochen komponiert haben) und ihre verunglückte Uraufführung am 20. Februar (übrigens ein überaus sympathisches Datum!) des Jahres 1816 im römischen Teatro Argentina gibt es zahlreiche Legenden, die zwar sehr unterhaltsam zu lesen sind, deren Wahrheitsgehalt sich aber nicht mehr nachprüfen lässt. Fakt ist wohl, dass das Premierenpublikum die neue Oper zunächst durchfallen ließ und sich der Barbiere somit in eine nicht weniger illustre Reihe später weltberühmt gewordener Opern einreihen kann, die allesamt bei ihrer Uraufführung nicht besonders gut aufgenommen wurden (um es mal vorsichtig zu formulieren)…
Ein Grund für die zunächst eher ablehnende Haltung des Publikums dieser neuen Oper gegenüber könnte darin gelegen haben, dass es bereits seit Jahren eine überaus erfolgreiche Vertonung des Barbiers von Sevilla gab, nämlich von Giovanni Paisiello (1740-1816), einem der Komponisten aus der Epoche, in der die italienische Opera buffa wohl ihre erfolgsreichste Phase hatte, nämlich während des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts. Paisiellos Barbiere di Siviglia war im Jahr 1782 in St. Petersburg uraufgeführt worden, was, wie ich finde, ein deutliches Zeichen dafür ist, wie international gefragt zu dieser Zeit gut gemachte italienische Opere buffe waren!
Vielleicht erschien es vielen damaligen Opernfreunden als Sakrileg, dass es ein respektloser Jungspund wie Rossini (der zum Zeitpunkt der Komposition gerade einmal 24 Jahre alt war, allerdings auch bereits schon mehr als ein Dutzend nicht gerade unerfolgreiche Opern komponiert hatte!) wagte, einen neukomponierten Barbier von Sevilla zu präsentieren und damit der beliebten Oper der noch lebenden Legende Paisiello Konkurrenz zu machen.
Rossini hat offenbar vor der Komposition seines Barbiers respektvoll bei Paisiello angefragt, ob dieser etwas gegen eine erneute Vertonung dieses Stoffes habe - und der alte Meister erteilte ihm seinen Segen (er verstarb gut drei Monate nach der Uraufführung und hat den neuen Barbier wohl nicht mehr zu hören bekommen, dabei wäre es interessant gewesen zu erfahren, was er von Rossinis Neuvertonung gehalten hätte).
Trotzdem (oder vielleicht auch, weil er den unmittelbaren Vergleich mit Paisiellos Klassiker vermeiden wollte?) ging Rossinis Barbiere zunächst unter dem Titel Almaviva ossia L'inutile precauzione (Almaviva oder Die unnütze/ überflüssige Vorsicht) über die Bühne. Das Libretto hierzu hatte Cesare Sterbini (1784-1831) verfasst.
Rossinis Barbier war in der Folge (trotz der misslungenen Uraufführung, die der Komponist angeblich mit größter Gelassenheit aufgenommen haben soll) dann so erfolgreich, dass er den Paisiello-Barbier vollkommen von der Bühne verdrängte und man diese nicht uninteressante Oper, die natürlich zum Vergleich mit Rossinis Version geradezu einlädt, heute nur noch unter der Rubrik "seltene Rarität" zu sehen oder zu hören bekommt, schade…!
Die ausgleichende Gerechtigkeit der sonst oft so gnadenlosen Musikgeschichte ist jedoch, dass einer anderen, zu ihrer Zeit ebenfalls sehr erfolgreichen Rossini-Oper später genau das gleiche Schicksal widerfahren ist:
Sein ebenfalls im Jahr 1816 uraufgeführter Otello galt jahrzehntelang als die Vertonung der gleichnamigen Shakespeare-Tragödie schlechthin, bis dieser von Verdis spätem Meisterwerk Otello, der im Jahre 1887 uraufgeführt wurde, ebenso vollständig verdrängt wurde, wie einst der Paisiello-Barbier von seinem jüngeren Nachfolger.
Zur literarischen Vorlage des Barbiere di Siviglia: Ursprünglich handelte es sich um ein im Jahr 1775 uraufgeführtes Lustspiel (Le barbier de Séville ou La précaution inutile) des Franzosen Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais (1732-1799), der diesem Stück noch zwei weitere Fortsetzungen folgen ließ: La folle journée ou Le mariage de Figaro (Der verrückte Tag oder Figaros Hochzeit) im Jahr 1784 und L'autre Tartuffe ou La mère coupable (Der andere/ neue Tartuffe oder Die schuldige Mutter) im Jahr 1792.
Es lohnt sich, auch diese Stücke einmal in ihrer Originalgestalt zu lesen (im Theater sieht man sie zumindest hierzulande eigentlich überhaupt nicht mehr) - hierbei kann man nämlich einen sehr aufschlussreichen Einblick in die Werkstatt eines Operntextbuchautors nehmen, wenn man einmal vergleicht, welche Szenen und Personen der Vorlage in welcher Form Eingang in die spätere Oper gefunden haben (und welche nicht)!
Wie nah zu Rossinis Zeiten komische und ernste Opern noch beieinander lagen (ohne dass dies die Glaubwürdigkeit der einzelnen Werke oder ihrer Schöpfer beeinträchtigt hätte - was für Komponisten in späterer Zeit durchaus ein Rechtfertigungsproblem wurde!), zeigt allein schon die Tatsache, dass die berühmte und beliebte Ouvertüre von Rossinis Barbier ursprünglich eigentlich gar nicht für diese Oper komponiert worden war, sondern zuvor bereits als Ouvertüre für die ernsten (!) Opern Aureliano in Palmira (1813) und Elisabetta, Regina d'Inghilterra (1815) Verwendung gefunden hatte, was man sich bei diesem vor fröhlicher Energie geradezu übersprudelnden Stück eigentlich gar nicht vorstellen kann! Aber damals scheint dies weder den Komponisten noch das Publikum auch nur ansatzweise gestört zu haben. Möglicherweise hatte Rossini aus Zeitmangel auf die bereits mehrfach verwendete Ouvertüre zurückgreifen müssen und damit allemal ein glückliches Händchen bewiesen, denn zum Barbier passt diese Ouvertüre ja nun wirklich perfekt!
Vom Aufbau her folgt Rossini bei seinem Barbier konsequent dem Ablaufschema der klassischen Opera buffa, wie sie schon zu Mozarts Zeiten gang und gäbe war: Verschiedene Solo- und Ensemblenummern wechseln einander in bunter Reihenfolge ab und werden durch cembalobegleitete Secco-Rezitative miteinander verbunden. Auch die Tatsache, dass diese Oper in zwei Akte unterteilt ist, ist typisch für eine Opera buffa - immerhin entstand die Gattung als unterhaltendes Intermezzo (in zwei Teilen) zwischen den drei Akten einer ernsten Oper, bevor sie sich aufgrund zunehmender Beliebtheit beim Publikum verselbständigte und selber ein abendfüllendes Format erhielt.
Innerhalb kürzester Zeit hatte Rossinis Barbiere di Siviglia die Opernbühnen Europas erobert und war sogar auf Bühnen für damalige Zeit so exotischer Orte wie New York oder Buenos Aires gelangt.
Heute ist diese Oper mit Abstand Rossinis bekanntester und erfolgreichster Gattungsbeitrag und die Tatsache, dass weitere, heute recht häufig gespielte Opern wie "La Cenerentola" (1817) und "L'italiana in Algeri" (1813) ebenfalls komische Opern sind, lässt den falschen Eindruck entstehen, dass Rossini vor allem der Komponist von Opere buffe gewesen wäre.
Dabei halten sich komische und ernste Opern in Rossinis Gesamtwerk eher die Waage - nur werden seine ernsten Opern (z. B. die Semiramide von 1823 oder der Guillaume Tell von 1829) heute leider kaum mehr aufgeführt.
Somit sollte Beethoven mit seinem gutgemeinten Rat an Rossini dann doch irgendwie Recht behalten, als er ihm im Rahmen eines Treffens in Wien im Jahr 1822 mit auf den Weg gab, dass er den Barbier für eine sehr gelungene Oper halte und er möglichst noch viele weitere Barbiere komponieren solle. Offenbar sah Beethoven in Rossini vor allem den begnadeten musikalischen Humoristen - genau wie die Nachwelt…!
Neben der wirkungsvollen, zielstrebigen und damit leicht nachvollziehbaren Handlung des Barbiers hat sicherlich auch die Tatsache zu seiner schnellen und weiten Verbreitung beigetragen, dass Rossini keinen großen orchestralen, szenischen oder personellen Aufwand für seine Oper verlangt - der Barbier von Sevilla kann problemlos und ohne Abstriche oder Umbesetzungen auch an mittleren und kleinen Theatern aufgeführt werden.
Allerdings steht und fällt das Ganze mit guten Solisten, die nicht nur die anspruchsvollen Partien mit ihren vielen Koloraturen und ihrem typisch italienischen Parlando-Tonfall beherrschen, sondern auch ein gehöriges schauspielerisch-komödiantisches Talent besitzen sollten, um die richtige Stimmung dieses übermütigen Lustspiels rüberzubringen, das aber deshalb nicht gleich ins slapstickhaft- klamaukige abdriften sollte!
Rossini hatte ganz offensichtlich eine Schwäche für die Stimmlage des Mezzosoprans - konsequenterweise war er dann auch ab 1822 in erster Ehe mit der damals berühmtesten Vertreterin dieses Faches, Isabella Colbran (1785-1845), verheiratet...
So gesehen überrascht es nicht, dass auch die Partie der Rosina (also der wichtigsten Frauenrolle im Barbiere) für einen Mezzosopran geschrieben wurde, was aber zahllose Sopranistinnen in der Folge nicht davon abhielt, sich ebenfalls dieser dankbaren Rolle anzunehmen (darunter auch Maria Callas). Heute wird die Partie der Rosina allerdings konsequenter als früher fast ausschließlich wieder mit Mezzosopranen besetzt.
Neben der schon erwähnten Ouvertüre gehört wohl Figaros Auftrittsarie im ersten Akt (von Rossini als "Cavatina" bezeichnet) mit Abstand zu den bekanntesten Werken der Opernliteratur überhaupt: Seine komisch-hektischen "Figaro, Figaro, Figaro!"-Rufe in dieser Arie hat auch der Nicht-Opernfan schon einmal irgendwo gehört (wegen des passenderen Titels wird diese Arie fälschlicherweise aber oft in Mozarts 1786 entstandener Oper Figaros Hochzeit aus dem Jahr 1786 vermutet). Um dieses Musterexemplar einer effektvollen Auftrittsarie beneiden wohl alle Tenöre seit jeher ihre Baritonkollegen!
Ich habe zwei persönliche Lieblingsaufnahmen vom Barbier:
Almaviva: Luigi Alva
Figaro: Hermann Prey
Rosina: Teresa Berganza
Bartolo: Enzo Dara
Basilio: Paolo Montarsolo
Berta: Stefania Malagú
Fiorello: Renato Cesari
Ufficiale: Luigi Roni
Ambrosian Opera Chorus
Cembalo: Theodor Guschlbauer
London Symphony Orchestra
Dirigent: Claudio Abbado
Deutsche Grammophon, 1972
Mit dieser Besetzung (mit Chor und Orchester der Mailänder Scala) gibt es auch eine DVD - die zugehörige Inszenierung stammt von der von mir sehr bewunderten, leider viel zu früh verstorbenen Regie-Legende Jean-Pierre Ponnelle (1932-1988).
Almaviva: Francisco Araiza
Figaro: Thomas Allen
Rosina: Agnes Baltsa
Bartolo: Domenico Trimarchi
Basilio: Robert Lloyd
Berta: Sally Burgess
Fiorello: Matthew Best
Ufficiale: John Noble
Ambrosian Opera Chorus
Hammerklavier: Nicholas Kraemer
Academy of St. Martin-in-the-Fields
Dirigent: Neville Marriner
PHILIPS Classics, 1982
Originellerweise bevorzuge ich für jeden der beiden Akte des Barbiers eindeutig jeweils nur eine meiner beiden Lieblingsaufnahmen:
Den ersten Akt finde ich bei Claudio Abbado gelungener - nicht zuletzt Hermann Preys wegen, für den der Figaro (sowohl bei Rossini als auch bei Mozart) eine seiner Paraderollen war. Prey überzeugt nicht nur durch seine hörbare Spielfreude sondern auch durch seine unglaublich natürliche, angenehme Stimme, die ungekünstelt und unangestrengt und damit sehr sympathisch wirkt.
Luigi Alvas Tenor ist offenbar nicht jedermanns Sache, wie ich von anderen Opernfreunden erfahren musste. Zugegeben: Seine sehr individuelle Stimmfärbung, die sehr schlank und wendig klingt und vom typisch italienischen, sich lyrisch verströmenden Tenor-Klischee-Klang à la Pavarotti meilenweit entfernt ist, macht ihn wirklich unverwechselbar, polarisiert aber auch stark. Mich stört Alvas Tenorstimme nicht - sie scheint gerade für Rossinis koloraturenreiche Gesangsnummern besonders geeignet zu sein: Mit seiner feinen, ausgesprochen beweglichen Stimme zeichnet Alva mit schlafwandlerischer Sicherheit die vielen "Kurven" der verzierten Melodielinien fein ziseliert wie mühelos nach und ermöglicht dem Zuhörer somit quasi ein minutiöses Nacherleben von Rossinis teilweise geradezu artistischen Kompositionen!
Teresa Berganza glänzt ebenfalls mit hörbarer, unwiderstehlicher Sanges- und Spielfreude: Ihr nimmt man die nur vordergründig unschuldig und naiv wirkende Rosina, die es eigentlich faustdick hinter den hübschen Ohren hat, ohne weiteres ab.
Im Zusammenspiel mit dem schwungvoll dirigierenden Claudio Abbado (und dem exzellenten Klang der Londoner Symphoniker) gelingt sowohl Paolo Montarsolo eine mitreißend gesteigerte "Verleumdungs"-Arie, ebenso wie Enzo Dara die in Bezug auf die hierfür erforderliche Sing-Geschwindigkeit geradezu rekordverdächtige Bartolo-Arie mit grandios volltönendem Bass bravourös absolviert!
Außerdem überzeugt mich das Finale des ersten Akts bei Abbado mehr - allein das Schlussensemble (in dem auch der Chor hinzukommt) erfährt eine nach dem Vorangegangenen eigentlich gar nicht mehr für möglich gehaltene nochmalige Steigerung, die auch klanglich keine Wünsche übrig lässt!
Bei der Gestaltung des zweiten Akts hingegen ziehe ich die 10 Jahre jüngere Marriner-Einspielung vor: Hier gibt es einige originelle, nie übertriebene, das Ganze aber noch mal zusätzlich aufheiternde komödiantische Details zu entdecken, die in der Abbado-Aufnahme in dieser Ausprägung leider fehlen:
Zum Beispiel das den zweiten Akt einleitende "Begrüßungs"-Duett Almaviva - Bartolo, in dem die Solisten Francisco Araiza und Domenico Trimarchi ganz wunderbar miteinander Komödie spielen und das, obwohl man die beiden nur hören und nicht auch noch dabei beobachten kann!
Überhaupt ist Domenico Trimarchi als Dr. Bartolo gut aufgelegt - allein die Tatsache, dass er sich die Gelegenheit nicht entgehen lässt, sein "Jugend-Idol", den Kastraten Caffarelli, von dem er ja etwas später eine kleine Arie vorträgt, auch mit der passenden Falsett-Stimme zu präsentieren, ist schon urkomisch (und wird in der Abbado-Aufnahme so leider nicht vorgetragen).
Interessant finde ich die Tatsache, dass man sich bei beiden Aufnahmen für zwei unterschiedliche Begleitinstrumente für die ja recht ausgedehnten Secco-Rezitative entschieden hat: Bei Abbado spielt ein Cembalo, bei Marriner ist hingegen ein Hammerklavier zu hören.
Gerade in neueren Aufnahmen von Opern, die in der Zeit zwischen ca. 1770 und 1830 entstanden sind und in denen Secco-Rezitative vorkommen, entscheidet man sich - warum auch immer - zunehmend häufiger für das Hammerklavier (z. B. bei Gardiners und Jacobs' Einspielungen der späten Mozart-Opern).
Ich persönlich finde, dass sich der zart-silbrige Klang des Cembalos besser sowohl von den Gesangsstimmen als auch vom Orchester (an den Übergangsstellen zu den Orchestereinsätzen) abhebt. Das ist letztlich wahrscheinlich Geschmackssache - welches Instrument historisch für diese Epoche korrekt ist, lässt sich meines Wissens eh nicht mehr eindeutig nachvollziehen, ich könnte mir aber zumindest vorstellen, dass die meisten Opernhäuser zu dieser Zeit noch über Cembali verfügten (und diese dort dann logischerweise auch zum Einsatz kamen), während die "moderneren" Hammerklaviere eher in Salons und bei Musikliebhabern beheimatet waren - schon ihres differenzierten, neuartigen Klanges wegen, der allerdings noch bei weitem nicht so kräftig war, wie der des späteren Konzertflügels. Dieser leisere Klang des Hammerklaviers spricht für mich daher als weiterer Punkt eher gegen einen damaligen regelmäßigen Einsatz dieses Tasteninstruments im großen Opernhaus…
Jedenfalls kann man anhand beider Aufnahmen (Abbado und Marriner) schön vergleichen, wie unterschiedlich Secco-Rezitative klingen können, je nachdem, mit welchem Instrument sie begleitet werden!
Konsequenterweise erklingt bei Marriner das Hammerklavier dann auch im Vorspiel zu der Arie, die Rosina vorträgt, während sie vom vermeintlichen Musiklehrer "Don Alonso" an eben diesem Instrument begleitet wird - der Sänger auf der Bühne tut dann nur so, als würde er in die Tasten greifen, da Rossini für die Begleitung dieser Arie eh das Orchester vorsieht. Von daher finde ich die Idee sehr gelungen, zumindest zu Beginn dieser Musiknummer das ja eigentlich begleitende Klavier auch einmal hören zu können.
Ein ganz großer Pluspunkt für die Marriner-Aufnahme ist - neben den anderen wirklich exzellenten Solisten - vor allem Francisco Araiza als Almaviva: Seine Stimme entspricht - im Gegensatz zu Luigi Alva - viel eher dem klassischen lyrischen Tenor mit einem Ton voller Schmelz und Leidenschaft. Ein interessanter Gegensatz zum Almaviva, wie ihn Luigi Alva in der Abbado-Aufnahme gestaltet.
Schön (und eigentlich eine Selbstverständlichkeit!), dass Araiza dann auch die große Arie des Almaviva am Ende des zweiten Aktes ("Cessa di più resistere") singen darf, die sonst (vor allem auf der Bühne) ja regelmäßig weggelassen wird!
Bei Abbado fehlt diese Arie dann auch erwartungsgemäß, was ich sehr schade finde!
Komisch, dass man sich wenigstens bei Aufnahmen im Studio nicht die Zeit nimmt, auch diese wirkungsvolle Arie mit einzubeziehen; in der Theaterpraxis kann ich hingegen schon eher verstehen, dass man (vielleicht auch mangels eines geeigneten Solisten, der diese anspruchsvolle Arie singen kann) auf diese ausgedehnte Arie häufiger verzichtet, zumal sie das nahe glückliche Ende der Oper hinauszögert.
In meinem Reclam-Operntextbuch zum Barbier (dt. Fassung, Ausgabe von 1985) ist jedoch noch nicht einmal der Text dieser Arie abgedruckt worden (es findet sich lediglich eine kleine Fußnote mit dem Hinweis, dass hier jetzt eigentlich noch eine Arie käme, die aber regelmäßig gestrichen wird…), was ich dann doch etwas rigoros finde, denn den Gesangstext hätte man meiner Meinung nach hier schon einmal mit einfügen können!
Was der Zuhörer verpasst, wenn diese Arie gestrichen wird, kann man in der Marriner-Einspielung gut nachvollziehen: Francisco Araizas Interpretation ist wirklich grandios und sehr mitreißend!
Spätestens seit dem Erscheinen von Juan Diego Flórez' CD mit Rossini-Tenor-Arien im Jahr 2002, auf der diese "vergessene" Arie des Almaviva auch enthalten ist (und die definitiv einen der Höhepunkte dieser eh schon maßstabsetzenden CD darstellt), dürfte dieses Stück auch wieder einer breiteren Schicht von Opernfreunden bekannt geworden sein und man kann nur hoffen, dass man es nun auch wieder häufiger auf der Bühne zu hören bekommen wird. Flórez singt diese Arie vom Stil her ähnlich wie Araiza, seine Stimme wirkt dabei aber noch etwas leichter und müheloser - ein echtes Phänomen!
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