… und schon wieder ein "runder Zweihunderter" *grins*
Heute vor 200 Jahren wurde Otto Nicolai in Königsberg geboren. Seine Lebensdaten sind fast identisch mit denen Chopins: Im selben Jahr wie der große polnische Pianist geboren, verstarb auch Nicolai viel zu früh im Mai 1849 (einen knappen Monat vor seinem 39. Geburtstag) - Chopin starb im Oktober des selben Jahres.
Im Vergleich zu den bereits hier im Blog gewürdigten Jubilaren Chopin und Schumann ist Otto Nicolai zumindest heutzutage weitaus weniger prominent, dennoch kann auch er einige musikhistorische Verdienste für sich verbuchen, für die er eigentlich ein bisschen mehr Bekanntheit in der Musikwelt verdient hätte.
Aufgewachsen im ostpreußischen Königsberg in einer Familie von Kirchenmusikern (sein Vater brachte ihm die musikalischen Grundlagen bei) und dann zu Studienzwecken nach Berlin gegangen, wurde Nicolai Mitglied der dortigen Sing-Akademie und studierte schwerpunktmäßig Kirchenmusik bei Carl Friedrich Zelter (1758-1832), dem heute vor allem als Goethe-Freund bekannten Komponisten und der damals überaus berühmten und geschätzten Musikautorität Preußens schlechthin.
Im Alter von 23 Jahren ging Nicolai als Organist nach Rom, wo er an der Kapelle der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan tätig war und den Italienaufenthalt natürlich auch dazu nutzte, italienische Kompositionen (hier vor allem der Renaissance) vor Ort kennenzulernen und intensiv zu studieren. Neben den Studien dieser altehrwürdigen "Klassiker" erwachte im jungen Kirchenmusiker Nicolai aber auch die Leidenschaft für die zeitgenössische italienische Oper (vor allem von Donizetti, Bellini und Mercadante), die zu der Zeit in Deutschland als eher trivial angesehen wurde.
Eine für einen protestantischen Kirchenmusiker also erstaunliche "Wandlung" - wahrscheinlich spielte aber neben der Musik auch das ganze Umfeld in den Operntheatern vor Ort - die Leidenschaft und Hingabe von Sängern und Publikum für das Kunstwerk Oper - eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eine gewisse, für seine Zeit eigentlich völlig untypisch "multikulturelle" Veranlagung war in dem jungen Musiker erwacht, die ihn nicht mehr loslassen sollte. Er schrieb zu der Zeit sogar leidenschaftliche Aufsätze, in denen er die italienische Oper deutscher Skepsis gegenüber zu verteidigen suchte und in denen bereits die Idee der Verwirklichung eines Kompositionsstils anklingt, in dem die deutsche Kompositionstradition wirkungsvoll mit der so bewunderten italienischen Leichtigkeit verschmolzen werden sollte. Eine Idee, die er zu seiner persönlichen Aufgabe machen sollte. Eine Idee, die - gerade zur damaligen Zeit - als geradezu undurchführbar oder zumindest äußerst ehrgeizig erscheinen musste!
Nicolai schickte seine schriftlichen Ausführungen nach Deutschland an Robert Schumann, der diese in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für Neue Musik dann auch tatsächlich abdruckte - allerdings nicht ohne ihnen kritisch-polemische Kommentare beizufügen, wahrscheinlich konnte (und wollte) er die Ideen Nicolais einfach nicht ernst nehmen. Das konnte diesen jedoch von seinen einmal gefassten Vorstellungen nicht abbringen.
Als im Jahr 1835 der italienische Opern-Superstar Vincenzo Bellini im Alter von nicht einmal 34 Jahren überraschend verstarb, komponierte der sichtlich betroffene Nicolai für eine Gedenkfeier einen Großen Trauermarsch in echt italienischem Stil, in dem auch Motive aus Bellinis Erfolgsoper Norma anklingen.
Nach vier Jahren in Italien ging Nicolai zunächst nach Wien (als Kapellmeister am Kärntnertortheater), ihn hielt es aber nur für ein Jahr dort, dann zog es ihn 1838 wieder zurück nach Rom, wo er mit der Komposition italienischer Opern begann, die - in verschiedenen Städten Norditaliens uraufgeführt - auch recht erfolgreich waren (und das, obwohl sie von einem "Nordländer" komponiert worden waren!) Nicolai hatte wohl - talentiert wie er war - seine musikalischen Studien vor Ort dazu genutzt, sich das typisch italienische Idiom vollkommen zu Eigen zu machen.
Er konnte es sich sogar leisten, Textbücher, die ihm zur Vertonung vorgelegt wurden, abzulehnen: So will es die Legende, dass Nicolai vom Librettisten Temistocle Solera (1815-1878), der für ihn das Textbuch zu seiner Oper Gildippe ed Odoardo verfasst hatte (UA war im Dezember 1840 in Mailand), sein neu verfasstes Libretto mit dem Titel Nabucodonosor (dt. "Nebukadnezar") zur Vertonung angeboten wurde, dieser jedoch dankend ablehnte. Es schien ihm wohl nicht zu gefallen oder zu inspirieren. Jedenfalls bot Solera seinen Nabucodonosor daraufhin einem bis dato auf dem Opernsektor nicht sehr erfolgreichen jungen Landsmann zur Vertonung an: Unter dem Titel Nabucco wurde diese Oper dann im Jahr 1842 der erste durchschlagende Erfolg des jungen Giuseppe Verdi (1813-1901)! Der in dieser Oper enthaltene Gefangenenchor ist bis heute so etwas wie die inoffizielle Nationalhymne Italiens… Was wohl geschehen wäre, wenn Otto Nicolai dieses ihm angebotene Libretto doch vertont hätte und Verdi gar nicht zum Zuge gekommen wäre?
Interessant ist, dass mit Nicolai ein weiterer deutscher Komponist in Italien sein Glück mit der Oper versuchte und damit auch recht erfolgreich war. Auf diesem Gebiet war es für einige prominente Kollegen aus deutschen Landen bereits ähnlich gut gelaufen "im Land, wo die Zitronen blüh'n": Georg Friedrich Händel (1685-1759), Johann Adolf Hasse (1699-1783), Christoph Willibald Gluck (1714-87), W. A. Mozart (1756-91) und einige Jahre vor Nicolai machte zuletzt Giacomo Meyerbeer (eigentlich Jakob Meyer Beer, 1791-1864) in den 1820er Jahren in Italien auf sich aufmerksam, bevor er schließlich in Paris der berühmteste Opernkomponist seiner Zeit wurde.
Nachdem Nicolai sich in Italien einen Namen gemacht hatte, kehrte er (nach dem Misserfolg seiner Oper Il proscritto, der wohl auf Querelen mit der Primadonna zurückzuführen war) 1841 nach Wien zurück und wurde dort Kapellmeister an der Wiener Hofoper. Dort gründete er 1842 die Philharmonischen Konzerte (hier wurden unter anderem unter seiner Leitung erstmals alle neun Sinfonien Beethovens in einem Zyklus aufgeführt, ein absolutes Novum für die damalige Zeit!) und damit gleichzeitig die Wiener Philharmoniker, also das Orchester, das diese Konzertreihen bestritt (es war ein aus Mitgliedern des Hofopernorchesters gegründeter "Orchesterverein", der dann später den heute noch gebräuchlichen Namen "Wiener Philharmoniker" erhielt). Die Wiener Philharmoniker zählen heute zu den weltweit besten und berühmtesten Orchestern und Otto Nicolai als ihr Gründer und erster Leiter ist bei "seinen" Wienern natürlich bis heute eine Legende!
Hier der Live-Mitschnitt des Neujahrskonzerts vom 01. Januar 1992 unter der Leitung des legendären Carlos Kleiber, in dem die Wiener Philharmoniker im Jahr ihres 150. Bestehens an ihren Gründer Otto Nicolai erinnerten und die schmissige Ouvertüre zu den "Lustigen Weibern" in ihr sonst ausschließlich von den "Wiener Walzerkönigen" der Strauß-Familie beherrschtes Programm mit aufnahmen!
Seine preußischen Wurzeln hatte Nicolai allerdings auch nie vergessen und nachdem er sowohl dem preußischen König eine Messe als auch der Universität seiner Heimatstadt Königsberg eine Festouvertüre gewidmet hatte (und es in Wien mit der Theaterleitung zunehmend Streitigkeiten über Opernprojekte gegeben hatte), erhielt er ab 1848 eine Stellung als Kapellmeister der Königlichen Oper und des Domchores in Berlin, die er, der sich in Italien und Wien bereits einen Namen gemacht hatte, sicher gerne annahm.
Hier brachte Nicolai dann auch seine bis heute wohl bekannteste Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" (nach Shakespeares gleichnamiger Komödie) heraus, die im März 1849 in Berlin mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. In dieser Oper konnte Nicolai erstmalig in vollem Umfang sein seit langen Jahren proklamiertes kompositorisches Ziel umsetzen.
Ich halte "Die lustigen Weiber von Windsor" ohne Übertreibung für eine der besten und originellsten deutschsprachigen Opern des gesamten 19. Jahrhunderts! Das kommt vielleicht auch daher, dass ich nicht unbedingt ein großer Wagner-Fan bin ;-)
Aber im Ernst: In den "Lustigen Weibern" vereinen sich in selten gelungener Weise die Elemente der deutschen Spieloper, wie sie von Komponisten wie Conradin Kreutzer (1780-1849) oder Albert Lortzing (1801-51) zur damaligen Zeit erfolgreich verfasst wurden und Einflüsse der italienischen Oper zu etwas ganz Neuem, was es so im Bereich deutschsprachiger Opern seit Mozart so nicht mehr gegeben hatte.
Hätte Nicolai Zeit und Gelegenheit gehabt, sich auf diesem erfolgreich eingeschlagenen Weg noch etwas weiter zu betätigen, wäre die Wirkung und der Einfluss seiner deutsch-italienischen Opernmusik auf seine komponierenden Zeitgenossen sicher größer gewesen - so blieb es leider bei diesem einen Werk, das sich immerhin seit anderthalb Jahrhunderten einer großen Beliebtheit erfreut.
"Die lustigen Weiber von Windsor" sind somit Gipfel- und zugleich Endpunkt eines viel zu früh beendeten Komponistenlebens.
Nur zwei Monate nach dieser vielversprechenden Premiere (der sicher weitere Opern nach gleichem oder ähnlichem Strickmuster gefolgt wären) verstarb Otto Nicolai an einer Hirnblutung.
Was für eine Tragödie! Auf dem Gipfel angekommen und dann in so jungen Jahren verstorben, bevor das eigentliche Wirken richtig beginnen konnte!
Nicolais kompositorisches Werk ist leider nicht sehr umfangreich und bis auf die "Lustigen Weiber" leider auch kaum auf CDs vertreten - erst in den letzten Jahren hat hier erfreulicherweise ein spürbares Interesse an den lange vernachlässigten Werken Otto Nicolais eingesetzt.
Vielleicht trägt sein runder Geburtstag in diesem Jahr dazu bei, dass wieder mehr Musik von ihm aufgeführt wird und größere Beachtung findet.
Ein musikalischer Schwerpunkt Nicolais liegt naturgemäß im Bereich geistlicher Musik - schließlich hatte er als Leiter des Berliner Domchors ein fähiges Ensemble zu Verfügung, für das er entsprechende Kompositionen anfertigen konnte. Eine Reihe von Psalmvertonungen stammen aus dieser Zeit.
Da Nicolai ja bereits seine Ausbildung im Bereich der Kirchenmusik absolviert hatte, existieren auch einige Kompositionen aus jenen Studienjahren (z. B. ein Te Deum aus dem Jahr 1832) in Berlin und Rom, wo er sich wie erwähnt sehr für die Werke und den Stil von Giovanni Pierluigi da Palestrina (ca. 1514-1594) und dessen Zeitgenossen interessiert hatte.
Dann gibt es neben einigen Liedern (mit Klavierbegleitung) noch einige Orchesterwerke, wie z. B. eine Symphonie in D-Dur oder die "Kirchliche Festouvertüre" op. 31 über den Choral "Ein feste Burg ist unser Gott", die er - wie oben erwähnt - für die Königsberger Universität geschrieben hatte.
In Weihnachtsprogrammen taucht gelegentlich die wirkungsvolle Weihnachtsouvertüre auf, in die Nicolai den bekannten Choral "Vom Himmel hoch, da komm ich her" eingearbeitet hatte.
Von den italienischen Opern Nicolais gibt es erst seit kurzem immerhin eine Einspielung seiner wohl bekanntesten Oper aus dieser Zeit Il Templario (Der Templer), die im Februar 1840 in Turin mit triumphalem Erfolg uraufgeführt und bald darauf in vielen Städten in- und außerhalb Italiens nachgespielt wurde.
Nach mehrmaligem Anhören dieser Oper, die auf dem Roman Ivanhoe aus dem Jahr 1820 von Sir Walter Scott (1771-1832) basiert, bin ich immer wieder überrascht, wie geschickt Nicolai hier den typisch italienischen Operntonfall getroffen hat - eigentlich nicht so selbstverständlich für einen jungen Komponisten, der eine Ausbildung zum protestantischen Kirchenmusiker in Berlin hinter sich hat…!
Die Partituren dieser und andere italienischer Opern Nicolais waren (bzw. sind nach wie vor) verschollen und konnten nur durch geradezu detektivische Recherche in Archiven von Theatern und Verlagen wieder aufgefunden und rekonstruiert werden. Man darf gespannt sein, was da in den kommenden Jahren (hoffentlich!) noch alles an interessantem, seit Ewigkeiten nicht mehr gespielten Material ans Tageslicht kommen wird - das Interesse scheint zumindest erwacht, hier weiter zu forschen!
Und dann gibt es natürlich einige Aufnahmen der unvermeidlichen Lustigen Weiber von Windsor - die meisten stammen aus den 1950er bis 1970er Jahren und können immerhin mit legendären und renommierten Sängern wie Gottlob Frick, Karl Ridderbusch Fritz Wunderlich oder Edith Mathis, Kurt Moll und Peter Schreier aufwarten.
Es gibt auch ein paar wenige Aufnahmen neueren Datums (unter anderem mit Juliane Banse), insgesamt zeigt sich aber auch an dieser Diskographie das nach wie vor erstaunlich geringe Interesse an den deutschsprachigen Opern des 19. Jahrhunderts (von Wagner einmal abgesehen), das seit gut 30 Jahren dazu führt, dass immer seltener Opern von Lortzing, Flotow, Marschner, Nicolai und Co. aufgeführt (und damit auch neu auf CD eingespielt) werden - keine Ahnung, warum das so ist?!?
Naja - wie immer gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass von einem runden Geburtstag wie diesem (auch wenn er ein bisschen im Schatten des gestrigen von Robert Schumann steht) auch ein neuer kräftiger Impuls für die künftige Rezeption der Musik dieses interessanten und ambitionierten Komponisten ausgeht!
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