Mittwoch, 22. September 2010

Nachtrag zum Düsseldorfer "Nabucco"

Meinem Bericht von der Nabucco-Aufführung in der Düsseldorfer Johanneskirche konnte man ja unmissverständlich entnehmen, dass mich das abgeänderte Ende der Oper (gespielt wurde der Schluss des 3. Akts von Don Carlos statt des eigentlichen Nabucco-Schlusses) gleichermaßen irritiert wie auch geärgert hat.
Also habe ich kurzerhand dem Dirigenten und musikalisch Hauptverantwortlichen der ganzen Veranstaltung, dem Johanneskirchen-Kantor Wolfgang Abendroth, eine Mail geschrieben und ihn gefragt, wie es zu diesem unerwarteten neuen Nabucco-Schluss gekommen ist.

Was soll ich sagen?
Innerhalb kürzester Zeit habe ich von Herrn Abendroth eine ausführliche und sehr nette Antwort erhalten, in der er erläutert, welche Gründe zu dem extra für die Aufführung in der Johanneskirche modifizierten neuen Opernschluss geführt hatten:

[...] Die Veränderung des Schlusses (übrigens hat es Tradition, den Nabuccoschluss irgendwie zu verändern, es haben sich schon sehr viele Leute daran versucht) war sehr überlegt und aus unserer Sicht notwendig und gelungen. Der originale Schluss endet mit der Bitte Abigailles um Vergebung, diese wird ihr jedoch nicht von den handelnden Personen zugesprochen oder gewährt, sondern es wird nur ihr Tod konstatiert. Dies konnte man anders als im weltanschaulich neutralen Opernhaus in einer christlichen Kirche, wo eines der zentralen Glaubenselemente die Gewährung von Vergebung ist, nicht überzeugend so stehen lassen. Also hat uns gefreut, dass wir einen Originalabschnitt von Verdi gefunden haben, der genau dieses ausspricht – wenn auch in völlig anderem Kontext, natürlich kenne ich Don Carlos. Aber der Text passt genau zu dem, was wir sagen wollten. Dass dann die Musik ohne jede Transposition sich harmonisch an diese Stelle einfügt, so dass nur sehr wenige Leute – wie Sie – den Eingriff überhaupt als solchen wahrgenommen haben, war für uns ein Zeichen, dass wir das machen durften und sollten. Leider konnten Sie, wie von Ihnen beschrieben, die dazu passende und optisch sehr gelungene Szene wahrscheinlich nicht sehen, sonst wären Sie vermutlich versöhnter und verständnisvoller damit umgegangen. [...]


Nun - man hat sich immerhin Gedanken gemacht (und ist bei der Wahl des neuen Schlusses wenigstens bei Verdi geblieben). Allerdings war mir die Tatsache völlig neu, dass es "Tradition" hat, den Schluss des Nabucco zu verändern...?!! Was ist bloß an dem originalen Ende so furchtbar? Bloß weil der sonst fast ständig geforderte Chor just am Ende der Oper nichts mehr zu singen hat?

Dass die Figur der Abigaille am Ende gänzlich ohne die von ihr erbetene Vergebung stirbt (so wie es Herr Abendroth empfindet), kann ich nicht nachvollziehen, da spricht die Musik, die Verdi für ihre letzte Szene komponiert hat, eine ganz andere, eindeutige Sprache: Während der Figur der Abigaille im ganzen Rest der Oper hochdramatische, emotional aufgeladene und koloraturenreiche Gesangsnummern zugedacht werden, ist ihre letzte Szene vom Tonfall her eine völlig gegensätzliche: Langsam, ruhig, flehend, inbrünstig.
Dies entspricht im Prinzip genau dem Tonfall, den Nabucco zuvor in seiner eigenen "Bekehrungsszene", während der er sich von den babylonischen Götzen ab- und dem Gott Israels zuwendet, anschlägt.
Diese kurz hintereinander zu hörenden Parallelen bei beiden Figuren sind offensichtlich - so ernst, wie es Nabucco mit seiner Bekehrung ist, so aufrichtig ist, der Musik zufolge, auch Abigailles Reue und Bitte um Vergebung.
Der Chor der anwesenden Hebräer antwortet ihr im selben versöhnlichen Tonfall auf ihre diesbezügliche Frage, dass Israels Gott Jehova ein vergebender Gott sei.
Wenn dieser "Dialog" zwischen dem Chor und der sterbenden Abigaille beendet ist, wird, da hat Herr Abendroth Recht, von Zaccaria nur noch der Tod der einstigen Unholdin vermeldet und die Oper endet mit einem kurzen, kraftvollen Orchesterschluss.
Aber die zuvor erklungene Musik lässt - jedenfalls für mich - keinen Zweifel darüber, dass auch die reumütige Abigaille die von ihr erbetene göttliche Vergebung noch erhalten hat. Sonst klänge die Musik zu dieser Sterbeszene ganz anders.

Nun gut, das ist meine Meinung - offensichtlich sehen viele andere Regisseure/ Dirigenten dies ganz anders und ändern den Schluss von Nabucco regelmäßig ab...?! Wobei mich interessieren würde, was man dann stattdessen zu hören bekommt - evtl. ja nochmals den so beliebten Gefangenenchor...?!?

Gefreut hat mich jedenfalls die Tatsache, dass sich Herr Abendroth so schnell, ausführlich und konstruktiv auf meine Anfrage bei ihm gemeldet hat!

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