In älteren Konzertführern findet man gelegentlich noch den Hinweis auf eine geheimnisvolle "Jugendsymphonie" Ludwig van Beethovens (1770-1827), die dieser einer eigenen Äußerung zufolge nach dem Vorbild der Mitte der 1790er Jahre für London entstandenen Symphonien seines Lehrers Joseph Haydn (1732-1809) komponiert hatte.
Als im Jahr 1909 der damalige Musikdirektor der Universität Jena das Aufführungsmaterial für eine Symphonie in C-Dur fand, das mit dem handschriftlichen Hinweis versehen war, dass diese Symphonie von Beethoven stamme, glaubte man für mehrere Jahre, dass man auf diese "Jugendsymphonie" Beethovens gestoßen sei, die noch vor dessen "offizieller" 1. Symphonie Op. 21 (ebenfalls in C-Dur), uraufgeführt im Jahre 1800, entstanden war.
Als Jahre später dann jedoch ein weiterer Stimmensatz dieser Partitur auftauchte, auf dem der eigentliche Komponist dieser Symphonie dann auch ganz ordnungsgemäß genannt wurde, rückte plötzlich ein bis dahin eher unbekannter Beethoven-Zeitgenosse ins Licht der Öffentlichkeit, dessen Autorschaft an dieser sogenannten "Jenaer Symphonie" seither auch nicht mehr angezweifelt wurde: Friedrich Witt (1770-1836), ein Komponist, der zum Zeitpunkt der Komposition dieser Symphonie in Bayern am Hofe des Fürsten von Oettingen-Wallerstein und später dann mehrere Jahre in Würzburg tätig war. Aus diesem Grund findet man in neueren Konzertführern in der Regel auch keinen Hinweis mehr auf die mögliche Autorschaft Beethovens für dieses Werk.
Dass die "Jenaer Symphonie" sich klanglich doch sehr an Haydns späten "Londoner Symphonien" orientiert, erklärt sich dadurch, dass offenbar Haydn selber Partituren von vier dieser Symphonien an den Fürstenhof gesandt hatte, wo Witt tätig war und sich der junge Musikus mit diesen Kompositionen somit intensiv und quasi aus erster Hand befassen konnte.
Da diese Symphonien damals in ganz Europa Furore machten und Haydns Popularität und Ruhm dadurch weiter enorm anstiegen, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass Witt sich als junger Komponist vom Stil des berühmten Kollegen inspirieren ließ und einen Gattungsbeitrag ablieferte, der sich raffiniert und unüberhörbar an Haydns symphonischen Spätstil anlehnt, aber auch noch eine unverkennbar eigene kompositorische Note besitzt.
Vor allem der in der "Jenaer Symphonie" in Variationsform gehaltene zweite Satz (wie in mehreren von Haydns späten Symphonien) und auch das Menuett (= dritter Satz) erinnerten mich beim Anhören jedenfalls ganz eindeutig an das große Vorbild.
Man merkt hier dann doch den Unterschied zwischen einem Friedrich Witt und einem Ludwig van Beethoven: Witts Symphonie klingt dann doch zu wenig nach etwas Neuem sondern eben "nur" nach einer Symphonie, die einen weiteren, sehr gelungenen Gattungsbeitrag im Stile der "Londoner Symphonien" darstellt, Beethovens erste Symphonie hingegen (auch wenn sie ca. 5 Jahre später entstanden ist) nimmt Haydns Symphonien lediglich als Ausgangspunkt, geht aber kompositorisch bereits ganz eigene Wege - Haydns symphonisches Konzept wird von Beethoven quasi ganz individuell "weitergedacht" und weiterentwickelt.
Gut, dass muss man Witt ja nun nicht zum Vorwurf machen - nicht jeder ist gleich ein zweiter Beethoven. Aber aus dieser Perspektive erscheint es dann doch etwas erstaunlich, dass man jahrelang Beethoven für den Komponisten dieser Symphonie hielt…
Ich war immer schon neugierig darauf, diese ominöse "Jenaer Symphonie" einmal mit eigenen Ohren anzuhören, um mir selber ein Urteil bilden zu können über dieses einstmalige "symphonische Phantom", das man für einen echten Ludwig Van gehalten hatte, aber Friedrich Witt taucht in unseren Konzertprogrammen wie auch in den Plattenkatalogen leider so gut wie gar nicht auf, so dass man eigentlich über Jahre keine Chance hatte, seine Musik einmal in irgendeiner Form zu erleben.Umso erfreulicher, dass bei NAXOS kürzlich eine ganze CD mit Werken dieses Komponisten erschienen ist und man dank des bei diesem Label gewohnt supergünstigen Preises eigentlich kein allzu großes Risiko eingeht, wenn man sich hier zu einem Kauf entschließt, obwohl man von diesem Komponisten zuvor noch nie eine Note gehört hat!
Die Aufnahmen zu dieser CD entstanden im Mai 2008, es spielt die Sinfonia Finlandia Jyväskylä unter der Leitung des französischen Flötisten und Dirigenten Patrick Gallois, der vor allem in den 1990er Jahren bei der Deutschen Grammophon mehrere CDs mit Flötenwerken eingespielt hatte, seit mehreren Jahren nun aber schon für NAXOS als Dirigent interessante Aufnahmen mit diesem Ensemble vornimmt.
So verwundert es dann auch nicht, wenn auf besagter CD neben der erwähnten "Jenaer Symphonie" auch noch ein virtuoses Flötenkonzert (in G-Dur, op. 8 aus dem Jahr 1806) und eine noch vor der "Jenaer" entstandene Symphonie in A-Dur von Friedrich Witt enthalten sind. Diese A-Dur-Symphonie erinnert mich vom Charakter her (vor allem im Kopfsatz!) nun wiederum deutlich an Mozarts späte Symphonien - wenn Friedrich Witt vielleicht kein Genie wie Beethoven war, so hatte er auf jeden Fall das auch nicht jedem gegebene Talent, sich in den Stil der berühmten Komponisten seiner Zeit hineinzuversetzen und Werke zu schreiben, die deren verschiedene Stile auf ihre ganz eigene Weise wiedergeben!
Jedenfalls ist diese Neuaufnahme sehr zu empfehlen und eine interessante Bereicherung des Repertoires!
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Hallo,
AntwortenLöschenvon mir etwas völlig off topic. In Eisenach ist am Wochenende ein tolles Festival zu Neuer Musik. Infos gibt es unter www.sounding-d.net/mittendrin
Viel Spaß damit
LG Thomas