Montag, 20. September 2010

Neulich im Theater...

Wie bereits angekündigt, habe ich mir letzten Freitag nun also eine der drei seit Wochen komplett ausverkauften Aufführungen von Giuseppe Verdis früher Oper Nabucco in der Düsseldorfer Johanneskirche angehört (Näheres siehe hier).

Eine Opernaufführung in einer Kirche ist auch heute noch etwas ziemlich ungewöhnliches (zu Verdis Zeit wäre so etwas noch undenkbar gewesen und einem Sakrileg ersten Ranges gleichgekommen!) - allein schon aufgrund der Tatsache, dass eine Kirche nun einmal keine Bühne im herkömmlichen Sinne und in der Regel auch wenig bis keinen Platz für ein ganzes Orchester besitzt. Ein solches Projekt funktioniert also mit Sicherheit nicht mit jeder Oper, allerdings gibt es natürlich auch einige Opern, die nicht ganz so großen personellen oder orchestralen Aufwand erfordern und es gibt natürlich auch Opern, die biblische Geschichten erzählen (und die somit auch in eine kirchliche Umgebung passen) - das sind schon mindestens zwei Gründe, nicht doch einmal über ein solches Projekt nachzudenken.

Für Verdis Nabucco spricht vor allem natürlich die alttestamentarische Handlung, die von der Verschleppung des Volkes Israel ins babylonische Exil erzählt, der die Zerstörung des ersten Jerusalemer Tempels durch den babylonischen König Nebukadnezar vorangeht ("Nabucco" ist sein italienischer Name).

Verdis dritte Oper, die im Jahre 1842 uraufgeführt wurde, stand an einem Wendepunkt seines Lebens: Vorangegangen waren eine Reihe persönlicher Schicksalsschläge und beruflich-musikalischer Misserfolge. Mit dem Nabucco konnte Verdi dann aber seinen ersten großen Opernerfolg feiern und sein unaufhaltsamer Aufstieg zu Italiens beliebtestem Opernkomponisten begann.

Nabucco ist - ungewöhnlich für italienische Opern der Zeit - eine ungewöhnlich "chorlastige" Oper: Der Chor spielt definitiv neben den drei Protagonisten Nabucco, Abigaille und Zaccaria eine entscheidende Hauptrolle in dieser Oper - vielleicht lag es auch an der biblischen Handlung, dass der Nabucco Verdi fast zu einer Art "Bühnen-Oratorium" geriet?
Jedenfalls eignet sich diese Oper allein schon deshalb ideal für die Aufführung in einer Kirche. Da sich auch die Anzahl der Gesangssolisten in einem überschaubaren Rahmen hält und die Orchesterbesetzung nicht größer ist, als es für ein Oratorium oder Requiem aus dieser Zeit eh erforderlich wäre (und diese Werke werden in der Regel ja auch in Kirchen gespielt), spricht eigentlich nichts mehr gegen ein solches Projekt.

Wie hat man das Ganze nun in der Düsseldorfer Johanneskirche gelöst?

Der Kirchenraum ist - wie in den meisten evangelischen Kirchen - relativ nüchtern und eher zweckmäßig gestaltet, weder an den Wänden noch im Raum selber stehen oder hängen allzu viele Gegenstände, so dass man eigentlich nur die Bänke umstellen musste, um etwas Raum zu schaffen. Wie ich im Rahmen des Besuchs der wöchentlichen Lunch-Time-Orgel bereits feststellen konnte, hatte man im Mittelgang einen erhöhten, rampenartigen Laufsteg errichtet, der zum halbrunden Chorraum führte, den wiederum ein fast durchsichtiger weißer Vorhang unmittelbar vor dem Altar (und dem dahinterstehenden großen Holzkreuz) von der davorliegenden, als Bühne genutzten Freifläche trennte. Die vordere Hälfte des Kirchenraums rechts von dieser Rampe wurde komplett vom Orchester, den Bochumer Symphonikern, eingenommen, den restlichen Raum rechts und links des Stegs nahmen die leicht schräg gestellten Kirchenbänke ein.

Weitere Plätze für das Publikum waren außerdem auf den großen Emporen rechts und links im Kirchenschiff sowie auf der Rückseite des Raums rund um die Orgel herum vorgesehen.

Trotz dieser noch relativ geräumigen Bühnenverhältnisse (man muss den während der Vorstellung ebenfalls mehrfach genutzten Laufsteg dazuzählen), wäre für einen großen Chor, der sich ja auch noch ein wenig an einer szenischen Darstellung beteiligen soll und daher zumindest etwas Bewegungsfläche benötigt, wohl doch nicht ausreichend Platz vorhanden gewesen, so dass man sich dazu entschlossen hatte, nur die Hälfte des Chores, der sich aus den Mitgliedern der Johanneskantorei und des Düsseldorfer Kammerchors (beide werden vom Kantor Wolfgang Abendroth geleitet) zusammensetzte, an der Bühnenhandlung zu beteiligen. Die andere Hälfte des somit immerhin ca. 80 Sängerinnen und Sänger umfassenden Ensembles war auf der rechten vorderen Empore direkt über dem Orchester platziert worden, nahm von dort aus singend an der Aufführung teil und sorgte somit für einen interessanten Chor-Raumklang…

Überhaupt muss ich sagen, dass man die in Kirchenräumen wegen des Halls ja oft problematische Akustik gut im Griff hatte - da verschwamm nichts: Sowohl Orchester- wie auch Sängerstimmen kamen gut rüber und der Gesamtklang blieb erstaunlich transparent!

Als Chorsänger kann ich den beteiligten Choristen auf und über der Bühne nur allergrößten Respekt zollen: Allesamt Laien haben sie sich mit großem Engagement und einer gesanglich vollkommen überzeugenden Leistung an diese große Opernchorpartie herangewagt! Und gerade italienische Opernchöre verlangen den Ausführenden in puncto Kraft und Lautstärke doch einiges ab - es gilt schließlich, sich stimmlich gegen ein ganzes Orchester durchzusetzen und auch den typisch italienischen "Schmackes" mit der zugehörigen Leidenschaft rüberzubringen! :-)
An einigen wenigen Stellen (im zweiten und dritten Akt) wurde der Chor auch einmal nur hälftig eingesetzt, es sangen also entweder nur die auf der Bühne oder die auf der Empore positionierten Sänger. Aber dann merkte man auch sofort, dass dieser halbierte Chor Schwierigkeiten hatte, sich wirkungsvoll gegen das Orchester durchzusetzen.

Sogar die große Beckerath-Orgel der Johanneskirche kam im Verlauf des Opernabends zum Einsatz: Anstelle der üblichen "Banda", einer kleineren Kapelle auf oder hinter der Bühne, die in italienischen Opern der damaligen Zeit fast regelmäßig zum Einsatz kam, übernahm die Orgel deren Part und spielte den getragenen Marsch der zum Tode verurteilten Königstochter Fenena auf ihrem Weg zur Hinrichtung. Das passte auch klanglich erstaunlich gut zusammen und verlieh dieser Opernaufführung einmal mehr den Anstrich eines Oratoriums.

Das Solistenensemble bestand komplett aus jungen, frischen und eher leichten Stimmen, was ich sehr sympathisch fand. Gerade die Baritonpartie des Nabucco leidet oft unter einer eher schwerfälligen, zu tiefen Stimme, was diese Figur zu träge und behäbig wirken lässt. In noch stärkerem Maße gilt dies für die mörderische Sopranpartie der Abigaille, die bei einer zu tiefen oder zu voluminösen Stimme leicht etwas matronen- oder walkürenhaftes bekommt. In beiden Fällen überzeugten jedoch Ulf Paulsen und Claudia Iten mit flexiblen und schlanken Stimmen - da machte das Zuhören wirklich Freude!
Nur bei der Partie des hebräischen Hohepriesters Zaccaria (Bass) hätte ich mir stellenweise ein bisschen mehr Volumen und Tiefe gewünscht - gerade diese Rolle muss durch eine gewaltige Bass-Stimme (gerade auch beim Zusammenspiel mit dem Chor) überzeugen, finde ich. Rolf A. Scheider konnte man zwar ebenfalls gut zuhören, aber auch er verfügt eben über einen eher leichten Bass und der hätte zumindest hier ruhig etwas wuchtiger ausfallen können.

Wolfgang Abendroth, der Organist und Kantor der Johanneskirche, hatte als Dirigent das musikalische Geschehen bestens unter Kontrolle und schlug ein erfrischend flottes Tempo an, das den vielen schmissigen und rhythmusbetonten Stellen der Oper sehr angemessen war und direkt die Ouvertüre schon zu einem mitreißenden Erlebnis machte. Aber auch die langsamen, meditativen Stellen der Partitur blieben durch das eher zügige Grundtempo in einem angenehmen Fluss. Die Bochumer Symphoniker spielten routiniert und bildeten so die perfekte Grundlage für diese Aufführung!
Verdis Partitur (er war 29 Jahre alt, als er den Nabucco komponierte) kennt eigentlich nur piano und fortissimo und wirkt mit ihren häufigen abrupten Lautstärkewechseln daher an einigen Stellen ein bisschen brachial, aber irgendwie passt diese Musik dann doch wieder zu den holzschnittartigen Figuren und den dramatisch-wuchtigen Geschehnissen auf der Bühne, zumal Verdi auch in diesem Frühwerk schon unwiderstehlich eingängige Melodien en masse präsentiert, allen voran natürlich der berühmte "Gefangenenchor" im dritten Akt, der (neben einer unglaublich emotional-intensiven A-cappella-Stelle im vierten Akt) für mich dann auch zum musikalischen Höhepunkt des Abends wurde!

Nach so viel Positivem zu den musikalischen Aspekten dieses ehrgeizigen Projekts, das übrigens im Rahmen des alljährlichen, sehr vielgestaltigen Kulturfestivals "Düsseldorfer Altstadtherbst" stattfand, nun aber auch noch zu dem Punkt, der nicht nur mich, sondern mit Sicherheit auch viele andere Besucher der Aufführung nicht unerheblich gestört haben dürfte:

Auf den Eintrittskarten für den Bereich, in dem ich meinen Platz hatte (2. Reihe der linken Seitenempore, das war immerhin die zweitbeste Platzkategorie!) stand zwar bereits der Warnhinweis, dass es "Sichtbehinderungen" geben würde, was in einer Kirche, die ja nicht unbedingt für derartige Aufführungen gemacht wurde, irgendwie auch verständlich ist. Dass es sich dabei aber eigentlich um eine mehr oder weniger komplette SichtVERhinderung handeln würde, hätte ich nun nicht gedacht!

Vom Bühnenraum vor dem Altar habe ich, dank einer großen Säule und der Kanzel, nur die alleräußerste rechte Ecke sehen können, was ca. einem knappen Achtel der gesamten Bühnenfläche entsprochen haben dürfte; Besucher in den Reihen über mir, dürften - genau wie die Besucher der gegenüberliegenden rechten Seitenempore - eher noch weniger zu Gesicht bekommen haben!
So etwas ist natürlich schon sehr ärgerlich, denn ich bin sicher, dass sich alle Ausführenden, insbesondere die ja auch schauspielerisch tätigen Choristen, große Mühe gegeben haben, das speziell auf diesen Kirchenraum zugeschnittene Konzept der Regisseurin Nicola Glück adäquat umzusetzen. Gesehen habe ich davon aber so gut wie nichts, so dass ich hier leider zur Inszenierung des Ganzen eigentlich nichts Substanzielles schreiben kann! :-(

Man hätte sich meiner Meinung nach also die Mühe einer Inszenierung sparen können und die Oper gleich ganz konzertant aufführen können, denn was nützt die schönste Bühnenaktion, wenn knapp die Hälfte des Publikums diese entweder nur teilweise oder gar nicht zu sehen bekommt? Schade um die hier investierte Energie!

Man war schon dankbar, wenn die Darsteller sich mal auf dem Laufsteg in der Mitte des Kirchenraums aufhielten, so bekam man sie wenigstens mal kurzzeitig zu Gesicht. Immerhin durfte die Darstellerin der Abigaille die Kanzel über längere Strecken der Aufführung als eine Art Thron nutzen und von dort, im wahrsten Sinne des Wortes "von oben herab", beispielsweise ihr großes Duett mit Nabucco im dritten Akt bestreiten. Nicht ganz klar war mir allerdings, warum sie sich auch während des Gefangenenchors dort aufhielt und den Gesang mit einem Sektglas in der Hand huldvoll-bösartig lächelnd wie eine Darbietung ihr zu Ehren entgegennahm - irgendwie passte das so gar nicht zu dieser ansonsten so anrührenden Szene! Naja, wenigstens hier auf der Kanzel konnten wir die Sängerin dann auch mal sehen und nicht nur hören…

Immerhin hatte ich von meinem Platz aus einen Panoramablick auf Dirigent und Orchester und der Hörgenuss war ja auch nicht eingeschränkt - das Ganze war also, zumindest für mich, wirklich eher eine konzertante Opernaufführung, auch wenn ich das vorher eigentlich in dem Maße so nicht erwartet hätte - schade…!

Mein Rat daher an die Ausführenden: Weitere Projekte dieser Art sehr gerne, aber dann wirklich nur konzertant (oder eine wie auch immer geartete Lösung des Sichtproblems, von der dann auch große Teile des Publikums profitieren)!

Was ich vom "Bühnengeschehen" mitbekommen habe:
Die Regisseurin Nicola Glück setzte auf eine sich in einfachen, überzeitlichen Symbolen und Gesten beschränkende Inszenierung; so waren beispielsweise die Israeliten komplett in weiß, die Babylonier hingegen in schwarz gekleidet. Dabei hätte es nicht unbedingt sein müssen, dass der Nabucco mit den Attributen "bodenlanger schwarzer Ledermantel" und "Militärstiefel" dem in heutigen Inszenierungen ja sehr gerne gebrauchten Typus des nazimäßig angehauchten Gewaltmenschen entsprach.
Machtsymbol der babylonischen Herrscher war eine fast mannshohe weiße Kugel (Symbol für die Weltkugel??) aus flexiblem Stoff, die sowohl von Nabucco als auch von Abigaille stets bedeutungsschwanger bis bedrohlich umklammert oder mitgeschleift wurde - sogar auf die Kanzel musste das ziemlich unhandliche Teil mit hinauf!
Auf den fast während des gesamten Stücks zugezogenen Vorhang, der Altar und Kreuz im halbrunden Chorraum verbarg, waren während der ganzen Vorstellung Projektionen zu sehen: Wolken, schwarz-weiße, vom Wind bewegte Blütenstengel, ein Davidstern oder hebräische Schriftzeichen - sicherlich irgendwie ganz dekorativ, aber teilweise auch ein wenig konfus und daher eigentlich überflüssiger technischer Schnickschnack, der zur eigentlichen Aufführung nichts Konstruktives beitrug. Aufgrund dieser Projektionen dann auf den Plakaten jedoch gleich von einer "multimedialen Inszenierung" zu sprechen, schien mir jedenfalls ziemlich übertrieben und sich unnötig an moderne "Events" anbiedernd, die auch gerne mit diesem (Tot-)Schlagwort "Multimedia" für sich zu werben versuchen!

Ach ja - einen richtigen Klopper ganz zum Schluss gab es dann doch noch:
Den verantwortlichen Ausführenden mag es ja vielleicht entgangen sein, aber Verdi hat für seinen Nabucco durchaus ein Ende komponiert. Das schien dem Projekt in der Johanneskirche jedoch irgendwie nicht ganz passend zu sein, denn man entschied sich zu meiner großen Überraschung für das Finale des dritten Aktes aus Verdis 25 Jahre (!!) nach dem Nabucco entstandenen Don Carlos! So kam es, dass man sich nun musikalisch urplötzlich nicht mehr im antiken Babylon sondern im Madrid des 16. Jahrhunderts befand, wo die Volksmenge die in Flammen aufgehenden Scheiterhaufen bei der großen Ketzerverbrennung bejubelt! Was für ein bizarres Ende eines nun plötzlich doch noch ganz unerwartet "multimedialen" Opernabends...!!!

Was dieser "Kunstgriff" sollte, bleibt wohl das Geheimnis der Verantwortlichen.
Kann man sich auch bei der grauslichsten Inszenierung im herkömmlichen Operntheater wenigstens darauf verlassen, dass zumindest die Musik unangetastet bleibt (abgesehen von viel zu häufigen ärgerlichen Kürzungen und Strichen), so war hier leider nicht einmal diese vor eigenmächtigen Änderungen sicher - das hätte ich echt nicht für möglich gehalten!

Wenn man aber bereits hier anfängt, sich Teile der gespielten Oper nach Belieben selber zusammenzusetzen, dann hätte ich auch gerne vorher noch beantragt (man hätte vorher ja im Internet abstimmen können), den Triumphmarsch aus Aida zu spielen (den mag ich besonders!) und dem Tenor, der im Nabucco untypischerweise kaum zum Einsatz kommt und nicht einmal eine richtige Liebesszene hat, hätte man zur Aufwertung seiner kärglichen Partie doch auch noch "La donna è mobile" aus dem Rigoletto (um bei Verdi zu bleiben) zugestehen können…

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