Donnerstag, 3. März 2011

Ein Abend in der Oper - "The Turn of the Screw" in Köln

"… die (Opern-) Karawane zieht weiter!" - nach diesem Motto macht die Kölner Oper auf ihrer weiterhin ausgesprochen gelungenen und nach wie vor spannenden Tour durch diverse "Alternativ-Spielstätten" aktuell Station in der Trinitatiskirche (während im eigentlichen Opernhaus wie in jedem Jahr zur Karnevalszeit der Kölner Männergesangsverein mit seiner "Cäcilia Wolkenburg" das "Divertissementchen" präsentiert).

Die Kölner Trinitatiskirche ist die erste evangelische Kirche, die die immer zahlreicher werdenden Protestanten der Rheinmetropole Mitte des 19. Jahrhunderts in der bis dato erzkatholischen Stadt neu erbauen durften. Sie ist in einem spätantiken/ frühmittelalterlichen italienischen Basilika-Stil gehalten (inkl. freistehendem Campanile) und bildet damit eine reizvolle Ergänzung zu den vielen romanischen Kölner Kirchen (und natürlich dem gotischen Dom). Heute wird die Trinitatiskirche neben Gottesdiensten hauptsächlich für Konzertveranstaltungen genutzt (ich habe hier bereits im Rahmen umfangreicher Chorproben für Berlioz' Te Deum singen dürfen).

Umso gespannter war ich nun, zu erleben, wie man diesen Kirchenraum nutzen würde, um Benjamin Brittens (1913-76) Kammeroper "The Turn of the Screw" (UA 1954 in Venedig) in Szene zu setzen (nach dem Düsseldorfer Nabucco ist dies interessanterweise bereits die zweite Opernaufführung in einer Kirche, die ich im letzten halben Jahr erleben konnte). Ich habe am vergangenen Freitag (25. 02.) die insgesamt dritte Aufführung dieser Inszenierung besucht - die Premiere war am 11. Februar (weitere Infos und Bilder siehe hier!).

Zunächst aber kurz zur literarischen Vorlage dieser Oper: "The Turn of the Screw" ist eine Erzählung des amerikanischen Autors Henry James (1843-1916), der einen Großteil seines Lebens in England verbrachte. Hier erschien im Jahr 1898 besagte Geschichte um eine (sowohl in der Vorlage wie auch in der späteren Opernversion) namenlos bleibende Gouvernante, die zwei Kinder auf einem einsamen englischen Landsitz zu betreuen hat und der dort die geheimnisvollen Erscheinungen zweier ehemaliger (zwischenzeitlich verstorbener) Bedienter des Hauses derart psychisch zusetzen, dass sie glaubt, die beiden Kinder (für die sich die Geister besonders zu interessieren scheinen) vor deren unheilvollem Einfluss beschützen zu müssen, was jedoch tragisch mit dem Tod des kleinen Jungen Miles endet.

Was in diesen wenigen zusammenfassenden Worten vielleicht gar nicht so besonders originell klingt, ist allerdings eine ausgesprochen raffiniert konstruierte und erzählte Geschichte, die seit ihrem Erscheinen schon Generationen von Lesern und Literaturwissenschaftlern beschäftigt und fasziniert hat!

Bis zum Schluss wird eigentlich nicht eindeutig klar, ob die Gouvernante sich die beiden Geister lediglich einbildet oder ob diese wirklich "existieren" und zum Beispiel auch den beiden Kindern erscheinen. "The Turn of the Screw" ist eine große Sammlung an Angedeutetem (gerade auch unerfüllter sexueller Begierden) und Unausgesprochenem sowie den daraus resultierenden Schlussfolgerungen und Reaktionen der Gouvernante, die zudem als Ich-Erzählerin (abgesehen von einer kurzen Einführungshandlung, in der es darum geht, die von ihr aufgeschriebene Geschichte zu erzählen) dem Ganzen somit eine ausgesprochen subjektive Note gibt.

Der psychologische Aspekt spielt in der Erzählung also eine große Rolle und gerade das ist im Zeitalter der aufkommenden Psychoanalyse unter Sigmund Freud & Co. sehr bewundert worden und hat zur zusätzlichen Berühmtheit dieser Erzählung beigetragen.

Der Text von "The Turn of the Screw" besteht oft aus langen, mit zahlreichen Einschüben versehenen Sätzen und wirkt charakteristisch für das viktorianisch-puritanische Umfeld der damaligen Zeit: Viele Worte werden gemacht, konkret ausgesagt wird aber so gut wie nichts - man muss zwischen den Zeilen lesen und die sparsamen Andeutungen und Bemerkungen richtig zu deuten wissen, da diese bei Weitem nicht so belanglos erscheinen mögen, wie sie tatsächlich sein könnten. Ich frage mich, ob Henry James diesen typischen Tonfall aus der Entstehungszeit der Erzählung heraus quasi automatisch mit übernommen hat - oder ob er hiermit als bewusst eingesetztem Stilmittel auch Kritik an dieser furchtbar gehemmten, komplexbeladenen und prüden Gesellschaft übt - wie so vieles an "The Turn of the Screw" ist auch dies eine der zahlreichen Fragen, die nach der Lektüre - unabsichtlich oder vom Autor durchaus gewollt - offen bleiben müssen!

Sehr spannend finde ich immer die Frage, wie eine literarische Vorlage nun in ein Opernlibretto umgewandelt wird.
Im konkreten Fall hat Myfanwy Piper (1911-97) - wie ich finde übrigens ein ausgesprochen faszinierender weiblicher Vorname aus Wales! - ein paar entscheidende Änderungen gegenüber der Originalerzählung vorgenommen (wie weit dies unter dem Einfluss Brittens geschah, ist mir leider nicht bekannt):
Man hätte aus der Vorlage sicher auch eine Art dramatischer Kantate für lediglich eine Solistin (= die Gouvernante) machen können, die wie in der Erzählung die ganzen Begebenheiten ausschließlich aus ihrer persönlichen Sicht hätte vortragen können, entschied sich aber für eine Folge von insgesamt sechzehn kurzen Episoden (hälftig aufgeteilt auf zwei Akte) sowie einem einführenden Prolog, der dem Publikum die Vorgeschichte erzählt.
Während bei Henry James die beiden Geister stumm bleiben, erhalten sie in der Oper Gesangspartien (Peter Quint als Tenor und Miss Jessel als Sopran), wofür die Librettistin natürlich einen vollständig neuen Text erfinden musste - wie und worüber sollten die Geister reden, welche konkreten Ziele verfolgen sie, etc.
Aufgrund dieser Entscheidung wird der Geschichte zwar eine der zahlreichen Ebenen genommen, da der Leser der Original-Erzählung ja nie erfährt, was die Geister (sofern sie nicht nur in der Phantasie der Gouvernante existieren) mit ihren Erscheinungen eigentlich wirklich beabsichtigen und man sich in der Oper jedoch eindeutig darauf festlegt, dass sie ein eindeutiges (sexuelles) Interesse füreinander und auch für die beiden Kinder umtreibt.
Überhaupt wird ihre tatsächliche Existenz eigentlich nicht mehr in Frage gestellt, was ja eigentlich mit den Reiz der literarischen Vorlage ausmacht - allein die Szene zu Beginn des zweiten Aktes, an der die sonst fast durchgängig auf der Bühne anwesende Gouvernante nicht beteiligt ist, in der die Geister Peter Quint und Miss Jessel an einem Ort "im Nirgendwo" ohne weiteren äußeren Anlass ausschließlich miteinander kommunizieren, lässt eigentlich keinen Zweifel mehr an deren "Realität" zu. Damit wird die Gouvernante quasi "entlastet": So ganz verrückt kann sie demnach eigentlich nicht sein, dass sie sich die ganzen Vorgänge lediglich einbildet.

Es spricht allerdings für das Libretto Myfanwy Pipers, dass sie es trotz dieser ziemlich gravierenden Veränderungen gegenüber dem Original dennoch schafft, die Stimmung stets im Vagen und Geheimnisvollen zu belassen, so dass der Zuschauer - gerade auch bei einer entsprechenden Inszenierung des Ganzen - sich immer noch nicht wirklich sicher sein kann, ob alles auf die Gouvernante zurückzuführen ist (bzw. irgendwie von ihr ausgeht) oder ob diese auch nur als "Opfer" des Geisterspuks reagiert. Das tragische Ende mit dem Tod des kleinen Miles scheint jedenfalls unausweichlich.

Benjamin Brittens Musik zu dieser Textvorlage verfehlt ihre Wirkung nicht: Sie setzt die gruselig-düstere und geheimnisvolle Stimmung erstklassig um und hat auch dem an der Komposition Interessierten einiges zu bieten:
Jede der einzelnen Szenen der Oper (die überdies alle durch instrumentale Zwischenspiele miteinander verbunden sind) hat als Hauptton einen jeweils höheren (bzw. im zweiten Akt dann wieder einen jeweils tieferen) Ton als die vorangegangene, wobei - von der Klaviertastatur aus gesehen - im ersten Akt zunächst die Töne der weißen, und dann - mit zunehmender Spannung und Düsternis - die der im wahrsten Sinne des Wortes schwarzen Tasten als Haupttöne eingesetzt werden. So bohrt sich durch die ganze Oper hindurch die titelgebende Schraube unerbittlich Ton für Ton immer weiter, bis das sprichwörtliche "Durchdrehen" erreicht ist. Diese raffinierte kompositorische Ebene ist allerdings - jedenfalls für mein Empfinden - genauso wenig zu hören, wie auch die dichte motivische Arbeit (Variation und Weiterentwicklung vor allem des "Screw"-Motivs, das zu Beginn vorgestellt wird), die Britten in die Partitur hat einfließen lassen.
Die Kenntnis dieses zusätzlichen "kompositionstechnischen" Elements ist für das Erleben der Oper daher zwar nicht unbedingt erforderlich (und hörbar), fasziniert aber natürlich trotzdem - ähnlich wie zum Beispiel die zahlreichen oft auf Zahlensymbolik beruhenden "Botschaften", die Barockkomponisten wie Johann Sebastian Bach in ihre Werke haben einfließen lassen und die man auch erst nach eingehender Beschäftigung mit der Partitur entdeckt.

Das Publikum (nur maximal etwas mehr als 300 Personen passen in den Bühnen-Kirchenraum) am vergangenen Freitag wurde im Rahmen einer Einführung im Foyer der Trinitatiskirche dankenswerterweise dann auch auf die besonderen kompositorischen Raffinessen von Brittens Partitur hingewiesen. Es war übrigens die erste Opernaufführung, die ich besucht habe, wo man an der Garderobe den (wirklich guten!) Rat bekam, Jacken und Mäntel vielleicht doch besser anzubehalten, da es in Kirchenräumen ja oft ein bisschen kühl ist - zumindest wenn man eindreiviertel Stunden (ohne Pause) fast regungslos und muckmäuschenstill auf den Kirchenbänken auszuharren hatte, wie es für diese Aufführung von "The Turn of the Screw" erforderlich war… ;-)

Den Innenraum der dreischiffigen Trinitatiskirche hatte man mit einem schwarzen Laufsteg, der längs durch das Mittelschiff verlief, in zwei Hälften geteilt (eine Raumaufteilung, die der für die Krönung der Poppäa gewählten sehr ähnlich war), wobei die Kirchenbänke für das Publikum zu beiden Seiten entlang dieses Stegs aufgestellt waren, was die sonst übliche räumliche Distanz zwischen Zuschauern und Darstellern auf ein Minimum zusammenschrumpfen ließ.
Begrenzt wurde diese Laufstegbühne auf der einen Querseite des Innenraums durch eine Spiegelwand, die während der Aufführung interessante Perspektiven auf das Bühnengeschehen und den gesamten Innenraum ermöglichte, auf der gegenüberliegenden Seite befand sich im ersten Akt eine Wand aus braunem Papier, die von den Darstellern zunehmend zerschnitten und zerrissen wurde, so dass sie für den zweiten Akt den Blick auf eine schwarze Tafel freigab, die mit einem Gemälde aus Kreide versehen war und auf der so ziemlich alle Figuren in diesem zweiten Akt einmal mit ausladenden Gesten herumwischen oder -schmieren durften…
Überhaupt nutzte der junge Regisseur Benjamin Schad den gesamten, als Aufführungsort für eine Geistergeschichte mit seinen zahlreichen Säulen, Bogengängen und hohen Fenstern ja auch ungemein stimmungsvollen Kirchenraum für seine Inszenierung, indem er die Sängerinnen und Sänger nicht nur auf dem Laufsteg hin- und herlaufen ließ, sondern mehrfach durch den gesamten Innenraum schreiten, rennen oder gar tanzen ließ - vorbei am Orchester und an den Zuschauerbänken entlang.
Die beiden Geister erscheinen erstmalig wirkungsvoll in zunächst noch mysteriöser Distanz oben auf den Emporen und blicken, bzw. singen in den Kirchenraum hinunter - alles in allem adäquate Ideen, um die lokalen Besonderheiten dieses ungewöhnlichen Aufführungsortes auch auszunutzen.

Im Zentrum des Raums, also in der Mitte der langen Laufstegbühne, befanden sich unter einer großen weißen kugelförmigen Leuchte, die von der hohen Decke herabhing, ein schwarzer Schreibtisch und ein halb zertrümmerter Flügel, die beide jeweils zur Hälfte in den Bühnenboden eingebrochen zu sein schienen und um die herum sich dann das intensive Spiel aller an der Opernhandlung Beteiligten entwickelte. Die Kostüme der Figuren dieser Inszenierung waren der Kleidung des späten 19. Jahrhunderts nachempfunden, also der Zeit der Entstehung der literarischen Vorlage von Henry James.

Das aus lediglich 13 Instrumentalisten bestehende Kammerorchester war hinter den Zuschauerbänken in einem der beiden Seitenschiffe untergebracht, was aber dem Klang dieses gut aufeinander eingespielten Ensembles dank der exzellenten Akustik des gesamten Kirchenraums keinen Abbruch tat! Und weil dieses kleine Orchester nicht zuletzt wegen der anspruchsvollen Zwischenspiele zwischen den einzelnen Szenen der Oper einen ganz erheblichen Anteil an dem Gesamtwerk hat, durften am Ende nicht nur der Dirigent, sondern gleich alle Musiker mit zum Verbeugen auf den Laufsteg (lang genug war er ja!) - verdient hatten sie es alle!

Kritisch anmerken muss ich hier, dass es für die Karten einen (nicht gerade günstigen) Einheitspreis gab, verbunden mit "freier Platzwahl", was zumindest solange kein Problem darstellte, bis die Kirchenbänke längs des Bühnenlaufstegs noch nicht komplett besetzt waren (mir war es so grade noch gelungen, hier ein Plätzchen zu ergattern!). Wer etwas später den Weg in den Innenraum der Kirche fand, musste sich mit Stühlen begnügen, die in den Seitenschiffen aufgestellt waren und von denen aus man, wenn man eine der zahlreichen dicken Säulen vor sich hatte, die die Seitenschiffe vom Mittelschiff der Kirche abtrennen, nicht mehr wirklich viel von den Geschehnissen auf der Bühne mitbekam, auch wenn die Länge des Bühnenstegs es den Sängerinnen und Sängern ermöglichte, sich weitläufig durch den effektvoll ausgeleuchteten Kirchenraum zu bewegen.
Einige Zuschauer wichen dann auch mehr oder weniger notgedrungen auf Stehplätze auf die bereits erwähnten galerieartigen Emporen aus, die sich über beiden Seitenschiffen befinden und von denen man dann sicher einen besseren Blick auf das Ganze hatte - was sich aber für mein Dafürhalten auch auf eine moderatere Gestaltung der Eintrittspreise für die hiervon "Betroffenen" hätte auswirken müssen!

Hier die Besetzungsliste der von mir besuchten Aufführung:

Prolog/ Peter Quint: John Heuzenroeder
Die Gouvernante: Claudia Rohrbach
Mrs. Grose: Helen Donath
Miles: Carlo Wilfart
Flora: Ji-Hyun An
Miss Jessel: Adriana Bastidas Gamboa
Musiker des Gürzenich-Orchesters Köln
Leitung: Raimund Laufen


Um die zentrale Person der Gouvernante entspinnt sich die gesamte Opernhandlung und so war denn auch das Kölner Ensemblemitglied Claudia Rohrbach in dieser Partie die gefeierte Hauptperson des Abends: Ihr intensives Spiel in Kombination mit ihrem ausdrucksstarken und klaren Sopran beeindruckte wirklich sehr! Mit dieser Rolle dürfte sich Claudia Rohrbach eine Partie erarbeitet haben, die ihre schauspielerischen wie stimmlichen Fähigkeiten wirklich nahezu optimal zur Geltung bringt.

Der australische Tenor John Heuzenroeder, den ich im Dezember 2010 zuletzt als Pedrillo in Mozarts Entführung gesehen und gehört hatte, übernahm den Part des Prologs und des Geistes Peter Quint - eine Doppelrollenkombination, die so schon Peter Pears (der Lebensgefährte von Benjamin Britten) in der Uraufführung der Oper verkörpert hatte.
Heuzenroeders heller und leichtfüßiger Tenor passte mit seinem von mir irgendwie als ganz besonders "typisch englisch" empfundenem Timbre natürlich bestens in eine Britten-Oper - es machte Freude, ihm zuzuhören und ich fand ihn in dieser Oper um Längen besser als in der Entführung! Seine Rolle als Quint bestand hauptsächlich in bedeutungsvoll-langsamem Einherschreiten in Abwechslung mit leidenschaftlichem Herummachen mit seiner "Geistergeliebten" Miss Jessel (deren eh schon kleine Rolle in dieser Inszenierung etwas farblos blieb).

Der für mich etwas unpassende "zombiehafte" Eindruck beider Geistergestalten in dieser Inszenierung wurde durch ein entsprechendes Make-up noch verstärkt: War es wirklich nötig, dass beide im Gesicht so etwas wie grünliche Verwesungsspuren aufwiesen? Ich glaube nicht, dass es dieses etwas plump wirkenden Make-up-Effekts bedurft hätte, um den Zuschauern klar zu machen, dass man es hier tatsächlich mit Wiederkehrern aus dem Reich der Toten zu tun hat… Irgendwie legte das die Rollen dieser beiden Figuren wieder zu eindeutig auf "klassische" Geister fest - gerade in diesem Stück sollte meiner Meinung nach eigentlich alles viel mehr im Angedeuteten, Geheimnisvollen und nicht eindeutig Erklärbaren angesiedelt sein. Derart stereotype Rollenklischees wirken da eher kontraproduktiv.

Eine Legende, die interessanterweise sowohl ihre internationale Opernkarriere in Köln begonnen hatte, wie in früheren Jahren selber auch in der Rolle der Gouvernante sehr erfolgreich war, wurde uns mit der Amerikanerin Helen Donath in der Partie der Haushälterin Mrs. Grose präsentiert!
Eine eindrucksvolle Bühnenpräsenz gepaart mit einem nachgedunkelten, aber nach wie vor strahlkräftigen Sopran, die auf mich einen ausgesprochen sympathischen Eindruck machte. Nicht ganz zu ihrer eher (groß-) mütterlichen Erscheinung passte die Inszenierungsidee, aus ihrer Bühnenfigur eine viktorianisch-verklemmte Lesbe zu machen, die mehr oder weniger offen die jüngere Gouvernante begehrt. Zwar ist auch dies im literarischen Original von Henry James in Ansätzen angelegt, aber wie so vieles in "The Turn of the Screw", wird hier lediglich etwas angedeutet, was auch ganz anders interpretiert werden könnte und damit ja gerade den Reiz dieser ganzen Geschichte ausmacht. Da diese augenscheinlich nur mühsam unterdrückten lesbischen Begierden jedoch in der weiteren Entwicklung der Handlung nicht weiter vertieft werden (können), hätte man darauf jedoch auch verzichten können, wie ich finde - das Ganze irritierte so mehr, als dass es dem weiteren Verständnis der Figurenkonstellation genutzt hätte.

Viel augenscheinlicher (und ganz sicher auch motiviert durch die Person des Komponisten Benjamin Britten) wird in der Inszenierung jedoch auf die eindeutig päderastische Beziehung zwischen Quint und dem Knaben Miles abgezielt. Das Ganze gipfelt in der Schluss-Szene sogar darin, dass Quint die gleichen Sachen anhat wie sein junges Objekt der Begierde und er den Jungen (nach dessen Tod) auf den Arm nimmt und hinausträgt, ihn somit sinnfällig in seine (Toten-)Welt mitnimmt und ihn damit endgültig dem (unheilvollen?) Einfluss der alles kontrollieren wollenden Gouvernante entzieht, die einsam und ohne weitere Existenzberechtigung zurückbleibt.
Carlo Wilfart, ein 12-jähriges Mitglied des Knabenchors der Chorakademie Dortmund, singt den Miles mit glockenhellem, ausgesprochen tragfähigem Knabensopran (vor allem sein "Malo"-Lied ist eine echte Gänsehautstelle!), wirkt aber - was wohl eher der Regie anzulasten ist - viel zu unschuldig.
Die Figur des Miles ist bei Henry James nämlich eine - wie sollte es auch anders sein? - nur vordergründig rein und kindlich wirkende Person. Bei näherem Hinsehen verbergen sich tiefe Abgründe in seinem Charakter und man wagt kaum, sich vorzustellen, was in der Vorgeschichte zwischen ihm und dem (noch lebenden) Quint alles vorgefallen sein mag und vor allem auch, von wem das Ganze ursprünglich ausgegangen ist! Sein mehrfach geäußerter Wunsch, "böse" sein zu wollen, lässt da einige Rückschlüsse zu, von denen in der Inszenierung leider kaum etwas zu spüren war: Miles wirkte hier fast durchgängig wie das meist passive, geduldig leidende und demzufolge eben auch wohl wirklich unschuldige Opfer der Umtriebe Quints und der Gouvernante - damit war diese interessante Figur jedoch viel zu eindimensional gezeichnet!

Eine von der Körpergröße wie vom jugendlich-unschuldigen Auftreten her zur Figur des Miles passende "kleine Schwester" war die junge Koreanerin Ji-Hyun An (sie ist - wie einst Helen Donath - Mitglied des Kölner Opernstudios) in der Rolle der Flora. Zumindest ihr gelang es in einigen Szenen zu verdeutlichen, dass auch das liebreizende kleine Mädchen im engelhaften weißen Kleidchen ebenfalls bösartige Abgründe in sich verbirgt - wenn sie plötzlich mit wirklich angsteinflößender Mimik beginnt, ihre Puppe zu malträtieren, wird zumindest klar, dass wir es hier mit einer weiteren Figur zu tun haben, die nicht das zu sein scheint, was man auf den ersten Blick von ihr anzunehmen glaubt.

Alles in allem ein gelungener Opernabend in einem erneut ungewohnten, aber fantasievoll genutzten Ambiente, der vor allem musikalisch keine Wünsche offen ließ!

P. S.: Wie ich durch Zufall mitbekam, ging es nicht nur mir jahrelang so, dass ich den Titel der Oper "The Turn of the Screw" immer mit "The Taming of the Shrew" verwechselte, wobei Letzteres ja nun definitiv etwas völlig anderes ist… *zwinker*

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