Donnerstag, 2. Dezember 2010

Neulich im Theater...

Nach dem Ausflug ins Gerling-Quartier im Kölner Friesenviertel mit Monteverdis Poppea beim letzten Mal zieht die Opernkarawane jetzt weiter ins Palladium in den Kölner Stadtteil Mülheim (für Nicht-Kölner: Dieser und die angrenzenden Stadtteile sind diejenigen mit dem höchsten türkischen Migrantenanteil) und in dieser bislang in der Hauptsache für Rockkonzerte genutzten Veranstaltungshalle hatte nun am 26. November 2010 als erste einer ganzen Reihe noch folgender Opern passenderweise Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail Premiere. Ich habe die gestrige, insgesamt dritte Vorstellung besucht (Dauer knapp drei Stunden inkl. Pause).

Zunächst: Im Gegensatz zum sich zur Zeit in einer Art Vor-Sanierungszustand befindlichen Opernhaus in der Innenstadt liegt das Palladium, eine alte Industriehalle, zusammen mit einigen anderen ähnlichen Gebäuden (wie zum Beispiel dem E-Werk) in einem ehemaligen Industriegebiet am Rande des Stadtteils Mülheim - und damit schon ziemlich deutlich an der Peripherie unserer Großstadt.
Ob man unter den in Mülheim ansässigen Mit-Kölnern allerdings nun plötzlich mehr Opernbesucher verzeichnen kann, wie man im Vorfeld lesen konnte (da die Oper ja nun plötzlich quasi in Fußweite vor der eigenen Hautür liegt), möchte ich allerdings ein bisschen bezweifeln - da würde mich wirklich einmal interessieren, ob man hier den Versuch macht, das irgendwie herauszufinden. Wäre ja toll, wenn man ganz wider Erwarten tatsächlich doch ganz neue Opernfreunde durch diesen "Tapetenwechsel" gewinnen könnte!

Auf Dauer kann diese Spielstätte aber keine Lösung sein, da für viele Opernbesucher zum Beispiel ein Restaurantbesuch oder Schaufensterbummel vor oder nach der Vorstellung einfach dazugehört und dies dort draußen natürlich nicht so einfach mal eben möglich ist. Dann fehlen auch ausreichend Parkplätze (dort draußen eigentlich noch nötiger als in der City!) und natürlich gute Anbindungen an den öffentlichen Nahverkehr, auch wenn die Kölner Verkehrsbetriebe extra eine Opernbus-Linie eingerichtet haben, die das Palladium mit den zentralen Haltestellen und dem Bahnhof in Mülheim verbindet - aber man verliert dann auch schnell den Spaß an der ganzen Sache, wenn einem dieser Bus nach dem Verlassen der Spielstätte gerade vor der Nase weggefahren ist und man ungeschützt und ohne Dach in der klirrenden Kälte bei Schneetreiben auf den nächsten Bus warten muss - selbst wenn dieser dann nur knapp 10 Minuten später kommen mag, bei den zur Zeit herrschenden Witterungsverhältnissen kann einem so eine Wartezeit schon wie eine Ewigkeit vorkommen und der eine oder die andere BesucherIn mag sich daraufhin vielleicht einen weiteren Besuch im alternativen Opernhaus "dort draußen" nochmals gründlich überlegen…

Die Örtlichkeit an sich ist trotzdem eine gute Wahl: Das Ambiente (typische alte Industriearchitektur mit hohen Räumen, rustikalen Backsteinmauern und vielen Stahlträgern) hat schon was für sich und alle Mitarbeiter vor Ort waren sichtlich bemüht, es den Besuchern in der ungewohnten Atmosphäre so angenehm wie möglich zu machen.
Die sicherlich größte Überraschung: Die Akustik im Saal (wo man eine Zuschauertribüne errichtet hat, die ca. 800 Personen Platz bietet) ist exzellent - da gab es keinerlei Abstriche zu machen (damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet)!

Die Inszenierung von Opern-Intendant Uwe Eric Laufenberg nimmt denn auch die nüchtern-moderne Industrieatmosphäre auf und lässt die Entführung aus dem Serail im Kurdistan (das wurde im Stück explizit so erwähnt!) der Jetzt-Zeit in einer trist-grauen Beton- und Lagerhauskulisse spielen.
Weitere Infos und Bilder zu dieser Produktion siehe hier!

Diese Modernisierung des Ganzen ist ja - dank der abendländisch-türkischen Konfrontation in dieser Oper - seit einiger Zeit für Regisseure quasi eine Verpflichtung, lässt sich doch hier wunderbar ein Beitrag zur immer noch allgegenwärtigen Migrations- und Integrationsdebatte abliefern, der allein schon deswegen die gewünschte öffentliche Aufmerksamkeit erhält und gleichzeitig auch beweist, wie wunderbar zeitgemäß und aktuell auch die klassische Oper sein kann…
Naja - ich finde diese Argumentation mittlerweile etwas fadenscheinig. Auch in der aktuellen Kölner Inszenierung gab es -zig Bilder, die man so bereits mehrfach gesehen hat, sei es in anderen Inszenierungen der Entführung aus dem Serail oder in anderen Beiträgen zu dieser mir irgendwie endlos scheinenden Thematik…!

Und damit verliert für mich die Begründung, warum man überhaupt diese Aktualisierungen in Angriff nimmt (nämlich die, neue, bislang unbekannte Sichtweisen und aktuelle Bezüge aufzuzeigen), doch etwas an Stichhaltigkeit:
Wenn jetzt schon die seit Jahren so beliebten Handlungsmodernisierungen beginnen, durch einander sehr ähnliche (teils identische) Elemente eine Art "klassischen Kanon" herauszubilden, wäre es dann nicht höchste Zeit, sich entweder etwas ganz Neues auszudenken oder zur Abwechslung auch mal wieder an die eigentlichen Ursprünge des jeweiligen Werks zurückzukehren? Ich persönlich habe nach dem Erleben mehrerer moderner "Entführungen" im heutigen muslimisch-arabischen Ambiente keine große Lust mehr, mir noch eine weitere Aufführung in diesem Stil anzusehen - es fängt einfach an, mich zu langweilen…

Außerdem passt diese Kombination "moderner, möglichst realistisch dargestellter Orient versus Mozart" nur schwer zusammen:
Mozarts Orientbild entstammt einer damals grassierenden Orientmode - man begeisterte sich für das exotische, fremdländische, und üppig-bunt erscheinende Morgenland à la "1001 und eine Nacht" und bastelte sich daraus eine Art Wunschvorstellung der "Welt der Muselmanen", die natürlich nur äußerst begrenzt der Realität entsprach (aber wer konnte das zur damaligen Zeit schon persönlich nachprüfen?) und vor allem natürlich aus europäischer Sicht interpretiert wurde, was vielen kritischen Autoren übrigens auch eine gute Gelegenheit bot, durch Schilderungen von orientalischen Herrschern, Völkern und Begebenheiten eine darin verpackte Kritik der eigenen (europäischen) Gesellschaft einzuflechten.

Auf musikalischer Ebene zeigt sich dieser naive, abendländische Blick auf den Orient schon durch das, was man damals im Allgemeinen unter "türkischer Musik" verstand: Sobald die aus damaliger Sicht noch sehr exotisch wirkenden Instrumente wie Tamburin, Becken, Triangel und große Trommel erklangen, wussten alle Zuhörer sofort, dass der Komponist jetzt "alla turca" aufspielen ließ, auch wenn der ganze Rest der Musik nach wie vor durch und durch abendländisch blieb.
Ich bin sicher, wenn man diese Musik, wie sie Mozart auch mehrfach innerhalb seiner Entführung aus dem Serail verwendete, damals einem Osmanen oder auch heute einem Türken oder Araber vorspielen würde, wären diese sicher sehr überrascht, wenn man ihnen sagen würde, dass diese jetzt "türkische Musik" sein solle, bloß weil da mal ordentlich auf die "dicke Trumm" gehauen wird und dazu Becken und Triangel erklingen…

Und so ist Mozarts Entführung aus dem Serail eben nicht nur von der Musik her eine exotische, märchenhafte Handlung, die typische Lustspielfiguren auftreten lässt (z. B. das "hohe", ernste Paar Konstanze - Belmonte, das komische Dienerpaar Blonde - Pedrillo und den tumb-komischen Bösewicht Osmin) und keinen Anspruch auf irgendeinen szenischen Realismus hegt (das wäre im Uraufführungsjahr 1782 mangels Wissens um die tatsächlichen Zustände im osmanischen Reich auch schwierig geworden).

So gesehen wirken heutige Versuche dann immer etwas hilflos, wenn man auf Biegen und Brechen zum Beispiel aus der Figur des Osmin einen gewalttätigen, machohaften Brutalinski machen möchte, wie man ihn eben aus zahllosen heutigen Berichten aus muslimischen Ländern zu kennen glaubt.
Mozarts Musik, mit der er die Figur des Osmin charakterisiert, entlarvt diese Versuche dann letztendlich immer ganz schnell als gescheitert (ebenso wie zum Beispiel die Tatsache, dass das kapriziöse Blondchen diesen vom Regisseur so gerne gewünschten "muslimischen Monster-Macho" allein mit ihrer Drohung, ihm die Augen auszukratzen, in Schach halten kann)!

Irgendwie sollten Regisseure doch auch mal darauf hören, was die Musik der Oper, die sie auf die Bühne bringen sollen, über Handlung und Figuren aussagt - dann würden meiner Meinung nach einige krude Regie-Konzepte, die oft allein aus der Textgrundlage einer Oper entstanden zu sein scheinen, nämlich ziemlich schnell in sich zusammenfallen, weil sie durch die Musik einfach nicht glaubhaft rübergebracht werden können. Aber dieser doch eigentlich so wichtige Aspekt scheint mir erstaunlich oft völlig ausgeblendet zu werden, leider...!

Zur aktuellen Kölner Inszenierung kann ich nur sagen:
Sie störte den Opernabend wenigstens nicht - und das ist für modernes Regietheater schon ein großes Kompliment! Man nahm das Ganze Drumherum zur Kenntnis und wurde zum Glück nicht weiter unnötig von der Musik abgelenkt - was will man mehr *zwinker*

Ein paar nette Ideen waren immerhin in der gestrigen Inszenierung dabei, die eine Erwähnung verdienen: So erscheinen beispielsweise zu Beginn des dritten Aktes während Pedrillos als Startsignal für die eigentliche Entführung gedachter Ballade "Im Morgenland gefangen war" nicht nur die (wie alle weiblichen Insassinnen des Serails) bis zur Unkenntlichkeit verschleierten Konstanze und Blonde (die sich beide übrigens erwartungsgemäß während der Oper gleich mehrfach in einem Akt dramatisch-rebellischen Aufbegehrens die Verschleierung vom Körper reißen), sondern nach und nach gleich mindestens ein Dutzend Burka-Trägerinnen mit Reisetaschen bepackt und Pedrillo bemerkt nach Beendigung seines Liedes leicht verzweifelt: "Alle können wir nicht mitnehmen!".

Oder Osmin, der während seiner Arie "Solche hergelauf'nen Laffen" vergeblich versucht, eines der frisch angelieferten Maschinengewehre (Waffen mal wieder! *gähn*) anhand der beiliegenden Bauanweisung zusammenzusetzen, während er immer wieder großspurig die Worte "Ich hab' auch Verstand!" von sich gibt. Mit wenigen routinierten Handgriffen hilft ihm Pedrillo dann schließlich beim Zusammenbau und wird zum Dank dafür von Osmin gleich mit der jetzt gebrauchsfertigen Waffe bedroht…

Die Idee, nicht nur Osmin bisweilen türkisch (oder war es kurdisch - ich habe keine Ahnung!) sprechen und zu Beginn sogar singen zu lassen, sondern die Sprechrolle des Bassa Selim gleich mit einem irakisch-kurdischen Schauspieler (Ihsan Othmann) zu besetzen, der seinen gesamten Text auf kurdisch (?) vortrug, fand ich eher nervig als wirklich originell.
Denn die an sich gute Idee, die Sprachproblematik, auf die die Europäer im Morgenland zwangsläufig stoßen, hierdurch sinnfällig zum Ausdruck zu bringen, wird ja doch wieder ganz schnell ad absurdum geführt, wenn Osmin zum Beispiel nach seinem auf türkisch (?) gesungenen Auftrittslied "Wer ein Liebchen hat gefunden" seine nächste Arie, das schon erwähnte "Solche hergelauf'nen Laffen", dann doch wieder in schönstem Hochdeutsch zum Besten gibt!

Und während der Bassa im ersten Akt seinen Text komplett unübersetzt von sich gibt (und Konstanze ihn trotzdem zu verstehen scheint), fungiert Osmin ab dem zweiten Akt dann als Dolmetscher, was seiner Rolle in verstärktem Maße die Bedrohlichkeit nimmt, denn es ist schon ungewohnt, diesen unbeherrschten "Wüterich" nun plötzlich die ganzen, wohlüberlegten und klugen Bemerkungen des Bassa Selim sprechen zu hören - das hätte man sich sparen können!
Entweder man zieht diese Sprachthematik konsequent durch oder man lässt es gleich bleiben…

Erst ganz am Ende spricht der Bassa übrigens seinen einzigen deutschen Satz - nämlich die entscheidende Feststellung "Wen man durch Wohltat nicht für sich gewinnen kann, den muss man sich vom Halse schaffen!" - diese Sentenz bekam dann wenigstens durch den Überraschungseffekt, dass man den Bassa nun plötzlich doch verstehen konnte, ein zusätzliches Gewicht!

Zur Musik:
Wie schon bei der Poppea wurde auch diesmal das Gürzenich-Orchester vom Alte-Musik-Spezialisten Konrad Junghänel in souveräner Art und Weise geleitet: Zügige, frische Tempi, transparenter Orchesterklang und an den entsprechenden Stellen ein knackiger und mitreißender "alla turca"-Sound!
Die Sängerinnen und Sänger erhielten unter seiner Leitung in ihren Arien genug Gelegenheit, die für die Zeit typischen quasi-improvisierten Überleitungen und Koloraturen darzubieten, die das Ganze zu richtig schön stimmungsvollem Mozart-Gesang machten!

Gut gefallen hat mir der australische Tenor Brad Cooper als Belmonte (der ab Mitte Dezember auch den Tamino in der Kölner Neuinszenierung der Zauberflöte singen wird): Er verfügt über eine schöne, tragfähige und lyrische Tenorstimme und singt mit großer Textverständlichkeit.

Statt der eigentlich vorgesehenen, aber kurzfristig erkrankten Russin Olesya Golovneva, die die Konstanze singen sollte, übernahm das Kölner Ensemblemitglied Anna Palimina (aus Moldawien) die Partie - ihr Rollendebüt als Konstanze war eigentlich erst für den 15. Dezember vorgesehen und wurde gestern genauso vorgezogen wie das von Csilla Csövari (Ungarn), die erstmalig die Partie der Blonde auf der Bühne übernahm, die gestern eigentlich noch von Anna Palimina hätte gesungen werden sollen…

Beide Damen gefielen mir außerordentlich gut (auch darstellerisch), besonders Csilla Csövari erfreute mit ihrer flexiblen Stimme durch einige besonders helle und klare Spitzentöne - das war wirklich klasse!

Noch ein australischer Tenor: John Heuzenroeder als Pedrillo, der ebenfalls eine solide Leistung ablieferte und auch schauspielerisch überzeugte.

Etwas enttäuscht war ich von Osmin, der von Wolf Matthias Friedrich gesungen wurde: Darstellerisch eindeutig besser als sängerisch, wie ich fand! Die zahlreichen besonders tiefen Stellen, die ja die Partie des Osmin so besonders reizvoll machten, mag er vielleicht angestimmt haben, zu hören waren sie jedenfalls nicht. Überhaupt hatte der Bassist (der mir streckenweise überraschenderweise eher etwas baritonal vorkam) meinem Eindruck nach häufiger Schwierigkeiten, sich gegen das Orchester durchzusetzen - irgendwie ging seine Stimme mehrfach etwas unter - nicht nur an den besonders tiefen Stellen.

Alles in allem also ein vor allem musikalisch gelungener Mozart-Abend mit einer nicht weiter den Musikgenuss störenden Inszenierung, die nicht wirklich neue Einblicke und Erkenntnisse lieferte (aber muss das eigentlich jede Inszenierung?) und deren Modernisierung immerhin gut zum ungewohnten Ambiente im Kölner Palladium passte.

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