Dienstag, 22. März 2011

"Anna Netrebko singt Stabat Mater"

Nä, wat ist dat wieder aufregend: Dat Frau Netrebko hat 'ne neue CD am Start!

Letzte Woche habe ich die neue Anzeige gesehen, in der für ihre neueste Création geworben wird: Ein großes Foto, auf dem die Künstlerin im schwarzen, strassbesetzten Kleid zu sehen ist - sie ringt mit schmachtend geschlossenen Augen dramatisch ihre Hände - theatralischer geht's wirklich nicht!

Übertitelt wird dieses Bild von einer aus drei Schlagworten bestehenden Botschaft:

LEIDEN
SCHAFFT
SCHÖNHEIT


Wow! Möchte nicht wissen, wie viele hochbezahlte kreative Köpfe monatelang über diesem schon fast als literarisch zu bezeichnenden Slogan gebrütet haben!
Wenn man das zugehörige Foto so anschaut, scheint die arme Frau Netrebko diese knackige Motto-Vorgabe wörtlich genommen zu haben und schaffte es offenbar mühelos, bei der Aufnahme ihrer neuen CD ganz schön zu leiden

Was ihre neue CD eigentlich für Musik enthält?

Das ist schwierig zu beantworten, denn diese vielleicht nicht ganz so wichtige Mitteilung erfährt der Betrachter dieser Werbeanzeige nämlich erst ganz unten auf der Seite in deutlich kleinerer Schrift: "Anna Netrebko singt Stabat Mater" steht da - nicht mehr und nicht weniger…

Na, dann ist ja alles klar!

Sie singt also "Stabat Mater" - hmmm, bloß diese zwei Worte? Wie langweilig.

Oder eher das Stabat Mater? Gibt doch eh nur eins, oder? Das von diesem, diesem Dings, äh, na wie hieß dieser Komponistenheini denn noch? Ähmm…

Immerhin ist sogar auch noch das Cover der neu erschienenen CD in dieser Anzeige abgebildet (warum eigentlich?) - allerdings so winzig, dass man allen Ernstes eine Lupe benötigt, um eventuell wenigstens hier erfahren zu können, was "La Divinetta" denn nun wirklich singt.
Und tatsächlich, wenn man gaaanz genau hinguckt, erkennt man dort die Worte "A Tribute to Pergolesi" - das ist dann doch endlich mal ein brauchbarer Hinweis, der darauf schließen lässt, dass Frau Netrebko also nicht das Stabat Mater von z. B. Scarlatti, Rossini, Dvorak, Szymanowski oder gar Poulenc zum Besten gibt.

Keine Ahnung, warum Frau Netrebkos Plattenlabel dem neugierigen Leser die Erlangung dieser Information so schwierig macht, ich schließe viel eher daraus, dass es dem eingefleischten Hardcore-Fan von Donna Anna sowieso völlig Hupe ist, was sein Idol singenderweise so von sich gibt; Hauptsache, sie tut es überhaupt…

Dass man für Pergolesis Stabat Mater auch noch eine weitere, übrigens neben dem Sopranpart völlig gleichberechtigte zweite Solostimme benötigt (nämlich einen Alt), scheint allerdings auch eine absolute Nebensache zu sein - auf der winzigen Coverabbildung erkennt man tatsächlich eine zweite Frauensperson neben Donna Netrebko, aber wer will schon ernsthaft wissen, wer das ist?
Wenn man dann also erneut zur Lupe gegriffen hat, wird erkennbar, dass es sich hierbei um Marianna Pizzolato handelt - doch diese Information verblasst, genau wie die, wer eigentlich Orchester und Dirigent dieser neuen Aufnahme sind, in Anbetracht der Tatsache, dass die größte, singendste, lebendste Sopranistin unserer Tage endlich einmal wieder ein paar neue Töne, die ihrer überirdischen Goldkehle entschlüpft sind, auf CD für die Ewigkeit hat konservieren lassen.
Und dafür muss man wirklich dankbar sein - alle weiteren Informationen (die der interessierte Klassikfreund vielleicht gerne erfahren hätte, wie z. B. auch die Tatsache, ob neben dem knapp 40-minütigen Stabat Mater denn noch etwas anderes auf dieser neuen CD zu hören sein wird) würden diese frohe Botschaft doch nur unnötig verwässern! Nach solchen zu vernachlässigenden Details würde eh nur ein Ungläubiger zu fragen wagen.

Ich habe mal recherchiert, weil ich dann doch neugierig geworden bin (ob genau das das Ziel dieser obskuren Werbestrategie ist?) und zu dieser neuen CD neben einer Coverabbildung in einer weniger lächerlichen Mikroskopgröße dann noch folgende Infos zu Tage gefördert:

Neben dem Stabat Mater von Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) enthält die CD noch eine Sinfonia zu einem Oratorium des früh verstorbenen Komponisten sowie zwei seiner Kantaten für je eine Solostimme mit Orchesterbegleitung: "Nel chiuso centro" für Sopran und "Questo è il piano" für Alt.

Es spielt das Orchestra dell' Accademia Nazionale di Santa Cecilia (Rom) unter der Leitung von Antonio Pappano.

Warum man der anscheinend für diese Aufnahme ja lediglich eine Art Statistinnenrolle verkörpernden Marianna Pizzolato noch eine ganze Solokantate zugestanden hat, statt "La Netrebko" gleich noch eine zweite Soprankantate singen zu lassen, ist mir allerdings ein Rätsel - naja, wahrscheinlich hätte es sonst allzu unbescheiden gewirkt. ("Mer muss och jönne könne!", wie der Kölner zu sagen pflegt…)

Wenn man das Ganze wenigstens pünktlich zum Pergolesi-Jubiläumsjahr 2010 auf den Markt geworfen hätte!
Aber zu diesem Anlass hatte sich beim selben Label offenbar bereits Claudio Abbado mit seinen Neueinspielungen geistlicher Musik Pergolesis durchgesetzt.
Hätte man die beiden Stars denn nicht in ein- und derselben Produktion kombinieren können, oder wäre das dann des Guten zuviel auf einmal gewesen?

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