Freitag, 26. November 2010

Requiem-Vertonungen: Karl Jenkins

Zum Abschluss dieser kleinen Requiem-Reihe (in deren Verlauf ich hoffentlich ein klein wenig von der Vielgestaltigkeit und Faszination rüberbringen konnte, die die Missa pro defunctis auf mich ausübt!), möchte ich heute noch ein fast noch "taufrisches" Requiem vorstellen - es ist im Jahr 2005 erstmals auf CD erschienen und stammt von dem walisischen Komponisten Karl Jenkins (geb. 1944) - jawohl: Noch ein Brite…! :-)

Karl Jenkins begann seine musikalische Laufbahn als Oboist und studierte Musik an der Universität von Wales in Cardiff. In den darauffolgenden Jahren machte er als Jazzmusiker, Saxophonist und Keyboarder von sich reden, spielte in Jazz- und Artrock-Formationen und war hierbei auch schon kompositorisch tätig, vor allem im Bereich elektronischer Musik, wo er auch von der sogenannten Minimal Music inspiriert wurde, die in den 1970er Jahren zu den maßgeblichen Strömungen im Bereich der sogenannten E-Musik gehörte.

Nachdem er in den 1980er Jahren als Komponist von Musik für die Werbung tätig war, dürfte er in den Neunzigern hierzulande vor allem durch sein Musikprojekt Adiemus bekannt geworden sein - der bekannteste Titel von Adiemus wurde wiederum für einen Werbespot einer amerikanischen Fluglinie verwendet und fand dadurch große Verbreitung.

Ende der Neunziger begann Jenkins mit einer Reihe von Vertonungen klassischer geistlicher abendländischer (und damit lateinischer) Texte, so z. B. die Messe "The Armed Man - A Mass for Peace", die anlässlich des Jahrtausendwechsels entstand, mittlerweile gibt es auch ein "Stabat Mater" (2008), ganz neu ein "Gloria" und "Te Deum" (2010) und eben das 2005 erschienene Requiem.
Jenkins' Requiem weist einige typische Stilelemente des Komponisten auf, die einem in seinen Werken häufiger begegnen:
Die althergebrachten lateinischen Worte kombiniert er gerne mit anderen Texten und verfährt hier ähnlich wie Benjamin Britten oder John Rutter in ihren jeweiligen Requiem-Vertonungen.
Jenkins legt aber seinen Schwerpunkt bei der Wahl dieser ergänzenden Texte gerne auf in totalem Kontrast zu dem lateinischen Text stehende Dichtungen, zum Beispiel aus dem arabischen oder asiatischen Raum - in diesem Punkt versteht er sich als "Weltmusiker", der gern auch fremdländische Klangwelten und Instrumente in seine Werke integriert - man denke nur an den in der Regel exotischen Sound von Adiemus!

In seinem Requiem hat er sich nun für die Vertonung von fünf japanischen Haikus entschieden, eine spezielle kurze Gedichtform aus Japan, die jeweils nur aus drei Zeilen und den darin enthaltenen Worten mit einer vorgeschrieben Silbenzahl besteht und die sich in den letzten Jahren zunehmend auch in Europa einer immer größeren Fangemeinde erfreut. Passend zur Requiem-Thematik geht es in diesen Haikus auch um die Thematik "Tod und Vergänglichkeit" - sie werden auf japanisch gesungen.
Den Text des Offertoriums sowie einige Verse der umfangreichen Sequenz vertont Jenkins übrigens nicht.

Jenkins unterteilt sein ca. 54-minütiges Requiem (das übrigens auch er dem Andenken seines verstorbenen Vaters gewidmet hat) in die folgenden dreizehn Sätze:

-Introitus: Requiem aeternam/ Kyrie eleison
-Sequenz: Dies irae
-The snow of yesterday (Haiku)
-Rex tremendae
-Confutatis
-From deep in my heart (Haiku)
-Lacrimosa
-Now as a spirit (Haiku)
-Pie Jesu
-Having seen the moon (Haiku)/ Benedictus
-Lux aeterna
-Farewell (Haiku)/ Agnus Dei
-In paradisum


Neben Chor (der stets homophon geführt wird) und Orchester sind ein Sopran und ein Knabensopran als Solisten vorgesehen, wobei im Booklet der CD-Aufnahme zwar "Soprano" steht, ich die zu hörende Stimmlage aber eher in die Region "Mezzosopran" einordnen würde.

Typisch für Jenkins sind die - wohl durch die Minimal Music inspirierten - steten Motivwiederholungen (meist in einem moderat vorantreibenden Rhythmus), die während eines Satzes als Fundament des Ganzen in der Regel unablässig aneinandergereiht werden, während sich darüber dann die einzelnen Instrumentenstimmen und natürlich die Gesangslinien entfalten. Ergänzend zu diesen Bass-Stimmen setzt Jenkins meist auch noch Percussion-Instrumente ein, die sich jedoch weitgehend dezent im Hintergrund halten.

Dieses Kompositionsprinzip findet man in nahezu allen oben erwähnten Jenkins-Kompositionen der letzten Jahre - es verleiht seiner Musik ein stets vorantreibendes, repetitives Element, das im Zeitalter ähnlich strukturierter Popmusik (deren Klängen und typischen Elementen Jenkins nach wie vor hörbar nahesteht) beim Publikum ganz gut anzukommen scheint - ich finde es manchmal etwas anstrengend (um nicht von eintönig zu sprechen), wenn zum Beispiel der Dies irae-Satz (in dem Jenkins den Text gleich mehrerer Strophen der Sequenz unterbringt) fast 5 Minuten lang in ein und demselben rhythmischen Tonfall (Jenkins spricht hier gar von einem "Hiphop-Rhythmus") voraneilt und stets dieselben Motive nochmals und nochmals wiederholt werden…!

Das mag ja für Discomusik gut taugen, aber ob man so die ja nun nicht gerade belanglosen Texte der Missa pro defunctis passend vertont, wage ich doch etwas zu bezweifeln.

Auch die ständig wiederholten "Rex"-Rufe im Rex tremendae nerven mich doch sehr - hier wäre etwas weniger Wiederholung vielleicht mehr gewesen…

Wenn ich an ein klassisches Confutatis denke, habe ich immer zuerst Mozarts dramatische Vertonung dieser Textstelle im Ohr - Karl Jenkins überrascht den Hörer mit einem ausgesprochen ruhigen, zunächst a cappella beginnenden Chorsatz, der so gar nichts mit der Aussage des hier zugrundeliegende Textes zu tun zu haben scheint.

Das Lacrimosa klingt noch am ehesten "konservativ" im Sinne einer traditionellen Vertonung der Totenmesse aus dem 19. Jahrhundert - wenn man es nicht besser wüsste, könnte man bei diesem Satz nach dem Hören einiger Passagen tatsächlich auf die Idee kommen, dass diese Musik aus dem Zeitalter der Romantik stammt…

Auch Jenkins gesteht (wie es auch John Rutter oder Andrew Lloyd Webber getan haben) dem Pie Jesu einen eigenen und damit herausgehobenen Satz zu - vor allem das ja recht bekannt gewordene Pie Jesu aus Webbers Requiem scheint für seine Komposition mehr als deutlich Pate gestanden zu haben: Hier wie dort ist der Satz ein zartes, verinnerlichtes Duett zwischen Knabensopran (der bei Jenkins nur in diesem Satz zum Einsatz kommt) und Sopran, dem später noch der Chor hinzugefügt wird. Eine Solo-Violine verleiht dem Satz noch zusätzlichen Schmelz und gerade das zu den einleitenden Worten "Pie Jesu" erklingende Motiv klingt dermaßen frappant nach Webbers Pie Jesu, dass man schon fast erstaunt ist über den Mut von Karl Jenkins, an dieser prominenten Stelle tatsächlich so unverblümt an Webbers Komposition aus dem Jahr 1985 zu erinnern… *zwinker*

Ganz unabhängig davon ist auch dieses Pie Jesu ein intensives, ausgesprochen klangschönes Stück Musik geworden, das seine Wirkung bestimmt nicht verfehlt - das muss man Jenkins schon neidlos zugestehen!

Der letzte Satz, das In paradisum, ist streng genommen kein Bestandteil der Missa pro defunctis, sondern ein Hymnus, der auf dem Weg zum Grab intoniert wird - der Text ist aber ab und an auch als Bestandteil von Requiem-Kompositionen vertont worden, zum Beispiel von Gabriel Fauré (1845-1924) im Jahre 1888.
Jenkins kombiniert den Chorgesang in diesem Satz mit einer sehr apart klingenden Solo-Harfe - trotzdem endet dieser letzte Satz (und damit das gesamte Requiem) dann doch relativ unerwartet und unspektakulär, fast hat man an dieser Stelle den Eindruck, als käme da jetzt noch etwas hinterher...

Die fünf Haiku-Vertonungen wirken auf mich wie Fremdkörper, die außer vielleicht ihrer thematischen Aussage zu Tod und Vergänglichkeit zur restlichen Requiem-Musik nicht viel Bezug zu haben scheinen.
Jenkins wählt als bewussten Kontrast zur Musik zu den anderen (lateinischsprachigen) Sätzen für die auf japanisch gesungenen Sätze eine betont fremdartig, asiatisch klingende Musik, wobei er als markantestes Instrument eine japanische Flöte, eine Shakuhachi, einsetzt. Passagenweise erinnert mich der Klang dieser "exotischen" Sätze an den typischen Klang von Adiemus - offenbar klingt bei Jenkins asiatisch angehauchte Musik nun einmal so, dabei hätte es hier sicher auch originale japanische musikalische Vorbilder zur Orientierung für die Komposition gegeben (wenn der Komponist schon ein japanisches Instrument einsetzt)!

Diese Haikus werden ausschließlich von der Sopranistin vorgetragen, wobei ihre Stimme zumindest in der CD-Aufnahme stellenweise auch noch durch elektronische Verfremdung und Vervielfältigung ein für mich gerade in diesen doch eigentlich bewusst archaisch klingenden Sätzen ziemlich künstliches Element erhält, das ich in diesem Zusammenhang als eher unpassend empfinde. Hier hätte man die Solistin einfach mal mit ihrer natürlichen Stimme singen lassen sollen und vielleicht mehr Wirkung erzielt!
Ärgerlich ist auch die Tatsache, dass allein drei der fünf Haiku-Sätze am Ende ausgeblendet werden - das alles macht eine Wiedergabe dieser Musik im Rahmeen eines Konzert nicht gerade einfacher…

Die Tatsache, dass die "japanischen" Sätze in Jenkins' Requiem auf mich wie Fremdkörper ohne jede Integrationsbemühungen stehen, wird leider auch nicht durch die Tatsache wettgemacht, dass die beiden letzten Haiku-Sätze mit den lateinischen Texten des Benedictus und Agnus Dei kombiniert werden: Während die lateinischen Texte im Stil gregorianischer Mönchsgesänge erklingen, verfährt Jenkins bei der Vertonung der Haikus wie gehabt und erreicht damit eigentlich nur, dass beide Stile nebeneinander herlaufen, ohne das ein wie auch immer gearteter Dialog zwischen ihnen entsteht, was schade ist, denn hier hätte sich eine interessante Chance geboten, beide einander so fremdartigen Klang- und Glaubenswelten miteinander zu verbinden…

Außerdem wäre es sicher nicht nötig gewesen, statt eines (für die Aufnahme ja vorhandenen) Herrenchors, der die "Mönchsgesänge" hätte übernehmen können, lediglich einen einzelnen Bassisten singen zu lassen, dessen Stimme dann wiederum elektronisch vervielfältigt wurde, um sie voluminöser und chorisch klingen zu lassen - das hätte wirklich nicht sein müssen!

Mein Fazit:
Jenkins präsentiert hier Musik, die es so oder so ähnlich bereits mehrfach in seinen anderen Werken zu hören gibt - in diesem Zusammenhang finde ich seine Vertonung der "Mass for Peace" aus dem Jahr 2000 wesentlich gelungener, konzeptionell durchdachter und mehr aus einem Guss!
In der Düsseldorfer Johanneskirche wird diese Messe - und das übrigens nicht zum ersten Mal! - am 31.12.10 im Rahmen eines Silvesterkonzerts aufgeführt.

Jenkins' Requiem wirkt auf mich in seiner Gesamtheit eher zusammenhanglos, einzelne Sätze sind allerdings wirklich gelungen, es gibt einige schöne musikalische Ideen, dafür aber auch einige ärgerliche Stellen - im Großen und Ganzen halten sich gute und weniger passende Elemente nach meiner persönlichen Einschätzung jedoch die Waage - ein interessantes Projekt ist das Ganze auf jeden Fall: Wer komponiert schließlich heutzutage noch lateinische Totenmessen? So etwas hat dann schon Beachtung verdient, finde ich!


An der bei EMI Classics erschienenen Aufnahme aus dem Jahr 2005 haben unter anderem mitgewirkt:
Nicole Tibbels (Sopran), Sam Landman (Knabensopran), Gavin Horsley (Bass), Clive Bell (Shakuhachi), Marat Bisengaliev (Violine), Catrin Finch (Harfe), Serendipity-Chor, Côr Caerdydd & Cytgan, West Kazakhstan Philharmonic Orchestra, Karl Jenkins (Dirigent)

So - der Monat November neigt sich seinem Ende zu, am Sonntag ist der 1. Advent, ab dann ist es wieder Zeit für andere Musik (dazu dann ab nächster Woche mehr...), meine kleine Requiem-Reihe findet damit zunächst ihren Abschluss, wird aber fortgesetzt - versprochen (es gibt ja schließlich noch soooo viele weitere wunderbare Requien)!! *zwinker*

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen