Donnerstag, 18. November 2010

Requiem-Vertonungen: Giacomo Puccini (Senior)

Wenn man von Komponisten spricht, die aus einer sich über mehrere Generationen erstreckenden Musikerfamilie stammen, dann denkt man wahrscheinlich zuallererst einmal an Johann Sebastian Bach.
Dass jedoch auch Giacomo Puccini (1858-1924), der wohl letzte italienische Opernkomponist von Weltrang, aus einer solchen Musikerdynastie stammte, wissen (zumindest hierzulande) wohl eher die wenigsten.
Giacomo Puccini kam in Lucca in der Toskana zur Welt, wo bereits sein Vater Michele (1813-64), sein Großvater Domenico (1771-1815) und sein Urgroßvater Antonio Puccini (1747-1832) als Organisten, Kapellmeister, und Komponisten tätig gewesen waren. Als Begründer dieser lucchesischen Musikerfamilie gilt jedoch Antonio Puccinis Vater, der wiederum Giacomo Puccini hieß, von 1712-1781 lebte und über 40 Jahre unter anderem als Organist an der Kathedrale San Martino und Kapellmeister der Cappella Palatina der damaligen Stadtrepublik Lucca (vergleichbar mit den bekannteren Stadtrepubliken von Venedig und Genua) wirkte.

So gesehen ist es nur konsequent, dass der kleine Giacomo (Junior) als jüngster Spross dieser traditions- und ruhmreichen Musikerfamilie mit vollem Namen Giacomo Antonio Domenico Michele Secondo Maria Puccini hieß und damit quasi eine lebende "Ahnentafel" der Puccini-Dynastie in historisch korrekter Reihenfolge abgab :-)

Ich habe gelesen, dass er sich immer sehr zu seiner Heimatstadt Lucca hingezogen gefühlt hat und auch als er bereits ein weltberühmter Komponist war (auf dessen Konto immerhin Opernhits wie "La Bohème", "Tosca" oder "Madame Butterfly" gingen) immer wieder gern vor Ort zu Besuch in der Stadt seiner Väter war und dort dann an verschiedenen Kirchenorgeln über Themen aus seinen Opern improvisierte, was die Bewohner von Lucca dann jedes Mal mit Sicherheit ganz aus dem Häuschen brachte.

Aber zurück zu Giacomo Puccini (Senior):
Er hatte in Bologna Komposition studiert und dort unter anderem auch eine lebenslange Freundschaft mit dem später legendären Musiktheoretiker und Komponisten Padre Martini (1706-1784) begründet, der noch zu Mozarts Zeiten als die musikalische Institution schlechthin galt.
Puccini war in Bologna auch Mitglied der berühmten Accademia dei Filarmonici geworden und später in Lucca selber ein gefragter Lehrer, der unter anderem so bekannte Komponisten wie Luigi Boccherini (1743-1805) (der auch in Lucca geboren wurde) zu seinen Schülern zählen konnte.

Zu welchem Anlass und in welchem Jahr Puccinis Messa di Requiem (für acht Stimmen) komponiert wurde, habe ich nicht herausfinden können, aber es dürfte wohl mit einiger Sicherheit ursprünglich für die Begräbnisfeierlichkeiten eines städtischen Würdenträgers in Lucca entstanden sein (und wurde danach bestimmt noch häufiger für derartige Anlässe aufgeführt).

Dieses ungefähr 50-minütige Requiem teilt Puccini in folgende Sätze auf:

-Introitus
-Kyrie
-Sequenz

--Dies irae
--Quantus tremor
--Tuba mirum
--Mors stupebit
--Liber scriptus
--Rex tremendae
--Just judex
--Qui Mariam absolvisti
--Preces meae
--Confutatis
--Oro supplex
--Lacrimosa

-Offertorium
--Domine Jesu Christe
--Hostias

-Sanctus
-Benedictus
-Agnus Dei
-Communio


Die Achtstimmigkeit dieser Missa pro defunctis bezieht sich auf die Tatsache, dass vier Solistenstimmen einem vierstimmigen Chor gegenübergestellt werden. Die Orchesterbegleitung ist relativ einfach gehalten und besteht lediglich aus einem Streichensemble.
Die Solisten werden selten allein, eher paarweise (oder alle zusammen) und häufig in direktem Wechsel mit dem Chor eingesetzt.

Die relativ kleinteilige Aufsplittung der Sequenz in viele kurze Einzelteile fällt auf, wobei die Sätze Tuba mirum, Juste judex und Oro supplex als kleine Arien für Solobass, -sopran und -tenor gestaltet sind.

Im Agnus Dei und in der Communio gibt der Tenor abschnittsweise die althergebrachte gregorianische Melodie vor, die dann von Solisten und Chor im Wechsel mehrstimmig beantwortet wird, wobei die gregorianische Melodie als Cantus firmus im Bass beibehalten wird.
Dieses interessant gestaltete Finale seiner Missa pro defunctis zeigt exemplarisch Puccini als einen versierten und traditionsbewussten Komponisten und Kirchenmusiker, der es virtuos verstand, Altes (Fugentechnik!) und Neues miteinander zu verbinden und gleichzeitig einen kirchenmusikalischen Tonfall zu wahren, der doch merklich im Gegensatz zur Kirchenmusik vieler seiner Zeitgenossen steht (siehe z. B. das Requiem von Johann Adolf Hasse!) und im Vergleich zu deren mitunter sehr opernhaften Kirchenmusik relativ streng wirkt, was Mitte des 18. Jahrhunderts nicht unbedingt selbstverständlich war.
Selbst an Stellen wie dem Duett im Liber scriptus, wo Puccini sich hörbar Ausflüge in die Stilwelt der zeitgenössischen Oper gönnt, bleiben virtuose vokale "Kunststückchen" für die Solisten außen vor!

Ich führe dieses große musikalische Traditionsbewusstsein auf Puccinis Ausbildung in und seine anhaltenden Verbindungen nach Bologna (Padre Martini!) zurück; dort verstand man sich wohl als eine Art Hort des sogenannten Stile antico, wo die althergebrachten Regeln von Kontrapunkt und Harmonielehre bewahrt und weitergegeben wurden und man den modischen musikalischen Strömungen und Einflüssen der jeweiligen Epoche heldenhaft widerstand... :-)

Mir ist derzeit nur eine Aufnahme dieses lange unbeachtet in den Archiven schlummernden Requiems bekannt:

Im Jahr 2001 ist der Kantorei Saarlouis und dem Ensemble UnaVolta unter der Leitung von Joachim Fontaine eine sehr ambitionierte und gelungene Einspielung dieser Missa pro defunctis gelungen, die beim Label ARTE NOVA Classics erschienen ist.
Solisten dieser Aufnahme sind Ghislaine Morgan (Sopran), Jonathan Peter Kenny (Countertenor), Joseph Cornwell (Tenor) und David Thomas (Bass).

Giacomo Puccini (Junior) konnte, wie ich finde, mit Recht stolz sein auf seinen Ur-Ur-Großvater! :-)

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