Dienstag, 26. Juli 2011

Neuerwerbung



Erik Satie (1866-1925) gehört für mich zu den faszinierendsten Künstlergestalten des späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts.
Ein echter Visionär, der mit seinem auf größtmöglicher Einfachheit basierenden Kompositionsstil und seinen generellen ästhetischen Ansichten seiner Zeit um viele Jahre voraus war und darüber hinaus auch noch einen ausgeprägten Sinn für Humor, Ironie und Sarkasmus hatte, was ich immer ganz besonders sympathisch finde - solche Menschen sind amüsante und in der Regel sehr scharfsinnige Beobachter und ihre entsprechenden Kommentare oft unglaublich unterhaltsam!

Mit der beim französischen Label harmonia mundi im Jahre 2009 erschienenen Doppel-CD hatte ich schon länger geliebäugelt, zumal ich auch den Pianisten Alexandre Tharaud sehr schätze (z. B. seine Einspielung sämtlicher Klavierwerke von Maurice Ravel).

Die Aufnahme gliedert sich in zwei Teile:
Die erste CD, "Solo" betitelt, enthält einen repräsentativen Querschnitt durch das pianistische Hauptwerk Saties (eben für Soloklavier), angefangen von der geradezu allgegenwärtigen und weltberühmten Gymnopédie Nr. 1 aus dem Jahr 1888 (die beiden übrigen Gymnopédies wurden interessanterweise nicht mit eingespielt) und den sechs Gnossiennes von 1890/ 91, bis zu den Avant-dernières pensées (Vorletzte Gedanken) von 1915 sind einige der wichtigsten Miniaturen (kein Stück dauert hier länger als maximal 4 Minuten!) dieses französischen - im besten Sinne - Avantgardisten vertreten.

Unglaublich, wenn man diese minimalistischen, mit zahlreichen repetitiven und zum Teil auch sehr rhythmusdominierten Elementen arbeitenden Kompositionen hört und bedenkt, dass sich zur selben Zeit die meisten von Saties Komponistenkollegen noch in üppigsten spätromantischen Ergüssen aalten - da wurde gerne dick aufgetragen, sowohl was Harmonik, Orchestrierung, Umfang und Länge sowie ästhetische und emotionale Ansprüche anbetraf (und was an sich ja auch gar nichts Schlechtes sein muss, schließlich hat jede Stilrichtung ihre Daseinsberechtigung!) und dann kommt da dieser unscheinbare Franzose daher und komponiert zur gleichen Zeit kleine Musikstücke, die eine Schlichtheit und Einfachheit (auch unter Einbeziehung älterer Musikformen) sowie mitunter ein entspanntes "Einfach-mal-gar-nichts-ausdrücken-wollen" propagieren, das in totalem Kontrast zum gleichzeitigen musikalischen Geschehen steht, dass man sich wirklich wundern muss, wie Satie zu dieser Zeit bereits auf solche Ideen gekommen ist! In der "klassischen Moderne" des frühen 20. Jahrhunderts sollten diese von ihm verwendeten Stilmittel wie Schlichtheit, Rhythmus, Knappheit, Transparenz zu den alles dominierenden Elementen nicht nur der Kunstmusik werden...

Satie scheint einen faszinierend sicheren Instinkt dafür besessen zu haben, zu erkennen, dass die musikalische Epoche der überbordenden, teilweise bis zum Exzess überfeinerten Spätromantik so nicht mehr fortzuführen war und sich künstlerisch somit in die krasse Gegenrichtung einer größtmöglichen Einfachheit, Prägnanz und Kürze begeben.
Dass die gesamte Entwicklung der Kunstgeschichte in allen Bereichen ihm dann tatsächlich spätestens in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Recht geben würde, spricht für Saties Gespür, vorauszuahnen, in welche Richtung sich die ästhetische Grundeinstellung entwickeln würde.

Ähnlich wie die heute noch völlig zeitlos und nach wie vor aktuell daherkommenden Entwürfe des Bauhaus-Gründers Walter Gropius (1883-1969) - noch so ein Visionär, den ich sehr bewundere - wirken auch die Klavierstücke Saties nach wie vor erstaunlich zeitlos.
Man hört ihnen nicht an, dass die meisten davon vor zum Teil mehr als 100 Jahren entstanden sind! Kein Wunder, dass Saties Musik stilbildend und inspirierend für viele zeitgenössische (beginnend mit Claude Debussy) und vor allem nachfolgende Komponisten des 20. Jahrhunderts geworden ist.

Alexandre Tharaud interpretiert diese pianistischen Klassiker der Moderne mit der nötigen Ruhe und Sorgfalt. Man merkt, wie sehr ihm Saties Musik am Herzen liegt - jede noch so winzige Miniatur wird mit gebührendem Respekt behandelt, so dass kein Detail verlorengeht (was bei einem lieblosen Herunterspielen vieler dieser kleinen Stücke durchaus passieren könnte). Und auch der allgegenwärtige Humor Saties, der nicht nur in den teils absurden Titeln seiner Stücke, sondern z. B. auch in nicht enden wollenden Schlussfloskeln mancher Stücke zum Ausdruck kommt, wird von Tharaud genussvoll zelebriert.

CDs mit Solowerken für Klavier von Satie gibt es tatsächlich einige, so gesehen wäre die jetzt hier vorgestellte CD - abgesehen von der guten Interpretation - gar nicht mal so besonders erwähnenswert.

Den eigentlichen Reiz an dieser Aufnahme macht für mich daher vor allem die zweite CD mit dem Titel "Duos" aus, denn hier kombiniert Tharaud zusammen mit anderen Musikern einen interessanten Überblick über viel seltener zu hörende Kompositionen Saties, der eben nicht nur Werke für Klavier solo verfasst hat, sondern unter anderem auch ebenfalls sehr hörenswerte Stücke für Klavier vierhändig, Klavier und Violine oder auch Gesangsstücke mit Klavierbegleitung - er war viele Jahre lang als Pianist in diversen Cafés in Montmartre tätig und hat in diesem Rahmen auch mehrere Stücke für Sängerinnen und Sänger geschrieben, mit denen er dort zusammenarbeitete. Hier fanden dann auch zur damaligen Zeit so topmoderne Einflüsse wie der Ragtime Eingang in Saties Kompositionen (auch damit dürfte er ein Vorreiter in Europa gewesen sein).

Diese erwähnten witzig-spritzigen Chansons haben mir auf dieser 2. CD denn auch am Besten gefallen, zeigen sie doch eine weitere, mir bislang völlig unbekannte Facette von Satie.

Ach ja, die aus sieben (!) Sätzen bestehenden Trois Morceaux en forme de poire (Drei Stücke in Birnenform) aus dem Jahr 1903, für Klavier zu vier Händen, gehörten auch direkt zu meinen Favoriten!

Eine wirklich lohnende Doppel-CD, die einen guten Überblick über die Musik eines der originellsten, ungewöhnlichsten und einflussreichsten Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts gibt!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen