Montag, 14. Februar 2011

Ein Abend in der Oper - "Platée" in Düsseldorf

Seit dem Sommer 2009 war ich nicht mehr in der Düsseldorfer Oper, vergangenen Donnerstag (10. Februar) war es dann aber wieder einmal soweit: Mit der als Ballet bouffon ("Komisches Ballett") bezeichneten Oper Platée von Jean-Philippe Rameau (1683-1764) stand eine hierzulande eher selten zu erlebende Oper des französischen Barock auf dem Spielplan, auf die ich schon länger neugierig war und die ich mir nicht entgehen lassen wollte.

Nachdem schon die Bonner Oper vor ca. 10 Jahren einen kleinen Zyklus von Rameau-Opern gebracht hatte, hat man an der Düsseldorfer Deutschen Oper am Rhein seit der vergangenen Spielzeit (mit "Les Paladins") nun auch mit einem Rameau-Zyklus begonnen.
Im Rahmen des Bonner Rameau-Zyklus' hatte die Regisseurin der aktuellen Düsseldorfer Produktion, Karoline Gruber, bereits im Jahr 2004 Rameaus Oper Dardanus inszeniert, an der Kölner Oper war ihre Arbeit unter anderem 2007 mit einer aus Hamburg übernommenen Produktion von Händels Giulio Cesare in Egitto zu erleben (eine Inszenierung, die mir übrigens nicht so besonders gefallen hatte).

Während man sich erfreulicherweise mittlerweile an Barockopern italienischer Machart (vor allem von Georg Friedrich Händel) doch recht regelmäßig erfreuen kann, sind die zeitgleich entstandenen französischen Opern eines Rameau (oder Lully) bei uns leider nach wie vor eher selten bis gar nicht auf der Bühne zu erleben.

Aber woran liegt das? Bietet die französische Oper im Gegensatz zum eher als unflexibel zu bezeichnenden ständigen (und fast ausschließlichen) Wechsel von Rezitativ und Arie der italienischen Barockoper dem heutigen Publikum doch eigentlich eine deutlich größere Abwechslung und Vielfalt mit ihrem eher "revueartigen" Charakter (meist knapp gehaltene Solonummern wechseln sich in bunter Reihenfolge mit Chören, Tänzen und ausdrucksstarken, in einem typischen Deklamations-Stil gehaltenen gesungenen Konversationsszenen ab).

Allerdings ist die französische Barockoper auch sehr an die höfischen Verhältnisse und Gepflogenheiten von Versailles gebunden - im Gegensatz zu ihr ist die italienische Oper dieser Epoche ein eher schon als "volkstümlich" zu bezeichnendes virtuoses Sängerfest. Im Gegensatz hierzu sind die stark zeitgebundenen Rituale und Anspielungen in den französischen Opern des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts in heutigen Aufführungen natürlich nicht so einfach umzusetzen, bzw. einem unvorbereiteten modernen Publikum zu vermitteln, was wohl einer der Hauptgründe für die im Vergleich zur italienischen Opera seria doch deutlich selteneren Aufführungen einer französischen Tragédie lyrique an unseren heimischen Opernhäusern sein dürfte.

Aufgrund der zahlreichen Tanzeinlagen, die unbedingt zu einer französischen Barockoper dazugehören, können viele Opernhäuser, die nicht (mehr) über ein eigenes Tanzensemble verfügen, solche Opern schon gleich gar nicht mehr auf die Bühne bringen - ein Grund wohl auch, warum wir in Köln Opern von Lully oder Rameau bereits seit Jahren nicht mehr zu sehen bekommen haben…

Die Thematik von Rameaus Platée ist dann aber auch für die französische Barockoper noch einmal wieder eine eher ungewöhnliche, denn bei Platée handelt es sich um einen komischen Opernstoff - und das war bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf französischen Opernbühnen eher eine Ausnahme, die traditionelle Tragédie lyrique (der Name sagt es schon) behandelte vorzugsweise heroisch-tragische Stoffe, die allesamt in einer götterdurchtränkten mythologischen Antikenwelt spielten. Zumindest in diesem letzten Punkt macht Rameaus Platée auch keine Ausnahme - allerdings werden in dieser Oper auch die unsterblichen Bewohner des Olymp von satirischen bis kritischen Seitenhieben nicht verschont und das macht Platée dann doch zu etwas Besonderem.

Umso neugieriger war ich auf die Inszenierung der bereits erwähnten Regisseurin Karoline Gruber (Premiere war am 28.01.2011).

Die Uraufführung von Rameaus Platée fand im März 1745 anlässlich der Hochzeit des französischen Kronprinzen in Versailles statt und das Ganze war, man kennt ja die sprichwörtliche dekadente Verschwendungssucht der absolutistischen französischen Könige, mit Sicherheit ein ausgesprochen üppiges und prachtvolles Event.
In der Regel identifizierte sich das adelige Publikum mit den auf der Opernbühne erscheinenden Göttern (entsprechende Huldigungen an die Majestäten gehörten in diesen Opern zum guten Ton), auf die übrigen Personen - im realen Leben wie auf der Bühne - sah man eher geringschätzig bis gönnerhaft herab. So gesehen verwundert es etwas, dass das damalige durchlauchte Publikum gar nicht gemerkt haben will, dass in Rameaus Platée die Götter auch nicht so besonders gut wegkamen und sich nicht nur wie gewohnt das "niedere Volk" als Zielscheibe für Spott und Amüsement anbot (vielleicht wollte man das aber auch nicht wahrhaben und bemerken).

Platée ist die Geschichte der hässlichen Sumpfnymphe, die in einer Mischung aus maßloser Selbstüberschätzung und Eitelkeit einer Intrige der olympischen Götter zum Opfer fällt, indem man ihr vorgaukelt, dass Göttervater Zeus (Jupiter) höchstpersönlich sich in sie verliebt habe und sie zur Frau nehmen wolle. Das Ganze ist ein (letztlich erfolgreicher) Schachzug, der nur dazu dienen soll, die notorisch eifersüchtige Jupiter-Gattin Juno (Hera) ein für allemal von der Grundlosigkeit ihres den Göttergatten gewaltig nervenden Verhaltens zu überzeugen…

In der Düsseldorfer Inszenierung entschied sich Karoline Gruber dafür, die ganze Geschichte in der Jetzt-Zeit spielen zu lassen, wohl um den Zuschauern die Assoziationskette "antike Götter = französisches Adelspublikum der Uraufführung" zu ersparen und durch die Aktualisierung die Identifikation auch des heutigen Publikums mit den Bühnenfiguren zu erleichtern.

So wird aus Göttern und der sie umgebenden Gesellschaft eine schick gewandete Abendgesellschaft, die im Prolog der Oper der glamourösen Werbepräsentation eines neuen "In-Getränks" namens JUPITER (eine Mischung aus Champagner und Wodka, wie dem auf der Bühne enthüllten großen Werbeplakat zu entnehmen ist) beiwohnt.

Platée und ihre Sumpfmitbewohner sind in dieser Inszenierung hingegen deutlich erkennbar als die Verlierer der modernen Gesellschaft (seit einiger Zeit geistert hierfür ja der "Fachbegriff" Prekariat durch die Medien): In tristen, teils schmuddligen Klamotten humpeln, schleichen und kriechen sie schon während der Ouvertüre über die Bühne, sammeln Müll vom Boden oder humpeln mit dem Rollator von A nach B. Immer, wenn diese Figuren im Verlauf der Aufführung wieder auf der Bühne erscheinen, wenden sich die Vertreter der Schickimicki-Gesellschaft mehr oder weniger dezent mit Gesten der Anwiderung und des Genervtseins von diesen unerfreulichen Anblicken ab. Soweit, so aktualisiert…

Auch Platée steht während der schon erwähnten Werbeveranstaltung am Rand der Bühne und bestaunt ungläubig und linkisch den sich dort entfaltenden Glamour mit bunten Kostümen, Tänzerinnen, kostenlosen Getränkeproben, etc.

Der besondere Reiz an dieser etwas skurrilen Figur liegt darin, dass diese Frauenrolle von einem Tenor in besonders hoher Lage, einem sogenannten Haute-contre gesungen wird. Diese schwierig zu singende Stimmlage ist sozusagen eine französische Barockspezialität (die man dort den italienischen Kastraten vorzog), für die es heutzutage nicht allzu viele Sänger gibt. Immerhin gab es auch in der italienischen Oper Frauenrollen, die von Tenören zu singen waren, meist handelte es sich hierbei um die Verkörperung alter und komischer Frauen, z. B. in Monteverdis Krönung der Poppea.

Mit dem jungen Schweden Anders J. Dahlin hatte man nun einen ausgesprochenen Glückgriff getan: Als Haute-contre hat er naturgemäß schon ausgesprochen viel Erfahrung in verschiedenen Partien von Rameau sammeln können (und vor ein paar Jahren in Kiel bereits als Platée auf der Bühne gestanden), so dass der rein musikalische Aspekt seiner Rolle ihm überhaupt keine Probleme zu bereiten schien.

Anders J. Dahlin (Platée), Quelle: Deutsche Oper am Rhein, Foto: Hans Jörg Michel

Mindestens ebenso überzeugte neben dem musikalischen Aspekt aber auch die subtile schauspielerische Leistung dieses sympathischen Künstlers: Da die Inszenierung bewusst auf allzu grobschlächtigen Klamauk verzichtete (und eben auch auf die ganze Platée eigentlich charakterisierende Sumpf- und Krötenthematik), hing somit eine Menge von der schauspielerischen Leistung des Darstellers der Titelfigur ab, um dieser Figur eine einigermaßen glaubwürdige Verkörperung zu ermöglichen.
Konsequent wurde der Platée-Darsteller dann auch nicht in ein schrilles Frauenkostüm gezwängt, um statt als hässliches grünes Krötenwesen nun ersatzweise als schräge Transe das gespielte Publikum auf und das echte vor der Bühne zu erheitern - im Gegenteil war die weibliche Gewandung des Sängers ausgesprochen zurückgenommen und sparsam: Ein bieder-altbackener Rock, ein nicht besonders auffälliges Top, eine blonde Kurzhaarfrisur (kein Schmuck, keine fingiert-bombastische Oberweite, nichts dergleichen).
Diese wenigen, eher angedeuteten weiblichen Utensilien waren alles - und die waren auch völlig ausreichend für Anders Dahlin, um mit fein abgestimmten Gesten, Mimik und passenden Körperhaltungen das Bild einer unscheinbaren, etwas sonderlichen Außenseiterin (als klassisches Mauerblümchen ohne jede nennenswerte Oberweite oder sonstige körperlichen Vorzüge) zu zeichnen, die sich im Lauf der Zeit ihre ganz eigene Traumwelt, in der sie die von allen begehrte große Dame ist, geschaffen hat und aus der sie nicht mehr so richtig herauszukommen scheint, bzw. Realität und Fantasie nicht mehr zu trennen vermag, weshalb sie wohl auch auf die von Mercure angezettelte Intrige um die Liebe von Göttervater Jupiter zu ihr hereinfällt.

Das war schon große Kunst, die Dahlin da schauspielerisch wie musikalisch ablieferte, man nahm ihm die dargestellte Figur wirklich ab und es fiel eigentlich zu keinem Zeitpunkt wirklich auf, dass da eigentlich ein Mann diese Frauenfigur spielte!

Dass das Ganze allerdings wieder einmal der hierfür komponierten Musik entgegenlief (wie leider so häufig in modernen Inszenierungen), war hierbei allerdings ein Wermutstropfen: Rameaus zahlreiche amüsanten vokalen wie instrumentalen Anspielungen an den Sumpf, in dem Platée und ihr Gefolge hausen, liefen so natürlich völlig ins Leere, da die Bühne während der ganzen Oper einen von Säulen umstandenen Innenhof darstellte, auf dem zahlreiche Kulissenelemente und sonstige Requisiten hin- und herbewegt wurden, wo aber von einer Wasser- oder Sumpflandschaft nichts auch nur zu erahnen war.

Auch der eigentliche "Knalleffekt" der ganzen Oper, die Szene, in der die vor Eifersucht rasende Juno mitten in die fingierte Hochzeitszeremonie platzt, der (vermeintlichen) Rivalin Platée den Schleier vom Gesicht reißt - und daraufhin in schallendes Gelächter ausbricht, verpuffte leider durch die schon beschriebene, harmlos-schüchterne Darstellung der unglücklichen Sumpfnymphe: Sooo abgrundtief und absonderlich hässlich war die Erscheinung dann auch wieder nicht, die da plötzlich entschleiert vor Juno stand, dass diese eine derartig hemmungslos erheiterte Reaktion wirklich glaubhaft an den Tag legen konnte…!

Eigentlich fühlte man auch während des gesamten Rests der Oper eine Menge Mitleid für die so grausam verspottete Außenseiterin - ich bin aber nicht sicher, ob das in dieser psychologisch so ausgeklügelten Form wirklich der ursprüngliche Sinn hinter Rameaus Oper war. Ging es ihm bei der Kreation seiner Titelheldin nicht doch eher "nur" um eine fröhliche, schrill überzogene spaßige Travestie zur Unterhaltung der königlichen Hochzeitsgesellschaft (der gleichwohl einige satirische Spitzen innewohnten)?

Naja - musikalisch war die ganze Aufführung zum Glück ein großer Ohrenschmaus: Das Alte-Musik-Ensemble "Neue Düsseldorfer Hofmusik" spielte wunderbar präzise, transparent (mit vibratolosem Streicherklang) und mit einem schönen abgerundeten Ensembleklang unter der routiniert-engagierten Leitung von Konrad Junghänel, den ich damit nach drei Aufführungen in Köln seit Oktober 2009 nun schon zum vierten Mal innerhalb von knapp anderthalb Jahren in einer Opernproduktion erleben durfte! Dem Orchester fehlte vielleicht manchmal die für Alte-Musik-Ensembles so charakteristische "rhythmische Schärfe", gerade in den Gewitterszenen (wo zwei der Musiker tatsächlich statt in ihre Flöten zu blasen die Kurbel einer historischen Sturmmaschine zu drehen bzw. ein Blech zwecks Donnererzeugung zu schütteln hatten!) und in manchen Tanznummern. Alles klang "rund", aber für meinen Geschmack eben halt teilweise etwas zu wenig "knackig". Aber das ist jetzt wirklich Jammern auf hohem Niveau - auf die musikalische Gesamtleistung des Abends will ich nichts kommen lassen!

Unter den zahlreichen, allesamt gut aufgelegten Solisten gefielen mir neben Anders Dahlin auch der Tenor Thomas Michael Allen (Mercure bzw. Thespis im Prolog - eine Partie, die Anders Dahlin interessanterweise im April 2011 in Amsterdam unter der Leitung von René Jacobs singen wird!), der Bassist Sami Luttinen als Jupiter sowie die Sopranistin Sylvia Hamvasi als La Folie besonders gut! Vor allem die Letztgenannte hat in ihrer Rolle als die festgefügten gesellschaftlichen Konventionen sprengende La Folie (zu deutsch in etwa "Tollheit" oder "Verrücktheit") von Rameau einen musikalisch ausgesprochen anspruchsvollen Auftritt verpasst bekommen, in dem sie sogar eine koloraturengespickte Arie im italienischen Stil der damaligen Zeit zu singen hat, was im musikalischen Zusammenhang der restlichen Oper tatsächlich wie ein exotischer Fremdkörper wirkte und sehr schön zeigte, wie weit französische und italienische Oper damals stilistisch auseinanderlagen!

Zu guter Letzt fielen mir auch die Tänzerinnen und Tänzer des Düsseldorfer Ensembles sehr positiv auf, die den zahlreichen Tanznummern der Oper Leben einhauchten und zeigten, dass man auch zu Barockmusik durchaus moderne (und damit zur Inszenierung passende) Choreographien tanzen kann, ohne dass das Ganze aufgesetzt und bemüht wirkt! An einigen Stellen waren auch Chor, Statisterie, Sängerinnen und Sänger an den tänzerischen (und gestischen) Aktionen beteiligt, was rein optisch schon einen ganz guten Eindruck machte.

Einige Längen des Stücks konnten aber auch die ständigen Bühnenaktionen nicht ganz überbrücken: Man merkt der Oper halt doch stellenweise an, dass sie der Unterhaltung einer Festgesellschaft diente, deren Aufmerksamkeit mit Sicherheit nicht ständig dem Bühnengeschehen galt - zwischen der Ankündigung der (fingierten) Hochzeitspläne Jupiters im zweiten Akt bis zur "Enttarnung" der Braut durch Juno gegen Ende des dritten Aktes passiert nicht wirklich etwas Entscheidendes - es wird immer wieder getanzt, kleinere und größere Gesangsvorträge verschiedener Personen finden statt, richtig vom Fleck kommt die Geschichte dann aber erst wieder gegen Ende des Stücks, wenn Platée nach ihrer "Entzauberung" kurz vor der so ersehnten Hochzeit so verzweifelt wie vergeblich allen Peinigern Rache schwört und dann einsam zurückbleibt - nur einer der immer wieder während der Inszenierung auftauchenden herzförmigen roten Luftballons bleibt ihr am Ende von diesem Liebesabenteuer…

Insgesamt also ein inszenatorisch ausgesprochen interessanter und musikalisch auf jeden Fall sehr zufriedenstellender Abend im Reich der wohl für alle Zuschauer (im zu ca. drei Vierteln gut besuchten Düsseldorfer Opernhaus) eher ungewohnten französischen Barockoper!

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