Mittwoch, 15. August 2012

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Passend zur schwül-heißen Witterung draußen, spielte unser Organist Wolfgang Abendroth heute ein ausgesprochen „gewittriges“ Programm für uns:

Justin Heinrich Knecht (1752-1817)
Die durch ein Donnerwetter unterbrochne Hirtenwonne
Eine musikalische Schilderung auf der Orgel

INHALT
I. Die Hirtenwonne in angenehmen, mannigfaltig abwechselnden Gesängen

II. Die allmähliche Herannahung eines Donnerwetters, welches sich sowohl durch ein fernes Donnern, als durch die schwüle (mit dumpfen Harmonien ausgedrückte) Luft ankündigt und die frohen Gesänge der Hirten störet

III. Der heftige Ausbruch des Donnerwetters selbst, unter welchem einigemale die in Jammern gekehrte Lieder der Hirten vernommen werden

IV. Der langsame Abzug desselben und die folgende Aufheiterung der Luft, endlich

V. Die Fortsetzung und der Beschluss der vorher unterbrochnen, wonnevollen Hirtengesänge.


Gewittermusiken der verschiedensten Art begegnen einem immer wieder in der Musikgeschichte – die musikalische Darstellung dieses eindrücklichen Naturereignisses scheint Komponisten der unterschiedlichsten Epochen stets aufs Neue inspiriert zu haben. Ich erinnere nur an Vivaldis Sommer aus seinen Quattro stagioni oder Beethovens 6. Symphonie, die Pastorale (UA 1808), die mit ihrer Thematik „Gewitter und darauf folgende dankerfüllte Hirtengesänge nach dem Sturm“ eine frappante Ähnlichkeit (allerdings nicht unbedingt musikalischer Art) zum heute gespielten „Orgelgewitter“ aufweist. Außerdem fallen mir noch die Gewittermusiken in Rossinis Opern Il barbiere di Siviglia (UA 1816) und La cenerentola (UA 1817) ein und nicht zu vergessen Richard Strauss‘ grandiose Alpensinfonie aus dem Jahr 1915, in der ein zünftiges Gewitter natürlich auch nicht fehlen darf!

Und um im Orgelbereich zu bleiben: Der Franzose Louis James Alfred Lefébure-Wély (1817-69), ein Komponist, von dem ich mir mehr Musik in unseren Orgelkonzerten wünschen würde, komponierte Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls eine Scène pastorale, also eine Hirtenidylle, in die plötzlich ein Gewitter hereinbricht, das eine Weile herumtobt, wobei die Orgel effektvoll einige grollende „Klangwolken“ von sich geben darf, bevor am Ende wieder die friedliche Szenerie des Beginns zurückkehrt.
Stücke wie dieses, in denen die Orgel wirklich zeigen kann, was sie „drauf hat“, wurden übrigens – wen wundert es – häufig für Orgeleinweihungen komponiert. Spektakulärer kann man ein neues Instrument wohl kaum dem Publikum vorstellen, würde ich mal sagen!

Während nun die erwähnte französische Scène pastorale gut 10 Minuten ihren Zauber und ihre Effekte verbreiten darf, benötigt das im heutigen Konzert zu Gehör gebrachte, im Jahr 1794 veröffentlichte Donnerwetter des Organisten und Stuttgarter Hofkapellmeisters Justin Heinrich Knecht, eines Zeitgenossen Mozarts und Beethovens (und mir bis dato völlig unbekannt), dann doch immerhin eine halbe Stunde, um – die ausführliche Beschreibung der fünf Abschnitte durch den Komponisten zeigt es – in aller Ausführlichkeit heraufzuziehen, herumzuwüten und danach allmählich wieder von dannen zu ziehen und die von Furcht gepeinigten Hirten voll Erleichterung zurückzulassen.

Das Stück beginnt mit einer Reihe von Variationen über eine volkstümlich-einfache Melodie, die den Gesang der Hirten darstellen soll. Der Komponist wählt hierfür – wie eigentlich fast schon zu erwarten war – den für solche Pastoralmusiken charakteristischen 6/8-Takt, also einem wiegenden Dreierrhythmus, wie er vor allem im 18. Jahrhundert immer wieder verwendet wurde, um bei den Zuhörern Assoziationen musizierender Hirten zu erwecken (vor allem natürlich in weihnachtlichen Musikstücken!). Ein Stilmittel, das damals beim Publikum in der Regel auch sofort richtig gedeutet wurde.

Sehr wirkungsvoll verdüstert sich nun allmählich die Umgebung, man spürt förmlich die drückende, lastende Schwüle, die die bislang so heitere Stimmung erlahmen und eine ängstliche Atmosphäre aufkommen lässt, wenn zum ersten Mal dumpfes Donnergrollen (geht mit der Orgel wirklich gut!) in der Ferne zu hören ist.
Diesen Teil hat der Komponist wirklich ausgesprochen raffiniert hinbekommen!

Das eigentliche Gewitter wird zum einen durch schnelle hohe Tonfolgen (Blitze) und fast schon modern anmutende clusterartige Zusammenballungen der tiefsten Basstöne (Donner) musikalisch hervorgerufen, während dazwischen quasi die Gewittersturmböen anhand zahlreicher virtuoser Läufe dargestellt werden. Unterbrochen wird das Ganze zeitweise durch das schon im Programm erwähnte Jammern der Hirten: Das zu Beginn fast schon ein bisschen zu ausführlich vorgestellte heitere Thema klingt nun auf einmal ganz verzagt und steht nun natürlich in Moll.

Wenn dann das Donnerwetter sich endlich beruhigt hat, folgen noch einige weitere Variationen des nun bereits sattsam bekannten Themas, bevor das Ganze dann friedlich und heiter schließt und der Bogen zum Beginn dieser umfangreichen Komposition geschlagen wurde.

Das war heute wirklich ein wunderbar zur Jahreszeit passendes „Naturerlebnis“ der etwas anderen Art!

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