So – und damit sind wir dann beim wohl prominentesten Komponistenjubilar des Jahres 2012 angekommen:
Nach Jules Massenets 100. Todestag gilt es mit Claude Debussy einen weiteren großen französischen Musiker zu würdigen, der heute vor 150 Jahren in Saint-Germain-en-Laye das Licht der Welt erblickte (und am 25. März 1918 in Paris starb) und als Komponist den Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert, von der (Spät-) Romantik zur frühen Moderne stark geprägt hat.
Wenn man an Debussy und seine Musik denkt, fällt einem fast unweigerlich sofort der Begriff des Impressionismus ein, also die eigentlich vorrangig mit der Malerei verbundene, Ende des 19. Jahrhunderts so unglaublich neue und enorm zukunftsweisende Stilrichtung, deren Vertreter so radikal mit den über Jahrhunderten etablierten Techniken (wie Farbgebung, Proportionen und Perspektiven) brachen und diese als zu akademisch und unkreativ ablehnten. Vielleicht lag es auch am Siegeszug der Fotografie zu jener Zeit, dass Maler sich nicht mehr bemühen mussten, Menschen und Landschaften so realistisch wie möglich abzubilden (weil es hierfür nun einen vergleichsweise leicht verfügbaren Ersatz gab) sondern ihre Kreativität nun in neue Bahnen lenken konnten. Statt der möglichst naturgetreuen Nachbildung war nun die ganz individuelle Wahrnehmung der Umwelt das Maß aller Dinge bei der Entstehung impressionistischer Gemälde – der Einfluss des Lichts, die Hervorhebung bestimmter Details, die Erzeugung einer konkreten Stimmung beim Betrachter unter Zuhilfenahme aufeinander abgestimmter Farben und Maltechniken, dies und vieles mehr (unter Inkaufnahme der Tatsache, dass für die beabsichtigte Wirkung traditionelle Techniken wie zum Beispiel korrekte Perspektiven oder eine realistische Farbgebung teilweise oder komplett aufgegeben wurden) führte naturgemäß zu teils heftiger Ablehnung dieser Stilrichtung beim „etablierten“ Publikum, hatte aus künstlerischer Sicht jedoch einen gewaltigen Einfluss auf die gesamte Entwicklung der Malerei im 20. Jahrhundert!
Warum ich das jetzt alles über die impressionistische Malerei schreibe? Nun, man hört immer wieder Stimmen, die sich dagegen wehren, Debussy als „musikalischen Impressionisten“ zu bezeichnen, weil diese Zuordnung diesen vielseitigen Komponisten zu sehr einschränken würde.
Da mag sicher etwas dran sein, trotzdem finde ich, dass allein die Betrachtung der künstlerischen Ansätze der ja gerade im Frankreich zur Zeit Debussys so zahlreich vertretenen malenden Impressionisten schon eine nicht von der Hand zu weisende Parallele zum kompositorischen Ausdruck Debussys aufweist – nicht zuletzt auch dessen Einfluss auf jüngere, den Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls stark prägende Komponisten, wie zum Beispiel seinen 13 Jahre jüngeren Landsmann Maurice Ravel (1875-1937).
Vielleicht noch mehr als der Impressionismus – um vorrangig einmal bei Stilrichtungen der Malerei zur Zeit Debussys zu bleiben – dürfte auch der Symbolismus eine ästhetische Ausrichtung gehabt haben, die ihn durchaus beeinflusst haben könnte: Allein schon der Anspruch der symbolistischen Kunst, konkrete Ideen oder Ansichten nie eindeutig festzulegen, sondern diese auf vielfältige Weise anzudeuten und dem Betrachter/ Zuhörer/ Leser, etc. Gelegenheit zu geben (bzw. ihn herauszufordern), sich selber Gedanken zu möglichen Aussagen und künstlerischen Absichten der jeweiligen Schöpfer zu machen, passt für mich ebenfalls sehr gut zu vielen Werken Debussys – so basiert zum Beispiel seine einzige vollendete Oper Pelléas et Mélisande (Uraufführung 1902 in Paris) auf dem gleichnamigen Schauspiel des fast auf den Tag genau gleichaltrigen belgischen Schriftstellers Maurice Maeterlinck (29.08.1862-6.05.1949), der wohl als berühmtester Dichter des Symbolismus gelten darf.
In der Handlung dieser Oper bleibt vieles unausgesprochen, geheimnisvoll, lediglich angedeutet – aber Debussys Komposition ist ein Meisterwerk der mit zartesten Farben malenden musikalischen Stimmungsschilderung; die handelnden Figuren werden psychologisch raffiniert und subtil gezeichnet und so ist es eigentlich kein Wunder, dass diese nicht gerade einfach zu konsumierende Oper dennoch zu einem Repertoirestück wurde – in einem 20. Jahrhundert, das auch das Jahrhundert der Psychoanalyse werden sollte…
Debussy war bereits als hochbegabter 10-Jähriger zum Studium ans Pariser Konservatorium gekommen und seine Karriere begann auch er (wie viele andere berühmte französische Komponisten) noch ganz traditionell mit dem Gewinn des renommierten Prix de Rome (im Jahr 1884), der ihm einen dreijährigen Aufenthalt in der Villa Medici in Rom als Stipendiat ermöglichte.
Mit dem im Jahr 1894 uraufgeführten Prélude à l’après-midi d’un faune („Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns“), diesem nur gut zehnminütigen Orchesterstück, der neben La Mer zweifellos berühmtesten Komposition Debussys, kommt seine Karriere endgültig ins Rollen. Er ist einige Zeit übrigens auch als Musikschriftsteller tätig und verfasst unter anderem Rezensionen. Interessant ist – wie ich finde - gerade hier auch ein Vergleich mit seinem Zeitgenossen Erik Satie (1866-1925), mit dem Debussy auch befreundet war: Zwei Musiker, die nebenbei auch schriftstellerisches Talent besaßen und von denen jeder seinen eigenen, unverwechselbaren und gänzlich neuen Weg ging, um zu einem individuellen künstlerischen Ausdruck zu finden, für den es bis dahin keine Vorbilder gab.
Das erwähnte Prélude à l’après-midi d’un faune ist übrigens mein persönliches Lieblingsstück von Debussy – unverzichtbarer Bestandteil meines Soundtracks für einen heißen Sommertag! Hierzu gehören für mich aber auch die „drei sinfonischen Skizzen“ (so der Untertitel) La Mer, die im Jahr 1905 uraufgeführt wurden und in denen Debussy erneut ungemein raffinierte Stimmungsbilder entstehen lässt, für die das Stilmittel einer steten, unaufhörlichen Bewegung und Veränderung charakteristisch ist – ganz so wie für das auf diese Weise musikalisch porträtierte Meer auch.
Meine Lieblingsaufnahmen dieser (und anderer) Orchesterwerke stammen übrigens vom Concertgebouworkest unter der Leitung von Bernard Haitink.
Wichtig zu erwähnen ist der Einfluss und die Inspiration, die Debussy aus dem Kontakt mit außereuropäischer (insbesondere fernöstlicher) Musik schöpfte – Ende des 19. Jahrhunderts war das Interesse in Europa an allem Exotischen ja gerade erst richtig erwacht und Debussy konnte hiervon profitieren, in dem er zum Beispiel im Rahmen der Pariser Weltausstellung 1889 Gelegenheit hatte, dort auftretende asiatische Musiker zu hören.
Neben den beiden erwähnten sehr populären Kompositionen Debussys gibt es hier aber noch eine Reihe weiterer Juwelen in seinen Orchesterwerken, die weitaus weniger bekannt sind und – warum auch immer – viel seltener aufgeführt werden: Die drei Nocturnes (UA 1900), die drei Images (UA 1910/ 13), die als Ballettstücke konzipierten Werke Khamma (UA erst 1924) und Jeux (UA 1913) oder auch die beiden poetischen Danses (Danse sacrée & Danse profane) für Harfe und Orchester (UA 1904) – um nur ein paar Titel zu nennen.
Hier finde ich nun wiederum einen Vergleich mit seinem gleichaltrigen englischen Kollegen Frederick Delius (1862-1934) (der hierzulande im Vergleich zu Debussy leider fast unbekannt geblieben ist) sehr aufschlussreich – auch er steht für mich mit seinen zahlreichen stimmungsvollen und poetischen Orchestergemälden für so etwas wie einen „musikalischen Impressionismus“ und auch wenn man diesen Begriff kaum konkreter fassen kann (und ihn daher aus der Sicht mancher Musikwissenschaftler besser meiden sollte), so finde ich, dass man beim Anhören gerade der Orchesterkompositionen dieser beiden Zeitgenossen – so unterschiedlich diese im Einzelnen auch sein mögen – doch einen Eindruck davon bekommt, was man sich unter "Impressionismus in der Musik" vorstellen könnte - und mit welch vielleicht unerwarteter Bandbreite diese „Stilrichtung“ aufwartet…
Anlässlich des diesjährigen runden Debussy-Jubiläums haben gleich mehrere Label der Klassik-Branche in den vergangenen Monaten gut gefüllte und interessant zusammengestellte CD-Boxen herausgebracht, in denen jeweils die bekanntesten Klassiker (aber auch einige eher selten gespielte Raritäten wie z. B. die 1911 entstandene Schauspielmusik zu Le Martyre de Saint Sébastien, der man auch die Bewunderung Debussys für Richard Wagner anhören kann) versammelt sind. Gerade in Bezug auf die ganz unterschiedlichen Interpreten lohnt sich daher hier auch für Debussy-Neueinsteiger ein genauerer Vergleich der einzelnen Boxen. Ein richtiger Fehlgriff scheint mir aber keine dieser meist erfreulich preisgünstigen Kollektionen zu sein!
Neben der Orchestermusik ist bei Debussy natürlich auch und vor allem die Klaviermusik ein unverzichtbarer Teil seines Schaffens – wobei ich aber auch sein (einziges) Streichquartett g-moll op. 10 aus dem Jahr 1893 nicht unerwähnt lassen möchte.
Während Debussy in seinen Orchesterwerken virtuos und meisterhaft mit den verschiedenen Klangfarben der unterschiedlichen Instrumente spielen kann, ist er in seinen Klavierkompositionen zwar „nur“ auf dieses eine Instrument beschränkt – aber wenn man diese Musik hört, kann man beim besten Willen nicht von einer Beschränkung sprechen: Es ist unglaublich, welche Möglichkeiten der Klangentfaltung in feinsten Nuancen Debussy dem Klavier zu entlocken versteht!
Für Pianisten ist seine Musik eine echte Herausforderung: Zum einen muss man die zum Teil erheblichen technischen Anforderungen meistern (davon darf der Zuhörer beim Vortrag dann aber natürlich absolut nichts mehr merken!) und gleichzeitig größten Wert auf feinste dynamische Abstufungen und eine hochsensible Interpretation dieser poetischen Klangkunstwerke legen!
Neben Kompositionen wie Estampes, der Suite bergamasque, der L’isle joyeuse oder Masques haben es mir vor allem die 1904-07 enstandenen Images, und natürlich die 24 Préludes (entstanden zwischen 1909 und 1912) angetan.
Das verträumte Clair de lune, die mit Abstand populärste Klavierkomposition Debussys, entstammt übrigens der erwähnten Suite bergamasque (erschienen 1905). Als dritter von insgesamt vier Sätzen ist diese unverwüstliche „Mondscheinmusik“ immer und immer wieder als Soundtrack in zahllosen Filmen und auf –zig Klassik-Kompilationen zu finden.
Auffällig ist, dass Debussy fast ausnahmslos seinen Kompositionen (vor allem auch den einzelnen Sätzen in Zyklen wie z. B. den Préludes) ausgesprochen fantasievolle und poetische Überschriften verleiht.
Wenn man Titel wie Jardins sous la pluie („Gärten im Regen“), Les sons et les parfums tournent dans l’air du soir („Die Klänge und Düfte drehen sich in der Abendluft“) oder The snow is dancing liest, dann hat man quasi schon vage Bilder oder zumindest einigermaßen konkrete Stimmungen vorm inneren Auge, die dann durch Debussys zugehörige Musik quasi unsichtbar illustriert werden. Seine auffällige Vorliebe für Elemente wie Licht und Wasser (die man unter anderem auch häufiger in den Titeln von Klavierwerken Maurice Ravels antrifft!) ist auch für die impressionistische Malerei recht typisch.
Genau dieses Heraufbeschwören von Stimmungen und Szenerien, die zwar grob angedeutet werden, aber dem Zuhörer dennoch stets genug Spielraum für seine ganz eigenen Fantasien und inneren Bilder geben, das Ganze angereichert mit raffinierten Harmonien (gern auch durch exotische Einflüsse inspiriert) und einer aparten Instrumentierung (sofern ein Orchester ins Spiel kommt, natürlich) - das ist für mich „musikalischer Impressionismus“!
Weit ist der Weg von hier zu Bildern (bzw. zur dahinterstehenden Kunstauffassung) von Künstlern wie Monet & Co. dann nun wirklich nicht mehr, finde ich…
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