Als Fan der Barockoper faszinieren mich seit Jahren die unwirklich-androgyn klingenden Stimmen der Countertenöre, die sich nun schon seit ca. 40 Jahren mit einer sich immer weiter verfeinernden Gesangstechnik peu à peu die ursprünglich von Kastraten verkörperten Männerrollen zurückerobern. Zunächst eine Art Experiment (für das man durchaus bereit war, stimm- und klangtechnische Einbußen in Kauf zu nehmen), aufgrund der immer weiter verbesserten Ausbildung nachwachsender Sängergenerationen zunehmend jedoch eine fast schon als alternativlos zu bezeichnende Besetzungsoption für barocke Kastratenpartien (und für mich gerade live eine viel bessere Alternative zu den über viele Jahre in der Bühnenpraxis gewählten Hosenrollen oder gar dem "Tieferlegen" der Partie in Bariton- oder Basslage)!
Ein Vertreter der derzeit jüngsten Generation junger Countertenöre ist der Franzose Philippe Jaroussky (geb. 1978), der seit ungefähr 10 Jahren (angefüllt mit zahllosen Konzert- und Opernprojekten) von sich reden macht und sich - nicht zuletzt durch mehrere geschmackvoll zusammengestellte und sehr gelungene CD-Programme - eine mittlerweile offensichtlich recht große internationale Fangemeinde erobert hat.
Neben seiner sympathisch-jungenhaften Ausstrahlung fasziniert bei ihm in besonderem Maße seine - so jedenfalls mein Eindruck - in den letzten Jahren immer noch ein wenig heller und höher klingende Countertenor-Stimme: Sein Gesang klingt so völlig schwere- und mühelos, dass man sich wirklich fragt, wie er das bloß macht - er muss über eine stupende Technik, aber wohl auch über entsprechend günstige physische Voraussetzungen verfügen! Jedenfalls eine ideale Kombination, die es ihm ermöglicht, einen vom Alt bis in mittlere Sopranlagen reichenden Stimmmumfang ohne hörbares Forcieren oder sonstige Spuren von Anstrengung und Schärfe zu produzieren - ein wirkliches Faszinosum, dessen irritierend-klangschöner Wikung man sich nur schwer entziehen kann.
Nichts gegen Countertenöre, die eher etwas "erdiger" und kerniger und damit deutlich mehr nach "männlichem Alt" klingen - auch diese haben ihren Reiz und es wäre ja auch traurig, wenn alle Countertenöre einader nahezu unverwechselbar ähnlich klängen...
Jarousskys oben erwähnte, ausgesprochen abwechslungsreiche Diskographie, die neben dem obligatorischen 18. Jahrhundert erfreulicherweise auch eine ganze Menge Musik aus dem 17. Jahrhundert umfasst, wurde im Jahr 2009 (unter dem Titel "OPIUM") durch einen gänzlich unerwarteten Ausflug in das Genre des französischen Klavierlieds vom Ende des 19. Jahrhunderts um einen wirklich interessanten weiteren Mosaikstein bereichert.
Diese kleinen, meist recht knapp gefassten Preziosen stammen von namhaften (zum Teil aber auch heute ziemlich unbekannten) Komponisten des Fin de siècle wie Jules Massenet, Ernest Chausson, Camille Saint-Saëns, Gabriel Fauré, Cécile Chaminade oder Reynaldo Hahn und sind durch ihre Konzeption für "Singstimme" und Klavier natürlich individuell vortragbar (und damit nicht auf eine bestimmte Stimmlage festgeschrieben).
Ich war sehr neugierig, Philippe Jaroussky einmal live im Konzert zu erleben (noch lieber aber eigentlich auf der Opernbühne!), um beurteilen zu können, ob er live genauso charismatisch und stimmlich mühelos rüberkommt, wie auf den CDs.
Also habe ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, als Jaroussky vergangenen Donnerstag (5. Mai) mit seinem "OPIUM"-Programm in der Kölner Philharmonie zu Gast war.
Zusmmen mit Jérôme Ducros, dem Pianisten, mit dem zusammen er sich dieses Programm erarbeitet hat (und der im Programmverlauf auch zwei Solostücke aus derselben Epoche präsentieren durfte), gab er dann vor fast ausverkauftem Haus ein wirklich gelungenes, engagiertes und teilweise sensibel-anrührendes knapp zweistündiges Konzert (inkl. Pause), in dessen Verlauf er immerhin 12 von 21 für die Besetzung Singstimme - Klavier komponierte Lieder seiner gleichnamigen CD zum Besten gab und diese Lieder dann erfreulicherweise durch zahlreiche weitere, so bislang noch nicht aufgenommene Stücke (z. B. auch aus Berlioz' "Nuits d'été") ergänzte.
Wenn es auch irritierend wirkte, dass auf der großen Bühne der Philharmonie, auf der sich normalerweise orchestrale Massen austoben dürfen, lediglich ein Flügel stand, neben dem sich Philippe Jaroussky postierte (und während seiner Gesangsvorträge sympathischerweise auch ohne allzu exaltiertes und ablenkendes Herumgestikulieren auskam!), so sorgte die gute Akustik der Kölner Philharmonie dafür, dass dieses zunächst ein bisschen "einsam" wirkende Duo sich klanglich ohne Abstriche in diesem riesigen Saal entfalten konnte, so dass ich eindeutig feststellen muss: Jawohl - auch im Konzert klingt Philippe Jaroussky genauso faszinierend, leuchtet seine schlanke Stimme scheinbar mühe- und makellos!
Gerade in den eher lyrisch-sentimentalen, ruhigeren Liedern (wie z. B. dem zarten "A Chloris" von Reynaldo Hahn aus dem Jahr 1916) schafften es Sänger und Pianist durch ihre subtile, nie kitschig wirkende Interpretation, eine fast schon intime Atmosphäre entstehen zu lassen, die einen nahezu vergessen ließ, dass man sich ja eigentlich im großen Konzertsaal der Kölner Philharmonie mit fast 2.000 anderen Zuhörern befand...
Das Auditorium war entsprechend begeistert und applaudierte frenetisch - und das Duo Jaroussky - Ducros ließ sich auf diese Weise zu immerhin drei Zugaben überreden :-)
In der letzten Zugabe, die Reprise des charmanten Liedes "Sombrero" von Cécile Chaminade, konnte man dann auch einmal Philippe Jarousskys "normale" Gesangsstimmlage erleben: Mit seinem hellen Tenor, den er in verschiedenen Phrasen dieses Liedes - quasi als Kontrast zum restlichen Vortrag in Countertenorlage - erklingen ließ, überraschte und erfreute er seine Zuhörer: Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, quasi ein kleines "Duett" zwischen hoher und tiefer(er) Stimmlage, vorgetragen von nur einem Sänger, zu erleben?
Ein mitreißender, begeisternder Konzertabend mit einem charismatischen Sänger, auf dessen weiteren Karriereverlauf ich schon sehr gespannt bin!
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