Donnerstag, 19. Mai 2011

Neuerwerbung

Bachs großartige "musikalische Konstruktion" mit dem Titel Die Kunst der Fuge (BWV 1080) hat mich fasziniert, seit wir im Musikunterricht in der Schule anhand einer Studienpartitur ein paar der grundlegenden fugentechnischen Kunststückchen, die der große Thomaskantor hier in unerreichter Perfektion vorexerziert, erklärt (und vorgespielt) bekamen!
Auch wenn wir damals aus Zeitgründen nicht wirklich in die Tiefe dieses nahezu bodenlosen "kontrapunktischen Gewässers" eintauchen konnten, beeindruckt mich bis heute die Meisterschaft, mit der Bach hier so eine Art Quintessenz alles dessen vorführt, was zahllose Musikerkollegen in den Jahrzehnten und Jahrhunderten vor ihm an kompositorischer Finesse im Bereich der mehrstimmigen Musik entwickelt haben.

Der einzige Nachteil an dieser Komposition ist jedoch, dass sämtliche Einzelsätze der Kunst der Fuge einander im Ausdruckscharakter sehr ähnlich sind und (je nach Tempo der Wiedergabe) wie durch eine perfekte Mechanik angetrieben unablässig dahinlaufen. Es besteht also das Risiko, dass eine Aufführung der gesamten Kunst der Fuge (was so zwischen 70 und 80 Minuten dauert) zu einer etwas seelenlos und arg gleichförmig wirkenden Angelegenheit werden kann.

Hinzu kommt, dass das zentrale Fugenthema, das Bach für dieses Werk gewählt hat, ein bisschen farblos (oder neutral) daherkommt. Er hat definitiv melodiösere, "knackigere", unterhaltsamere und markantere Fugenthemen verfasst! Ich vermute jedoch, dass Bach gerade dieses Thema, bei dem es keine großen Intervalle gibt, bewusst so konstruiert hat, dass er die ganzen Kompositionsübungen überhaupt hiermit durchexerzieren kann. Nicht jedes Fugenthema lässt sich schließlich so ohne Weiteres umkehren, spiegeln, auf den Kopf stellen, etc. und klingt dann immer noch gut!
Unter diesen Umständen hat Bach wahrscheinlich noch die bestmögliche Lösung gefunden - jedenfalls trägt das so gefundene, nicht sonderlich markante Fugenthema ebenfalls dazu bei, dass eine Aufführung der Kunst der Fuge Gefahr läuft, in Gleichförmigkeit zu versinken.
Kein Wunder, dass es immer wieder kritische Stimmen gegeben hat, die der Meinung waren, dass Die Kunst der Fuge eigentlich gar nicht aufführbar sei, sondern "lediglich" eine theoretische Studie für Kenner und Lernwillige.

Und genau das finde ich eigentlich überhaupt nicht - nur, wenn diese Notationen auch zum Erklingen gebracht werden, kann man doch den Weg der einzelnen Stimmen wirklich gut verfolgen und man merkt, dass das Ganze eben vor allem auch als erklingende Musik und nicht nur als theoretische Übung seine Existenzberechtigung hat!

Wie bei zahlreichen Kompositionen Bachs ist auch bei der Kunst der Fuge die Besetzungsfrage nicht eindeutig festgelegt, wenn man auch aufgrund verschiedener Charakteristika der Ansicht ist, dass diese Komposition für ein Tasteninstrument (aller Wahrscheinlichkeit nach dann also für Cembalo oder Orgel) gedacht war, natürlich aber ebenso auch mit anderen Besetzungen funktioniert, was bei den erhältlichen diversen Einspielungen dann auch zu einer erfreulichen Vielfalt führt!

Ich persönlich habe mir mehrere Aufnahmen mit den verschiedensten Instrumenten angehört und bin der Meinung, dass die oben erwähnte Gefahr einer gewissen Monotonie bei der Wahl nur eines einzigen Instruments noch am größten ist: So schön eine entsprechend registrierte Orgel oder ein Cembalo (als moderne Alternative trifft man natürlich auch oft auf moderne Konzertflügel) auch klingen mögen, nach einer Viertelstunde oder so lässt die Aufmerksamkeit beim Hören eindeutig nach und ein Satz scheint mit dem nachfolgenden zu verschwimmen (dafür sind sie einander vom Charakter her einfach zu ähnlich). Außerdem fällt es schwer, den gerade hier so wichtigen Verlauf der einzelnen Stimmen nachzuverfolgen.

Eine mindestens ebenso beliebte Alternative zur Aufführung dieses Zyklus mit einem Tasteninstrument ist die Wahl des klassischen Streichquartetts (wobei in einigen Sätzen aufgrund des Tonumfangs einzelner Stimmen z. B. die zweite Geige mit einer weiteren Bratsche getauscht werden müsste), wobei die heute so bekannte Streichquartett-Besetzung zur Barockzeit so eigentlich noch gar nicht existierte - aber moderne Konzertflügel gab es ja auch noch nicht und diese Musik verliert ja nicht dadurch - Hauptsache, man spielt sie überhaupt!

Wenn auch eine Aufführung mit Streichquartett ebenfalls Gefahr läuft, in eine gewisse klangliche und ausdrucksmäßige Gleichförmigkeit zu verfallen (hier sind die einzelnen Spieler dann ganz besonders gefordert, dies zu verhindern!), lassen sich die einzelnen Stimmen mit einer solchen Besetzung doch wesentlich besser verfolgen.
Ich habe seit ein paar Jahren eine Aufnahme des Emerson String Quartet (2003 erschienen), die mich schon sehr anspricht. Sie hat etwas ungemein Meditatives und Beruhigendes, als langweilig oder gleichförmig würde ich sie nicht bezeichnen wollen, dazu merkt man den einzelnen Spielern ihr Engagement und ihre Leidenschaft für diese Sache zu sehr an!

Es gibt auch sehr kuriose Einspielungen der Kunst der Fuge, die ich durchaus originell finde, wie z. B. die Aufnahme der Gruppe Canadian Brass, die mit einem reinen Blechbläser-Ensemble diesem Werk zu Leibe rückt, um auf ihre ganze eigene Art zu beweisen, dass es sich hierbei durchaus um spielens- und hörenswerte Musik handelt.

Ich kenne auch Aufnahmen mit Saxophon-Ensemble oder eine Version für großes Symphonieorchester, die ganz im Geiste der spätromantischen Bachpflege steht und wirklich etwas bizarr (und auch recht schwerfällig) wirkt.

Die für mich persönlich allerdings überzeugendste Lösung für eine möglichst abwechslungsreiche und spannende Aufführung der Kunst der Fuge scheint mir in einer Besetzung für ein mit barocken Instrumenten bestücktes Kammerorchester zu liegen: Durch die Möglichkeit, von Satz zu Satz mit anderen Intrumenten und Klangfarben aufwarten zu können, wird am ehesten der Eindruck eines "kontrapunktischen Einheitsbreis" vermieden - und die einzelnen Stimmen sind aufgrund ihrer Verschiedenartigkeit noch besser auseinanderzuhalten (und damit zu verfolgen) als bei einem Streichquartett, das letztlich ja auch nur aus Instrumenten derselben Gruppe besteht.

Diese Aufführungslösung haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mal Ensembles für sich gewählt (die bekannte Academy of St. Martin in the Fields war, glaube ich, auch schon darunter), dennoch gibt es hier bislang im Vergleich zu anders besetzten Aufnahmen doch erstaunlich wenige Alternativen.

Ganz neu bei harmonia mundi erschienen ist nun eine im Oktober 2009 in Berlin entstandene Einspielung der Akademie für Alte Musik Berlin. Dieses namhafte Kammerorchester tritt hier mit einer 22-köpfigen Besetzung an, die neben 16 Streichern (von der Violine bis zum Kontrabass), auch drei Oboen (darunter je eine in Tenor- und Basslage), je ein Fagott und eine Posaune sowie ein Cembalo (bzw. alternativ eine Truhenorgel) umfasst.

Die einzelnen Sätze werden in verschiedensten Besetzungen dargeboten, die vom Solo-Cembalo über Streicherduo, -trio, -quartett, Bläserquartett bis hin zum gesamten Ensemble reichen und einander in einem bunten Reigen abwechseln.

Hier kommt nun wirklich keine Langeweile, bzw. Gleichförmigkeit auf, zumal das Ganze ein recht flottes Grundtempo besitzt und damit ziemlich schwungvoll rüberkommt. Vor allem die Sätze, die das gesamte Ensemble spielt, haben mich spontan an Musik aus irgendwelchen barocken Concerti grossi oder dergleichen erinnert - wenn man es nicht wüsste, man käme nicht auf den Gedanken, dass man hier tatsächlich einen Satz aus der oft als viel zu trocken und akademisch verschrieenen Kunst der Fuge hört! Eine absolut überzeugende Darbietung!

Es geht also doch :-)

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