Die Schostakowitsch-Symphonie, die ich diese Woche im Konzert hören konnte, hat mich nach einiger Zeit mal wieder auf den Geschmack gebracht, mich ein bisschen eingehender mit der Musik dieses großen russischen Komponisten zu beschäftigen.
In diesem Zusammenhang möchte ich an dieser Stelle eines meiner Lieblingswerke vorstellen (das habe ich schon länger nicht mehr gemacht, wie mir gerade auffällt!) und zwar die Suite aus Dmitri Schostakowitschs (1906-75) Filmmusik zu "The Gadfly" ("Die Stechfliege" oder "Die [Pferde]Bremse") op. 97a, die 1955 entstanden ist.
Dass Schostakowitsch neben seinen heute vor allem bekannten Symphonien und Streichquartetten auch ein bedeutender Komponist von Filmmusik war (er komponierte fast 40 Soundtracks), ist - so mein persönlicher Eindruck - ein bisschen in Vergessenheit geraten, dabei zeigt er sich gerade hier als Schöpfer ausgesprochen vielfältiger Musik, die man beim unvoreingenommenen Hören zunächst wohl gar nicht dem immer so grüblerisch und ernst wirkenden Schostakowitsch zuordnen würde.
Bereits zu Studienzeiten in Leningrad hatte er in den 1920er Jahren ausgiebige Kino-Erfahrungen als Stummfilmpianist sammeln können und stand auf diese Weise quasi während seiner gesamten Laufbahn als Musiker und Komponist mit dem gerade in der jungen Sowjetunion sehr einflussreichen Medium Film in enger Verbindung.
1955 verfilmte Alexander Fainzimmer den in der Sowjetunion sehr beliebten und erfolgreichen Roman "The Gadfly" (russisch "Owod", auf deutsch auch unter dem Titel "Die Hornisse" erschienen) der englischen Autorin Ethel Lilian Voynich (1864-1960), die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den westlichen Sympathisanten und Unterstützern der russischen Revolution gehört hatte. Es geht in dem Roman um die dramatische und tragische Geschichte eines Freiheitskämpfers im noch nicht geeinten Italien des 19. Jahrhunderts.
So verwundert es nicht, dass Schostakowitschs Filmmusik streckenweise ausgesprochen südländisch daherkommt und sich ansonsten an den typischen romantisch-dramatischen Klängen der symphonischen Musik des 19. Jahrhunderts orientiert, meiner Meinung nach vor allem an der Peter Tschaikowskis (1840-93), der unter anderem mit seinem bekannten Capriccio Italien op. 45 aus dem Jahr 1880 ja ebenfalls einen musikalischen Ausflug in die mediterrane Klangwelt unternommen hatte.
Schostakowitschs Mitarbeiter und Freund Levon Atovmian (1901-73) arrangierte aus der Filmmusik die zwölfsätzige, knapp 45-minütige "Gadfly"-Suite op. 97 a (derartige Arrangements fertigte er häufiger für Schostakowitsch an).
Ich bin 2002 zufällig auf diese mir vorher völlig unbekannte Suite gestoßen - sie bildete den instrumentalen ersten Teil eines Chorkonzerts, bei dem ich mitgesungen habe (es gab die "Carmina burana" von Carl Orff) und ich hörte sie erstmalig live gespielt im Rahmen der Generalprobe, wo wir Choristen bereits auf der Bühne Platz genommen hatten. Die Kraft und Schönheit dieser Musik hat mich damals sofort sehr begeistert und wenige Tage später hatte ich bereits eine CD-Einspielung erstanden, der etwas später noch eine zweite Aufnahme (zum Vergleichen) folgen sollte…
Seitdem höre ich die "Gadfly"-Suite immer wieder sehr gerne (kaum zu glauben, dass es sich hierbei eigentlich "nur" um eine Filmmusik von vielen handelt!) und hiervon ausgehend habe ich mir im Lauf der Zeit weitere Werke Schostakowitschs erschlossen.
Kurz ein paar Bemerkungen zu den 12 sehr abwechslungsreichen Sätzen dieser Suite, die allesamt ihren ganz besonderen Reiz haben:
1. Ouvertüre: Dieser Satz in c-moll eröffnet das Ganze mit einer großartig düster-majestätischen Dramatik und klingt für mich irgendwie typisch russisch (was man halt so an Klischees im Kopf hat!) - eine sehr wirkungsvolle und grandiose, heroische Einleitung (die sich erst ganz am Schluss zu strahlendem C-Dur hinwendet), die übrigens fünf Tage nach Schostakowitschs Tod im August 1975 vor dem Moskauer Konservatorium auch von einem Militärorchester zu Ehren des Verstorbenen gespielt wurde!
2. Contredanse: Ein wehmütig verschattetes Stück alter Tanzmusik, raffiniert im Stil des 18. Jahrhunderts komponiert, zunächst von den Streichern vorgetragen, im Trio ergänzt durch Klarinetten und Flöte.
3. Volksfest: Im krassen Gegensatz zum vorangegangenen Satz ist dies ein ausgelassen dahinwirbelnder Freudenausbruch voll ansteckender Fröhlichkeit und mit italienischen Tarantella-Anklängen!
4. Interludium: Dieses Zwischenspiel erzeugt nun wiederum eine düstere und grüblerische Atmosphäre.
5. Drehorgel-Walzer: Ein liebenswürdiger Walzer, in dem die Klänge eines Leierkastens humorvoll imitiert werden - auch das ist Musik von Schostakowitsch!
6. Galopp: Dieser schwungvolle Satz erinnert mich an französische Ballettmusik (bzw. an Ballettklänge von Tschaikowski)
7. Introduktion (Prelude): Ein sehr romantischer, mit Harfenklängen angereicherter Streichersatz (zu dem sich später eine aparte Saxophonstimme hinzugesellt) mit einer weit ausschwingenden, sehr sehnsuchtsvollen Melodie - das Ganze wird unterbrochen von einem bedrohlich wirkenden Einschub, der dramatisch gesteigert wird, bevor die Melodie des Beginns zurückkehrt.
8. Romanze: Hier bekommt die Solo-Violine einen wirkungsvollen Auftritt - die von ihr vorgetragene ausdruckvolle Kantilene (die später vom gesamten Streichorchester wiederholt wird) erinnert ein wenig an die berühmte "Méditation" aus der Oper "Thaïs" von Camille Saint-Saëns, die ja auf keiner der zahlreichen unsäglichen "Best of Classics" und "Klassik zur Entspannung"-Zusammenstellungen fehlen darf… *augenroll*
Warum es hingegen dieser mindestens genauso ausdrucksstarke Satz nicht zu mindestens der gleichen Berühmt- und Beliebtheit gebracht hat, ist mir ein Rätsel - offenbar hat sich niemand mehr die Mühe gemacht, mal ein bisschen zu recherchieren, nachdem man sich einmal auf die "Méditation" eingeschossen hatte…
9. Intermezzo: Zunächst verbreitet dieser Satz eine südländische Nachtstimmung (der Beginn wird am Schluss des Satzes wiederholt), der dann ein heroisch wirkender Mittelteil folgt.
10. Nocturne: Hier trägt nun das Solo-Cello eine leidenschaftliche Melodie über einem flirrenden Streicherteppich vor.
11. Szene: Dieser Satz klingt für mich wieder typisch russisch (es erinnert mich immer an ein Lied über die Wolga und die einsame Taiga im fernen Sibirien…) - dramatisch und sehnsüchtig zugleich, außerdem sehr an Tschaikowski orientiert, wie ich finde! Der Satz endet überraschenderweise dann doch in strahlenden, fast schon triumphal wirkenden Dur-Klängen.
12. Finale: Der letzte Satz beginnt als eine Art brutaler und unerbittlicher Gewalt- oder Geschwindmarsch und geht dann in das markante Thema der Ouvertüre über - allerdings fehlt hier die wuchtige Düsternis, da die Melodie jetzt von Moll nach Dur gewechselt hat und diese wunderbare und vielgestaltige Suite in dieser Form nun abschließt.
Meine Favoritenaufnahme der "Gadfly"-Suite stammt aus dem Jahr 1988 und ist beim Label CAPRICCIO erschienen. Es spielt das Radio-Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Leonid Grin (Coverabbildung siehe oben!).
Das Orchester spielt mit Leidenschaft und Verve - die markante Interpretation der Suite, die weder große Dramatik noch romantische Hingabe scheut, überzeugt mich von vorne bis hinten!
Diese Leidenschaft und Hingabe an die großen Melodiebögen vieler Sätze der "Gadfly"-Suite fehlt mir zumindest ein bisschen in der NAXOS-Aufnahme aus dem Jahr 1995 mit dem National Orchestra of Ukraine unter der Leitung von Theodore Kuchar. Alles in allem ist aber auch diese Interpretation durchaus hörenswert.
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Guten Tag,
AntwortenLöschenmein Name ist Monika W.. Ich lebe in Limburgerhof bei Ludwigshafen und Mannheim. Das JugendSinfonieOrchester Mannheim wird am 31.3. im Rosengarten Mannheim die Suite aufführen.
Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen.