Am 15. Januar 2011 hatte Giuseppe Verdis Opernklassiker Aida in der Neuinszenierung von Johannes Erath Premiere im Kölner Opernhaus - gestern Abend habe ich die dritte Vorstellung dieser Produktion besucht. Infos und Bilder zu dieser Produktion siehe auch hier!
Was mich schon vor Beginn der Vorstellung sehr positiv überraschte, war der ungewöhnlich hohe Anteil an Opernbesuchern im Teenageralter, bzw. unter 30 Jahren - Aida scheint ein echter Publikumsmagnet zu sein, die Vorstellung gestern war ausverkauft. Allerdings mussten die Kölner auch lange auf eine neue Aida warten - ich kann mich nicht daran erinnern, dass dieser Klassiker in den letzten 10 oder 15 Jahren mal im Opernhaus auf dem Spielplan gestanden hätte…
Zwei Minuten vor Beginn fragte mich das Pärchen neben mir (beide waren so ca. Anfang, Mitte 20) etwas verstört und ganz schüchtern, ob ich ihnen denn kurz etwas zur Handlung der gleich beginnenden Oper sagen könne - nun, der echte Opernfan lässt sich ja durch nichts überrumpeln (obwohl mir das auch noch nicht passiert ist) und schafft es dann sogar, eine improvisierte Kurzfassung der zum Glück nicht sooo komplizierten Aida-Handlung in vier oder fünf Sätzen zum Besten zu geben *lach*
Ich hoffe, dass ich den beiden weiterhelfen konnte…!
Dass es bei der neuen Kölner Aida-Inszenierung ganz bestimmt nicht besonders ägyptisch zugehen würde, war mir eigentlich schon im Vorfeld klar - für opulente Ausstattungsstücke fehlt hier nicht nur das Budget, sondern auch die Bereitschaft, was ja per se nicht unbedingt schlimm sein muss, solange der musikalische Aspekt nicht auf der Strecke bleibt und da brauchten sich die Ausführenden des gestrigen Abends wahrlich nicht verstecken.
Ich habe selten eine bis in die kleinsten Nebenrollen so ansprechende, ja begeisternde Aufführung einer klassischen italienischen Oper hier in Köln erleben können - musikalisch gab es gestern am Offenbachplatz im wahrsten Sinne des Wortes "ganz große Oper"!
Hier die Besetzungsliste:
Aida: Hui He
Radamès: Scott MacAllister
Amneris: Jovita Vaskeviciute
Amonasro: Samuel Youn
Ramfis: Mikhail Kazakov
Il Re: Wilfried Staber
Messagero: Jeongki Cho
Sacerdotessa: Kathleen Parker
Statisterie, Chor und Extrachor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Dir.: Will Humburg
Allen voran meisterte die Chinesin Hui He die ja nun nicht gerade einfache Titelrolle mit bewundernswerter Leichtigkeit: Da wirkte nichts forciert, im Gegenteil - alle Töne (auch die heiklen in der großen Nil-Arie im dritten Akt) saßen sicher und wurden wie selbstverständlich mit einer nie schrillen oder angestrengt wirkenden Stimme vorgetragen, es war eine Freude, Hui He zuhören und zusehen zu können, da sie ihren Gesang auch noch mit großer darstellerischer Intensität zu verbinden verstand!
Ihr zur Seite stand mit Scott MacAllister ein richtig guter Heldentenor, der sich im italienischen Fach nicht nur wohl sondern sogar richtig zuhause zu fühlen schien: Auch seine Stimme überzeugte durch das charakteristische strahlende Timbre und die erforderliche Leichtigkeit in der Stimmführung. Er steuerte ebenfalls scheinbar mühelos durch die zahlreichen Klippen seiner anspruchsvollen Partie ohne je angestrengt, forciert oder gar knödelig zu klingen (sowas soll bei Tenören ja schon mal vorkommen…) - sein Vortrag wirkte stets elegant, leidenschaftlich und auch Orchester- und Chormassen gegenüber äußerst durchsetzungsfähig!
Die Litauerin Jovita Vaskeviciute komplettierte mit ihrem kräftigen Mezzosopran das Trio der Hauptrollen in ebenfalls sehr erfreulicher Manier - auch sie erwies sich als aussdrucksstarke und leidenschaftliche Sänger-Schauspielerin (vor allem in der ersten Szene des vierten Aktes), der man ebenso gerne zusah wie zuhörte! Schade fand ich lediglich die Tatsache, dass gerade während ihrer großen Soloszene im vierten Akt an mehreren Stellen das Tempo derart überraschend beschleunigt wurde (das steht so bestimmt nicht in der Partitur?), dass man doch ins Stutzen kam: Wozu diese streckenweise Hektik?
Nun könnte man meinen, mit diesen drei exzellent besetzten Hauptrollen wäre das Gelingen des Opernabends schon hinreichend gesichert (denn an irgendwelchen Rollen hat man ja dann doch immer irgendwas auszusetzen), aber weit gefehlt:
Auch die weiteren Rollenbesetzungen erwiesen sich als ausgesprochene Glückgriffe, so das Kölner Ensemblemitglied Samuel Youn als intensiv-gefährlicher Amonasro oder - ganz stark! - Mikhail Kazakov als Oberpriester Ramfis. Kazakov ist langjähriges Ensemblemitglied des Bolshoi-Theaters und ein russischer schwarzer Bass par excellence - wunderbare Tiefe, ein kerniger und unverwechselbarer Ton, der mich sogar an den legendären Nicolai Ghiaurov erinnerte (den ich sehr bewundere)! Man hätte sich gewünscht, dass dieser Oberpriester ein bisschen mehr zu singen gehabt hätte, als Verdi es ihm in dieser Oper zugestanden hat!
Selbst die noch kleinere Rolle des "Pharaos" hatte mit Wilfried Staber einen weiteren Bassisten aufzuweisen, der ausgesprochen volltönend und durchsetzungsfähig rüberkam - was umso mehr überraschte, da er von der Regie als alter, tatteriger Greis, der sich nur am Stock gehend über die Bühne schleppen kann, vorgesehen war!
Und auch Bote und Priesterin mit ihren wenigen Noten enttäuschten keinesfalls als bloße "Lückenbüßer".
Dazu der ungewöhnlich stimmstarke, um den Extrachor verstärkte Opernchor, der die großen Chorszenen zum erhofften (aber nicht wirklich für möglich gehaltenen) klangprächtigen Erlebnis werden ließ und - last but not least - das an wuchtigen wie zarten Stellen ausgesprochen präsente und leidenschaftlich agierende Gürzenich-Orchester unter der Leitung des den ganzen Abend über unter vollem körperlichen Einsatz stehenden Will Humburg - es war musikalisch gesehen rundum ein echtes und begeisterndes Erlebnis, das ich wirklich ungern verpasst hätte!
Und die Inszenierung?
Naja - in diesem Fall kann ich nur wieder mal konstatieren, dass sie zum Glück nicht weiter gestört hat und auch die ein oder andere ganz interessante Idee mit dabei war, mich aber im Großen und Ganzen nicht besonders begeistern konnte.
Regie führte Johannes Erath, der in Köln im Herbst 2009 bereits die Neuinszenierung von Glucks Orfeo ed Euridice übernommen hatte (die mir seinerzeit nicht zuletzt ob ihrer Kargheit schon missfallen hat) - ich war also vorgewarnt:
Tatsächlich blieb Erath auch bei seiner Aida-Interpretation seiner Vorliebe für minimale Bühnenausstattungen treu: Mehr als ein paar schwarze Bühnenwände und -podeste, die hin und wieder in verschiedenen Kombinationen aufgestellt und wieder weggerollt wurden (plus ein paar Requisiten wie ein Thronsessel oder ein paar Farnbüschel) gab es nicht zu sehen - zumindest unter diesem Aspekt war das Ganze mit Sicherheit eine ausgesprochen preisgünstige Angelegenheit! *zwinker*
So gesehen überraschte es dann doch, dass man mit dem französischen Modeschöpfer und Designer Christian Lacroix einen doch recht prominenten Verantwortlichen für die Kostüme engagiert hatte.
Obwohl man dessen Beitrag sicher relativieren kann, denn so richtig "austoben" konnte er sich eigentlich nur an der Figur der Amneris, der er im zweiten Akt eine wirklich beeindruckende scharlachrote Abendrobe und für den dritten und vierten Akt ein klassisches Brautkleid verpassen durfte (versehen mit einem überdimensional langen Schleier, der einmal quer über die Bühne reichte und mit dem die Ärmste beim würdevollen Überschreiten derselben beinah hängen geblieben wäre). Teile des Chores trugen meist entweder Alltagskleidung oder lediglich weiße Unterwäsche (dazu braucht man dann wohl keinen Christian Lacroix!) und die übrigen Darsteller - und damit kommen wir zum Hauptcharakteristikum der aktuellen Aida-Inszenierung - waren fast ausnahmslos in Priester-, Bischofs- oder (im Falle von Aida) Nonnenkostüme gewandet! Derartige Kostüme hat man sicher zur Genüge im Kölner Opernfundus…
Dass Verdi der katholischen Kirche zeitlebens skeptisch bis ablehnend gegenüberstand, ist weithin bekannt. Kein Wunder, dass er sich z. B. für einen kirchenkritischen Stoff wie den "Don Carlos" begeistern konnte!
Dass die ägyptischen Priester in der Aida eigentlich auch nichts anderes sind, als exotisch verkleidete christliche Kleriker, die Verdi mit dieser 4 Jahre nach dem Don Carlos uraufgeführten Oper erneut kritisch aufs Korn genommen hat, leuchtet eigentlich sofort jedem ein, der sich ein bisschen mit Verdi und seinem Schaffen und seiner Biographie beschäftigt hat.
Aber irgendwie fand ich es schon seltsam, dass Regisseur Johannes Erath das Publikum auf diese Tatsache mit dem konsequenten Austausch sämtlicher ägyptischer Elemente durch christliche Requisiten, Kostüme und Gesten derart permanent hinweisen musste, bis es auch wirklich jeder gemerkt hatte: "Seht her, die scheinheiligen Kirchenleute sind die Bösen und Machtgierigen und das, obwohl sie immer von Nächstenliebe und Mildtätigkeit predigen!"
Auf diese bahnbrechende Idee scheint er jedenfalls mächtig stolz gewesen zu sein (sollte da vor ihm wirklich noch kein anderer Regisseur drauf gekommen sein?) und entsprechend ausgewalzt wurde das Ganze nun - als ob das Publikum den Transfer nicht auch so hätte erbringen können, den mit wem sonst hätte man die ägyptischen Priester des Originallibrettos gleichsetzen sollen, zumal auch die priesterlichen Gesänge im vierten Akt eindeutig nach archaischen gregorianischen Chorälen klingen und die gesamte Triumphszene am Ende des zweiten Aktes vom musikalischen Aufbau her eindeutig am großen Tableau mit der Ketzerverbrennung am Ende des dritten Aktes in Verdis Don Carlos orientiert ist?!
Naja - wenn ein Regisseur mal so eine fixe Idee hat, dann wird im Allgemeinen dieser Idee alles, was von Szenerie oder Textbuch her nicht passt, gnadenlos untergeordnet, bzw. (da man sich bislang zum Glück noch nicht traut, auch den Gesangstext einer Oper zu ändern) komplett ignoriert…
Und so rufen die Priester, Bischöfe und Kardinäle denn eben munter Isis, Osiris und Phtah an, statt Vater, Sohn und Heiligen Geist; der Pharao wird zum gebrechlich daherkommenden Papst, der mit der Figur der Amneris natürlich weiterhin eine Tochter hat (was allerdings in der Kirchengeschichte wohl auch schon vorgekommen sein soll… *zwinker*); die als Sklavin gehaltene Aida wird passenderweise in ein Nonnenkostüm gesteckt und darf sich - auch immer wieder eine beliebte Geste - als Zeichen ihres Aufbegehrens und ihrer Rivalität zu Amneris dann im Verlauf des Duetts im zweiten Akt trotzig den Schleier vom Haupt reißen.
Die Priesterinnen und die Hofdamen der Amneris tragen Engelsflügel, Ramfis wedelt in der Tempelszene im ersten Akt mit einem großen hölzernen Kruzifix statt eines heiligen Schwertes herum, Radamès wird wie Jesus beim Einzug in Jerusalem in der Triumphszene mit Palmenwedeln begrüßt (übrigens so ziemlich das einzige annähernd an Ägypten gemahnende Requisit!) und erinnert denn auch nach seiner Verurteilung für einen Moment an den zum Kreuzestod verurteilten vor Pilatus stehenden Christus, usw., usw.
Irgendwann ermüdete es einen…
Dass die (immerhin nur kurzen) Ballettszenen, die sich in der Aida-Partitur finden, zwar nicht herausgelassen werden, aber auch nicht von in Köln eh nicht (mehr) vorhandenen Tänzern gestaltet werden würden, war auch vorher schon klar, das merkwürdige Hin und Her des Chores und der Statisterie während dieser Passagen hat mich aber auch nicht wirklich überzeugt. Eine schöne Idee war, den wie erwähnt toll singenden Chor zu Beginn der Triumphszene vom Foyer her in den Saal einziehen zu lassen (inklusive der dazu ertönenden Aida-Trompeten); die Tatsache, dass sich ein Teil der Choristen in der Folge dann jedoch als die eigentlichen Gefangenen herausstellte, die während des Triumphmarsches eingekesselt und bis auf die Unterwäsche entkleidet wurden, um dann unter Peitschenhieben den siegreichen Feldherrn samt "ägyptisch-katholischem" Hofstaat auf einem Podest auf die Bühne zu ziehen, entbehrte dann irgendwie jeglicher Logik - immerhin wurde man neugierig, was denn nun als nächstes an Seltsamkeiten passieren würde...
Und man wurde nicht enttäuscht: Nachdem der "Papst" (Pharao) dem siegreichem Radamès nicht nur seine Tochter zur Frau versprochen und ihm darüber hinaus auch noch den Wunsch erfüllt hat, die Gefangenen freizulassen, wird er am Schluss der Triumphszene von den diese Mildtätigkeit gar nicht gut findenden Bischöfen und Kardinälen kurzerhand erdrosselt (wie übrigens die soeben Freigelassenen auch), so dass der zweite Akt - begleitet von prunkvollem Fanfarengeschmetter - mit einem riesigen Tumult auf der Bühne endet, den man so wirklich nicht erwartet hätte… oh Mann!
Ich war froh, dass der dritte und vierte Akt nach der Pause weit weniger Gelegenheit boten, derartige Regie-Einfälle auf die Bühne zu bringen - ab hier wurde die Inszenierung immer karger und minimalistischer und man war wirklich froh, dass man sich jetzt ohne weitere Ablenkungen einzig auf die wunderbaren Solisten und das Orchester konzentrieren konnte!
Immerhin - die Grabkammer, in der Radamès (und Aida) in der letzten Szene eingeschlossen werden und die konsequenterweise nur noch aus dem komplett leeren, riesigen Bühnenraum bestand (an dessen Wänden man sogar diverse Kabel, Schalter und Feuerlöscher erkennen konnte, die da wohl eh hingehören), war schon beeindruckend: Wenn Radamès und Aida in dieser "Kulisse" sangen, hallte es sogar, so leer war dieser Raum - und das hatte schon eine besondere Wirkung!
Leider wurde diese durch die seltsame Personenführung in dieser letzten Szene wieder weitgehend zunichte gemacht: Dieses schlafwandlerische Herumtorkeln und -gestikulieren der Figuren wirkte irgendwie ziemlich albern und aufgesetzt: Zumindest für das Schluss-Duett hätte der Regisseur es dem Liebespaar ermöglichen sollen, endlich zusammenzufinden. Aber nein - erst ganz am Ende durften beide, längs auf den Boden hingestreckt, sich mit den äußersten Fingerspitzen eine Berührung gönnen - soviel schüchterne Keuschheit hätte ich in dieser von Kirchenmännern beherrschten Bühnen-Gesellschaft gar nicht für möglich gehalten ;-)
So gesehen war es auch eine immerhin unerwartete, aber nicht uninteressante Idee, dass "Kardinal" Ramfis (also der Oberpriester) Amneris von Anfang an mehr oder weniger unverhohlene Avancen machte, von dieser aber jedesmal brüsk zurückgewiesen wurde (da sie ja - wenn auch vergeblich - Radamès liebt).
Das gab wiederum der Motivation des machtgierigen und brutalen Oberpriesters, diesen ungeliebten Rivalen am Ende aus dem Weg zu räumen (um dann vielleicht doch noch freie Bahn bei Amneris zu bekommen), eine ganz neue Richtung.
Warum diese im Schlussbild ebenfalls durch die ja eigentlich nur von Aida und Radamès belegte Grabkammer torkelt, hat sich mir auch nicht so ganz erschlossen. Nachdem sie im Vorbeitaumeln ihren Brautschleier sinnigerweise auf die bereits am Boden liegende Aida fallen lässt, entfernt sie sich seitwärts am Orchestergraben vorbei von der Bühne, wo sie eigentlich während ihres ganzen letzten Auftritts außerhalb der Grabkammer besser (und logischer) aufgehoben gewesen wäre...
Am Ende gab es jedenfalls für die Ausführenden großen Applaus und ich hoffe, dass viele der jüngeren Opernbesucher sich von dem ganzen abstrusen Kirchenkram nicht haben abschrecken sondern sich im Gegenteil von der exzellenten musikalischen Darbietung haben begeistern lassen und zahlreich wiederkommen werden!
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Christian Lacroix ist ein großer Künstler unter den Modeschöpfern. Vermutlich fehlte ihm das Budget, um Kostüme des ganzen Ensembles neu auszustatten. Lacroix gilt nicht unbedingt als ökonomisch. Seine Firma stand, so viel ich weiß, kurz vor dem Bankrott. Trotz allem bin ich froh, dass ein man wie Lacroix Opernkostüme entwirft.
AntwortenLöschen