Freitag, 16. Dezember 2011

Weihnachtsoper - es muss nicht immer "Hänsel und Gretel" sein

In der Vorweihnachtszeit gehören Opern wie Humperdincks "Hänsel und Gretel" oder auch Mozarts "Zauberflöte" offenbar zu den unverzichtbaren Bestandteilen der Spielpläne unserer Opernhäuser. Sicher - gerade Märchenopern sind natürlich zu dieser Jahreszeit eine hübsche Zutat für weihnachtliche Stimmung (vor allem natürlich, wenn es für viele Kinder das erste Mal ist, dass sie eine Opernaufführung besuchen - so was prägt schon sehr!), aber warum greift man nicht gleich auf Opern zurück, die eine Weihnachtsgeschichte zum Inhalt haben?

Ja - auch so was gibt es!
Das Problem ist nur, dass diese (zugegeben nicht besonders zahlreichen) Opern viel zu selten einmal auf irgendeinem Spielplan auftauchen, dabei sollte man meinen, dass es sich gerade bei solchen Werken um ähnlich unsterbliche Klassiker handelt, wie bei den musikalischen oder filmischen "Christmas-Evergreens" à la "White Christmas" oder "Der kleine Lord", die einem ja auch jedes Jahr wieder unaufhaltsam aus diversen Lautsprechern entgegenschallen bzw. unausweichlich im TV-Programm auftauchen.

Aber weit gefehlt - "richtige" Weihnachtsopern sind und bleiben absolute Raritäten auf unseren Opernbühnen (es ist ja auch viel bequemer und einfacher, stattdessen jedes Jahr die immer gleiche "Hänsel und Gretel"-Inszenierung wieder neu aus den Archiven hervorzukramen…)

Daher möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, eine originelle kleine Weihnachtsoper vorzustellen, die in diesem Jahr genau 60 Jahre alt wird:

Es handelt sich um "Amahl and the Night Visitors" (Amahl und die nächtlichen Besucher) von Gian Carlo Menotti (1911-2007), ein italienisch-amerikanischer Komponist, der in diesem Jahr (am 7. Juli) 100 Jahre alt geworden wäre und damit auch zu den zahlreichen Jubilaren dieses Jahres gehört, die in Anbetracht der Tatsache, dass der alles überstrahlende Franz Liszt in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag beging, nicht weiter beachtet und gewürdigt wurden…

Menotti, der schon in jungen Jahren in die USA übersiedelte, dort selbst später als Lehrer tätig war, ist dort durch seine Opern bekannt geworden. Zumindest im nicht englischsprachigen Europa erreichte er nie die Popularität, die er in seiner Wahlheimat erlangen konnte, was wohl auch daran liegt, dass er kompositorisch eine eher konservative Linie verfolgte (ausgehend vom Stil Puccinis und seiner Zeitgenossen) und damit aus Sicht der hiesigen Avantgarde künstlerisch sowieso nicht ernst zu nehmen war. In der Regel schrieb er die Libretti seiner Opern selber und war auch für seinen Lebensgefährten, den amerikanischen Komponisten Samuel Barber (1910-81) als Librettist tätig. Auch als Regisseur und Leiter von ihm gegründeter Festspiele (in Italien, den USA und Australien) war Menotti aktiv.

Amahl and the Night Visitors ist nicht irgendeine Oper - dieser knapp 50-minütige Einakter ist die erste Oper, die speziell für das Fernsehen produziert wurde: Am 24.12.1951 wurde sie in den New Yorker NBC-Studios uraufgeführt und dabei live im Fernsehen ausgestrahlt (was für die damalige Zeit - auch in den USA - nun wirklich noch nicht so selbstverständlich war)!

Dem Uraufführungstermin entsprechend handelt sich bei Amahl and the Night Visitors um eine nicht zuletzt auch für Kinder geeignete Weihnachtsoper - also quasi eine unschlagbare Kombination, die auch dazu beigetragen hat, dass diese Oper über viele Jahre in Amerika wie in Großbritannien zur Weihnachtszeit sehr beliebt war - sie ist neben zahlreichen Theateraufführungen auch mehrfach neu fürs Fernsehen produziert worden.

Für die Kinder im Publikum bietet sich mit der Titelrolle des Jungen Amahl eine Identifikationsfigur, da sie für einen Knabensopran konzipiert ist und somit (anders als z. B. Humperdincks Hänsel) von einem "echten" Jungen gespielt und gesungen wird (hierbei handelt es sich wahrscheinlich neben Werken wie Brittens Oper "The turn of the screw" um eine der wenigen Opern, in denen ein Knabensopran eine Hauptrolle übernimmt).

Schade ist, dass diese Oper hierzulande nicht gerade oft aufgeführt wurde (um es jetzt mal vorsichtig zu formulieren) - ich bin nicht mal sicher, ob es überhaupt eine deutsche Textfassung gibt, was ja für ein Kinderpublikum schon wichtig wäre, auch wenn die englische Originalfassung von Amahl and the Night Visitors durchaus gut zu verstehen ist, zumal ja die szenische Aktion hinzukommt.

Worum geht es?
Der kleine Amahl lebt mit seiner Mutter zur Zeit der Geburt Christi im Orient. Er war Hirtenjunge, bis seine Mutter erst die Schafe und zuletzt auch die Ziege aus Geldnot verkaufen musste, jetzt befürchtet sie, dass sie und ihr kleiner Sohn bald betteln gehen müssen. Amahl ist gehbehindert und benutzt zur Fortbewegung eine Krücke, die er mit geschickten Händen selbst gebaut hat. Da er aufgrund seiner Behinderung nicht wirklich mit den anderen Kindern herumtollen kann, ist er oft alleine und hat eine blühende Fantasie entwickelt, was seine Mutter häufiger nervt, wenn er ihr wieder einmal irgendwas vorgeflunkert hat.

Eines Abends hat sie Schwierigkeiten, Amahl ins Haus zu rufen - der Junge will unbedingt draußen bleiben und auf ihre Frage, was es denn da so Spannendes zu sehen gebe, erzählt er ihr von einem großen Stern mit einem feurigen Schweif, der am Himmel stehe. Die Mutter regt sich wieder einmal auf und fragt sich verzweifelt, was sie mit dem Jungen noch anstellen soll, der ständig so hanebüchene Geschichten wie diese von sich gibt.

Als es wenig später an der Tür der kleinen Hütte klopft und Amahl nachsieht, wer um diese Zeit noch Einlass begehrt, erzählt er seiner Mutter auf deren Nachfrage ganz aufgeregt, es stünde ein König vor der Tür. Nach einem erneuten Verzweiflungsausbruch der Mutter klopft es wieder und Amahl kommt mit der Nachricht zu seiner Mutter, er habe sich geirrt, es stehe gar kein König vor der Tür. Die Mutter lobt Amahl, weil er offenbar nun doch bei der Wahrheit bleiben wolle und gerät erneut in Zorn, nachdem Amahl ihr mitgeteilt hat dass nicht ein, sondern gleich zwei Könige vor der Tür stünden. Man ahnt es bereits: Das Spiel wiederholt sich nun natürlich noch einmal und ist recht amüsant vom Komponisten und Textdichter gestaltet worden.

Nachdem nun die Mutter wütend selber zur Tür geht, muss sie überrascht feststellen, dass ihr Amahl, ganz wie er es versprochen hatte, doch die Wahrheit gesagt hatte: Ganze drei prächtig gewandete Könige nebst Gefolge betreten würdevoll die Hütte und bitten um die Gelegenheit, sich ein wenig am Feuer wärmen und rasten zu dürfen.
Die Mutter eilt aufgeregt davon, um Feuerholz zu holen und Amahl, dem sie zuvor noch eingeschärft hat, sich ja zu benehmen, befragt nun kindlich-direkt und ohne jede Scheu die exotischen Gäste, ob sie denn wirklich Könige seien.

Menotti hat König Kaspar (der Tenor des Trios) als einen offensichtlich greisen und ziemlich schwerhörigen Mann gezeichnet, der, als Amahl ihn befragt, ständig "Hä?" ruft und der dann schließlich von seinen wundertätigen Edelsteinen erzählt, die er stets auf Reisen in einem Kasten mit sich führt.

Auch diese Szene finde ich sehr originell - überhaupt lässt sich die ganze Oper gut anhören, die Musik ist abwechslungsreich und gelegentlich mit exotischen Anklängen angereichert (z. B. beim Auftritt der drei Könige). Menotti setzt neben einem Streichensemble eine Harfe, Oboen (bzw. ein Englischhorn für das erwähnte "exotische Ambiente") und ein Klavier ein (letzteres findet häufig in den Dialogszenen Verwendung).

Es gibt auch eine kleine Tanzszene in dieser Oper - Amahls Mutter hat die Hirten aus ihrer Nachbarschaft gebeten, zur Unterhaltung der königlichen Gäste zu tanzen. Auch diese Nummer beschwört eine orientalische Atmosphäre herauf, nicht zuletzt durch den Einsatz des erwähnten Englischhorns.

Der Rest der Handlung ist schnell erzählt:
Die Könige erzählen ihren Gastgebern, dass sie auf der Reise zu einem mächtigen, neugeborenen Königskind seien - ein großer Stern mit flammendem Schweif zeige ihnen den Weg (worauf Amahl seiner Mutter ein nüchternes "What did I tell you?" zuflüstert…). Man präsentiert die kostbaren Geschenke, die man diesem Kind darbringen wolle und Amahls Mutter erliegt schließlich der Versuchung - nachdem sich alle zur Nachtruhe zurückgezogen haben - etwas von dem Gold für sich und ihren Sohn zu stehlen, was aber augenblicklich von einem der königlichen Pagen entdeckt wird, der natürlich sofort die Könige herbeiruft.

Amahl versucht, seine Mutter zu schützen, indem er sich selber als den vermeintlichen Dieb ausgibt, worauf König Melchior voller Mitleid, da er natürlich längst die Notlage seiner Gastgeber erkannt hat, anbietet, sie mögen das Gold doch behalten, das Königskind benötige sicher nicht so viele wertvolle Geschenke, da es mit Sicherheit bereits genug kostbare Dinge besitze.

Amahls Mutter hat die Geschichte des neugeborenen Kindes jedoch gerührt und sie möchte das ihr angebotene Gold nun doch lieber nicht mehr annehmen, woraufhin Amahl anbietet, dem Kind seine selbstgemachte Krücke als Geschenk darzubringen, man könne ja nicht wissen, ob es diese nicht eventuell gut gebrauchen könne. Und als Amahl nun seine Krücke den Königen aushändigt, stellt er plötzlich überrascht fest, dass er problemlos ohne sie gehen, laufen und springen kann - ein Wunder ist geschehen!

Amahl möchte nun selber dem Kind für seine wundersame Heilung danken und bittet seine Mutter, ihn mit den Königen ziehen zu lassen. Diese versprechen, gut auf ihn aufzupassen und auf dem Rückweg sicher wieder abzuliefern und Amahls Mutter erkennt, dass sie ihren Jungen ziehen lassen muss. Nach einer kurzen Abschiedsszene zwischen Mutter und Sohn ziehen Amahl, die drei Könige und ihr Gefolge weiter dem Stern von Bethlehem hinterher.

Ein schönes Stück, eine originelle Geschichte, abwechslungsreiche Musik - ich kann diese Oper nur jedem empfehlen, der sich für Weihnachtsmusik abseits der ausgetretenen Pfade interessiert (an eine Operninszenierung hier bei uns wage ich ja gar nicht zu denken)!

Lange Zeit war es fast ein Ding der Unmöglichkeit, an eine Aufnahme dieser Oper zu kommen. Aber im Jahr 2009 veröffentlichte NAXOS in seiner Reihe "American Opera Classics" eine im Dezember 2006 entstandene Aufnahme, in der das Nashville Symphony Orchestra unter der Leitung von Alastair Willis zusammen mit verschiedenen Solisten (allen voran der Knabensopran Ike Hawkersmith in der Titelrolle) und Mitgliedern der Symphonie-Chöre aus Nashville und Chicago eine überzeugende Wiedergabe vorgelegt hat.

Ergänzt wird diese CD durch ein kürzeres Chorwerk Menottis aus dem Jahr 1987 (da war der Komponist immerhin schon 76 Jahre alt): "My Christmas" ist ein eher nachdenkliches Stück für Herrenchor (zu dem Menotti wie gewohnt auch den Text verfasst hatte), in dem über die verschiedenen persönlichen Aspekte und Bedeutungen des Weihnachtsfestes reflektiert wird - eine schöne und passende Ergänzung, wie ich finde, zumal man bei dem gewohnt günstigen NAXOS-Preis sowieso nicht viel falsch machen kann, wenn man sich diese Aufnahme auch nur mal testweise zulegt.

1 Kommentar:

  1. Menottis Name vergesse ich nie. Denn seine Oper "Die alte Jungfer und der Dieb" war mein erstes Opern-Erlebnis(Ich war erst 15):D Bedauerlicherweise steht diese Oper ganz selten auf den Spielplänen.

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