Vorgestern, also am 27.03., hatte ich erfreulicherweise wieder einmal Gelegenheit, ein Konzert des Gürzenich-Orchesters in der Kölner Philharmonie besuchen zu können.
Das Programm des Abends sah wie folgt aus:
Jörg Widmann (geb. 1973)
„Elegie“ für Klarinette und Orchester
Anton Bruckner (1824-96)
Sinfonie Nr. 9 d-moll
Jörg Widmann, Klarinette
Gürzenich-Orchester Köln
Dir.: Simone Young
Man hat nicht so häufig die Gelegenheit, im Rahmen eines „klassischen“ Sinfoniekonzerts ein Stück zu hören, das von seinem Komponisten selber vorgetragen wird. In diesem Zusammenhang ein komischer Gedanke, wenn man sich vorstellt, das so etwas im 18. und 19. Jahrhundert mehr die Regel als die Ausnahme darstellte…
Ich fand es ausgesprochen interessant (und keinesfalls selbstverständlich), dass sich Jörg Widmann im Rahmen der Konzerteinführung im Foyer kurz vor Konzertbeginn noch persönlich zu seiner Komposition äußerte und auch die speziellen technischen Schwierigkeiten und Herausforderungen erklärte, die er dem Klarinettenpart in seiner knapp 20-minütigen Elegie zugedacht hat.
Dieses Stück, eine Auftragskomposition des NDR aus dem Jahr 2006, wollte der sympathische Münchner nicht unbedingt nur als das verstanden wissen, was man beim Werktitel „Elegie“ spontan erwarten würde, nämlich einen getragenen melancholischen Klagegesang. Für Widmann spielen in diesen „Elegie“-Begriff auch noch einige andere Facetten mit hinein, die sich in dem Stück, das aus vielen kleineren, ganz unterschiedliche Stimmungen transportierenden Episoden besteht, dem Zuhörer mitteilen.
Als roten Faden des Werks könnte man die Widmann offenbar sehr faszinierende „höchstmögliche Differenzierung des Einzeltons“ bezeichnen – lange ausgehaltene Töne des Soloinstruments schweben über der Orchesterbegleitung und werden durch Triller, die Erzeugung von Mehrfachklängen aus der Obertonreihe oder chromatischen Bewegungen, die bis in den Vierteltonbereich vorstoßen, stets neu umgefärbt und variiert. Klanglich interessant war auch die Mitwirkung von Harfe, Celesta und Akkordeon im Orchester – gerade die Akkordeonklänge mischten sich teilweise so perfekt mit den Klarinettentönen, dass man gar nicht wusste, welches der beiden Instrumente gerade spielte.
Auch wenn mir persönlich das Stück (zumindest nach nur einmaligem Hören) nicht wirklich zugesagt hat, da es mir im Ganzen doch etwas zu unruhig und episodenhaft war und mir durch die erwähnte Kleinteiligkeit die große Linie fehlte, die ich persönlich für eine „Elegie“ schon erwartet hätte (wobei es natürlich durchaus die Absicht des Komponisten gewesen sein könnte, auch diese Erwartungshaltung zu durchbrechen), so muss ich dem Solisten Jörg Widmann doch großen Respekt zollen:
Er schaffte es, seinem Instrument Töne zu entlocken, die ich bislang noch nie von einer Klarinette zu hören bekommen habe! Da schnarrte und knarzte es ausgiebigst, an manchen Stellen klang die Klarinette fast schon wie das aus ihr hervorgegangene Saxofon und die Tatsache, dass der Solist seinem Instrument mehrere Töne gleichzeitig entlocken konnte, fand ich auch faszinierend! Solche „mitkieksenden“ Obertöne treten – vom Spieler in der Regel nicht kontrollierbar – bei der Klarinette ab und an auf (ich habe das in der Praxis oft genug mitbekommen) und ich stelle es mir sehr schwierig vor, solche „Zufallstöne“ quasi auf Kommando hervorzubringen. Da beherrscht jemand sein Instrument wirklich meisterhaft!
Nach der Pause folgte dann die gut einstündige 9. Bruckner-Sinfonie. Simone Young hatte für ihre Wiedergabe – wie in der Regel bei allen Bruckner-Sinfonien, die sie bislang dirigiert und auch schon auf Tonträger eingespielt hat - die Notentext-Urfassung des Komponisten gewählt. Gerade bei Bruckner-Kompositionen wimmelt es ja oft von Revisionsfassungen, Umstellungen, neu komponierten Teilen (oder ganzen Sätzen), weil der offenbar nicht besonders selbstbewusste Komponist sich immer wieder von „wohlmeinenden“ Zeitgenossen verunsichern ließ, sobald diese Kritik an seinen Werken äußerten und er daraufhin bereitwillig „Verbesserungen“ vornahm.
Neben dieser Tatsache muss noch vorangeschickt werden, dass im Konzert lediglich die drei Sätze erklangen, die Bruckner vor seinem Tod bereits fertiggestellt hatte und der in –immerhin recht vollständigen –Skizzen vorliegende Schlusssatz der „Neunten“, von dem es gerade in den letzten Jahren doch einige (umstrittene) Vervollständigungsversuche gegeben hat, nicht gespielt wurde. Auch auf das von Bruckner persönlich als „Notlösung“ für den Fall, dass er seine letzte Sinfonie nicht mehr vollenden könne, vorgesehene Te Deum als Schlusssatz-Ersatz wurde verzichtet.
Zum Glück präsentiert sich dieser gewaltige sinfonische Torso aber auch so für sich stehend als selbständiges Kunstwerk, so dass man auf den Schlusssatz (so interessant er vielleicht noch geworden wäre) auch verzichten kann.
Simone Young hatte das groß besetzte Gürzenich-Orchester gut im Griff, wählte ein nicht zu langsames Grundtempo und bezauberte durch ihre ausdrucksstarke Köpersprache – vor allem im Scherzo (2. Satz), das zwischen den zwei Extremen einer schon weit ins 20. Jahrhundert vorausweisenden gnadenlosen Rhythmusdominanz und eher lyrisch-eleganten Abschnitten hin- und herpendelt, bewies sie dies nachdrücklich. Kein Wunder, dass das Publikum (die Philharmonie war sehr gut besucht und bestand zu einem nicht unerheblichen Teil auch aus Zuhörern um die und unter 30 Jahren!) die Dirigentin nach diesem mitreißenden Einsatz und der hierbei gezeigten Leidenschaft entsprechend bejubelte!
Die Kritik lobte Youngs Herangehensweise an Bruckners Komposition über die Musik und die Stilistik des von ihm geradezu abgöttisch verehrten Richard Wagner, die in Bruckners Werken an vielen Stellen durchscheint - sowohl in der Komposition wie auch der Instrumentation. Ich kenne mich im wagnerschen Klangkosmos nicht wirklich gut aus, das gebe ich gerne zu, aber unter anderem das Ende des 3. Satzes von Bruckners Neunter hatte schon etwas sehr "wagnerisch Weihevolles" an sich und Simone Young tat sicherlich gut daran, diese Anklänge in ihrer Interpretation auch deutlich hörbar zu machen.
Ich muss gestehen, Bruckner ist nicht mein persönlicher Lieblingskomponist und auch die zu Gehör gebrachte 9. Sinfonie bestätigte für mich so manche Eigenart an Bruckners Musik, die mich nicht so begeistert:
Der 3. Satz (das Adagio) hatte mit seinen gut 25 Minuten Spieldauer für mein Empfinden durchaus Längen, die das Ganze unnötig aufblähten. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Satz in einer etwas gestrafften Form noch aussagekräftiger sein könnte.
Oder die Instrumentierung: Bruckner setzt z. B. die gebündelten Blechbläser gern sehr wuchtig, ja geradezu brutal ein (was immerhin live im Konzert durch die schiere Klangwucht, die einen als Zuhörer da überrollt, schon beeindruckt!) und „überfährt“ damit alle anderen Orchestermitglieder gnadenlos – so regelmäßig, wie er das tut, muss man hier wohl von einem bewusst eingesetzten Stilmittel Bruckners sprechen...
Am Dienstag wurde das auch räumlich sehr schön deutlich: Um die Dirigentin herum „ackerten“ sich die zahllosen Streicher durch nicht enden wollende Tremolo-Figuren und über dieses Klangbett fegten dann die leicht erhöht über den Streichern platzierten vereinigten Blechbläser hinweg und übertönten nahezu alles andere!
Ich weiß nicht – mich überzeugte dieses typische (?) "brucknersche Stilmittel" nicht besonders – es klang mir ein bisschen zu tumb und brachial (oder zu „teutonisch“). Da gibt es durchaus Komponisten, die mit einem ähnlich groß besetzten Orchester elegantere Lösungen gefunden haben, die mich persönlich einfach mehr ansprechen.
Aber das ist natürlich Geschmackssache!
Dennoch muss man an dieser Stelle natürlich vor allem den exzellent intonierenden Blechbläsern des Gürzenich-Orchesters ein Kompliment machen – wie eigentlich immer spielte aber das gesamte Ensemble wieder einmal auf höchstem Niveau und es macht Spaß, einem solch kraftvollen Klangkörper als Zuhörer gegenüber zu sitzen und sich von der schon fast physisch zu spürenden „Macht der Töne“ überwältigen zu lassen!
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