Nach dem Besuch der wirklich maßstabsetzenden Inszenierung von Claudio Monteverdis Oper L’incoronazione di Poppea im Herbst 2010 war meine Neugier natürlich ziemlich groß, als ich vergangenen Freitag (9. März) die neue Monteverdi-Produktion der Kölner Oper in der Ausweichspielstätte im Palladium in Köln-Mülheim (wo diese Neuinszenierung am 25. Februar Premiere hatte) besuchte.
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Man hatte sich für die Oper „Il ritorno d’Ulisse in patria“ (also „Die Heimkehr des Odysseus ins Vaterland“) entschieden, die im Jahr 1640 – also 2 Jahre vor der erwähnten Poppea – in Venedig uraufgeführt wurde, dort übrigens im ersten öffentlichen und privatwirtschaftlich betriebenen Opernhaus der Welt, im Teatro San Cassiano, das 1637 eröffnet worden war.
Die Tatsache, dass auch beim Ulisse die musikalische Leitung erneut in den bewährten Händen von Konrad Junghänel liegen würde (der in den letzten Jahren ja regelmäßig für Produktionen der Kölner Oper am Pult stand), ließ im Vorfeld zumindest die Qualität der musikalischen Darbietungen dieses Opernabends (immerhin dreieinhalb Stunden inkl. einer Pause) schon einmal als gesichert erscheinen – und man wurde nicht enttäuscht:
Das Ensemble, das zu beiden Seiten der leicht schrägen, kreisrunden Drehbühne im großen Saal des Palladiums mit seinem doch recht robust-industriellen Ambiente Platz genommen hatte und unter der Bezeichnung Gürzenich-Orchester Köln & Gäste firmierte, erfreute die Zuhörer mit wunderbar leichtfüßigen Barockklängen.
Ähnlich wie bei Poppea vor anderthalb Jahren waren auch diesmal eigentlich nur die Streicher (insgesamt 9 an der Zahl), die man für das Ensemble benötigte, Angehörige des „regulären“ Kölner Gürzenich-Orchesters.
Bei den übrigen Musikern, die die Streicher mit aus heutiger Sicht so exotischen Instrumenten wie diversen Lauten, Cornetti, Chitarronen, Blockflöten, 2 Cembali, einer kleinen Truhenorgel, einer Viola da Gamba und einer Barockharfe zu einem mehr oder weniger typischen Instrumentalensemble des 17. Jahrhunderts ergänzten, handelt es sich um zusätzlich engagierte Spezialisten, die in einem klassischen Symphonieorchester in der Regel nicht zu finden sind.
Das Ganze ergab einen wunderbaren – zum Teil auch recht ungewohnten – Gesamtklang, was durch die Positionierung der Musiker auf beiden Seiten der Bühne und die dadurch entstehenden „Stereo-Effekte“ noch einen zusätzlichen Reiz bekam (bei der Poppea hatte man sich seinerzeit ebenfalls für eine solche zweigeteilte Orchestersitzordnung entschieden) – und was außerdem allein schon durch die aparten Lauten und Chitarronen mit ihren auffälligen, überlangen Stegen auch optisch mal ganz anders wirkte als ein „normales“ Orchester!
Konrad Junghänel hatte sich im Vorfeld dieser Produktion bereits intensiv mit der Partitur auseinandersetzen müssen, da die Noten sämtlicher erhaltenen Opern Monteverdis lediglich aus den Gesangsstimmen und einer begleitenden Basslinie bestehen und somit sämtliche übrigen Stimmen des begleitenden Instrumentalensembles auf diesem Fundament aufbauend neu erdacht werden müssen!
Somit klingt keine Monteverdi-Opernaufführung wie die andere, was dem zur Barockzeit in der Opernmusik ja eh schon allgegenwärtigen Gedanken der Improvisation (vor allem durch die Sänger) nochmal eine ganz neue, zusätzliche Dimension verleiht!
Hatte man für die Inszenierung der Poppea (passend zum damaligen Umfeld in der ehemaligen Konzernzentrale einer großen Versicherung) ein Ambiente geschaffen, das eindeutig in der (heutigen) Welt der High-Society (mit dem ganzen dazugehörigen Glamour, Sex and Crime, etc.) angesiedelt war, so hatte sich Regisseur Bernd Mottl in Zusammenarbeit mit dem Bühnen- und Kostümbildner Friedrich Eggert für den Ulisse ein im quietschbunten, von Comics und Popart beeinflussten Ambiente des Amerika der 1960er Jahre spielendes Umfeld ausgedacht.
Die Leitidee des nach langer Zeit und traumatischen Erlebnissen in der Fremde heimkehrenden Kriegsveteranen (in diesem Fall also Odysseus, der nach seinen berühmten Irrfahrten und der vorangegangenen Teilnahme am trojanischen Krieg nach 20 Jahren endlich in seine Heimat Ithaka zurückfindet), der sich nicht mehr zurechtfindet in seinem ehemals vertrauten Umfeld, ist – leider! – ein nach wie vor aktuelles Thema und somit ist es eigentlich egal, darüber nachzusinnen, aus welchem Krieg der wie ein GI gekleidete (mit einem MG ausgerüstete) und arg zerrupft wirkende Odysseus denn nun in sein Häuschen mit den pinkfarbenen Plastikflamingos im Vorgarten zurückkehrt (die Drehbühne ermöglicht es, abwechselnd das Haus von außen und innen zu zeigen), in dem seine ein wenig wie die verwitwete Jackie Kennedy auftretende Penelope (ganz im schwarzen Kostüm, toupierte Frisur, riesige Sonnenbrille) seit Jahren auf ihn wartet.
Dort versuchen nicht nur ihre wie ölige Gigolos auftretenden Verehrer (in weißen Anzügen und bunten Rüschenhemden) die attraktive – vermeintliche - Witwe auf andere Gedanken zu bringen, auch ihr Personal, darunter die in braver Haushälterinnenkluft erscheinende Amme Ericlea (dargestellt von Hilke Andersen), bietet zeittypische Zerstreuung wie Tupper-, Cocktail- und Pyjamapartys an, die Penelope unbeeindruckt über sich ergehen lässt und dabei mehr und mehr – nicht nur aus Sicht der sie umgebenden Figuren – wie eine Spielverderberin und Spaßbremse in dieser vergnügungssüchtigen Gesellschaft wirkt.
Am Ende bestätigt sich dann, was man während des Stücks schon ahnen konnte: Nach so vielen Jahren haben sich Penelope und Odysseus so gründlich voneinander entfremdet, dass sie nicht mehr zusammenfinden können. Die Schlussszene endet mit einem permanenten Voreinander-Ausweichen der beiden Eheleute, bevor Odysseus das gemeinsame Schlafzimmer still und leise verlässt und seine Frau alleine im Bett zurücklässt. Nicht nur Odysseus scheint nach seinen Erlebnissen in der Fremde nicht mehr in der Lage zu sein, sich in sein altes Umfeld einzufügen, auch Penelope hat sich im Lauf der Jahre durch ihre konsequente Ablehnungshaltung, ihrer schon asketischen Entsagung aller Annehmlichkeiten und Vergnügungen in einen Zustand hineingesteigert, aus dem sie einfach nicht mehr in die Normalität als Ehefrau (und Mutter) zurückkehren kann – sie hat es buchstäblich verlernt, sich freuen zu können und ungezwungen zu sein, weil genau diese Normalität ja das ihr vorgelebte Verhalten ihres Umfelds während der langen Jahre ihres Getrenntseins war, das sie permanent so vehement abgelehnt hat!
Diese tragische Komponente der Geschichte der beiden Hauptfiguren kommt in dieser Inszenierung eigentlich sehr schön und sehr sinnfällig rüber, so dass ich die vereinzelt zu vernehmende Kritik nicht ganz nachvollziehen kann, die die ganze Inszenierung als zu „klamaukig“ empfindet.
Sicher – die dreieinhalb Stunden sind gefüllt mit zahllosen witzig-grotesken Ideen, Requisiten und Kostümen (alle eben im schon beschriebenen knatschbunten Comicstrip-Stil), aber für mein Empfinden ist dieses Nebenher von ernsten und unterhaltsam-grotesken Elementen ja bereits im Libretto dieser Oper so angelegt; allein die von Monteverdi mit großer Liebe zur ironischen Überzeichnung angelegte Figur des Fresssacks Iro (großartig gespielt von Robert Wörle!), der am Ende lieber freiwillig seinem Leben ein Ende setzt, als möglicherweise dem Hungertod ausgesetzt zu sein, aber auch andere Figuren wie zum Beispiel die der Bediensteten (Ericlea, Melanto), die man eher dem unterhaltenden als dem tragischen Bereich zuordnen würde.
Hier zeigt sich dann in diesem Miteinander ernster und komischer Figuren auch eine der charakteristischen Eigenschaften der die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts beherrschenden venezianischen Oper (die Monteverdi entscheidend mit geprägt hat). Das Ganze uferte in den folgenden Jahrzehnten nach Monteverdi dann jedoch dermaßen aus, dass sich am Ende des 17. Jahrhunderts Operndichter wie Apostolo Zeno (1668-1750) und auch sein Nachfolger Pietro Metastasio (1698-1782) dazu berufen fühlten, hier eine strikte Trennung von ernsten und komödiantischen Elementen einzuführen, woraus dann die das 18. Jahrhundert beherrschende Gattung der „würdevollen“ Opera seria entstand und – fast zeitgleich und schön davon separiert – die komische Opera buffa, die dann vor allem am Ende des 18. Jahrhunderts (also zur Mozartzeit) ungeahnte Triumphe feiern sollte.
Ein weiteres typisches Element der italienischen (wie übrigens auch der französischen) Oper des 17. Jahrhunderts ist das häufige Auftreten von Göttern und anderen allegorischen Figuren, die das Handeln der menschlichen Figuren kommentieren bzw. mitunter auch in dieses eingreifen. Auch im Ulisse ist dies der Fall und gerade dieses Element ist für einen heutigen Regisseur natürlich eine Art „Gretchenfrage“ – wie löst man dies szenisch? In der Kölner Inszenierung werden die Götterfiguren (Athene, Hera, Zeus und Poseidon) einfach in den bunten „Comic-Kosmos“ mit einbezogen und treten, meist aus dem apart beleuchteten Sternenhimmel über der Bühne kommend (bzw. Athene sogar in einem passenderweise als Eule gestalteten Flugwerk) und so gewandet, wie man sich ganz klischeehaft zum Beispiel den Gott des Meeres spontan vorstellen würde, in Erscheinung. Und da wir uns in einer Comicwelt befinden, erinnert das farbenfrohe Götteroutfit denn auch an Superman, Batman, Wonder Woman und Konsorten – aber das passt so gesehen natürlich perfekt zum ganzen Rest!
Der blitzeschleudernde Zeus (Quelle: Oper Köln, Foto: Paul Leclaire)
Mich persönlich haben jedenfalls die zahlreichen unterhaltsamen, witzigen, teils skurrilen, teils überzeichneten Figuren und Regie-Ideen während des gesamten Opernabends bestens unterhalten. Für nicht wenige Opernbesucher dürften diese vielen optischen Reize auch dazu beigetragen haben, sich mit der für heutige Ohren doch etwas ungewohnten Musik aus der Mitte des 17. Jahrhunderts anzufreunden, die ohne die gewohnten Abfolgen von Arien, Duetten, etc. auskommt und sich mit ihrem vorherrschenden rezitativartigen Deklamations-Stil (immer wieder unterbrochen von kürzeren instrumentalen Zwischenspielen) erstaunlich flexibel an die Handlung anzupassen versteht.
Man vergisst beim Zuschauen die ein wenig fremdartig erscheinende Art der Musik schon nach kurzer Zeit und merkt vielleicht erst wieder zu Beginn der Pause nach dem 1. Akt, wie kurzweilig das Ganze bisher gewesen ist – was für ein besseres Kompliment könnte man einer Inszenierung machen? Noch dazu einer, die eben nicht nur „Opern-Alltagskost“ à la Aida oder Fidelio rüberzubringen hat sondern durchaus schon Spezial-Repertoire aus der Frühzeit der Operngeschichte.
Wie in Opern des 17. Jahrhunderts üblich, besitzt auch Monteverdis Ulisse einen Prolog, in dem immer allegorische Figuren auftreten und die sich in dieser Oper über den Mensch in seiner Zerbrechlichkeit (L’humana fragilità) auslassen, der von seiner Geburt bis zu seinem Tod vom Schicksal, der Liebe und der Zeit beherrscht wird und diesen machtlos ausgeliefert ist. Dies zielt natürlich beziehungsreich auf die folgende Handlung der eigentlichen Oper ab und wurde in der Kölner Inszenierung zu Beginn der Vorstellung auf einer kleinen separaten Bühne an der gegenüberliegenden Stirnseite des Saales dargeboten.
Da der Prolog nur ca. 8 Minuten dauert, verweilte das Publikum nach Betreten des Saales zunächst stehend vor der kleinen Bühne, nach dem Ende des Prologs (den man in Köln ein wenig im Stil der Commedia dell’arte inszeniert hatte) ging es dann weiter auf die Plätze. Auf dem Weg dahin posierten zwei entsprechend gebaute Herren als lebende Herkules-Statuen – sehr dekorativ!
In einer TV-Reportage im Vorfeld der Inszenierung konnte man erfahren, dass hierfür extra in diversen Bodybuilding-Studios verschiedene, als besonders geeignet erscheinende junge Herren angesprochen wurden, man dort aber – leider nicht wirklich überraschend – auf eine Menge Vorbehalte gestoßen ist, was eine mögliche Teilnahme als Statist an einer Opernaufführung anging. Die Kandidaten, die sich schließlich bereit erklärten, zeigten sich dann aber doch sehr beeindruckt von der Professionalität aller Beteiligten und der ganzen Arbeit, die hinter einer solchen Opernaufführung steckt. Das Ganze scheint dann doch noch Spaß gemacht zu haben, denn angeblich könne man sich vorstellen, auch künftig einmal eine Opernvorstellung zu besuchen – auch eine Art der Heranführung einer opernfremden Gruppe an dieses Medium *grins*
Zu den in großer Anzahl an dieser Aufführung beteiligten Sängerinnen und Sängern (die teilweise sogar mehrere Rollen übernahmen) kann ich eigentlich nur Positives sagen. Im Gegensatz zur Poppea griff man für den Ulisse fast ausschließlich auf Kräfte aus dem Kölner Ensemble zurück.
Besonders erwähnen möchte ich noch die Mezzosopranistin Katrin Wundsam, die eine sensible und ausdrucksstarke Penelope gab sowie den Tenor Timothy Sharp, der kurzfristig als Einspringer für den stimmlich indisponierten Mirko Roschkowski vom Bühnenrand aus dessen Partie übernahm (eine Leistung, die wirklich Respekt verdient!), während Roschkowski die Rolle auf der Bühne verkörperte – das Ganze fiel in der ohnehin ja mit allerlei unkonventionellen Ideen gespickten Aufführung gar nicht weiter als störend auf!
Ein wirklich gelungener Opernabend, der eindrucksvoll bewies, dass auch in Köln Barockrepertoire abseits der ausgetretenen Pfade wunderbar funktioniert – mehr davon!
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