Freitag, 25. November 2011

"Klassik" - wo ist da eigentlich die Grenze?

In den letzten Tagen bin ich an zwei ganz unterschiedlichen Stellen mit der Fragestellung konfrontiert worden, was man eigentlich alles noch in die Schublade "Klassik", bzw. "klassische Musik" stecken darf, bzw. wo da die Grenze zu anderen Musikbereichen zu ziehen ist.

Ich hatte mich ja schon einmal über das oft etwas lästige, weil einengende Schubladendenken mokiert - und erst recht über die fast schon fatale Kategorisierung von Musik in diesen U- und E-Sektor, aber irgendwie ertappt man sich dann doch immer wieder mal dabei, dass man denkt, dies oder das passe aber nun wirklich nicht in die Kategorie X oder Y. Das Ganze ist ja auch so bequem :-)

Anfang der Woche war ich zum Beispiel beim Optiker. Einer dieser Läden, in denen im Hintergrund ständig mehr oder weniger dezent (jedenfalls deutlich leiser als in diesen hippen Klamottenläden!) die Art von Popmusik läuft, die niemandem weh tut und die eh schon keiner mehr richtig wahrnimmt. Also ungefähr das, was viele Radiosender immer als "Das Beste aus den 80ern, 90ern und natürlich von heute" anpreisen…
Das Ganze dient halt als eine Art Klangteppich für Kunden und Mitarbeiter, damit es nicht so leise zugeht im Laden.

Naja - ich hatte auch nicht wirklich hingehört, was da eigentlich gerade gespielt wurde, als der 18-jährige Azubi in den Verkaufsraum kam, kurz aufhorchte und mit leuchtender Miene zu seiner Kollegin an der Kasse sagte: "Hey - das ist ja cool! Ich wusste ja gar nicht, dass wir hier auch Klassik spielen!"
Ich wäre vor Überraschung in dem Moment fast vom Stuhl gefallen - jetzt wurde ich natürlich hellhörig!
Aber zu meiner Enttäuschung lief da irgendein x-beliebiger Titel einer mir nicht näher bekannten Sängerin - ich konnte mir zunächst überhaupt nicht erklären, wie der junge Typ bloß auf die Idee kam, dass dieser Song nun plötzlich "Klassik" sein sollte (was immer er sich darunter bloß vorstellen mochte)?

Seine Kollegin schien das ebenso zu sehen und fragte ihn dann auch prompt, wie er denn darauf käme - worauf der Azubi antwortete, dass da doch eine Flöte zu hören sei und so'n Streich-Dings, dann wäre das ja wohl Klassik, oder wie…
Ich hörte jetzt ganz genau hin, was da aus den Lautsprechern rieselte und tatsächlich - zwischendrin erklangen kurze Flötentöne und auch ein Cello war ab und an vernehmbar.

Tja - also definitiv "Klassik", kein Zweifel!

Und dann ist da noch der bekannte Online-Händler, dessen Name so frappant an den brasilianischen Urwaldfluss erinnert. Da habe ich irgendwann einmal zwei oder drei CDs mit klassischer Musik (also die mit Flöten und Cellos und so…) bestellt und erhalte seitdem mehr oder weniger regelmäßig Mails, in denen mir neue Angebote aus dem Sektor angeboten werden, in dem ich seinerzeit mal etwas gekauft hatte.

Ich öffnete also die entsprechend mit "Klassik: Die wichtigsten CD-Neuheiten" betitelte Mail und betrachtete mit einer Mischung aus Erstaunen und Ungläubigkeit diese wichtigsten Neuheiten aus dem Klassik-Bereich:

David Garrett - Legacy
Die Priester - Spiritus Dei
Andrea Bocelli - Concerto: One Night in Central Park
Verschiedene Interpreten: Klassik zum Träumen
Il Divo - Wicked Game
Tina Turner: Children Beyond

Was soll das bloß?
Ich hatte in meiner grenzenlosen Naivität CDs mit Musik von Vivaldi, Beethoven & Co. erwartet (denn auch hier hätte es aktuell "wichtige Neuheiten" gegeben)!

Die können doch nicht im Ernst glauben, dass sich dieses absurde Sammelsurium neu erschienener CDs unter dem Dach "Klassik" anpreisen lässt? Da spielen ja noch nicht mal überall Flöten mit (obwohl - das müsste man bei diesen Priestern oder bei Signor Bocelli vielleicht erst noch mal nachprüfen…)!

Allerdings - unter welchen Überbegriff lässt sich Musik wie diese überhaupt zusammenfassen?
Vielleicht sollte man das auch lieber gleich ganz lassen.

Jedenfalls stellt sich mir anhand dieser zwei kleinen Begebenheiten dann schon die Frage:
Was ist Klassik? Wo fängt das an - und vor allem: Wo hört das auf?

"Klassik" scheint eine Definition zu sein, die sich jeder ganz nach persönlichem Geschmack zurechtzurrt:
Für den einen reichen bereits Flöten und Streicher, für den anderen Il Divo, Die Priester oder die Ten Tenors - man fragt sich, welche dieser beiden Definitionen gruseliger ist… ;-)

5 Kommentare:

  1. Hej KLASSIKer,
    dein Blog gefällt mir! :-)
    Schon witzig, dass jemand der offensichtlich wenig Hörerfahrung im klassischen Bereich hat, diesen Musikbereich anhand von Instrumenten-Besetzung ausmacht :-) Aber die Person hat sich immerhin gefreut, vielleicht kommt sie ja noch auf den Geschmack und erweitert irgendwann mal das Instrumentenspektrum ;-)

    Liebe Grüße aus´m Norden!

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  2. David Garrett - Legacy....vielleicht erst mal reinhören und DANN beurteilen??? Das ist nämlich ein REINKLASSISCHES Album von ihm!!! Also bitte!....

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  3. Hallo KLASSIKer,
    bist Du wirklich der Meinung, daß Beethovens Violinkonzert nicht zur Klassik gehört? (David Garrett - LEGACY). Vielleicht solltest Du mal Dein Wissen in puncto Klassik etwas erweitern. Viel Spaß mit dieser wunderbaren CD!

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  4. Hallo KLASSIKer,
    hm auf der einen Seite machst Du Dich über die Unwissenheit dieses Jünglings lustig und sagst Schubladendenken sei dämlich. Aber andererseits scheerst Du alle Interpreten, die so genannte Crossover oder Klassik-Pop oder wie auch immer man das nennen mag machen über einen Kamm. Und das offensichtlich ohne entsprechend Dich vorher zu informieren, denn tatsächlich ist David Garrett's neuestes Album "Legacy", genau wie das vorletzte "Classic Romance", rein klassisch, mit dem Beethoven Violin Konzert plus 7 Stücken von Fritz Kreisler in Bearbeitung für Violine und Orchester. Ob man diese Stücke nun in dieser Interpretation mag oder nicht sollte jedem selbst überlassen bleiben und ist wie immer Geschmacksache, aber sie sind definitiv "echte" Klassikwerke.
    Also, humoristisch überzeichnen ist eine Sache, aber bitte nur nach entsprechender Informationssammlung vorher, sonst wird sowas gern peinlich.

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  5. ... hoppla, ich wollte jetzt wirklich keinem Fan des flotten Violinisten auf den Schlips treten, also lassen wir David Garrett mal außen vor (wobei der Albumtitel schon etwas gewöhnungsbedürftig ist, wenn es dabei eigentlich um Beethovens Violinkonzert geht?) - aber zumindest der Rest dieser ominösen Liste ist ja schon etwas schräg...

    Wen's interessiert: Meine Meinung zu Herrn Garrett habe ich vor einiger Zeit schon mal hier im Blog kundgetan (einfach dem Link auf seinem Namen oben im Beitrag folgen!) - daran hat sich bis heute nichts geändert, ich bin nach wie vor gespannt, wie er sich weiterentwickelt!

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