Morgen ist es nun soweit:
Der schon im Vorfeld wohl am meisten beachtete runde Komponistengeburtstag des Jahres 2011 steht an - am 22. Oktober vor genau 200 Jahren wurde Franz Liszt in Raiding (heute Burgenland, Österreich) geboren (er starb 1886 in Bayreuth).
Es fällt mir schwer, etwas Persönliches über diese schillernde Künstlergestalt zu schreiben, da ich bis heute nicht wirklich den richtigen Zugang zu den meisten seiner Kompositionen finden konnte.
Das Problem liegt hierbei sicher auch darin begründet, dass ein großer Teil des doch recht umfangreichen Gesamtwerks dieses Komponisten bis heute ausgesprochen selten oder gar nicht gespielt und aufgeführt wird und man es schwer hat, sich einen persönlichen Pfad durch einen fast unüberschaubar erscheinenden Musikdschungel zu bahnen und sich dabei das herauszusuchen, was einem am ehesten zusagt.
Faszinierend an Liszt finde ich natürlich vor allem sein ereignisreiches Leben, das so reich an rauschenden Erfolgen, alle gesellschaftlichen Konventionen sprengenden leidenschaftlichen Affären und dramatischen Wendepunkten war, dass man damit ohne Probleme mehrere Filme füllen könnte (ich bin mir in dem Zusammenhang gar nicht sicher, ob es überhaupt schon mal erwähnenswerte Verfilmungen seiner Biographie gegeben hat)!
Entsprechend umfangreich sind immerhin die Bücher, die man über Liszt geschrieben hat; allein in diesem Jahr sind schon zahlreiche neue Titel erschienen, wobei es neben klassischen Biographien auch Bücher gibt, die sich speziell mit verschiedenen Abschnitten und Aspekten seines Lebens genauer befassen.
Keine Frage: Auch der heutigen Sensationspresse hätte Franz Liszt jede Menge skandalträchtigen Klatsch geliefert - gerade als die Massen begeisternder (und entsprechend leidenschaftlich verehrter) Klaviervirtuose kann man den gutaussehenden jungen Mann wohl tatsächlich als den ersten "Superstar" bezeichnen. Er liebte die großen Auftritte und verstand es, sich entsprechend in Szene zu setzen.
Diese Virtuosen-Attitüde hat sich der junge Liszt beim legendären "Teufelsgeiger" Niccolò Paganini (1782-1840) abgeguckt, der ihn sehr beeindruckte.
Anders als der eineinhalb Jahre ältere Frédéric Chopin, der große Auftritte zunehmend verabscheute und lieber in intimeren Kreisen im Rahmen eleganter Gesellschaften in Pariser Salons konzertierte, kann man Franz Liszt wohl als den Prototypen einer "Rampensau" bezeichnen - ich glaube, er brauchte zumindest zeitweise dieses Gefühl, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen und hier mit seiner Kunst glänzen zu können.
Während sich Chopin künstlerisch allein auf das Klavier konzentrierte, entwickelte sich Liszt nach mehreren Jahren reiner Pianistentätigkeit allmählich Schritt für Schritt weiter, offenbar weil er sich nicht nur auf ein Instrument beschränken wollte - er "eroberte" für sich die Orchester-, später auch die Chormusik und schuf auch hier zahlreiche, vielbeachtete, heute aber ebenfalls - von einigen wenigen Werken abgesehen - eher selten gespielten Werke.
In diesem Punkt gibt es die interessante Parallele zum ein Jahr älteren Robert Schumann (1810-56), der auch zunächst ausschließlich für das Klavier komponierte und sich ebenfalls erst nach einigen Jahren von hier aus auch die Welt der Orchester- und Kammermusik erschloss. Im Gegensatz zu Liszt ist Schumann aber dem "klassischen" Erbe treu geblieben und pflegte die verschiedensten, aus der Epoche der Wiener Klassik stammenden Gattungen, wie Sinfonie, Solokonzert, Streichquartett, etc.
Liszt hingegen war in diesem Punkt ein echter Visionär, der nicht viel auf althergebrachte Traditionen gab (und sich vom weiten Feld der Kammermusik gleich ganz fernhielt), wenn es galt, sich künstlerisch zu verwirklichen - ein Punkt, in dem er dem 8 Jahre älteren Franzosen Hector Berlioz (1803-69) sehr ähnlich war, der ebenfalls sehr radikale und neuartige Ideen und Auffassungen von dem hatte, was und wie er etwas mit seiner Musik ausdrücken wollte. So überrascht es nicht, dass Liszt mit Berlioz befreundet war und sich vor allem während seiner Zeit als Kapellmeister in Weimar (1848-1861) für die dortige Aufführung seiner von vielen Zeitgenossen verkannten Kompositionen einzusetzen.
So gesehen muss man also auch Liszts Rolle als Förderer (z. B. seinen späteren Schwiegersohn Richard Wagner) und Lehrer (z. B. seinen späteren Schwiegersohn Hans von Bülow) würdigen, dass er auf dem Gebiet des Klavierspiels allein schon in technischer Hinsicht nachfolgenden Generationen ganz neue Horizonte eröffnete, kommt noch hinzu.
Im Gegensatz zu Berlioz, der als ein Meister der Kunst der Instrumentierung bezeichnet werden kann, tat sich Liszt auf dem Gebiet der Orchestermusik doch etwas schwerer - er hatte sich das hierfür erforderliche Wissen erst relativ spät angeeignet und ist für die Instrumentierung seiner großen Orchesterwerke häufiger kritisiert (oder belächelt) worden.
Es fällt auf, dass es in diesem Jubiläumsjahr keine Gesamtaufnahme der Liszt'schen gegeben hat (so etwas ist in den vergangenen Jahren bei vielen anderen Jubilaren ja schon fast üblich geworden) - vielleicht liegt es am Umfang dieses Gesamtwerks, vielleicht aber auch an der Tatsache, dass viele Kompositionen Liszts offenbar noch nie auf Tonträger aufgenommen wurden - was ich schon sehr bezeichnend finde in Bezug auf den Umgang mit diesem Künstler!
Eigentlich schade um einige verpasste Chancen, hier eine Reihe von Weltersteinspielungen veröffentlichen zu können!
Von einigen wenigen interessanten Ausnahmen mal abgesehen, sind bislang in diesem Jahr hauptsächlich CDs herausgebracht worden, auf denen ältere und jüngere Pianisten sich in der Regel mit den eh hinlänglich bekannten und regelmäßig gespielten Klavierklassikern (wie z. B. die h-moll-Sonate, der Liebestraum Nr. 3, La Campanella oder die Tarantella) auseinandersetzen.
Listzs umfangreiches Klavierwerk ist bis heute meines Wissens tatsächlich nur einmal komplett eingespielt worden und zwar vom Australier Leslie Howard, der hierfür mehrere Jahre benötigte. Das Endergebnis umfasst immerhin 99 (!) CDs - was für eine Mammutleistung!
Viele der betont virtuosen Klavierstücke Liszts verlieren - so finde ich - auf CD einen Großteil ihrer eigentlichen Wirkung. Sie sind für einen Live-Vortrag konzipiert und man muss neben den erklingenden Tönen unbedingt auch das optische Element erleben können, wie sich der Pianist/ die Pianistin mit einem enormen körperlichen Einsatz das jeweils zu spielende Stück quasi "erkämpfen" muss! Das ist wirklich ein beeindruckendes Erlebnis und von Liszt wohl auch ganz bewusst als wichtiger Teil seiner Konzertperformance so mit einkalkuliert.
Ich hatte vor ein paar Jahren im Rahmen einer in relativ kleinem Kreise stattfindenden Veranstaltung die Gelegenheit, einen jungen osteuropäischen Pianisten (dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe) aus nächster Nähe erleben zu können, wie er die "Don Juan-Reminiszenzen" dem Flügel quasi abrang - das war ausgesprochen spannend und begeisternd und seitdem sehe ich diese für Liszt so typischen Virtuosenstücke mit ganz anderen Augen (und mag mir diese auf CD eigentlich gar nicht mehr anhören)!
Zuvor hatten mich Stücke wie dieses, nur auf CD angehört, nämlich immer recht unbeeindruckt gelassen. Seitdem versuche ich, diese Art von Klaviermusik wenn möglich nur live im Konzert zu erleben - das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht!
In der Folge möchte ich noch ein paar Kompositionen Liszts aufzählen, die ich erwähnens- und durchaus hörenswert finde:
Für mich als Orgelmusik-Fan gibt es von Liszt tatsächlich auch ein paar ausgesprochen hörenswerte Kompositionen - allen voran die halbstündige (!) Fantasie und Fuge über den Choral "Ad nos, ad salutarem undam", die in ihren Ausmaßen und der hierfür erforderlichen Virtuosität ganz neue Maßstäbe für kommende Orgelkompositionen setzte. Besonders beachtlich finde ich die Tatsache, dass es sich bei diesem 1850 entstandenen Werk um Liszts erste Komposition für die Orgel überhaupt handelte! Auch das 1856 uraufgeführte Präludium und Fuge über B-A-C-H, ein Zeugnis der Verehrung Liszts für den großen Thomaskantor, dürfte nachfolgende Komponisten, ich denke da z. B. an Max Reger (1873-1916), beeinflusst haben. Außer diesen beiden wohl bekanntesten Werken, hat Liszt noch einige weitere Orgelkompositionen geschrieben, ähnlich wie im Klavierbereich finden sich hier dann auch einige Transkriptionen, also Stücke, die ursprünglich für andere Instrumente, bzw. für ein ganzes Orchester gedacht waren.
"Transkriptionen" ist ein gutes Stichwort - ich finde z. B. Liszts Übertragungen der 9 Beethoven-Symphonien für Klavier sehr gelungen. Zeugt von großem Geschick, dem Klavier den Klangreichtum eines ganzen Orchesters in überzeugender Manier übertragen zu können. Da nicht mit der erwähnten Virtuosität überladen, gehören diese Transkriptionen tatsächlich zu meinen liebsten Liszt-Klavierstücken!
Dann sind da natürlich noch die zum Teil sehr populär gewordenen Ungarischen Rhapsodien (Nr. 1 - 15 herausgegeben in den Jahren 1851 und 1853; Nr. 16 bis 19 in den Jahren 1882 bis 1886), die eigentlich gar nicht auf ungarischer Folklore beruhen, wie spätere Forschung auf diesem Gebiet ergeben hat. Besonders die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 dürfte wohl zu den populärsten Melodien Liszts bzw. gleich der gesamten Klavierliteratur gehören (und die auch eine erstaunliche Beliebtheit bei den Machern US-amerikanischer Cartoons der 1930er bis 1950er Jahre erlangt hat - ich habe beim Anhören dieses Stücks immer Bugs Bunny vor Augen, wie er dieses Stück auf seine Weise am Flügel darbietet…).
Ansonsten kann ich sowohl den Klavierzyklus "Années de pèlerinage" (entstanden Mitte und Ende der 1830er Jahre), wie auch die berühmte h-moll-Sonate (Liszts wohl ambitioniertestes Klavierwerk, das - typisch für ihn - die altehrwürdige Bezeichnung "Sonate" wirklich nur als Titel trägt!) aus dem reichhaltigen Klavierwerk noch empfehlen.
Als Chorsänger mag ich Liszts im Jahr 1865 (dem Jahr, in dem er in Rom die "niederen Weihen" empfing und sich fortan Abbé nennen durfte) entstandene Missa choralis für gemischten Chor und Orgel sehr gern - der Komponist verwendet hier gregorianische Zitate und kombiniert diese mit neuen kompositorischen Elementen und einer kühnen Harmonik zu einer gelungenen Synthese aus Neuem und Altem. Auch hier steht er wieder im Gegensatz zu seinen komponierenden Zeitgenossen, die sich - aus seiner Sicht - ausschließlich mit Althergebrachtem auseinandersetzten. Die sogenannte Bewegung der "Cäcilianer" orientierte sich zur damaligen Zeit bei der Komposition geistlicher Musik nämlich gerade an einem an Palestrina (ca. 1514-1594) orientierten Stil. Liszts Drang, stets Neuerungen schaffen zu wollen, in denen bereits Bestehendes wenn überhaupt lediglich als Ausgangspunkt dient, setzte sich auch hier wieder einmal durch.
Seine populärsten Orchesterkompositionen dürften bis heute wohl die beiden Klavierkonzerte Nr. 1 Es-Dur (UA 1855 mit Liszt als Solist und Berlioz als Dirigenten) und Nr. 2 A-Dur (UA 1857) sein.
Auch der düster-bizarre Totentanz, eine Paraphrase über das gregorianische Dies irae für Klavier und Orchester (UA 1865), erklingt in diesem Zusammenhang häufiger - gerne auch in Kombination mit den beiden Konzerten, die (erstaunlich für Konzerte des 19. Jahrhunderts) beide jeweils nur ca. 20 Minuten dauern.
Das erste Klavierkonzert (das häufiger zu hören ist als das zweite) dürfte in puncto "markanter Beginn" gleichberechtigt neben anderen großen Klavierkonzerten der Romantik stehen - man vergleiche mal die jeweils ersten Takte bei Schumann, Grieg oder Tschaikowsky: Ich liebe diese "knackigen" Einstiege!
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