Freitag, 19. August 2011
Neuerwerbung
Dass ich mich im Sommer irgendwie immer automatisch zu klassischer Gitarrenmusik hingezogen fühle (gibt es was Schöneres an einem lauen Sommerabend?), hatte ich ja schon mal geschrieben.
So gesehen hat die Deutsche Grammophon mit ihrer aktuellen Veröffentlichung des Albums "Mediterráneo" des neuen Label-Stars, dem 28-jährigen Gitarristen Miloš Karadaglić schon mal alles richtig gemacht - aus einer spontanen sommerlichen Stimmung heraus habe ich mir besagte Aufnahme mal zugelegt; bei der Gelegenheit fiel mir auf, wie viele Jahre ich schon keine neue CD mit klassischer Gitarrenmusik mehr gekauft habe. Bislang haben mir die wenigen Exemplare, die ich besitze, Jahr für Jahr gute Dienste geleistet - aber diesmal war meine Neugier dann doch mal geweckt und ich wollte mal hören, was der neue "Wunderknabe" so alles aus seiner Gitarre rausholt…
Ich kann die Firmenpolitik der Deutsche Grammophon (bzw. von Universal Classics) in diesem Fall tatsächlich einmal gut nachvollziehen: In den letzten Jahren wurden ja von so ziemlich allen Klassiklabels jede Menge junger, frischer Gesichter beiderlei Geschlechts promoted (und werbetechnisch entsprechend in den Himmel gehoben…) und dabei systematisch alle Stimmlagen und die gängigsten Instrumente abgearbeitet.
Immer setzte man dabei auf die Neugier des Publikums und den Reiz des Neuen (was sich aber - leider - in der Regel nicht auf das eingespielte Repertoire bezog!) - mittlerweile sind neben tonnenweisen Sängerinnen und Sängern, Pianisten, Violinisten, Cellisten, Flötisten (und -innen selbstverständlich auch!) auch schon etwas abwegigere Regionen wie Trompeter, Bratscher, Blockflötenspieler und sogar Harfenisten gründlich beackert worden.
Und immer sind die neu vorgestellten Künstler nicht nur jung sondern erstaunlicherweise durch die Bank ausgesprochen attraktiv und fotogen - man fragt sich unwillkürlich, ob das wirklich noch Zufall ist…?
Muss man heutzutage neben den technischen und interpretatorischen Fähigkeiten, die einen nicht nur die gewaltige Konkurrenz ausstechen sondern auch noch ein entsprechendes Hochschulstudium überstehen lassen zusätzlich auch noch ein überdurchschnittlich gutes Aussehen mitbringen, um sich überhaupt Hoffnungen auf eine (womöglich sogar internationale) Karriere machen zu können? Ich habe persönlich verstärkt diesen Eindruck, was mich in dieser unserer so dermaßen visuell geprägten Welt eigentlich auch nicht wirklich wundert. Es ist nur ziemlich unfair, wenn gerade solche Kriterien, die eigentlich in gar keinem Zusammenhang mit der künstlerischen Leistung stehen, hier womöglich den Ausschlag geben für die gezielte Förderung einer Karriere - man kann nur froh sein, dass man das in früheren Jahren nicht unbedingt als so wichtig angesehen hat, wie es heute wohl leider der Fall ist, denn sonst wäre uns so manche heute als Klassik-Legende verehrte Persönlichkeit vielleicht völlig unbekannt geblieben...
Bei meiner obigen Aufzählung der verschiedenen in den vergangenen Jahren marketingtechnisch verwursteten Instrumentengattungen fällt auf, dass ein eigentlich doch recht naheliegendes Instrument wie die Gitarre hier tatsächlich bisher nicht vertreten war. Die Zeiten, in denen zuletzt regelmäßig große Namen im Bereich der Gitarre zumindest einer interessierten Gruppe von Musikliebhabern begegneten, sind tatsächlich schon Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte her (ich erinnere z. B. an Narciso Yepes, Julian Bream, John Williams oder Los Romeros).
So gesehen war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis eines der Klassiklabels mit einem jungen Gitarristen aufwarten würde. In diesem Jahr ist es dann also soweit: Der junge Montenegriner Miloš Karadaglić, der in London sein Studium der klassischen Gitarre abgeschlossen hat, wird der Öffentlichkeit als neuer Shooting-Star an diesem Instrument präsentiert. Dass er aussieht wie die perfekte Inkarnation des typischen südländisch-heißblütigen Herzensbrechers überrascht hierbei wohl nicht wirklich…
© Olaf Heine / Deutsche Grammophon
Also aus der Marketingperspektive gesehen die perfekte Verbindung aus Künstlerpersönlichkeit und einem in den letzten Jahren arg unterrepräsentierten Instrument! Herzlichen Glückwunsch an den oder die Entdecker! ;-)
Wie klingt denn nun das Gitarrenspiel von Miloš Karadaglić?
Ich muss sagen, dass ich durchaus angetan war, von dem, was auf seiner Debüt-CD Mediterráneo zu hören ist - der junge Mann beherrscht sein Instrument, keine Frage!
Etwas enttäuscht war ich von der Programmzusammenstellung, die eigentlich nur ein "Best of" der absoluten Gitarrenklassiker darstellt (so z. B. Tárregas "Recuerdos de la Alhambra" oder "Granada" und "Asturias" von Isaac Albéniz), aber das kann man dem Künstler eigentlich nicht vorwerfen - schließlich möchte man sich auf einer Debüt-CD mit einer möglichst großen Bandbreite an Stücken vorstellen (gerade bei Sänger-Debüts ist es ja auch nicht anders, wenn das berüchtigte obligatorische erste Arien-Recital ansteht) und das Feld der Gitarrenmusik ist in den letzten Jahren ja nun wirklich nicht übermäßig beackert worden, so dass hier noch nicht ganz der Übersättigungseffekt vorherrscht, den man z. B. im Klavier- oder Geigensektor längst erreicht hat.
Außerdem - so schätze ich mal - möchte die Deutsche Grammophon vielleicht auch selber erst mal einen Testballon starten, um zu sehen, wie gut ihr neuer Schützling auf dem Musikmarkt so ankommt. Und da geht man programmtechnisch natürlich erst mal kein Risiko ein, sondern setzt auf altbewährte Zugnummern.
So gesehen gewährt die Mediterráneo-CD also nicht nur einen guten ersten Eindruck über das Können des neuen Gitarrenkünstlers, sondern bietet auch denjenigen, die sich erstmals mit dem Repertoire klassischer Gitarrenmusik befassen wollen, einen repräsentativen Überblick über die beliebtesten und populärsten Stücke aus diesem Sektor - zumindest was Kompositionen anbetrifft, die schwerpunktmäßig gegen Ende des 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind.
Das große Barock-Repertoire für Gitarre, sowie Kompositionen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts (z. B. Mauro Giuliani, Fernando Sor oder Nicolò Paganini) werden leider völlig außen vor gelassen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden…
Etwas bizarr finde ich auch die Tatsache, dass Gitarrist Miloš, der das ganze Programm ansonsten solistisch bestreitet, für eine einzige (lediglich dreiminütige) Nummer auf dieser CD von einem Orchester begleitet wird:
Es handelt sich um die weltberühmte Romance des berüchtigten "Anonymus", die natürlich bei einem solchen Gitarrenprogramm nicht fehlen darf. Warum man Miloš dieses Stück nicht als Solo vortragen lässt (so kannte ich dieses Gitarrenstück, das zugegebenermaßen in -zig Bearbeitungen und teilweise nur schwer erträglichen Arrangements existiert, bislang eigentlich auch), sondern seine Gitarrentöne in ein süßliches Bett schmelzender Violinenklänge hüllt, ist mir allerdings ein Rätsel! Das wäre wirklich nicht nötig gewesen - das Stück wirkt in seiner jetzigen Form wie ein Fremdkörper auf dieser CD. Schade drum.
Naja, vielleicht war diese Nummer ja so eine Art Vorübung für das nächste CD-Projekt mit unserem hoffnungsvollen Jung-Gitarristen.
Ich gehe jede Wette ein, dass - sollte es weitere CDs mit Miloš Karadaglić geben - demnächst auf jeden Fall das "Concierto de Aranjuez" und die "Fantasia para un gentilhombre" von Joaquin Rodrigo eingespielt werden - und das sind ja nun einmal Werke für Gitarre und Orchester!
Und diese Klassiker, die eigentlich auf keinem "Best of Guitar" fehlen dürfen, glänzten auf der in diesem Jahr erschienenen Debüt-CD von Miloš Karadaglić auffällig durch Abwesenheit…
Nun, schau'n mer mal, wie es mit ihm und seiner Karriere weitergeht. Ich drücke dem sympathischen jungen Mann auf jeden Fall beide Daumen!
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Klasse Posting, Klassiker!
AntwortenLöschenDer Typ sieht blendend aus, obwohl ich auf machohafte Latin-lover nicht stehe. Ob er aber in Wirklichkeit so aussieht? Heutzutage werden Werbe Fotos sorgfältig bearbeitet, so dass Darsteller perfekt aussehen. Vor einigen Jahren habe ich Jonas Kaufmann in der Lobby eines Konzerthauses nicht gleich erkannt. Ehrlich gesagt, er sah gar nicht so aus wie auf seinen Fotos. Martin Stadtfeld, in Wirklichkeit auch nicht. Übrigens, in Bachs Präludium drückte er das Pedal so viel, dass alle Töne im Nebel versanken. Bei Beethovens Appassionata waren seine Hände nicht mal synchron. Bevor er Schubert erwürgte, verließ ich den Saal. Zum Glück habe ich die Karte geschenkt bekommen. Keine Talent zu haben ist keine Schande. Aber ihn als führenden deutschen jung Pianist zu titulieren ist eine Ohrfeige für alle Anderen. Viele im Konzertpublikum haben keine Ahnung von exzellentem Klavierspiel. Die meisten interessiert nur, große Namen, von Schallplattenfirmen gezielt hochgejubelt.
Es ist traurig, dass sogar in der Klassik Welt, das Aussehen im Vordergrund steht und nicht die künstlerischen Fähigkeiten.
Ein schönes Wochenende!