Montag, 8. August 2011

Ambroise Thomas - 200. Geburtstag

Urlaubsbedingt komme ich leider erst heute dazu, an den runden Geburtstag eines französischen Opernkomponisten zu erinnern, der bereits am 5. August vor genau 200 Jahren in Metz geboren wurde: Ambroise Thomas.
Leider steht der runde Geburtstag dieses Komponisten (er starb 1896 in Paris) in diesem Jahr total im Schatten vor allem des anderen Komponisten, der im selben Jahr 1811 (am 22. Oktober) das Licht der Welt erblickte - Franz Liszt - ich schätze Thomas' Musik aber seit Jahren sehr und finde es ausgesprochen schade, dass man selbst in diesem Jubiläumsjahr nicht wirklich etwas von ihm vernimmt - weder auf der Bühne oder im Konzertsaal, noch im Rahmen neuer (oder neu aufgelegter) Aufnahmen seiner Werke. Ob das wohl in Frankreich (und hier vor allem in seiner Geburtsstadt Metz) auch so traurig aussieht?

Leider ist es so, dass man schon in den letzten Jahren und Jahrzehnten zumindest hierzulande ausgesprochen selten eine der zahlreichen Opern von Ambroise Thomas auf der Bühne erleben konnte.
Ich erinnere mich aber sehr gerne an eine Aufführung seines im Jahr 1868 uraufgeführten Hamlet, die ich vor ca. 5 Jahren in der Düsseldorfer Oper am Rhein besucht habe: Nicht zuletzt die berühmte Wahnsinnsszene der Ophélie (die - zusammen mit dem für französische Opern sozusagen obligatorischen Ballett - den gesamten 4. Akt beansprucht), die psychologisch äußerst eindrücklich und beklemmend in Szene gesetzt wurde, hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen - die ganze Aufführung war ein Plädoyer für eine Renaissance dieser selten zu erlebenden, musikalisch keine Wünsche offen lassenden Oper!

Thomas wurde bereits mit 17 Jahren Student am Pariser Konservatorium und erhielt im Jahre 1832 den berühmten und begehrten Rom-Preis, mit dem ein mehrjähriger kostenloser Aufenthalt in Rom verbunden war, wo Thomas vor Ort im "Land der Musik" seine Studien abschließen und dort vor allem von der italienischen Oper sicherlich nicht zu unterschätzende Inspirationen für seine eigene Musik mitnehmen konnte. Dieser Prix de Rome war für viele junge französische Komponisten der Beginn einer erfolgreichen Musikerkarriere - man denke nur an Preisträger wie z. B. Berlioz, Gounod, Bizet oder Debussy - und auch Thomas hatte nach seiner Rückkehr nach Paris als Rompreisträger sicherlich ein gutes Start-Renommee, auf dem er dann seine langjährige und erfolgreiche Karriere als Opernkomponist aufbauen konnte. Zusammen mit Charles Gounod (1818-93) dürfte er der wohl beliebteste und bekannteste französische Opernkomponist um die Mitte des 19. Jahrhunderts (u. a. in der Nachfolge von Auber, Halévy, Adam und Meyerbeer), bzw. während des 2. Kaiserreichs gewesen sein.

Thomas komponierte sowohl komische wie ernste Opern und war sicher kein großer Neuerer oder Reformer der zu der Zeit aktuellen Opernmusik, aber er beherrschte sowohl den Tonfall der Opéra comique wie den der Opéra lyrique souverän und das kam natürlich beim unterhaltungssüchtigen Pariser Publikum gut an (und trug vielleicht auch dazu bei, dass seine Musik im Verlauf der Jahrzehnte nach seinem Tod im Jahr 1896 dann doch an Beliebtheit einbüsste...?).

Leider ist das Angebot von Thomas' Musik auf dem Tonträgermarkt ausgesprochen überschaubar - da hat sich auch in seinem Jubiläumsjahr nichts dran geändert, wie es ausschaut...


Es gibt eine Aufnahme aus dem Jahr 1956 seiner im Jahr 1850 uraufgeführten Opéra comique "Le songe d'une nuit d'été" (Ein Sommernachtstraum), mit Janine Micheau und Henry Legay, den Choeurs et Orchestre Radio Lyrique de Paris unter der Leitung von Manuel Rosenthal, die zwar einen grauenhaften Klang hat (man könnte meinen, die Aufnahme stamme nicht aus dem Jahr 1956 sondern mindestens aus dem Jahr 1936!), dafür aber immerhin einen guten Eindruck vermittelt, wie elegant Thomas den leichten Tonfall der französischen komischen Oper beherrscht.
Anders, als man bei dem Titel dieser Oper vermuten dürfte, handelt es sich hierbei allerdings nicht um die Opernfassung von Shakespeares berühmter Komödie "A Midsummer Night's Dream", sondern um eine etwas alberne Handlung, in der eine fiktive Liebesgeschichte um William Shakespeare und seine Königin Elisabeth I. dargeboten wird - immerhin hat man hier aber mal die seltene Gelegenheit, Shakespeare als Opernfigur (er singt übrigens Tenor) auf der Bühne zu erleben!


Thomas bekannteste Opern sind allerdings der schon erwähnte Hamlet und natürlich seine Mignon (Uraufführung 1866), in der Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" verarbeitet wird.

In Deutschland hat man im 19. Jahrhundert immer mit großem Misstrauen, bzw. mit Geringschätzung und sogar Verachtung auf Opern wie Faust (UA 1859) von Charles Gounod oder Werther (UA 1892) von Jules Massenet (1842-1912) - um nur zwei weitere Beispiele von Vertonungen Goethescher Stoffe zu nennen - geblickt:
Man betrachtete es als Anmaßung, ja als "Sakrileg", den deutschen "Dichterfürsten" schlechthin in die "Niederungen" des "sündigen" Opernbetriebs hinabzuziehen (über die Vertonungen von Schiller-Dramen - z. B. von Verdi - dachte man natürlich genauso), zumal man diese Umsetzungen als "Verunglimpfungen" empfand, die außer den Titeln und einigen groben Handlungssträngen oft nicht mehr viel mit den literarischen Vorlagen gemeinsam hatten. Man hätte sich ja auch einfach mal freuen oder sich geehrt fühlen können über die auch im Ausland existierende Bekanntheit und Beliebtheit der großen deutschen Dichter, aber nein - es wurde direkt wieder negativ gedacht und die mangelnde Hochachtung im ignoranten Ausland vor deutscher Literatur (und damit natürlich auch gleich wieder gegenüber den Deutschen im Allgemeinen) vermutet…

Diese Geringschätzung und Ablehnung solchen Opern gegenüber beruht meiner Meinung nach aber auf einem grundlegenden Missverständnis, denn die französischen (oder italienischen) Textdichter und Komponisten hatten ja gar nicht vor, mit ihren "Veroperungen" berühmter literarischer Vorlagen europäischer Dichtergrößen (wie auch Shakespeare *, Dante, Cervantes, Hugo, Scott, etc.) auch nur annähernd adäquate Umsetzungen dieser Romane und Schauspiele auf die Bühne zu bringen. Man war lediglich auf der Suche nach geeigneten Sujets für eine gute Opernhandlung, die viele dramatische Entfaltungsmöglichkeiten bot und sich passend für die möglichst vorteilhafte (Selbst-)Inszenierung der großen Stars und Diven der damaligen Zeit einrichten ließ. Und natürlich war es ein guter Werbeeffekt für eine neue Opernproduktion, wenn man mit einem weithin bekannten Titel oder Dichternamen auf dem Programmzettel Neugierde und Interesse beim dann hoffentlich auch zahlreich erscheinenden Publikum wecken konnte.
(* In diesem Zusammenhang würde es mich wirklich einmal sehr interessieren, wie die Engländer auf die zahlreichen Adaptionen von Dramen "ihres" William Shakespeare reagierten - ich kann mir aber gut vorstellen, dass sie die zahllosen Veroperungen sicher nicht in demselben Maße als "Versündigungen" an ihrem nationalen Kulturgut angesehen haben, wie es viele pikierte Deutsche zur selben Zeit in Bezug auf Goethe, Schiller & Co. taten…)
Die Ambition, mit der Vertonung einer literarischen Vorlage deren dichterischer Qualität eine weitere, musikalische Ebene hinzuzufügen (was dann etwas schwammig als "Literaturoper" bezeichnet wurde), entstand erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts - und wurde hier (wen wundert's?) vor allem in Deutschland gepflegt.

Überhaupt ist diese sehr ernsthafte Herangehensweise an eigentlich vorrangig der Unterhaltung dienende Opernmusik irgendwie eine typisch deutsche Eigenart, die wohl schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden sein mag (und sich damit komplett von der französischen und vor allem italienischen Einstellung Opern gegenüber unterschied!), sich aber bis heute gehalten hat: Wo sonst gibt es schon diese fatale Unterscheidung zwischen "U-" und "E-Musik" - mit so etwas sollte man heute mal in Großbritannien oder gar erst in den USA ankommen! Da heißt es in der Regel pragmatisch (und frei nach Oscar Wilde): "Es gibt nur zwei Arten von Musik - gute und schlechte…!" *zwinker*

Jedenfalls gehört die berühmte Wahnsinsszene aus Hamlet zu den berühmten Wahnsinnsszenen der Opernliteratur - keine berühmte Koloratursopranistin hat sich die Gelegenheit entgehen lassen, auch einmal die Ophélie zu geben.



Vor allem Joan Sutherland finde ich in dieser Rolle ganz fantastisch!

Daher gehört auch die 1983 entstandene Gesamtaufnahme dieser Oper (mit Sherrill Milnes in der Titelrolle, sowie James Morris, Barbara Conrad, Gösta Winbergh und John Tomlinson, dem Orchestra & Chorus of the Welsh National Opera unter der Leitung von Richard Bonynge) zu meinen absoluten Favoriten!
Im Ballett dieser Oper verwendete Thomas sogar das damals vom Belgier Adolphe Sax (1814-94) ganz neu entwickelte Saxophon - ein interessanter (und unerwarteter) Klangeffekt!

Thomas' berühmteste Oper Mignon, die unter anderem das bekannte "Connais-tu le pays?" ("Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n?") enthält, liegt in einer sehr schönen Aufnahme aus dem Jahr 1977 vor, mit der famosen Marilyn Horne in der Titelrolle.

Außerdem wirken Alain Vanzo, Ruth Welting, Frederica von Stade und Nicola Zaccaria und der Ambrosian Opera Chorus mit. Es spielt das Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Antonio de Almeida.


Aus dem Jahr 1964 gibt es zudem noch einen Querschnitt in deutscher Sprache - ein Beleg dafür, wie beliebt diese Oper dann doch auch hierzulande einmal war:


Es singen u. a. Irmgard Seefried, Ernst Haefliger und Kieth Engen, begleitet vom französischen (!) Orchestre des Concerts Lamoureux unter der Leitung von Jean Fournet.

Sehr schön ist auch die Ouvertüre zur Oper Raymond ou le Secret de la Reine (UA 1851): Schmissig und mitreißend wie viele französische Opernouvertüren aus dieser Epoche! Hier kann ich eine hübsche Sammlung solcher Ouvertüren sehr empfehlen, die der legendäre Ernest Ansermet mit seinem Orchestre de la Suisse Romande eingespielt hat (eine meiner Lieblingsaufnahmen für die "einsame Insel")!

Bei soviel schöner und geschmackvoller Opernmusik, voller rhythmischer Raffinesse und eingängiger Melodien wünschte ich mir definitiv noch mehr von Thomas' Kompositionen auf den Bühnen oder zumindest auf Tonträgern...

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für den Posting, Klassiker!

    Ambroise Thomas war ein großer Komponist, dessen Werke wie Hamlet und Mignon in den gleichen Rang wie Carmen und Samson et Dalila gestellt werden sollten.
    Im letzten Juni hatte ich das Glück, Hamlet mit einem tollen Ensemble erleben zu dürften. Insbesondere, bin ich wie erwähnt, sehr begeistert von Stephane Degout als Hamlet. Er besitzt Eleganz in seiner Stimme, welche selten zu hören ist. Auch seine Diktionskunst ist bemerkenswert.
    Ich wünsche mir, Opern von Thomas häufiger auf den Spielplänen zu sehen.

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