Freitag, 11. Mai 2012

Neuerwerbung

Christoph Willibald Gluck (1714-87) ist für Opernliebhaber nach wie vor ein interessantes Phänomen: Seine Bemühungen um eine Reform der althergebrachten Opera seria, die er durch Straffung, Vereinfachung und das Einbeziehen von Elementen der französischen Oper (Chöre, Ballett) quasi „fit für die Zukunft“ machen wollte, gehören zu einer der bemerkenswertesten Leistungen auf dem Gebiet des Musiktheaters.

Epochemachend war hier ja auch gleich der erste seiner Versuche (nachdem er jahrelang in „herkömmlicher Manier“ durchaus erfolgreiche Opern komponiert hatte), die auch heute noch bekannte und beliebte Oper Orfeo ed Euridice, die im Oktober 1762 in Wien uraufgeführt wurde.
Weitere Opern, die in dieser „reformierten“ Machart komponiert waren, sollten in den kommenden Jahren noch folgen (z. B. die Alceste im Jahr 1767).

Gluck war als routinierter Theaterpraktiker natürlich realistisch genug, um zu sehen, dass er diese Opern im neuen Stil nicht überall würde anbieten können. In Wien fand er hierfür ein durchaus aufgeschlossenes Publikum und (ganz wichtig) auch engagierte Mitwirkende vor und hinter der Bühne, die bereit waren, sich auf solche Projekte einzulassen.
Da er sich zu Beginn der 1760er Jahre nicht nur in Wien sondern auch in Italien (wo er im Lauf der Jahre zahlreiche Opern an verschiedenen Orten auf die Bühnen gebracht hatte) ein gewisses Renommee erworben hatte, erhielt er nun in jenem Orfeo-Jahr 1762 aus Bologna den ehrenvollen Auftrag, eine Festoper für die Eröffnung des neuen Teatro Comunale zu komponieren.
Und so ging dort am 14. Mai 1763 die Oper Il trionfo di Clelia (Glucks erste Oper nach seinem berühmten Orfeo!) erstmals über die Bühne des neuen Theaters.
Das Textbuch stammte vom damals bereits legendären Operntextdichter Pietro Metastasio (1698-1782), dessen Libretti so ca. ab 1730 europaweit (mit der Ausnahme Frankreich) quasi als „Pflichtgrundlage“ für jede große Opernkomposition herzuhalten hatten und somit allesamt unzählige Male vertont wurden.
Fast genau ein Jahr vor der erwähnten Bologneser Premiere dieser Oper war Il trionfo di Clelia in Wien erstmals mit großem Erfolg gegeben worden. Die prestigeträchtige Ehre dieser Erstvertonung hatte ein anderer „Superstar“ unter den Opernkomponisten der damaligen Zeit: Johann Adolf Hasse (1699-1783).
Und wie es damals üblich war, so entschied man sich in Bologna nicht etwa für die Übernahme dieser erfolgreichen Oper zur Einweihung des Teatro Comunale, nein, man bestellte bei Gluck direkt eine komplette Neuvertonung dieses neusten Librettos des großen Dichters! Das war damals absolut normal, hing doch ein Großteil einer Opernkomposition von den hierfür eigens vorgesehenen Sängerinnen und Sängern ab. Und da man diesen Herrschaften ihre zahlreichen Arien quasi ganz persönlich in die „geläufigen Gurgeln“ schrieb, um die individuellen Fähigkeiten und Stärken besonders hervorzuheben, konnte eine Opernkomposition naturgemäß nie eins zu eins von einem Ort zum anderen übernommen werden – es sei denn, das komplette Ensemble wäre mitgereist…

Für Musikkenner ist es natürlich ausgesprochen interessant nachzuvollziehen, wie sich Glucks Komposition nun von der des unmittelbar vorangegangenen Orfeo unterscheidet. Wie eigentlich zu erwarten, hält sich Gluck für eine Auftragsarbeit wie diese dann auch wieder weitgehend an die hergebrachten Konventionen – sicher wären seine Auftraggeber nicht damit einverstanden gewesen, statt der erwarteten Festoper ein „Opern-Experiment“, wie es der Orfeo ja gewesen war, zur Einweihung ihres Theaters geliefert zu bekommen.
Allein schon das in herkömmlich-bewährter Manier verfasste und konzipierte Libretto verhinderte ja bereits eine allzusehr von der üblichen Machart abweichende Opernkomposition. So gibt es auch in Il trionfo di Clelia die übliche, raffiniert in Gang gesetzte Intrigenhandlung, Einsatzmöglichkeiten für Chor oder Ballett hingegen fehlen.

Dennoch gelingt es Gluck, nicht zuletzt durch eine ambitionierte Orchesterpartitur (die offenbar weitaus anspruchsvoller war als das, was damals üblicherweise von einem Opernorchester verlangt wurde), einige betont schlicht gehaltene Melodien, den gelegentlichen Verzicht auf die eigentlich übliche, strenge „Dacapo-Form“ der Arien und auch den verstärkten – aber natürlich nicht ausschließlichen - Einsatz orchesterbegleiteter Rezitative (im Gegensatz zu den sonst üblichen, bloß von einem Cembalo begleiteten Rezitativen), den Eindruck zu erwecken, dass hier nicht bloße, austauschbare Opern-Massenware in Musik gesetzt wurde, sondern ein dramatisch ambitioniertes Werk, dass – dem festlichen Entstehungsanlass entsprechend - durchaus den Reiz des Besonderen hat!

Ganz frisch erschienen beim Label DG – Dabringhausen und Grimm ist nun eine im Juli 2011 entstandene Aufnahme dieser Oper – es handelt sich hierbei (und das ist auch nicht unbedingt etwas Alltägliches im Klassikbereich) um eine griechische Produktion.
Von dem auf historischen Instrumenten spielenden Ensemble Armonia Atenea hatte ich bislang noch nichts vernommen – mich überzeugten aber sowohl Klang wie auch Interpretation auf Anhieb. Die Leitung des Ganzen hatte der passenderweise in Bologna tätige und mit einem wunderbar opernhaften Namen ausgestattete Italiener Giuseppe Sigismondi de Risio.
Einzig die Tatsache, dass man sich dafür entschied, die Secco-Rezitative nicht (wie damals mit Sicherheit noch üblich!) vom Cembalo, sondern von einem Hammerklavier begleiten zu lassen (während in den Arien unüberhörbar ein Cembalo mitspielt!), stößt mir etwas negativ auf, weil ich diesen „Trend“ einfach nicht nachvollziehen kann. Über diese „Unsitte“, seit einigen Jahren fast ausschließlich nur noch die meiner Meinung nach aufgrund ihrer relativ begrenzten Klangwirkung nicht wirklich geeigneten Hammerklaviere zur Begleitung der Secco-Rezitative anstelle des Cembalos zu verwenden, habe ich mich ja in anderen Beiträgen schon mehrfach ausgelassen


Außerdem hätte ich mich gefreut, das im Booklet der CD-Box vollständig, aber eben nur in der italienischen Originalsprache abgedruckte Libretto zumindest (wenn schon nicht in der deutschen) noch in einer englischen Übersetzung vorfinden zu können. Das gibt es aber leider nicht – schade!
Von diesen kleinen Schönheitsfehlern abgesehen, hat mir das Anhören dieser verdienstvollen Operneinspielung wirklich viel Freude bereitet. Gerade auch die zumindest hier bei uns noch relativ unbekannten Solisten überzeugen mit frischen Stimmen und hörbarer Sangesfreude! Besonders gut gefallen haben mir die Sopranistin Hélène Le Corre in der Titelrolle der Clelia, der junge rumänische Countertenor Florin Cezar Ouatu und Vassilis Kavayas mit seinem schlanken, sehr beweglichen und wirklich schön anzuhörenden Tenor!

Eine echte Entdeckung, die wieder mal beweist, dass es bei Gluck auch außerhalb des (ja nun auch nicht gerade allzu üppig beackerten) Bereichs seiner italienischen und französischen „Reformopern“ noch viel Interessantes und Schönes zu hören gibt!

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