Freitag, 20. Januar 2012

Gestern in der Operette - Die Csárdásfürstin

Die im Jahr 1915 in Wien uraufgeführte Csárdásfürstin von Emmerich Kálmán (1882-1953) ist seit fast 100 Jahren einer der großen Operettenklassiker und dennoch - wie man dem Programmheft entnehmen kann - erstaunlicherweise bis zur aktuell laufenden Produktion bislang noch nie von der Kölner Oper gespielt worden!

Nach dem großen Erfolg in der letzten Spielzeit 2010/11 (dort lief die Csárdásfürstin genau wie jetzt um den Jahreswechsel herum) ist die Inszenierung in dieser Spielzeit erneut ins Programm genommen worden (Infos, Fotos und Kritiken siehe hier!) und nachdem ich es vor einem Jahr leider nicht geschafft hatte, mir diese mit sehr guten Kritiken versehene Aufführung anzusehen, habe ich mich sehr gefreut, jetzt eine zweite Chance bekommen zu haben, mir selber einen Eindruck davon verschaffen zu können.
Ich habe die gestrige (fast ausverkaufte) Vorstellung besucht, die - wie auch schon im letzten Jahr - in der derzeit regelmäßig als Ausweich-/ Alternativspielstätte der Oper genutzten Veranstaltungshalle "Palladium" am Rande eines Industriegebiets im Kölner Stadtteil Mülheim über die Bühne ging. Im Palladium hatte ich in der vergangenen Spielzeit die Neuinszenierung von Mozarts Entführung aus dem Serail besucht und konnte damals schon ein paar Eindrücke dieser doch eher nüchtern und industriell anmutenden Räumlichkeit mitnehmen.

Ich war also sehr gespannt, wie man diese Halle nun für die Inszenierung der Csárdásfürstin nutzen würde. Und ich muss gestehen, dass die Überraschung wieder mal ausgesprochen gelungen war: Das Publikum musste zunächst quer durch die große Halle (in der man auch die "Entführung" gegeben hatte und wo anhand der Bühnenaufbauten zu erkennen war, dass man hier bereits für die Ende Februar an den Start gehende Neuinszenierung von Monteverdis "Ritorno d'Ulisse" probt) in einen daneben liegenden kleineren Saal gehen, den man komplett im Stil eines Revuetheaters aus der Zeit um 1920 herum ausgestattet hatte: Drei große Kronleuchter an der Decke, die säulengeschmückten Wände geschmackvoll mit violetten Stoffdraperien behängt, auf den einander gegenüberliegenden Stirnseiten des Saales zwei Bühnen, verbunden durch einen quer durch den Raum führenden, allerdings nur um wenige Zentimeter erhöhten Laufsteg, der von zahlreichen kleinen Caféhaustischen (jeweils mit vier Stühlen bestückt) flankiert wurde, an denen die Zuschauer Platz nahmen - zusätzlich hierzu gab es noch jeweils drei leicht ansteigende Stuhlreihen an den Wänden der Längsseiten des Saales.
Ich muss sagen, die gesamte Atmosphäre dieses "begehbaren Bühnenbilds" war so unerwartet wie gelungen - das hatte schon was! Zumal in der dem Saaleingang gegenüberliegenden Orchesterloge bereits während des gesamten Publikumseinlasses ein Stehgeiger (ok - es war ein Violaspieler, aber "Stehbratscher" klingt bescheuert!) begleitet von einem Pianisten in echter Kaffeehausmanier alte Schlager intonierte - man fühlte sich von der ersten Minute an direkt in die passende Stimmung versetzt und gerade solche liebevollen Details trugen erheblich dazu bei!

Die Grundidee dieser Inszenierung der Csárdásfürstin von Bernd Mottl war, das Ganze vom Revuetheater der Entstehungszeit dieser Operette ins mehr oder weniger in der heutigen Zeit angesiedelte Milieu einer Travestie-Showtruppe zu verlegen, wohl auch, um die aus heutiger Sicht vielleicht doch etwas verblasste Atmosphäre des leicht Anrüchigen eines "traditionellen" Revuetheaters für das Publikum besser nachvollziehbar zu machen, denn die schrille und schräge Welt der Travestie, wo ja gerne auch augenzwinkernd Tabus gebrochen werden, dürfte sich - zumindest teilweise - für heutige Theatergänger noch genau diese atmosphärische Mischung aus Faszination und Schlüpfrigkeit bewahrt haben, die zum Verständnis der Handlung des Stücks unerlässlich ist.

Konsequent (und mutig!) daher die Entscheidung, die Titelrolle der Csárdásfürstin Sylva Varescu dann auch mit einem Mann zu besetzen! "Sylva" wird damit zum begehrten Star der Travestie-Truppe, der in einen jungen Adligen verliebt ist.
Der Grundkonflikt des ganzen Stücks, der im Original ja der unüberwindbar scheinende Standesunterschied zwischen Fürstensohn und Revuetänzerin ist (und den man aus heutiger Sicht nicht mehr so wirklich nachvollziehen kann), bekommt durch diesen nicht ungeschickten Kniff dann plötzlich doch wieder eine gewisse gesellschaftliche Brisanz und die ganze Geschichte ist - ohne dass man an den Texten oder dem sonstigen Handlungsverlauf sonst irgendetwas ändern musste - auf ziemlich raffinierte Art und Weise einer frappanten Aktualisierung unterzogen worden, Respekt!

Dieses ganze Konzept steht und fällt natürlich mit dem Darsteller der Sylva Varescu - und da hatte man mit dem Schweizer Christoph Marti, der vielen Zuschauern durch seine langjährige Tätigkeit mit seiner Musik-Kabarettgruppe "Die Geschwister Pfister" bekannt sein dürfte, eine wirklich exzellente Wahl getroffen!

Aber auch das übrige Ensemble überzeugte mich - angefangen bei Carsten Süss, der Edwin, den Liebhaber von Sylva Varescu spielte und sang, sowie Gloria Rehm als Komtesse Stasi, Martin Koch als Graf Boni und Alexander Fedin in der Rolle des Feri von Kerekes, der in dieser Inszenierung als Impresario der munteren Travestietruppe fungierte.

Uwe Kramer und Andreja Schneider gaben das Fürstenpaar, also die sittenstrengen Eltern des unkonventionell verliebten Edwin. Andreja Schneider gehört übrigens wie Christoph Marti zur "Geschwister Pfister"-Truppe.

Auch das -erwartungsgemäß - nur aus Männern bestehende Tanzensemble, die Statisterie der Bühnen Köln sowie die 16 Damen und Herren des Opernchors hatten eine dankbare (aber sicher auch anstrengende) Aufgabe zugewiesen bekommen: Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wie viele verschiedene Kostümwechsel diese Truppe in oft kürzester Zeit zu absolvieren hatte…

Foto: Paul Leclaire

Und dabei handelte es sich durchaus um aufwendige Kostüme (Bühne & Kostüme verantwortete Friedrich Eggert) - von der eleganten Ballgarderobe über verschiedene Herrenkostüme (für die Damen!) bis hin zu etwas an die Rocky Horror Show erinnernde Lack-Mieder-Netzstrumpf-Ensembles (für die Tänzer) war so ziemlich alles dabei - viel nackte Männerhaut gab es schon zu sehen! Optische Abwechslung war also en masse geboten - allein schon die gleichermaßen aufwendigen wie schwungvollen Revue-Nummern, die in der Choreografie von Otto Pichler augenzwinkernd ganz nach "alter Schule" in der entsprechend klischeebehafteten ungarischen bzw. zigeunerischen Folkloretracht absolviert wurden, sorgten für großes Amüsement. In der Presse fand man dann über diese Inszenierung auch sinnige Bezeichnungen wie "Rocky Horror Puszta Show" oder "Ein Käfig voller Csárdás-Narren"!

Foto: Paul Leclaire

Es würde den Rahmen dieser Rezension total sprengen, wenn ich hier die zahlreichen, immer wieder überraschenden großen und kleinen Ideen dieser Inszenierung aufzählen wollte (z. B. die aus mehreren Stücken bestehende, tanzende Hochzeitstorte; die aufmüpfigen Dienstmädchen, bärtigen Schulmädchen und genervten Putzfrauen; die mit allerlei Dingen [Lesen, Rauchen, Chipsfuttern] beschäftigten Engelein auf ihren tragbaren Wölkchen, usw.)

Selbst das zu jeder Travestieshow unbedingt dazugehörende Element der Demaskierung des Künstlers auf offener Bühne gehörte in dieser Inszenierung mit dazu: Beginnend mit der Szene, in der sich "Sylva" am Ende des 2. Akts ihre blonde Perücke vom Kopf reißt und sich damit als das zu erkennen gibt, was sie wirklich ist, über das schrittweise Ablegen von Schmuck, Robe und Schminke im 3. Akt, verwandelt sich die Kunstfigur der schillernden Diva Stück für Stück in den Mann zurück, der die ganze Illusion hervorgebracht hat. Ihren letzten Auftritt absolviert "Sylva" dann im schlichten zweiteiligen (aber immerhin noch violetten) Anzug - ohne jede weitere Zutat und somit für jeden erkennbar als das, was "sie" eigentlich ist. Und genau in dieser Form findet das Paar in der Schlussszene dann auch endlich zueinander.
Auch psychologisch gesehen eine durchaus raffinierte Entwicklung, dieses konsequent fortschreitende "Zu-Sich-Finden" der Titelfigur bzw. des Liebespaares.

Passend zur Revuetheater-Szenerie - es wurden schließlich nicht nur die beiden Bühnen bespielt sondern der gesamte Saal in das temporeiche Spiel mit einbezogen (die große Nähe zum Publikum war schließlich für die ganze Inszenierung enorm wichtig) - war das aus Mitgliedern des Gürzenich-Orchesters bestehende Ensemble auf eine lediglich 12-köpfige Truppe "eingedampft" worden, was ich einerseits zwar etwas schade fand, denn Kálmáns groß besetztes Orchester verleiht der Operette natürlich schon einen luxuriösen Klangteppich, andererseits passte dieser kleine Klangkörper natürlich viel besser in den doch deutlich intimeren Rahmen. Und die Musiker machten ihre Sache wirklich gut, so dass man eigentlich kaum etwas vermisste. Arrangeur und musikalischer Leiter Gerrit Prießnitz betont denn auch im Programmheft, dass an der musikalischen Substanz der Partitur keinerlei Striche, Umstellungen oder Ergänzungen vorgenommen wurden - alles Unsitten, wie sie gerade bei Operetten seit Jahrzehnten leider (und mir unverständlicherweise) völlig üblich zu sein scheinen…!
Also immerhin eine gewisser Achtung vor der Musik des Komponisten, wie überhaupt die ganze Herangehensweise an dieses Werk eine mir sehr sympathische Mischung aus Respekt und Spaß darstellte, die auf diese Weise die oft schon totgesagte Gattung der Operette plötzlich wieder erstaunlich frisch, frech und lebendig erscheinen ließ (alles Eigenschaften, die man vor 100 Jahren der Operette auch zugestanden hatte) - das hätte ich so eigentlich nicht erwartet! Ich glaube, da ist der Operette leider gerade in den Nachkriegsjahrzehnten mit dem damals zeittypischen Hang zu Verharmlosung, Kitsch und Betulichkeit viel Unrecht angetan worden!

Ein interessanter Vergleich bietet sich an, wenn man sich einmal die auch auf DVD verfügbare, legendäre Inszenierung des Operettenklassikers "Im weißen Rößl" ansieht, die in Berlin in den frühen 1990er Jahren für Begeisterung sorgte und an der die Geschwister Pfister seinerzeit auch maßgeblich beteiligt waren - dieselbe respektvolle wie gleichermaßen spaßbetonte Herangehensweise an einen solchen, lange totgeglaubten Bühnenklassiker fällt auf und man kann sich nur wünschen, dass es hier noch mehr solcher Projekte geben möge - an geeigneten Vorlagen aus der "Operettenkiste" sollte es dabei wohl nicht mangeln…!

Jedenfalls fand ich die Tatsache, dass sich gestern im Publikum eine ganze Menge junger Leute so um die 20 Jahre befanden, doch sehr ermutigend - und nach Vorstellungsende sah man auch hier nur amüsierte, beschwingte und gut gelaunte Gesichter. Und was will man mehr nach einem Operettenabend? "Mission erfolgreich!" kann man da eigentlich nur sagen.

Das Ganze passt natürlich wunderbar in die Karnevalszeit (hier in Köln läuft schon seit Anfang des Monats der Sitzungskarneval auf Hochtouren!) und ein Besuch der (wenigen) Vorstellungen, die noch stattfinden werden, kann daher nur wärmstens empfohlen werden.
Wieder mal muss man fast dankbar dafür sein, dass die Kölner Oper durch die eher notgedrungene Wahl der verschiedenen Ausweichspielstätten die Möglichkeit genutzt hat, Aufführungen wie diese, die im Rahmen des normalen Spielbetriebs im Opernhaus so gar nicht realisierbar gewesen wären, zu ermöglichen!

Und dann war da noch…

… der ältere Herr, der es nach Vorstellungsende ganz besonders eilig hatte und schon dem Saalausgang zustrebte, während man noch applaudierte. Auf seinem Weg nach draußen kam ihm plötzlich das gesamte Ensemble entgegen, das gleichzeitig durch die verschiedenen Saaltüren zum erneuten Verbeugen hereinströmte und den sichtlich irritierten Senior daraufhin kurzerhand in die Mitte nahm, um gemeinsam mit ihm die Ovationen entgegenzunehmen - da musste dann selbst der überraschte Herr lächeln und verbeugte sich gehorsam mit allen anderen in sämtliche Richtungen…

Ach ja - und dann war da noch die Dame in der Reihe hinter mir, die sich beim Verlassen des Saals bei mir erkundigte, ob der sympathische Hauptdarsteller denn dieser Chansonsänger Tim Fischer gewesen wäre…

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