Montag, 11. April 2011

Buchkritik: "Die 5. Passion" von Oliver Buslau

Eigentlich bin ich überhaupt kein Fan von den seit einigen Jahren so wahnsinnig populären "Mystery-Thrillern", in denen sich alles um die Dechiffrierung verschlüsselter Botschaften aus längst vergangenen Zeiten dreht, hinter denen - natürlich - mehrere rivalisierende Personen und geheime Organisationen (je mächtiger und dubioser, desto besser!) gleichzeitig her sind und es somit zu einem munteren Wettrennen kommt, bei denen gerne schon mal der eine oder die andere Teilnehmer(in) skrupellos aus dem Weg geräumt wird…
Es ist wirklich erstaunlich, was hier allein in den letzten 10 Jahren alles für Titel zu diesem immer gleichen Strickmuster auf den Markt gekommen sind - viele gehen in dieser Masse sang- und klanglos unter, manch anderer (und nicht immer unbedingt die besten!) wird ein Welterfolg, der sogar mit großer Starbesetzung in Hollywood verfilmt wird…
Die geheimen Botschaften, die für unsere heutige Zeit natürlich immer von immenser Bedeutung sind (sonst würden sie ja niemanden mehr interessieren) sind bevorzugt in antiken Schriftrollen, Grabkammern, mittelalterlichen Gebäuden oder Renaissance-Gemälden in verschlüsselter Form anzutreffen und so gesehen fand ich die Idee (so naheliegend sie eigentlich ist) dann auch mal erfrischend originell, als ich auf das hier besprochene Buch gestoßen bin, in der sich zur Abwechslung einmal alles um eine verschollene Notenhandschrift dreht, die natürlich ebenfalls eine verschlüsselte Nachricht enthält.
Wer ist eh schon für seine vielfach zitierten, von religiösen Zahlensymbolen ja angeblich geradezu durchtränkten Partituren bekannt? Richtig - Johann Sebastian Bach! Und genau um den und seine (heute nur aus zeitgenössischen Berichten bekannte) leider komplett verschollene "5. Passion" dreht sich in dem im Jahr 2009 erschienenen Roman von Oliver Buslau dann auch alles.

Und weil ich zum einen diese Idee, endlich auch einmal einen berühmten Komponisten in einen dieser "Mystery-Thriller" einzubeziehen, originell fand und Herrn Buslau unter anderem bereits als Autor von Artikeln in Musikzeitschriften kannte (und ich somit die ganze "fachliche" Thematik bei ihm als studiertem Musikwissenschaftler in guten Händen wusste), habe ich mich dann tatsächlich voller Neugier auf die Lektüre dieses immerhin mehr als 500 Seiten starken Romans eingelassen.

Wie gesagt: Im Prinzip dreht sich auch die Handlung dieses Romans um die gleiche Thematik wie die anderen, weiter oben kurz beschriebenen Bücher dieses Genres - aber immerhin ist Herrn Buslau mit diesem originellen, vielleicht wirklich eher speziell für Klassik- und Musikfreunde gedachten Gattungsbeitrag ein Roman gelungen, der sich hinter anderen "Wir entschlüsseln eine geheime Botschaft und werden dabei von finsteren Bösewichtern gejagt"-Büchern nicht zu verstecken braucht!

Wenn ich das richtig recherchiert habe, ist "Die 5. Passion" der erste Roman Buslaus, der nicht im Bergischen Land spielt - denn in dieser Gegend ist er bisher vor allem als Autor solcher sogenannter "Regionalkrimis" bekannt geworden - einer Gattung, der ich etwas skeptisch gegenüber stehe, da ich immer den Eindruck nicht loswerde, dass der Reiz (und die Beliebtheit) dieser Bücher hauptsächlich darin begründet liegt, dass die Leser die darin beschriebenen Ort- und Landschaften bestens kennen und die Freude über diesen Wiedererkennungseffekt oft ein bisschen die eigentliche Qualität der trotz allem für einen solchen Krimi ja auch noch erforderlichen Handlung überdeckt…
Wenn man mal schaut, für wie viele Regionen und Städte mittlerweile solche "Regionalkrimis" erschienen sind, scheint der Erfolg eines solchen Buches ja fast schon ein Selbstläufer zu sein - und genau das macht mich eben ein bisschen stutzig. Eine gute (Krimi-)Handlung ist nicht unbedingt fast ausschließlich davon abhängig, wo sie spielt, das ist jedenfalls meine Meinung...

Aber gut: "Die 5. Passion" ist also - wie erwähnt - kein solcher Regionalkrimi, auch wenn die Geschichte mit teilweise ziemlich akribisch genauen Ortsbeschreibungen der Schauplätze (hier vor allem Leipzig und Paris, am Rande aber auch Köln) aufwartet.

Zu Beginn und dann auch wieder gegen Ende des Romans herrscht auch eine gute Mischung aus Spannung und geheimnisvoller Atmosphäre: Zu Beginn eben dann, wenn der obligatorische "Eröffnungsmord" geschieht und die handelnden Figuren im Nachgang hierzu festzustellen beginnen, dass da irgendwas nicht stimmen kann und offenbar mehr dahinter steckt, als es zunächst den Anschein hat und gegen Ende, wenn man als Leser dann gerne wissen möchte, wie denn die ganze Geschichte jetzt zu einem möglichst runden Ende geführt und alle im Verlauf der Lektüre aufgetauchten Rätsel zu einer hoffentlich befriedigenden Auflösung gelangen.

Dazwischen liegen in "Die 5. Passion" einige ziemlich ausführliche Passagen, in denen der Autor dem Leser natürlich die Bedeutung und die Entschlüsselung der geheimen Botschaft (und ihre Bedeutung) erklären muss - da wird dann viel geredet und erläutert (was ein bisschen auf Kosten der Weiterentwicklung der Handlung geht, aber unvermeidlich zu sein scheint, da sonst die Motivation der einzelnen Mitwirkenden nicht wirklich klar werden würde) und wer sich nicht wirklich für klassische Musik im Allgemeinen und die Kompositionen Johann Sebastian Bachs im Besonderen interessiert, dem könnte hier das ein oder andere Kapitel doch etwas langatmig erscheinen…

Ich fand die Konstruktion, mit der Autor Oliver Buslau seine im Rahmen der Romanhandlung natürlich logisch erscheinenden Theorien auf der Basis von Erkenntnissen, die zahlreiche Bach-Forscher in den vergangenen Jahrzehnten aus dessen Partituren herausgelesen haben wollen, schon ziemlich gelungen - der Autor hat sich immerhin gründlich Gedanken gemacht, wie er seine Geschichte um die verschlüsselte Botschaft in der verschollenen Bach-Partitur zumindest in Ansätzen plausibel nachvollziehbar rüberbringt (und dabei auch den Leser mitzunehmen versteht, der sich bislang eher weniger bis gar nicht mit solchen Dingen beschäftigt hat). Das Ganze schlüssig so zusammenzusetzen hat den Autor bestimmt eine Menge Arbeit gekostet, aber die teilweise recht lang geratenen Erklärungspassagen, die dafür notwendig waren, zeigen, warum man bislang "Mystery-Thriller" im Bereich der Notenhandschriften eher seltener antrifft: Verschlüsselte Botschaften, in alten Pergamentrollen oder in Gemälden versteckt, erklären sich offenbar irgendwie schneller und nicht jeder Autor legt dabei wirklich viel Wert auf eine einigermaßen plausible Begründung, so gesehen also ein großes Lob an den gründlich und sorgfältig vorgehenden Autor dieses Buches!
Dass hierbei einige Fakten zu Bachs Biographie und seinem kompositorischen Schaffen zwangsläufig "passend gemacht" werden müssen, damit sie für die Story wirklich Sinn ergeben, muss man wohl hinnehmen, obgleich ich das dann schon wieder etwas ärgerlich fand. So wird Bach unter anderem fast ausschließlich als Komponist geistlicher Musik rübergebracht, dessen kompositorisches Gesamtwerk von der ersten bis zur letzten Note einer absichtsvollen, quasi göttlichen Ordnung unterworfen ist, also einer Art bewusstem Lebensplan unterlag, in dem jede einzelne komponierte und niedergeschriebene Note eine tiefere Bedeutung besitzt.
Naja - das ist natürlich schon starker Tobak, aber das Ganze ist ja nur ein Roman, der sich allerdings immerhin um eine möglichst logische Konstruktion des darin enthaltenen "Mysteriums" bemüht und da sollte man dann meiner Meinung nach auch um eine möglichst authentische Schilderung von Bach und seinem kompositorischen Werk bemüht sein und nicht einfach Fakten unterschlagen, die gerade nicht so recht passen wollen - wobei mich schon interessiert hätte, wie der Autor die Tatsache untergebracht hätte, dass Bach als "Fünfter Evangelist", der den Menschen quasi göttliche Botschaften in seiner Musik vermittelt, z. B. eben auch ganz "profane" Unterhaltungsmusik für's Caféhaus komponiert und höchstpersönlich dort aufgeführt hat…

Oliver Buslau wagt einen etwas skurrilen Spagat, um dem Leser in diesem Roman eine Identifikationsfigur liefern zu können, mit der dieser dann auf Entdeckungsjagd gehen kann:
Die Hauptperson ist die berühmte, kurz vor ihrem internationalen Durchbruch stehende Opernsängerin Gwendolyn Fischer, deren Zugang zur Musik bislang ausschließlich auf der emotionalen Ebene erfolgte und die jegliche wissenschaftlich-theoretische Herangehensweise an Kompositionen verabscheut, was sie verständlicherweise in einen Konflikt zu ihrem Vater, einem Professor für Musikwissenschaft und bekannten Bach-Forscher bringt.
Mit Gwendolyn Fischer schafft Buslau also eine Figur, die - wie wahrscheinlich die meisten Leser seines Krimis - (klassische) Musik in der Hauptsache also durch bloßes Anhören oder Musizieren kennen- und liebengelernt hat und für die die ganze Musiktheorie in der Regel ein Buch mit sieben Siegeln ist, die obendrein für das Genießen und Erleben von Musik nicht unbedingt erforderlich, vielleicht sogar eher hinderlich ist.
So weit, so gut. Allerdings frage ich mich, ob man das ganze Spiel dann wirklich so weit treiben muss, dass diese immerhin studierte Sängerin noch nicht einmal richtig Noten lesen oder die einfachsten Intervalle bestimmen kann, weil ihr auch das alles ebenfalls viel zu theoretisch ist und sie ihre Partien dank eines phänomenalen Gedächtnisses lieber rein akustisch lernt?!? Wie Frau Fischer es so jemals geschafft haben will, ein Gesangsstudium an einer Hochschule zu absolvieren, wird leider dem Leser nicht erklärt - denn auch ein solches Studium enthält viele garstige theoretische Pflichtfächer und Übungen, die man bestehen muss, um einen Abschluss zu erlangen: Kontrapunkt, Harmonielehre, spontan und ohne Vorbereitung etwas "Vom-Blatt-Singen" können, etc.

Gerade für praktizierende Musiker ist die Notenschrift doch eher eine unglaubliche Hilfe als eine theoretische Belastung - und gerade wenn man musiziert, erschließt sich einem die Notenschrift doch fast ganz automatisch (während diese zugegebenermaßen für Leute, die nie ein Instrument gespielt oder gesungen haben, wirklich oft ein reines Theoretikum bleibt) - ich könnte ja verstehen, wenn man weitergehende Musiktheorien ablehnt, aber Noten lesen zu können, ist nun wirklich keine Hexerei - und für einen professionellen (klassisch ausgebildeten) Musiker in der heutigen Zeit wohl absolute Grundvoraussetzung!

Ich hatte während der Lektüre immer darauf gewartet, dass irgendwo noch der raffinierte Handlungsknackpunkt kommen würde, an dem es sich plötzlich als genialer (wenn, wie gesagt, auch recht unrealistischer) Schachzug des Autors erweisen würde, dass die Hauptfigur des Romans zwar wunderbar singen aber eben unerwarteterweise keine Noten lesen kann - aber genau dieser Punkt blieb leider aus, so dass ich mich im Nachhinein wirklich gefragt habe, warum Buslau dann dieses somit völlig überflüssige (weil eben so unwahrscheinliche) "Manko" seiner Heldin überhaupt in Kauf genommen hat?! Er stellt seine Hauptfigur damit zwar wirklich endgültig einem in musikalischen Dingen (bis auf das Zuhören) völlig unbeleckten Leser an die Seite, aber dieser würde - da bin ich ganz sicher - Gwendolyn Fischer auch als Identifikationsfigur akzeptieren, wenn diese Noten würde lesen können, wie man es von einer professionellen Sängerin auch erwarten dürfte. Denn diese Fähigkeit der Hauptfigur - soviel sei hier gesagt - würde die Entwicklung der ganzen Geschichte auch nicht anders verlaufen lassen, so dass wirklich die Frage nach dem "Warum?" für diese Entscheidung des Autors bleibt.

Überrascht hat mich übrigens auch, dass die zu Beginn des Romans relativ ausführlich eingeführten Leipziger Kriminalpolizisten im Verlauf des Buches zu absoluten Nebenfiguren degradiert werden und für die weitere Handlung wider Erwarten keine größere Bedeutung mehr bekommen. Da hätte man sich dann sicher einiges an Details sparen können - so etwas finde ich immer etwas ärgerlich, wenn der Leser einer Geschichte erst mit durchaus interessant erscheinenden Charakteren bekannt gemacht, seine so geweckte Neugier dann allerdings enttäuscht wird.

Dankenswerterweise hat Oliver Buslau in einem erläuternden Nachwort einige Punkte zu dem, was er in seinem vorangegangenen Roman thematisiert hat, näher erklärt und auch einige Dinge erwähnt, die er sich selber ausgedacht hat - genauso wie er aber auch Tatsachen erwähnt, die tatsächlich passiert sind und die ihm beim Schreiben als Inspiration und Anregung sehr gelegen kamen. So gesehen war es wirklich interessant, sich während der Lektüre dieses Buches einmal in die Gedankenwelt solcher Forscher hineinzuversetzen, die tatsächlich ernsthaft Partituren (nicht nur, aber wohl bevorzugt) von Johann Sebastian Bach auf darin versteckte Zahlensymboliken untersuchen und dafür auch bereit sind, die Takte der gesamten Matthäus-Passion zu zählen oder zu schauen, wie oft spezielle Töne, Intervalle oder Motive sich in Kompositionen wiederholen, etc., um daraus dann Zahlen zu erhalten, die wiederum weitere, in der Regel religiös motivierte Botschaften in sich bergen sollen.
Damit beschäftigen sich, das bekommt man immer wieder einmal mit, zumindest zeitweise tatsächlich mehr Wissenschaftler, als man meinen sollte - ob das Ganze wirklich irgendwelche erhellenden Erkenntnisse bringt, weiß ich allerdings auch nicht. Allenfalls vielleicht das Wissen darüber, dass Bach entweder unbewusst oder auch aus intellektuellem Vergnügen heraus derartige Zahlenbezüge in einige seiner Kompositionen eingearbeitet hat - auch wenn er selber zu dieser Thematik nie irgendwelche Hinweise oder Kommentare hinterlassen hat.
Aber meiner Meinung nach macht das alles Musik auch nicht besser oder schlechter; entweder eine Komposition ist gelungen oder eben nicht, wenn nicht, dann können etwaig in den Notentexte integrierte Zahlenspielchen da auch nichts mehr retten…

So hin- und hergerissen ich also während der Lektüre dieses Romans war - gut unterhalten habe ich mich auf jeden Fall, sowohl als Klassikfan wie zum großen Teil auch vom spannungstechnischen Aspekt her.
Und was will man von einem Buch aus der Kategorie Roman-Krimi-Thriller-Mystery anderes erwarten als gerade eben das?

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