Mittwoch, 14. August 2013

Neuerwerbung

Sinfonische Musik aus dem deutschsprachigen Mitteleuropa muss im 19. Jahrhundert Komponisten anderer europäischer Länder – so könnte ich mir vorstellen – als eine in ihrer künstlerischen Qualität und Vielfalt quasi konkurrenzlos und geradezu übermächtig erscheinende Gattung erschienen sein.

So hatte jede Nation ihr musikalisches „Spezialgebiet“, das dann auch im Ausland entsprechend beliebt und begehrt war: Die Italiener – natürlich – die Oper (vorbei die Zeiten, wo in Italien auch noch maßstabsetzende Instrumentalmusik entstanden war, wie Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts, die Ausnahme Paganini bestätigt eigentlich nur die Regel…), die Franzosen beispielsweise die unvergleichlich elegante und virtuose, vom Klavier dominierte Salonmusik sowie die prunkvolle Grand Opéra und die unterhaltsame Opéra comique und aus Deutschland/ Österreich (mit allem, was damals so dazugehörte) kam eben (zumindest vor Wagner) vor allem Orchester- und Kammermusik aller Art.

Und noch heute dominieren Sinfonien und Konzerte von Komponisten wie Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Liszt, Brahms oder Bruckner (um nur schnell die bekanntesten Namen aus dem 19. Jahrhundert aufzuzählen) das Repertoire sämtlicher Sinfonieorchester weltweit.

Gut, das ist jetzt eine sehr zugespitzte und vereinfachte Darstellung, die wieder mal das praktische, für schnelle mentale Ordnung und Übersicht sorgende Schubladendenken fördert – aber wer assoziiert nicht direkt automatisch große Oper, wenn er an italienische Musik des 19. Jahrhunderts denkt?

Und genau deswegen finde ich es immer wieder ausgesprochen spannend und begrüßenswert, wenn man vorgeführt bekommt, dass das Ganze natürlich nicht so einfach und ausschließlich war, wie es auf den ersten Blick scheint!
Denn natürlich hat es auch im Italien des 19. Jahrhunderts - neben der zugegebenermaßen alle anderen Musikgattungen dominierenden Oper – auch Komponisten gegeben, die sich auf dem Gebiet der Kammermusik und eben auch der Sinfonik versucht haben. Dazu zählen im Übrigen auch alle bekannten „Opernheroen“ dieser Zeit: Auch von Rossini, Bellini, Donizetti, Mercadante oder Verdi (und vielen anderen) gibt es Kompositionen außerhalb des Opernsektors.
Gut, oft handelt es sich hierbei um Jugend- oder sonstige Gelegenheitswerke, keine Frage – trotzdem gibt es hier einiges an Schönem und Unerwartetem zu entdecken und es kann ja auch sehr aufschlussreich sein, einmal reine Instrumentalmusik z. B. von Rossini oder Donizetti zu hören.
Schade nur, dass diese Musik abseits der allseits ausgetretenen Pfade fast nie in Konzertprogrammen auftaucht – dadurch verstärkt sich der oben geschilderte Eindruck beim Musikfreund ja nur…

Umso schöner, dass hier wieder mal bei NAXOS eine Aufnahme mit einer echten Entdeckung erschienen ist, die eindrucksvoll belegt, dass auch im Italien des 19. Jahrhunderts wirklich hörenswerte sinfonische Musik entstanden ist:

Die Ende 2011 vom Orchestra Sinfonica di Roma unter der Leitung von Francesco La Vecchia eingespielte 1. Sinfonie in D-Dur op. 16 (uraufgeführt 1881) des mir zuvor auch völlig unbekannten Römers Giovanni Sgambati (1841-1914) ist ein wirklich überraschendes (und beim damaligen Publikum auch sehr beliebtes) Werk, das mit seiner klaren Tonsprache, die noch frei ist von den überbordenden Auswüchsen der zu dieser Zeit beginnenden Spätromantik, zugegebenermaßen seine Orientierung an deutschen Vorbildern nicht verleugnen kann (völlig ohne ging es zu der Zeit wahrscheinlich nicht…), aber dennoch ein eigenständiges, von italienischen Einflüssen inspiriertes Kunstwerk und keine bloße Nachahmung darstellt.

Wie so viele seiner komponierenden und lernwilligen Zeitgenossen (z. B. Edvard Grieg aus Norwegen oder Arthur Sullivan aus England) zog es den talentierten Pianisten Sgambati nach Deutschland, wo er die Vielfalt und den Reichtum der hier gepflegten Instrumentalmusik in sich aufnehmen und mit seiner eigenen Kunst verschmelzen konnte und wo er unter anderem mit Franz Liszt Freundschaft schloss und natürlich auch mit Wagners Musik in Kontakt kam (der wiederum den jüngeren Kollegen und dessen Kompositionen ebenfalls schätzte).
Vor allem beeinflusste ihn jedoch die Musik von Robert Schumann und Johannes Brahms – und ich finde, das hört man auch sehr deutlich, gerade in seiner 1. Sinfonie!

Zurück in Italien entwickelte Sgambati (und das scheint mir vor allem sein bleibender Verdienst!) eine unermüdliche Aktivität, um das dort im Vergleich zu Ländern wie England, Frankreich oder eben Deutschland nicht sehr entwickelte öffentliche Konzertwesen voranzutreiben.
So erklang beispielweise unter seiner Leitung im Jahr 1867 die erste Aufführung in Italien von Beethovens Dritter (!), 1870 folgte dann Beethovens Siebte, aber auch aktuelle Werke wie Liszts Dante Sinfonie machte er in seinem Heimatland bekannt.

Neben Klaviermusik und zahlreichen kammermusikalischen Werken komponierte er unter anderem zwei Sinfonien, ein Klavierkonzert, ein Requiem und ein Te Deum – immer im Geist deutscher Tradition in Verbindung mit italienischen Einflüssen. Bezeichnenderweise hat er nie eine Oper geschrieben…

Sgambati kann auf jeden Fall auch als Vorläufer und Wegbereiter für eine jüngere Generation italienischer Komponisten gelten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts – im Gegensatz zu ihm – dann auch wieder internationale Berühmtheit mit Orchestermusik à la italiana erlangten, allen voran natürlich Ottorino Respighi (1879-1936), Ferruccio Busoni (1866-1924) oder auch Alfredo Casella (1883-1947).

Sgambatis 1. Sinfonie folgt einem traditionellen Aufbau, ungewöhnlich ist hierbei allerdings der Serenata betitelte Satz, der zwischen dem Scherzo und dem Finalsatz eingeschoben wird: Ein von den Streichern dominiertes, mit ausdrucksvoller Melancholie angereichertes Stück, das mich spontan an Musik von Edvard Grieg erinnerte, z. B. an dessen Elegische Melodien.

Die CD wird komplettiert mit der Einspielung der 1866 entstandenen Ouvertüre zum Schauspiel Cola di Rienzo des Dichters Pietro Cossa (1830-81). Diese Ouvertüre ist damit zugleich Sgambatis früheste Komposition für Orchester. Richard Wagner hatte sich übrigens ebenfalls von der Figur des Cola di Rienzo zu seiner 1842 uraufgeführten Oper Rienzi, der letzte der Tribunen inspirieren lassen.

Dank des wie immer bei NAXOS sehr günstigen Preises für die CD kann man unbesorgt das „Wagnis“ eingehen, sich mit diesen unbekannten Werken eingehender zu beschäftigen – das war für mich mal wieder eines der im Lauf der Jahre nun schon zahlreich gewordenen „Aha-Erlebnisse“, die ich mit dem nach wie vor ausgesprochen entdeckungsfreudigen Label NAXOS machen konnte!

Der überzeugende, runde Klang des Orchesters sowie die wirklich exzellente Aufnahmequalität tun hier ein Übriges!
Man kann nur hoffen, dass es hier demnächst noch weitere Werke von Giovanni Sgambati zu entdecken gibt!

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