Donnerstag, 18. Oktober 2012

Ein Abend in der Oper - "Le nozze di Figaro" in Köln

Anfang Oktober war die Kölner Kulturszene um eine weitere Schlagzeile reicher:
Die jährliche Kritiker-Umfrage der Zeitschrift Opernwelt zur Spielzeit 2011/12 hat die Kölner Oper zum „Opernhaus des Jahres“ gekürt, zeitgleich mit der Nominierung zur „ärgerlichsten Opernerfahrung des Jahres“, womit natürlich die unerfreulichen Querelen um und mit dem dann kurzfristig in diesem Sommer aus dem Amt geschiedenen Intendanten Uwe Eric Laufenberg gemeint sind!

Diese beiden medienwirksam platzierten „Auszeichnungen“ stehen natürlich sowohl mit dem erfolgreichen Wirken wie eben auch dem im Konflikt mit der Kulturpolitik (und deren Budget) gescheiterten ehemaligen Intendanten in untrennbarer Verbindung und dürften den Erwartungsdruck, der seit der kurzfristigen (wie auch für viele recht überraschenden) Berufung von Birgit Meyer als Nachfolgerin Laufenbergs Ende August auf den Schultern der ersten Kölner Opernintendantin lastet, nicht gerade verringert haben. Alle Beobachter der Kulturszene dieser Stadt fragen sich nun natürlich erst recht, ob sie die künstlerischen Erfolge Laufenbergs während der vergangenen drei Spielzeiten (die letztendlich zur Verleihung der oben erwähnten Auszeichnung führten) fortführen und das (endlich wieder) erreichte Niveau der Oper halten können wird.

Nach dem Spielzeitauftakt mit La forza del destino im September, der immerhin nicht als „Flop“ bezeichnet werden kann und für den mit dem Franzosen Olivier Py noch von Herrn Laufenberg ein Gast-Regisseur verpflichtet worden war, wurde es nun spannend:

Denn mit der Premiere der zweiten Produktion dieser Spielzeit am 12. Oktober im Palladium in Köln-Mülheim, Wolfgang Amadé Mozarts Opera buffa Le nozze di Figaro aus dem Jahr 1786, musste sich jetzt zeigen, ob die unter enormem Zeitdruck entstandene Inszenierung, die der junge Regisseur Benjamin Schad übernommen hat, ebenfalls bestehen können würde.

Der Zeitdruck, der auf dieser Produktion lastete, kam daher, dass eigentlich der jetzige Ex-Intendant Laufenberg als Regisseur für diese Neuinszenierung vorgesehen war. Eine Tatsache, die sich nach dessen nicht ganz freiwilliger „Schnell-Entfernung“ nun natürlich als ein enormes Problem darstellte – gerade einmal etwas über zwei Monate sind dem neuen Regisseur geblieben, um (quasi bei null beginnend) diesen Klassiker der Opera buffa auf die Bühnenbretter der Ausweichspielstätte in der rechtsrheinischen ehemaligen Industriehalle zu bringen!

Wahrlich keine leichte Aufgabe, zumal hier nicht einmal die wohl bereits schon fertiggestellten Kulissen (oder sonstige vorhandene Elemente) der ursprünglichen Laufenberg-Inszenierung verwendet werden durften!
An diesem Punkt hätte ich mir als Zuschauer dann doch etwas mehr kollegiales Entgegenkommen im Dienste der Kunst gewünscht…

Ich habe am Dienstag (16. Oktober) die dritte, ganz gut besuchte, aber nicht ausverkaufte Vorstellung dieser Neuinszenierung besucht. Details zur Aufführung und Fotos gib es hier.
Der Programmzettel dieses fast dreieinhalbstündigen Opernabends (inkl. einer gut 20-minütigen Pause) sah wie folgt aus:

Il conte d’Almaviva: Mark Stone
La contessa d’Almaviva: Maria Bengtsson
Susanna: Ofelia Sala
Figaro Matias Tosi
Cherubino: Adriana Bastidas Gamboa
Marcellina: Hilke Andersen
Basilio: Martin Koch
Bartolo: Gilles Cachemaille
Barbarina: Ji-Hyun An
Antonio: Ulrich Hielscher
Don Curzio: Alexander Fedin
2 Mädchen: Aoife Miskelly und Marta Wryk
Chor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Hammerflügel: Chloé Ghisalberti
Musikalische Leitung: Konrad Junghänel

Sehr erfreulich, dass mit dem Alte-Musik-Experten Konrad Junghänel erneut ein engagierter (und gleichermaßen sympathischer) musikalischer Leiter verpflichtet werden konnte, der in den letzten Jahren an der Kölner Oper bereits mehrere sehr hörenswerte Produktionen zu verantworten hatte, z. B. den Ulisse von Monteverdi oder – um bei Mozart zu bleiben – die Entführung aus dem Serail oder den Titus im Herbst 2011.

So gab es musikalisch denn auch an diesem Opernabend eigentlich kaum etwas auszusetzen: Schon die in flott-frischem Tempo angestimmte Ouvertüre versprach einen spritzig-beschwingten Hörgenuss! Das Gürzenich-Orchester (in auf Mozart-Verhältnisse angepasster reduzierter Besetzung) spielte ausgesprochen klangschön und leichtfüßig – den typischen „Junghänel-Sound“ für Opernmusik des 18. Jahrhunderts haben sich die Musiker mittlerweile spürbar zu Eigen gemacht!
Allenfalls die ein oder andere etwas lyrischer ausmusizierte Holzbläserstimme in den langsameren Nummern hätte ich mir noch gewünscht – da klang manches ein wenig zu flüchtig und nebensächlich und hätte besser betont oder ausgekostet werden können, fiel aber vermutlich dem vom Dirigenten gewählten generell recht schnellen Grundtempo zum Opfer.
Ach ja – und ich hätte mir (mal wieder) ein Cembalo anstelle des diesem erneut vorgezogenen Hammerklaviers zur Begleitung der Seccorezitative gewünscht…
Aber das ist jetzt wirklich „Jammern auf hohem Niveau“!

Während ich mit dem Ensemble der Forza del destino im September ja nicht rundum glücklich war, gab es am aktuellen Figaro-Ensemble wirklich nichts auszusetzen: Ein fast durchgehend aus jungen Sängerinnen und Sängern bestehendes Team, das nicht nur stimmlich sondern auch darstellerisch auf der Bühne eine im wahrsten Sinne des Wortes „gute Figur“ machte!
Ich finde eigentlich keine(n) Beteiligte(n), an dem oder der ich wirklich etwas groß zu Bemängelndes gefunden hätte – und das ist ja nun wirklich schon fast die Hauptsache für einen gelungenen Opernabend!
Am besten (auch darstellerisch) gefiel mir die junge kolumbianische Mezzosopranistin Adriana Bastidas Gamboa als Cherubino. Dieses Ensemblemitglied der Kölner Oper ist mir schon in einigen anderen Produktionen positiv aufgefallen, diesmal gefiel mir ihre sängerische wie auch schauspielerisch ausgesprochen überzeugende Leistung als jungenhafter Page (in klassischer grau-schwarzer Pagenuniform mit roter Strubbelfrisur) aber besonders gut!

Erfreulich in musikalischer Hinsicht (das soll hier nicht unerwähnt bleiben) fand ich auch, dass zumindest die Arie der Marcellina im 4. Akt nicht – wie üblich – gestrichen wurde. Leider fiel dann aber auch in dieser Produktion die ebenfalls fast immer gestrichene Arie des Basilio (die eigentlich als nächste Musiknummer dem Solo der Marcellina folgen müsste) dem Rotstift zum Opfer! Nun, immerhin aber nur 50% des ansonsten immer im Doppelpack gestrichenen Arienpärchens, das ist ja auch schon etwas!

Nun noch zur Inszenierung:
Im Gegensatz zum musikalisch eigentlich rundum beglückenden Abend kann ich zur Inszenierung eigentlich nur sagen (was ich in solchen Fällen gern zu behaupten pflege), dass sie den Musikgenuss immerhin nicht weiter großartig störte...!

Es war jetzt weder der von so Manchem vielleicht befürchtete Totalausfall, noch eine besonders raffinierte inszenatorische Glanzleistung – mehr als das Gebotene wird in der Kürze der Zeit, die hier zur Verfügung stand, wahrscheinlich einfach nicht drin gewesen sein!? Außerdem fragte man sich das ein oder andere Mal nicht ganz ohne Wehmut, wie der eigentlich für diese Produktion als Regisseur vorgesehene Uwe Eric Laufenberg das Ganze wohl umgesetzt hätte?

Regisseur Benjamin Schad hatte sich dem Kölner Opernpublikum mit der gelungenen Inszenierung von Brittens Turn of the screw vorgestellt, die im Winter 2011 in der Trinitatiskirche gegeben worden war. Allerdings hatte er hier auch den Vorteil, dass allein schon der für eine Opernaufführung ungewohnte Kirchenraum eine Menge an Möglichkeiten, Inspirationen und Atmosphäre bot.

Die ernüchternde Atmosphäre des Palladium mit ihrem „Industriecharme“ stellte für den Figaro nun natürlich eine ganz andere Voraussetzung dar: An die Szenerie eines gräflichen Schlosses des 18. Jahrhunderts war hier mit Sicherheit schon mal nicht zu denken (aber diese Tatsache stört heute ja leider sowieso keinen Regisseur mehr…). Die Kostüme waren immerhin eines gräflich-gehobenen Ambientes angemessen: Man trug dezent-zeitlose Abendkleidung (alles in Grau- und Schwarztönen gehalten bis auf die Gräfin, die ein weißes Kleid trägt).

Passend zur nüchternen Industriekulisse ist die Bühnenausstattung ausgesprochen spartanisch (boshaft könnte man auch sagen, dass für mehr eben kein Geld da war!?!) und die Farben Schwarz, Grau und Weiß beherrschen alles – andere farbliche Akzente gibt es nicht.

Schad entschied sich dafür, die ganze Oper in und um ein leeres, weißes, quadratisches Zimmer spielen zu lassen, das fast die gesamte Bühne ausfüllte, aber eben auch noch Platz ließ, dass die Darsteller für das Publikum sichtbar auch außen um diesen Raum herumlaufen und dann durch eine der drei Türen dort wieder hineingehen konnten, so dass sich einige Szenen auch außerhalb dieses zentralen Raumes abspielten.

Der 1. Akt, der ja im neuen Dienstbotengemach von Susanna und Figaro spielt, wird dann auch konsequent vor diesem sich erst zu Beginn des 2. Aktes öffnenden „weißen Salons“ angesiedelt: Den Blick auf diesen Raum verstellt hier noch eine vierte Wand, die dann angehoben wird und ab diesem Moment (der erste Auftritt der Gräfin) quasi zur „durchsichtigen 4. Wand“ des dahinterliegenden völlig leeren (bis auf eine weiße Kiste, in der sich Susanna später kurzzeitig auch einmal vor den Blicken des erzürnten Grafen versteckt) Raumes wird.

Hauptmotiv des Regisseurs für diese Inszenierung war die sich für ihn im Verlauf der Handlung immer deutlicher erweisende Isolation aller am Spiel Beteiligten – alle sozialen, persönlichen und emotionalen Bindungen lösen sich auf, jede(r) Einzelne muss erkennen, dass er oder sie mit seinen/ ihren Wünschen, Sehnsüchten, Erwartungen und auch erotischen Begierden eigentlich ganz auf sich allein gestellt und somit auf niemand anderen wirklich Verlass ist. Dieses „Sich-Auflösen“ des gesellschaftlichen Gefüges (auch der althergebrachten Standeszugehörigkeit, was für den Regisseur das eigentlich revolutionäre am „Figaro“-Plot von Beaumarchais ist) wird optisch sinnfällig dahingehend umgesetzt, dass sich auch die zunächst undurchdringlich und wie ein Gefängnis wirkenden weißen Wände im Verlauf des Stücks immer weiter auflösen, in dem sie vor allem von den Akteuren peu à peu als einzelne Elemente herausgenommen oder –gerissen werden (beginnend mit Cherubinos spektakulärer Flucht im 2. Akt, die er mangels eines Fensters, aus dem er hätte herauspringen können, notgedrungen durch das Eintreten einer Wand bewerkstelligt!), bis schließlich nur noch Bruchstücke der Wandelemente auf dem Bühnenboden herumliegen und die arg „gerupften“ Restwände zu Beginn des 4. und letzten Aktes dann komplett in Richtung Bühnenhimmel entschwinden, um einer traumartigen, surreal wirkenden Szenerie Platz zu machen, die aus riesigen Stoffpuppen besteht, die in verschiedenen Haltungen und Positionen von oben an Seilen herunterhängen und mich spontan aufgrund ihrer übermäßig betonen weiblichen Formen an die berühmten „Nana“-Figuren von Niki de St. Phalle erinnerten – allerdings ohne deren charakteristisch fröhlich-bunte Bemalung!
Was der Regisseur dem Zuschauer damit sagen wollte, erschloss sich leider nicht wirklich, wie überhaupt der ganze 4. Akt mit sämtlichen, permanent auf der Bühne anwesenden Akteuren des Stückes, die – während sie gerade nichts von sich zu geben haben – alle mit verschiedenen, sich immer in manisch-zwanghaft wirkenden Wiederholungen abspulenden Tätigkeiten beschäftigt sind: So zieht sich Basilio im Bühnenhintergrund mindestens dreimal aus und wieder an, Barbarina torkelt ununterbrochen um einen seitlich stehenden Pfeiler herum, Cherubino wälzt sich daneben auf dem Boden herum, etc. – sehr bizarr, das Ganze! Und eigentlich völlig überflüssig, denn bis dahin ergab die vielleicht nicht besonders originelle, aber doch nachvollziehbare Personenführung des Stücks durchaus noch Sinn – diesen 4. Akt hätte man sich so jedoch wirklich sparen können!

Etwas schwierig auch, was das Nachvollziehen der ja gerade im 4. Akt besonders intensiven „Wer-mit-wem“- und „Wer-hält-wen-jetzt-gerade-für-wen“-Elemente für die Zuschauer anbetraf! Da passte vom gesungenen Text eigentlich nichts mehr zu dem, was auf der Bühne zu sehen war – denn konsequenterweise befanden sich gemäß dem Regiekonzept ja alle Akteure zu diesem Zeitpunkt in völliger Isolation von ihren Mitmenschen und so agierte denn auch jede(r) nur für sich: Figaro und Susanna versöhnten sich ohne jeden Blick- oder Körperkontakt (besonders albern hier die Szene, wo sie ihm ein paar Ohrfeigen verpasst, die auf der Bühne ca. 20 Meter entfernt von ihm in eine völlig andere Richtung ausgeteilt werden… *augenroll*), sämtliches Geturtel zwischen den verschiedenen Rendezvous-Teilnehmern findet nicht statt, etc. Wer hier die Handlung nicht genau kannte, dürfte spätestens ab dieser Stelle eigentlich nur noch Bahnhof verstanden haben – muss so etwas eigentlich sein?

Spätestens hier hätte auch der Regisseur merken müssen, dass sein Ansatz vielleicht doch nicht ganz so schlüssig war – von der Musik, die etwas völlig anderes ausdrückt, als das, was der Regisseur in seine Figuren hineinzuinterpretieren glaubt, mal ganz zu schweigen! So wird beispielsweise die Versöhnung zwischen Figaro und Susanna im 4. Akt und schließlich auch die Reue des Grafen und die ihm Vergebung gewährende Gräfin kurz vor Schluss durch Mozarts Musik berückend schön und voll aufrichtiger Emfpindung ausgedrückt, vom Regisseur aber völlig ignoriert, bzw. ganz offensichtlich nicht ernst genommen!
Aber über so etwas rege ich mich schon lange nicht mehr auf – Opernregisseure scheinen das Wichtigste einer Oper, nämlich die Musik, ganz gerne mal zu ignorieren, wenn’s grad nicht in den psychoanalytischen Kontext passt (dabei könnte man doch gerade bei einem Komponisten wie Mozart hier so viel raushören und mitnehmen!) – diese Unsitte scheint zum Berufsbild dazuzugehören und ist aus den Leuten einfach nicht rauszubekommen…

Naja – alles in allem also ein musikalisch sehr erfreulicher, inszenatorisch hingegen nicht besonders hervorstechender Opernabend, was man aber wohl auch den schwierigen Rahmenbedingungen dieser Produktion zugutehalten muss. Immerhin!

P.S.: Wie kurzfristig das alles vorbereitet werden musste, merkt man schon daran, dass in den im Foyer ausliegenden Programmübersichten für den Monat Oktober pikanterweise immer noch Herr Laufenberg als Regisseur des Figaro genannt wird und in den Programmheften scheint mir auch der ein oder andere ursprünglich wohl noch geplante Beitrag zu fehlen: Neben der Inhaltsangabe findet sich diesmal nur ein Interview mit dem (neuen) Regisseur sowie lediglich ein weiterer Artikel. Die restlichen Seiten sind ungewöhnlicherweise (und noch dazu ziemlich lieblos) mit nichtssagenden Fotos von Kulissenelementen dieser Inszenierung gefüllt worden – da hätte doch bestimmt noch irgend etwas anderes drinstehen sollen…

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