Dienstag, 22. September 2009

Herbst-Klassik

Pünktlich zum heutigen Herbstanfang möchte ich die thematische Reihe, die ich mit der "Sommer-Klassik" begonnen habe, mit zur Jahreszeit passenden Kompositionen fortsetzen.

Bei der Suche nach herbstlich-klassischer Musik ist mir aufgefallen, dass sich diese Jahreszeit offensichtlich ganz besonders gut zu Vertonungen aller Art eignet: Passende und sinnfällige Themen, die viele spontan mit dem Herbst verbinden, sind schneller gefunden als zu jeder anderen Jahreszeit - jedenfalls ist dies mein persönlicher Eindruck: Derart bildlich-konkrete und dazu auch noch musikalisch dankbare Themen bietet anscheinend nur der Herbst!

Fast ohne Ausnahme dreht sich in den von mir gefunden Herbst-Klassik-Stücken alles um folgende drei Themenkreise:

1. Freude und Dankbarkeit über eine reiche Ernte (bevorzugt auch die Weinlese!) - oft in Form von Ernte- bzw. Weinfesten, auf denen es dann gerne auch sehr ausgelassen zugehen darf, bis hin zu orgienartigen Saufgelagen (die dann poetisch "Bacchanal" genannt werden)… *grins*

2. Jagdszenen, natürlich mit den sich musikalisch gesehen geradezu aufdrängenden Hörnerklängen und typischen Jagdsignalen

3. Melancholische Stimmungsbilder, in denen herbstlich-trübe Szenerien, das allmähliche Absterben und Sich-Zurückziehen der Natur und die immer kürzer und dunkler werdenden Tage beschrieben werden - gerne auch genutzt, um die sich anbietende Parallele mit dem Verlauf des menschlichen Lebens zu thematisieren

Oft kommt es vor, dass Komponisten gleich mehrere dieser Themen in ihren Werken zum Thema "Herbst" kombinieren - schließlich sind das alles ja recht wirkungsvolle Kontraste, die wahrlich keine Langeweile aufkommen lassen und potentiellen Hörern Abwechslung versprechen.

Diese fast ausschließliche Konzentration auf diese drei Themenbereiche fand ich schon sehr interessant - bei der Suche nach Musikstücken zum Thema "Sommer" war mir das in dieser Form so nicht aufgefallen, da schien mir die Bandbreite deutlich größer zu sein. Allein die vielen Komponisten aus der Zeit um 1900, eine Epoche also, die man mit "musikalischem Impressionismus" oder auch "Spätromantik" charakterisieren könnte, die sich teilweise recht ausgiebig mit dem Sommer beschäftigt haben, haben doch recht unterschiedliche Assoziationen zur heißesten Jahreszeit in Musik gesetzt - das war weit mehr als nur "Hitze" und "Gewitterstürme".

Ich empfinde es aber nicht unbedingt als Nachteil, dass sich im Herbst viel einheitlichere Themenbereiche bei den Komponisten feststellen lassen - gerade das macht den Vergleich der verschiedenen Stücke doch besonders interessant!

Ach ja: Stücke, die sich ausschließlich mit dem Thema "Jagd" beschäftigen, habe ich hier mal bewusst außen vor gelassen: Dem Thema "Jagd in der klassischen Musik" möchte ich bei Gelegenheit mal ein eigenes Thema widmen!

So - und jetzt geht es konsequenterweise erstmal wieder los mit den "Herbstabteilungen" der im Sommer-Posting vom 22.06.2009 schon vorgestellten Jahreszeiten-Zyklen:

Antonio Vivaldi (1678-1741)
12 Violinkonzerte "Il cimento dell'armonia e dell'inventione" op. 8 ("Der Gipfel von Harmonie und Erfindung"); entstanden ca. 1700-1725

Darin als Konzert Nr. 3 "L'autunno" ("Der Herbst") in F-Dur
Auch dem Herbstkonzert hat Vivaldi ein erläuterndes (und vermutlich sogar selbst verfasstes) Sonett vorangestellt, in dem er wieder ein erklärendes Programm für die drei Sätze des Konzerts vorstellt.

Die Themen der drei Sätze sind:
1. Satz: Tanz und Gesang der Landleute - Der Betrunkene - Der schlafende Zecher
2. Satz: Die schlafenden Zecher
3. Satz: Die Jagd - Das fliehende Wild - Flinten und Hunde - Das fliehende Tier verendet

In Vivaldis Herbst wird auffallend viel gefeiert und getrunken und dann entsprechend auch der Rausch ausgeschlafen - offenbar war die Ernte eine besonders gute…
Im 3. Satz dann die für Herbstmusiken fast obligatorische Jagdszenen - und das ganz ohne Hörnerklang (wir sind immer noch in einem Violinkonzert!). Vivaldi verwendet aber einen charakteristischen 3/8-Takt, der in Jagdmusiken häufig eingesetzt wird, da die klassischen Jagdhornsignale auch in einem solchen Rhythmus erklingen. Irgendwie vermisst man den typischen Hörnersound dann auch nicht wirklich - das hat Vivaldi klasse hingekriegt. Leider nicht in allen Aufnahmen dieses Konzerts kann man an der Stelle, wo die Flinten abgefeuert werden, erleben, wie (vor allem wohl) die Cellisten ihre Bögen auf die Saiten schnellen lassen und damit einen wirkungsvollen Knalleffekt erzielen, der perfekt zur Jagd-Szenerie passt! Wie gesagt, das machen leider nicht alle Orchester so - in der Partitur steht es meines Wissens auch nicht drin, aber gerade Barockmusik ist ja immer für eine fantasievolle Improvisation und Ausschmückung gut…
Da der 3. Satz denn auch einen durchweg heiteren Charakter (in Rondoform) hat, bleibt die Beschreibung des verendenden Wildes nur eine ganz kurze, etwas bedauernd-mitfühlend klingende Episode bevor der Satz schwungvoll zu Ende geht.


Joseph Haydn (1732-1809)
Die Jahreszeiten
(Oratorium in vier Teilen, Uraufführung im Mai 1801)

3. Teil: Der Herbst

Haydns Herbst befasst sich mit folgenden Themen:

Freude der Landleute über reiche Ernte - Lob des Fleißes - Nuss- und Obsternte - Jagdszenen - Traubenlese - Weinfest

Auch Haydn lässt kein klassisches Herbstthema aus: Nach einer als reichhaltig beschriebenen Ernte klopfen sich die Landleute quasi selber auf die Schulter, indem betont wird, wie wichtig der Fleiß ist, ohne den die mühevolle Landarbeit, die schließlich zur üppigen Ernte führt, nicht möglich ist. Haydn fand es etwas bizarr, ein Loblied auf den Fleiß zu schreiben - das Ganze fand er wohl etwas abstrakt und entledigte sich dieser Aufgabe dann auch eher routiniert als inspiriert. *grins*
Nach einer - wie bei Vivaldi - fröhlich-ausgelassenen Jagdbeschreibung, bei der sich das Bedauern über die getötete Beute ebenfalls ziemlich in Grenzen hält, endet der Herbst mit einem ausgedehnten Trink- und Freudenchor, der - zumindest für Haydns Verhältnisse als ansonsten stets geschmackvoll die Form wahrender Komponist - in einer ziemlich ausgelassenen, ja fast schon zügellosen Schluss-Sequenz endet! Mitreißend!


Astor Piazzolla (1921-1992)
Las Cuatro Estaciones Porteñas
("Die vier Jahreszeiten aus Buenos Aires")

Auch der Herbst-Satz "Otoño Porteño" (Herbst in Buenos Aires) ist - wie die anderen drei Sätze dieses Zyklus - ein Stück für Gitarre solo (das Werk gibt es aber auch in anderen Bearbeitungen, z. B. für Klavier) und basiert, wie die meisten Werke Piazzollas, aus Elementen des traditionellen argentinischen Tangos.


Alexander Glasunow (1865-1936)
Die Jahreszeiten, op. 67
(Ballett in vier Teilen, UA im Februar 1900)

4. Teil: Der Herbst
Tänzerisch und musikalisch geht es um folgende Themen:
Bacchanale - Auftritt der anderen Jahreszeiten - Fallende, herumwirbelnde Blätter - Apotheose: Sternenhimmel

Da Glasunows vierteiliges Ballett mit dem Winter beginnt, bildet der Herbst das Finale des Ganzen. So treten nach einer einleitenden Trink- und Gelageszene denn auch neben dem Herbst die personifizierten übrigen Jahreszeiten auf und das Ballett endet mit einem (getanzten) Blick auf die Erde, umgeben von sie umkreisenden Sternen - sehr poetisch!


Fanny Hensel-Mendelssohn (1805-1847)
Das Jahr - 12 Charakterstücke für das Fortepiano
(komponiert 1841)

9. Satz: September - Am Flusse
10. Satz: Oktober - Allegro con spirituoso
11. Satz: November - Mesto (= betrübt, traurig)


Peter Tschaikowsky (1840-1893)
Die Jahreszeiten, op. 37b
(12 Klavierminiaturen, entstanden 1875-1876)

9. Satz: September - Die Jagd
10. Satz: Oktober - Herbstlied
11. Satz: November - Troika

Fanny Hensel bleibt in ihrer musikalischen Monatsbeschreibung weniger konkret als Tschaikowsky. Sie schildert vorrangig Empfindungen, die keine präziseren Betitelungen nötig haben. Die Herbstmonate von Tschaikowsky hingegen befassen sich eher mit klassischen Herbstthemen, wobei im November bereits die Fahrt mit einer typisch russischen Troika, einem dreispännigen Schlitten, beschrieben wird - in Russland kommt der Winter eben doch schon früher als anderswo…


Joseph Joachim Raff (1822-1882)
Symphonie Nr. 10 f-moll, op. 213 "Zur Herbstzeit"
(entstanden 1879, UA im November 1880)

1. Satz: Eindrücke und Empfindungen - Allegro moderato
2. Satz: Gespenster-Reigen - Allegro
3. Satz: Elegie - Adagio
4. Satz: Die Jagd der Menschen: Auszug, Rast, Jagd, Halali, Rückkehr - Allegro

Auch Raffs Herbst-Symphonie endet mit einer wirkungsvollen Jagdbeschreibung - offenbar wollten sich nur wenige Komponisten diese Gelegenheit für ein schwungvoll-fröhliches Finale entgehen lassen. Interessant finde ich, dass Raff zur Abwechslung auch einmal eine etwas schwermütigere Stimmung aufkommen lässt (die "Elegie" im 3. Satz) - eventuell schildert er hier Eindrücke eines trüben und neblig-düsteren Novembertags? Und auf die Zeit der Geister und Gespenster rund um Halloween (31. Oktober) nimmt Raff im 2. Satz Bezug - zumindest würde das ja ganz gut zusammenpassen.

Statt den vier Jahreszeiten gleich vier ganze Symphonien zu widmen, wie Joseph Joachim Raff es getan hat, hat Louis Spohr die vier Sätze der klassischen Symphonie zu einer damit etwas kompakteren Jahreszeiten-Revue genutzt. Wie bei Glasunow endet auch bei ihm mit dem Herbst das Musikstück, in diesem Fall also die Symphonie.


Louis Spohr (1784-1859)
Symphonie Nr. 9 h-moll, op. 143 "Die Jahreszeiten"
(UA 1850)

4. Satz "Einleitung zum Herbst - Der Herbst" (Allegro vivace)

Wie Glasunows Jahreszeiten-Ballett fängt auch Spohrs 9. Symphonie mit dem Winter an, so dass der Herbst als vierter und letzter Satz lebhaft und optimistisch die Jahreszeiten-Symphonie abschließt. Alles in allem scheint der Herbst für die meisten Komponisten doch eher eine fröhliche Jahreszeit gewesen zu sein - keine Spur von November-Depressionen *grins*


Joaquín Rodrigo (1901-99)
Musica para un Jardín
(UA 1958)
1. Satz: Preludio
2. Satz: Berceuse de otoño (Wiegenlied des Herbstes)

Rodrigos "Musik für einen Garten", ein kleiner Zyklus, in dem ein Garten in den verschiedenen Jahreszeiten musikalisch beschrieben wird, beginnt nach einem "Preludio" interessanterweise mit dem Herbst. Komisch, wie jeder Komponist eine andere Jahreszeit zum Einstieg in "seine" 4 Jahreszeiten wählt. Der am meisten bevorzugte "Klassiker" bleibt aber dennoch der Frühling als erste Jahreszeit.


Gregor Joseph Werner (1693-1766)
Musicalischer Instrumental-Calender
(veröffentlicht 1748)

Zum originellen Instrumental-Calender von Gregor Werner hatte ich bereits im Post vom 22.06.09 Klassik im Sommer ein paar erläuternde Worte geschrieben, daher möchte ich mich hier nicht wiederholen und stattdessen jetzt nur das "Programm" der drei Herbstmonate vorstellen (wobei der November interessanterweise bereits den Beinamen "Wintermonat" trägt!):

9. Konzert: September ("Il Settèmbre, im Herbstmonat")
1. Die erfreuliche Studenten-Vacanz
2. Ein Hirtenstück
3. Menuett: Tag und Nacht gleich
4. Der angenehme Herbst
5. Die Sonne in der Waage

10. Konzert: Oktober ("L' Ottòbre, im Weinmonat")
1. Es lebe Ihro Majestät der Kaiser Franciscus
2. Der Fassbinder
3. Menuett: Die Tageslänge 11, die Nacht 13 Stund
4. Die Jagd
5. Es lebe Ihro Majestät die Kaiserin Theresia

11. Konzert: November ("Il Novèmbre, im Wintermonat")
1. Der melancholische Student
2. Menuett: Die Tageslänge 10, die Nacht 14 Stund
3. Ein Sturmwetter auf der See
4. Menuett: Die Tageslänge 9, die Nacht 15 Stund
5. Die Mahlmühle

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