Samstag, 29. September 2012

Musik zum Michaelistag

Wenn man die zahlreichen Kirchenkantaten, die Johann Sebastian Bach (1685-1750) im Verlauf seines Komponistenlebens (vor allem in Weimar und Leipzig) so komponiert hat, fällt auf, dass neben den zu erwartenden Kantaten für die einzelnen Sonntage des Kirchenjahrs und Feiertagen wie Neujahr, Christi Himmelfahrt oder dem Reformationsfest (31. Oktober) noch eine ganze Reihe weiterer Kantaten komponiert wurden, die zu kirchlichen Feiertagen entstanden sind, die heute (zumindest in der evangelischen Kirche) nicht mehr so wirklich geläufig sind – und schon gar keine arbeitsfreien Feiertage, an denen auch noch Gottesdienste stattfinden!

Da finden sich dann Bach-Kantaten zu Tagen wie Mariae Reinigung (2. Februar), Mariae Verkündigung (25. März), Mariae Heimsuchung (2. Juli), dem Johannistag (24. Juni) oder dem heute, am 29. September begangenen Michaelistag. Übrigens gibt es im Englischen analog zum Wort Christmas sogar den Begriff Michaelmas für den heutigen Tag, was – wie ich finde – durchaus für seine Bedeutung spricht!

Gerade die Häufung von verschiedenen Marienfeiertagen im Zusammenhang mit der protestantischen Kirche mag auf den ersten Blick überraschen, da man heutzutage die Verehrung der Muttergottes ja eigentlich ausschließlich mit der katholischen Kirche in Verbindung bringt. Zu Bachs Zeiten (also immerhin auch schon 200 Jahre nach der Reformation) wurden aber auch solche Marien- und andere Heiligenfesttage noch als kirchliche Feiertage begangen, die sich – dies wiederum typisch protestantisch – auf biblische Überlieferungen begründen ließen, so z. B. die rituelle Reinigung Marias nach dem jüdischen Gesetz am 40. Tag nach der Geburt Jesu‘ (gemäß dem 2. Kapitel im Lukasevangelium) an Mariae Reinigung oder dem Besuch der schwangeren Maria bei ihrer Kusine Elisabeth, die zu dem Zeitpunkt mit Johannes dem Täufer schwanger ist (gemäß dem 1. Kapitel im Lukasevangelium) an Mariae Heimsuchung.
Gegen solche auch von Protestanten begangenen Feiertage sprach natürlich nichts. So wird hier am 26. Dezember auch des ersten christlichen Märtyrers Stephanus gedacht, weil sein Schicksal im 6. Und 7. Kapitel der Apostelgeschichte beschrieben wird. Diese biblische Legitimation ist für die protestantische Theologie ganz entscheidend und so entfallen dann z. B auch alle weiteren Feier- und Gedenktage, die es zur Person der Maria oder der zahllosen weiteren Märtyrer bei der katholischen Kirche noch gibt, da diese sich lediglich auf fromme (und eben nicht biblisch „legitimierte“) Legenden stützen, die in der römisch-katholischen Kirche hingegen einen ähnlich hohen Stellenwert wie die biblischen Texte besitzen.

Am heutigen 29. September ist nun also – wie erwähnt - einer dieser Feiertage, deren Existenz dem weniger kirchlich orientierten Musikfreund zunächst nicht allzuviel sagt: Der Gedenk-, Fest- und Feiertag des Erzengels Michael.

Man ist schon einigermaßen überrascht, wenn man erfährt, dass Bach für einen aus heutiger Sicht zunächst etwas unscheinbar wirkenden Tag wie diesen mehrere prachtvolle Kantaten komponiert hat (St. Michaelis war zu Bachs Zeit sogar ein arbeitsfreier Feiertag wie z. B. Christi Himmelfahrt – und des Morgens ging man an solchen Feiertagen halt in die Kirche und erwartete vom Kantor eine entsprechend für diesen Anlass komponierte Kantate).

Wenn man sich dann genauer mit dem Michaelistag beschäftigt, stellt man fest, dass dieser Feiertag, gerade auch was damit verbundene volkstümliche und bäuerliche Bräuche anbetrifft, eine ähnlich wichtige Bedeutung am Ende des Sommers und der Erntesaison einnimmt, wie z. B. an Mariae Reinigung wenn es zum von vielen Landleuten sehnlichst erhofften Ende des Winters hinging.

Der an diesem Tag im Mittelpunkt stehende Erzengel Michael ist eine in der Bibel an nur wenigen Stellen namentlich erwähnte Figur (er wird u. a. im alttestamentarischen Buch Daniel erwähnt), deren Hauptaufgabe darin besteht, den Satan zu bekämpfen, also im Auftrage Gottes das Böse aus der Welt zu tilgen.

Die wichtigste Bibelstelle, in der Michael (das ist hebräisch und bedeutet “Wer ist wie Gott?“) vorkommt, ist gleichzeitig und sinnvollerweise die für den heutigen Tag vorgesehene Epistellesung aus dem 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes.

Dort bekämpft Michael zusammen mit seinem Engelheer den „großen Drachen“, die „alte Schlange, die auch Teufel oder Satan genannt wird und die ganze Welt verführt.“

Raffael: Der heilige Michael, den Drachen besiegend (ca. 1505)
Michael vertreibt den Drachen aus dem Himmel und stürzt ihn auf die Erde hinunter. Dort wird er dann (für tausend Jahre) in den Abgrund – die Hölle - geworfen und der Eingang wird verschlossen und versiegelt. Im Rahmen des Jüngsten Gerichts besiegt er den Satan dann endgültig.

Aufgrund dieser - zugegebenermaßen sehr beeindruckenden - Episode ist dem auch als „Engelsfürsten“ bezeichneten Erzengel Michael im Laufe der Zeit eine ganze Kette weiterer Taten und Funktionen zugeschrieben worden:

So ist er unter anderem auch der Engel, der Adam und Eva mit dem Schwert aus dem Paradies vertreibt und fortan dessen Eingang bewacht. Er weist den in der Wüste umherirrenden Hagar und Ismael die rettende Quelle, er ist der Engel, der Abraham im letzten Moment davon abhält, seinen Sohn Isaak zu opfern – die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

Wohlgemerkt: Keine dieser biblischen Geschichten nennt Michael namentlich, man hat sich offenbar irgendwann später gedacht, dass ein so wichtiger Engel, der eine ganze Engel-Streitmacht wider den Satan in die Schlacht führt, doch auch andere wichtige Aufgaben erledigt haben muss. Und dann hat man sich in der Bibel halt auf die Suche begeben...

Michael hat als Streiter für die Macht Gottes also eine ganz besonders herausgehobene Funktion. Man hat ihm auch die Funktion des Führers der Seelen der Verstorbenen ins Jenseits übertragen, wo er auch die Seelenwaage hält (eine interessante Parallele übrigens zu anderen antiken mythologischen Figuren wie z. B. dem altägyptischen Gott Thot!)

Hans Memling: Michael beim Jüngsten Gericht (Ausschnitt aus einem Altarbild, 1467-71)
Manch einem ist in diesem Zusammenhang vielleicht schon einmal die Stelle im lateinischen Text des Requiem aufgefallen, wo es im Offertorium heißt:

“Libera eas de ore leonis, ne absorbeat eas tartarus, ne cadant in obscurum: Sed signifer Sanctus Michael repraesentat eas in lucem sanctam.“
(„Bewahre sie vor dem Rachen des Löwen, dass die Hölle sie nicht verschlinge, dass sie nicht hinabstürzen in die Finsternis: Vielmehr geleite sie Sankt Michael, der Bannerträger, in das heilige Licht.“)

Die oben beschriebene Funktion des Seelengeleiters spiegelt sich in diesem alten Messtext wider.

Dem heiligen Michael sind (erwartungsgemäß) viele Kirchen geweiht: Der in der Normandie gelegene Mont St. Michel und Hamburgs Wahrzeichen, die St. Michaeliskirche (der „Michel“) dürften zu den bekanntesten gehören. Hier befindet sich auch die beeindruckende Bronzeplastik von August Vogel, die Michaels Triumph über den drachenartig geflügelten Höllenfürsten darstellt.

Tosca-Freunde kennen außerdem bestimmt die den siegreichen Erzengel darstellende Bronzeplastik (in dem Moment, wo er nach erfolgreichem Kampf mit dem Drachen sein Schwert wieder in die Scheide steckt), die auf dem Dach der Engelsburg in Rom steht. Papst Gregor dem Großen soll St. Michael so im Jahr 591 auf dem Hadriansmausoleum erschienen sein, um anzuzeigen, dass sich eine Pestepidemie in Rom dem Ende zuneigte, woraufhin der Papst das Mausoleum in das noch heute so bezeichnete “Castel Sant’ Angelo“ umbenannte.

1748 vom flämischen Bildhauer Peter Anton von Verschaffelt geschaffene Bronzestatue
Es verwundert nicht, dass der wehrhafte St. Michael als Schutzpatron der Soldaten und Ritter gilt – unter seinem Banner sind in vergangenen Jahrhunderten tausende Krieger in die Schlacht (und auf Kreuzzüge) gezogen. Außerdem gilt er als Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (warum auch immer – ob der Begriff vom „deutschen Michel“ daher stammt?)

Der Festtag für St. Michael wurde auf den 29. September gelegt – er ersetzte damit (wie so häufig) einen älteren, heidnischen Festtag für den germanischen Gott Wotan – die ganze Woche ab Herbstbeginn (23. September) war ursprünglich Wotan gewidmet und diente wohl auch einer Art Erntedank-Kult. Den letzten Tag dieser Woche nahm nun St. Michael ein – heutzutage ergänzt durch die beiden anderen in der Bibel erwähnten Erzengel Gabriel und Raphael. Der vierte Erzengel Uriel wird in der Bibel nicht erwähnt (wohl aber in Haydns Schöpfung) – er kommt nur in außerbiblischen Traditionen der Juden und Christen vor.

Diese besondere Lage des Michaelistages bedeutete für die Landbevölkerung denn auch das Ende der Ernte. Der Sommer war zu Ende, jetzt begann die dunkle Jahreszeit. Zahlreiche Bauernregeln künden denn auch von den Erwartungen, die man an den Michaelistag knüpfte, weil man sich hiervon Auskünfte über den anstehenden Herbst und nahenden Winter erhoffte.
So heißt es z. B. “Auf nassen Michaelitag ein nasser Herbst folgen mag.“
Eine Alternative wäre “Gibt Michaeli Sonnenschein, wird’s in zwei Wochen Winter sein.“
Oder “Bringt Sankt Michael Regen, kannst du gleich den Pelz anlegen.“
Wem das nicht passen sollte, der wähle “Kommt Michael heiter und schön, wird es noch vier Wochen so weiter geh’n.“ – so passt irgendein Spruch halt immer...

Hingegen lässt sich gegen “Es holt herbei Sankt Michael die Lampe wieder und das Öl“ nichts einwenden – das ist nun einmal Fakt, dass die Tage nun merklich kürzer und kürzer werden und das Licht wieder früher entzündet werden muss.

Warum war nun der Michaelistag nun auch noch ein protestantischer Feiertag?
Die meisten Feiertage dieser Art waren und sind ja traditionell katholische Feiertage.
Ähnlich wie die erwähnten Marienfeiertage, für die Bach entsprechend ihrer (protestantischen) Bedeutung ja auch Kantaten komponiert hat, lässt sich auch der Michaelistag auf eine biblische „Legitimation“ zurückführen (siehe die oben erwähnte Bibelstelle aus der Offenbarung).
Wie schon gesagt: Feiertage, die sich auf reine Legenden gründeten (also nicht die so wichtige biblische Legitimation besaßen), wie z. B. der Martinstag am 11. November oder Mariae Himmelfahrt am 15. August, wurden von den Protestanten denn auch konsequent nicht übernommen.

Zur Beibehaltung des auch von Protestanten begangenen Michaelistages hingegen habe ich in einem CD-Booklet (Hänssler Edition Bachakademie aus dem Jahr 2000) eine interessante Passage gefunden, die ich hier kurz noch zitieren möchte:
Auch Luther behielt das Michaelisfest ausdrücklich bei. Zum einen betrachtete er die Engel (ebenso die Gottesmutter Maria) als Verbindung von Gott zu den Menschen, mithin als Wesen mit ausreichender christologischer Substanz. Zum anderen herrschte in der protestantischen Kirche die Meinung vor, man solle nicht alles abschaffen, um das „einfältige Volk“ nicht zu ärgern. Der Erzengel Michael war zudem in Deutschland populär als „Engel des Volkes“. [...] Schließlich war der Michaelistag den Menschen seit altersher als wichtiger Steuer- und Verwaltungstermin im Bewusstsein.

So gesehen finde ich diese Haltung sehr pragmatisch und konsequent. Warum auf etwas verzichten, was den Menschen Orientierung im Jahreslauf gab?

Die Beibehaltung dieses Feiertages hat uns denn auch einige wunderschöne Bachkantaten beschert (um mal wieder aufs eigentliche Thema zurückzukommen), wofür man noch zusätzlich dankbar sein muss!

Dem festlichen Feiertagsanlass und der anschaulich-machtvollen Illustration der kriegerischen Handlung des Kampfes Michaels mit dem Drachen entsprechend setzt Bach denn auch in allen seinen Kantaten zum Michaelistag (die allesamt während seiner Zeit als Leipziger Thomaskantor entstanden sind) ein prächtig besetztes Festtagsorchester „mit Pauken und Trompeten“ ein!

Herr Gott, dich loben alle wir (BWV 130)
Es erhub sich ein Streit (BWV 19)
Man singet mit Freuden vom Sieg (BWV 149)
Nun ist das Heil und die Kraft (BWV 50)


Die zum 29. September 1724 entstandene Kantate BWV 130 enthält textlich eine Lobeshymne nicht nur auf Michael, sondern allgemein auf alle schützenden Engel, die das Böse immer wieder zurückdrängen und das „arme Häufelein“ der Gläubigen vor Gefahren bewahren.

Der Eingangschoral „Herr Gott, dich loben alle wir“ klingt denn auch wie eine triumphale Siegeshymne (und erinnert mich nicht nur textlich etwas an den Beginn eines Te Deum!) – die quasi als „musikalischer Leitfaden“ dieses Satzes dienende Choralmelodie wird hierbei - wie meistens in solchen Fällen – gut hörbar vom Sopran als höchster Stimme im Chor vorgetragen.

Grandios ist auch die Arie „Der alte Drache brennt vor Neid“ gelungen, in der der Solo-Bass mit mächtiger und dramatisch bewegter Stimme begleitet von gleich drei Trompeten plus Pauken und der Continuo-Gruppe (eine absolut ungewöhnliche Besetzung!) den kriegerischen Einsatz der Engel im Kampf gegen den „alten Drachen“ besingt!
Ein wirklich fantastischer Satz, der allen Beteiligten – vor allem aber den Trompetern - viel Virtuosität abverlangt! Aus diesem Grund hat Bach wahrscheinlich den Trompeten-Part im Rahmen einer späteren Wiederaufführung der Kantate durch Streicher ersetzen müssen, weil ihm wohl talentierte Trompeter fehlten...

Wie die 2 Jahre zuvor entstandene Kantate ist auch die zum Michaelistag 1726 entstandene Kantate BWV 19 ausgesprochen festlich instrumentiert:
Es wird erneut ein dreistimmiges Trompeten-Ensemble plus Pauken verlangt, das der Kantate (vor allem deren Eingangschor) einen sowohl festlichen wie auch schmetternd-zupackend kriegerischen Charakter verleiht – grandios vor allem für Freunde dieser typischen „Pauken-und-Trompeten-Barockmusik“ (es braucht halt nicht immer nur „Jauchzet, frohlocket!“ aus dem Weihnachtsoratorium zu sein!)

Während die Kantate BWV 130 die schützende Macht der Engelsscharen im Allgemeinen preist, wird die Kantate BWV 19 konkreter und erwähnt den in der Offenbarung, Kapitel 12, Vers 7-12 beschriebenen Kampf des Erzengels Michael und seiner himmlischen Streitmacht gegen den höllischen Drachen direkt.

Martin Schongauer: Michael und der Drache, Radierung, 1470
Dies führt gleich zu Beginn der Kantate wieder zu einem ausgesprochen furiosen Eingangschor, der Bachs kompositorische Meisterschaft sowohl in Bezug auf eine geradezu spielerische Handhabung der Fugentechnik, wie auch der an der Motette orientierten Textvertonung eindrucksvoll unter Beweis stellt!

Ohne weitere Vorbereitung erhebt sich der gewaltige Streit ab dem ersten Takt dieses Chores – das in nicht allzu strenger Fugenform vorgetragene Thema auf die Worte “Es erhub sich ein Streit“ windet sich förmlich wie der Drache, der vergeblich Michaels scharfem Speer auszuweichen sucht. Wieder einmal eine verblüffend einfache und doch so sinnfällige Idee, dieses Bild musikalisch auszudrücken! Diese musikalische Schlacht wird passend von schmetternden Trompeten und martialischen Paukenschlägen begleitet.

Auch die Tenor-Arie „Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir“ verdient besondere Erwähnung: Bach gelingt hier eine wunderschöne Kombination der in einem wiegend-idyllischen, sehnsüchtig-gelösten Tonfall vorgetragenen Melodie und der darüber schwebenden Solo-Trompete, die zeilenweise eine Choralmelodie vorträgt, was sehr feierlich wirkt! Diese friedlich-festliche Arie bildet einen überaus wirkungsvollen Kontrast zum musikalisch geschilderten Kampf zwischen Michael und dem Höllenfürsten – quasi eine Vision des nach dem gewonnenen Kampf eintretenden allumfassenden Friedens und ein guter Grund, St. Michael und seine Engel (wie im Text der Arie erwähnt) um ihren steten Beistand zu bitten!

Die Kantate BWV 149 entstand frühestens für den Michaelistag des Jahres 1728 oder 1729.

Auch diese Kantate wartet mit einem – dem Feiertag angemessenen – festlich besetzten Orchester auf: Mit Pauken und Trompeten sowie reichhaltiger Oboenbesetzung wird vom errungenen Sieg der Engel über den Satan gesungen.

Diese Dankeshaltung beherrscht denn auch die gesamte Kantate, sie ist thematisch daher der Michaeliskantate BWV 130 von 1724 ähnlich, die ebenfalls eine große Dankes- und Lobeshymne darstellt, während die Kantate BWV 19 ja die himmlische Schlacht gegen den „höllischen Drachen“ direkt zur Sprache bringt.

Die „Kantate“ BWV 50 ist eigentlich gar keine solche, denn sie besteht lediglich aus einem Chorsatz, der evtl. einmal der Eingangssatz zu einer Kantate, die ja immer aus mehreren Sätzen besteht, gewesen sein könnte.

Immerhin ist die liturgische Einordnung dieses Chorsatzes ist einfach, da es sich hierbei um eine Nachdichtung der Bibelstelle aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 12 Vers 10 handelt – und diese Stelle gehört zur Lesung am heutigen Michaelistag. Die reiche Festtagsbesetzung des Orchesters mit Trompeten und Pauken, die der Orchesterbesetzung anderer Michaeliskantaten entspräche, stützt diese Annahme.

Musikalisch ungewöhnlich an diesem Satz ist seine Doppelchörigkeit – alle vier Chorstimmen sind also geteilt. Dies kommt in „gewöhnlichen“ Bachkantaten nicht vor, da der ihm zur Verfügung stehende Thomanerchor normalerweise eine solche Stimmaufteilung von der Besetzung her gar nicht zuließ. Daher wird vermutet, dass es sich bei der uns heute erhaltenen achtstimmigen Version um die Bearbeitung eines Fremden handelt.

Ungeachtet aller dieser Unwägbarkeiten, Theorien, Vermutungen und Spekulationen liegt mit BWV 50 ein großartiger und prachtvoller Chorsatz vor, der sich in Form einer großdimensionierten Chorfuge präsentiert, wie sie eigentlich nur von Bach stammen kann!

Bach zieht hier – als wahrer Meister seines Faches – sämtliche kontrapunktischen Register, so dass nicht nur beeindruckte Zuhörer, sondern auch Musiktheoretiker über diesen Satz einhellig in Begeisterung ausbrechen...!

Das Besondere an den hier vorgestellten Michaeliskantaten Bachs ist die prachtvolle Orchesterbesetzung und vor allem die energiegeladenen, kraftvollen Chorsätze, die die Macht des von St. Michael angeführten Engelsheers eindrucksvoll illustrieren. Wer also ein paar besonders schöne, (leider) nicht ganz so bekannte Bach-Kantaten einmal näher kennenlernen möchte, dem seien gerade diese hier besonders an Herz gelegt!

Neben den schon etwas älteren Aufnahmen, die unter der Leitung von Helmuth Rilling entstanden sind, möchte ich hier vor allem die mitreißenden Einspielungen unter John Eliot Gardiner empfehlen (entstanden im Rahmen seiner legendären Bach Pilgrimage, die er im Bach-Jahr 2000 unternommen hat), die jeder akademischen Nüchternheit fern sind und dem Geist dieser Musik durch ihre Lebendigkeit und Direktheit sehr nahekommen!

In diesem Sinne also: A happy Michaelmas!!!

Mittwoch, 26. September 2012

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Organist Wolfgang Abendroth spielte das heutige Mittagskonzert wieder einmal vom mobilen Fernspieltisch der Beckerath-Orgel aus und hatte diesen so positioniert, dass wir ihm von den Bänken aus beim Spielen quasi über die Schulter schauen konnten. Folgendes Programm gab es heute zu hören:

Max Reger (1873-1916)
Sechs Sätze aus den „Neun Stücken“ op. 129
Toccata d-moll, Melodia, Capriccio, Basso ostinato, Präludium und Fuge h-moll

Léon Boëllmann (1862-97)
Drei Sätze aus den „Heures mystiques“ op. 29
Offertoire G-Dur, Elevation G-Dur, Sortie d-moll


Auch wenn er nicht zu den weltberühmten oder doch zumindest prominenten Komponistenjubilaren des Jahres 2012 zählt, wie seine Altersgenossen Claude Debussy oder Frederick Delius, immerhin unter Freunden besonders der französischen Orgelmusik ist sein Name mit Sicherheit bekannt und seine Musik beliebt: Léon Boëllmann.
Der im Elsass geborene (und leider wieder mal viel zu früh verstorbene) Franzose wäre gestern genau 150 Jahre alt geworden und daher habe ich mich sehr gefreut, im heutigen Orgelkonzert (Zufall oder Absicht?) drei Stücke von ihm zu hören!

Diese freundlich-festlichen Kompositionen bildeten einen schönen Gegensatz zu den sechs eher herbstlich-ernsten Stücken aus der letzten (?) Orgelkomposition (entstanden 1913) des deutschen Spätromantikers Max Reger, der sich meines Wissens am Ende seines ebenfalls viel zu kurzen Lebens in seiner Funktion als Kapellmeister in Meiningen hauptsächlich Orchesterkompositionen widmete und die Orgel, die in früheren Jahren wohl sein Hauptbetätigungsfeld gewesen war, so (wahrscheinlich aus Zeitgründen) etwas vernachlässigen musste.
Im Gegensatz zu früheren Orgelkompositionen, die oft sehr pompös, machtvoll und vollstimmig daherkommen, überraschen diese Spätwerke (sofern man bei einem gerade 40-Jährigen schon von „Spätwerken“ sprechen kann) durch einen oft geradezu schlicht anmutenden, im Gegensatz zu älteren Werken deutlich zurückgenommenen Tonfall, dem oft eine etwas geheimnisvolle, verschattete Stimmung anhaftet – also die ideale Musik für einen so regnerisch-trüben Frühherbsttag wie heute!

Donnerstag, 20. September 2012

Ein Abend in der Oper - "La forza del destino" in Köln

Die neue Opernspielzeit 2012/13 ist am vergangenen Wochenende hier in Köln mit der Premiere der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Oper La forza del destino in der Oper am Dom (dem ehemaligen Musical Dome) eröffnet worden.

Gut zwei Wochen zuvor, am 31. August, ist Kölns neue Opernintendantin Birgit Meyer offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Frau Meyer war bisher die Stellvertreterin des unter so unschönen Umständen aus dem Amt ausgeschiedenen Intendanten Uwe Eric Laufenberg (mit dem sich die Stadt Köln immerhin zwischenzeitlich dahingehend geeinigt hat, dass die fristlose Kündigung in eine vorzeitige Vertragsauflösung inklusive einer Abfindungszahlung umgewandelt wurde) und ist mir, ich gebe es gerne zu, in den vergangenen Jahren bislang in dieser Funktion nicht aufgefallen, geschweige denn, dass mir ihr Name etwas gesagt hätte…

Aber das kann (und wird) sich in den kommenden Monaten ja nun mit Sicherheit ändern – die 51-jährige gebürtige Kölnerin hat zunächst Medizin studiert und als Ärztin gearbeitet, bevor sie dann doch noch ein Studium der Theaterwissenschaften begann und vor ihrem Wechsel an die Kölner Oper zuletzt 10 Jahre lang Direktionsmitglied der Wiener Volksoper (immerhin auch kein gerade kleines Haus!) war.

Ihr Vertrag ist zunächst auf drei Jahre befristet und sie wird (sicherlich auch mangels Erfahrung) anders als ihr Vorgänger keine eigenen Inszenierungen in Köln auf die Bühne bringen, sondern sich auf die verwaltende und organisatorische Ebene der Intendantentätigkeit beschränken, was sicher gerade in der aktuell schwierigen finanziellen wie räumlichen Situation mehr als genug an Aufgaben mit sich bringen dürfte!

Vielleicht ist es ganz gut, dass Frau Meyer (der man für ihre neue Aufgabe nur viel Erfolg und ein wirklich glückliches Händchen wünschen kann!) sich nicht auch noch mit eigenen Inszenierungen hervortut, denn mit den für die kommenden Monate längst geplanten, aber durch die plötzliche und kurzfristige „Entfernung“ des bisherigen Intendanten nun nicht mehr realisierbaren Projekten Laufenbergs hat seine Nachfolgerin in der gerade gestarteten Spielzeit schon das erste handfeste Problem zu lösen – das wird noch spannend werden zu verfolgen, wie hier innerhalb kürzester Zeit ganz neue Inszenierungen für den bereits feststehenden Spielplan aus dem Bühnenbretterboden gestampft werden müssen!

Ein Glücksfall (als ob man es geahnt hätte!), dass die aktuelle Spielzeiteröffnung – im Gegensatz zur ersten Premiere der neuen Saison vor 3 Jahren – von vornherein nicht von Herrn Laufenberg inszeniert werden sollte, sondern vom Franzosen Olivier Py! Wäre dies wie damals eine Arbeit des Hausherrn der Kölner Oper geworden (und damit dann eben kurzfristig zu ersetzen gewesen), man hätte die Spielzeiteröffnung wohl verschieben müssen, denn das wäre in der Kürze der Zeit dann beim besten Willen nicht mehr zu schaffen gewesen, hier noch für einen adäquaten Ersatz zu sorgen! So hat man jetzt jedoch noch einen Monat mehr Zeit, denn erst die Mitte Oktober anstehende Premiere von Le nozze di Figaro wäre Laufenbergs erste Inszenierung in der neuen Spielzeit gewesen.

So konnte nun also am vergangenen Sonntag (16.09.) die neue Opernsaison wie ursprünglich geplant eröffnet werden (ein gutes Omen, wie ich hoffe?!?) – passend zum anstehenden großen Komponistenjubiläum in 2013 mit dem Verdi-Klassiker La forza del destino, der 1862 in Sankt Petersburg seine Uraufführung erlebte (am 10. November ist das dann übrigens genau 150 Jahre her!) und 1869 vom Komponisten für Mailand nochmals an einigen Stellen umgearbeitet wurde (diese "Mailänder Fassung" wird jetzt auch hier in Köln gegeben).

Weitere Infos (Besetzung, Aufführungsdaten, Fotos, etc.) gibt es übrigens hier.

Nachdem ich am Dienstagmorgen dann schon von boulevardesken Schlagzeilen an der Bushaltestelle empfangen wurde
Na, wenn das mal keine Schlagzeile ist, die neugierig macht!? Genau das, was die Leute sehen wollen: Sex, Blut, Oper... :-)
beschloss ich, dieser plakativen Aufforderung doch einfach mal nachzukommen und mir meine eigene Meinung über diese Neuinszenierung zu bilden und habe nun gestern Abend die dritte Vorstellung dieser Oper (von der Premiere am Sonntag an gerechnet) besucht.

Zusätzlich gespannt war ich natürlich darauf, wie sich die Kölner Oper im neuen Umfeld des ehemaligen Musical Dome, der nun schon seit 16 Jahren nicht zu übersehenden „blauen Mülltüte“ hinterm Hauptbahnhof, präsentieren würde, in die ich – wie ich gestehen muss – noch nie einen Fuß gesetzt habe (es hat sich bislang einfach nie ergeben), auch wenn ich tagtäglich am unmittelbar davor gelegenen Busbahnhof ankomme und abfahre!

Vor allem auf die akustischen Verhältnisse in diesem „Gebäude“ war ich sehr neugierig, denn neben dem erwähnten Busbahnhof auf der einen Seite der Oper am Dom befindet sich auf der Rückseite die vierspurige Rheinuferstraße und dann direkt daneben natürlich noch der Hauptbahnhof mit allem Drum und Dran! Also eine akustisch ausgesprochen aktive Nachbarschaft, die man sich da ausgesucht hat…

Aber ich muss sagen – ich war wirklich positiv überrascht: Einmal im eigentlichen Theatersaal angekommen, bekommt man von der unruhigen Umgebung dieses ganz besonderen Bauwerks absolut nichts mehr mit! Und im Gegensatz zum Palladium in Köln-Mülheim, das als weitere permanente Ausweichspielstätte der Kölner Oper nun wirklich dermaßen „JWD“ liegt, ist die Oper am Dom verkehrstechnisch ja so perfekt gelegen, dass sich das eigentlich nicht mehr überbieten lässt!

Vom großzügigen und schön gestalteten Foyer aus hat man einen hervorragenden Blick durch die breite Fensterfront auf den direkt vor der Spielstätte vorüberfließenden Rhein – der absolut nüchtern gehaltene Zuschauerraum selbst besteht aus einem Parkettbereich und darüber gibt es noch einen Rang, der sich balkonartig über das hintere Drittel der Parkettreihen und über die gesamte Breite des Saals erstreckt.
Die Bühne selbst scheint mir breiter als die des Opernhauses am Offenbachplatz zu sein, dafür verfügt der Bühnenraum dem Anschein nach nicht über die Tiefe der Bühne im „regulären“ Opernhaus.

Im Rahmen des Umbaus des Musical Dome wurde im Frühjahr ein Orchestergraben angelegt, der hier bislang anscheinend nicht benötigt wurde – da ich zu „Musicalzeiten“ jedoch nie vor Ort gewesen bin, kann ich leider nicht beurteilen, wo man seinerzeit das Orchester/ das Begleitensemble/ die Band (oder wie immer man das bei den verschiedenen Musicalproduktionen, die hier gespielt wurden, genannt haben mag) platziert hatte.
Jedenfalls ist der neu geschaffene Orchestergraben für mein Dafürhalten definitiv zu tief geraten!
Wenn man im Opernhaus am Offenbachplatz einen Platz im Parkett hatte, konnte man trotzdem ansatzweise noch einige Orchestermusiker (zumindest Teile von ihnen) sehen – wenn man auf einem der Ränge saß, hatte man ja sowieso einen Panoramablick auf das ganze Orchester! Aber den Dirigenten (Kopf und Schulterpartie), der ja auf einem Podest vor seinen Musikern steht, sah man von jedem Platz aus.
In der Oper am Dom ist nun der Orchestergraben so tief geraten, dass man vom Orchester nichts zu sehen bekommt (wie es vom Rang aus ist, habe ich allerdings noch nicht nachprüfen können) und vom Dirigenten maximal die Spitze seines Dirigentenstabs, wenn er ihn gerade einmal hoch über seinem Kopf schwenkt!
Das ist eine komische, irgendwie steril anmutende Angelegenheit, dass man optisch vom Orchester so gar nichts mitbekommt (wir sind hier schließlich nicht in Bayreuth!) – es führte dann auch zu der ungewohnten Situation, dass man vom unvermittelten Beginn der Ouvertüre überrascht wurde.
In der Regel ist es ja so, dass der Dirigent, wenn er sich unmittelbar vor Beginn der Vorstellung an seinen Platz begibt, mit einem freundlich-erwartungsvollen Applaus begrüßt wird. Das blieb gestern aus, weil ihn schlichtweg niemand hat kommen sehen!
So begann dieser Opernabend also quasi mit einem unerwarteten „Kaltstart“ – die Akustik in der Oper am Dom ist soweit zufriedenstellend, ich finde sie allerdings furchtbar trocken!

Und was ich am neuen, deutlich „tiefergelegten“ Orchestergraben am bedenklichsten finde, ist die Tatsache, dass das Orchester, das einem da aus der Tiefe entgegenschallt, meinem persönlichen Empfinden nach dadurch deutlich an Schlagkraft eingebüßt hat! Gerade während der berühmten Ouvertüre zur Macht des Schicksals fand ich, dass vor allem die dramatischen Passagen, wo auch Pauken & Co. ordentlich zum Einsatz kommen, irgendwie kraftloser rüberkamen, als ich es bislang vom regulären Opernhaus her kannte, wo einen die unvergleichliche Wucht eines Live-Orchesters in der Regel immer packt und mitreißt. Aber jetzt wirkte alles, was einem da so vom ansonsten tadellos aufspielenden Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Will Humburg (der Anfang 2011 in Köln auch schon die Aida dirigiert hatte) entgegenschallte, seltsam distanziert und das kann ja nicht nur daran gelegen haben, dass man diesmal keinen der Musiker zu Gesicht bekam…

Ob wohl nur ich das so empfunden habe?

Wie war nun die Vorstellung? Um es in einem Wort kurz und bündig auszudrücken: Ernüchternd!

Das lag jetzt nicht unbedingt an der Regiearbeit des Franzosen Olivier Py, der zusammen mit seinem Ausstatter Pierre-André Weitz für eine insgesamt recht solide Inszenierung sorgte – ich vergleiche hier natürlich vor allem mit der letzten Kölner Forza del destino vom Frühjahr 2006 (also vor gar nicht einmal sooo langer Zeit), die dermaßen abstrakt inszeniert war, dass fast nichts mehr von dem, was laut gesungenem Text gerade auf der Bühne passieren sollte, dort auch tatsächlich stattfand. Ich war damals ziemlich enttäuscht und desillusioniert, wie man eine Oper dermaßen gegen ihre eigene Handlung und Musik inszenieren konnte – egal, was ursprünglich an Handlung vorgesehen war, Hauptsache, das einmal gefundene Regiekonzept wurde gnadenlos durchgezogen!

Davon ist die aktuelle Kölner Forza del destino zum Glück weit entfernt: Es gibt ein räumlich fassbares Bühnenbild (und keine abstrakten geometrischen Formen, die sich über die ganze Bühne erstrecken), das in der Hauptsache aus einer Treppe besteht, die sich über die gesamte Bühnenbreite erstreckt und dem in beeindruckend großer Zahl aufgebotenen Personal, bestehend aus Chor, Extrachor und Statisterie der Kölner Oper, genügend Platz bietet, sich in optisch wie akustisch ansprechender Weise immer wieder neu zu postieren. Chor und Extrachor waren gut einstudiert und präzise in den zahlreichen Einsätzen, da gab es nichts zu bemängeln! Etwas überflüssig fand ich es allerdings, dass man Teile des Chors mehrfach - jeweils deutlich erkennbar als Pilger, Soldaten und später dann noch als Kriegsflüchtlinge - durch den Zuschauerraum schickte. Dieses beliebte "Stilmittel" hat meiner Meinung nach wenig Nutzen (soll das Publikum sich dadurch noch mehr in die Handlung einbezogen fühlen, oder was?) und bringt immer unnötige Unruhe in das Ganze.

Auf der Ebene oberhalb der Treppe sind die Kulissen nahezu während der gesamten Vorstellung (immerhin etwas mehr als 3 Stunden inkl. einer Pause!) in einer langsamen, aber steten Bewegung: Da ziehen lautlos an alte Fabrikhallen erinnernde Gebäude und Hallen (oder auch Teile davon, die trist und wie ausgebrannt wirken) von links nach rechts am Zuschauer vorbei und werden regelmäßig ins aktuelle Bühnengeschehen mit einbezogen, dienen also mal als Kloster, mal als Lazarett, mal als Wirtshaus, usw.

In der Ebene dahinter kann man diese Kulissenelemente dann in der entgegengesetzten Richtung vorbeiziehen sehen, bevor sie dann – oft leicht abgewandelt und mit ein paar veränderten Requisiten bestückt – erneut ihren Weg über die Bühne beginnen. An sich eine ziemlich raffinierte Idee.

Dieses Element der steten, schier endlos erscheinenden, sich irgendwie immer wiederholenden Bewegung ist eines der zentralen Stilmittel dieser Inszenierung – nicht ohne Zufall trifft man an verschiedenen Stellen der Bühne oder der Kulissen immer wieder auf große, sich langsam und unaufhörlich drehende Räder (die passend zur Industriekulisse an die großen Räder auf den Fördertürmen von Kohlezechen erinnern): Der Regisseur will damit wohl an so etwas wie das sich unerbittlich drehende Schicksalsrad der Fortuna erinnern (ein Motiv, das man vor allem wohl aus Orffs Carmina burana kennen dürfte) und daran, dass sich zwar alles unaufhörlich und unaufhaltsam immer weiterentwickelt, aber letztlich alles irgendwie immer wiederholt, getreu dem Motto: „Die Menschen lernen nie dazu und ändern sich sowieso nie!“

Das ist eine recht fatalistische Sichtweise, die aber zumindest zu einer Oper wie Die Macht des Schicksals sehr gut passt und die auch optisch ganz treffend umgesetzt wurde, das muss man dem Regisseur schon lassen.

Passend hierzu werden im Bühnenhintergrund auf eine als eine Art Horizont oder Himmel dienende Leinwand ebenfalls sich stets ganz langsam verändernde trostlos-graue Landschaften, mit weiteren Industrieruinen und Strommasten (die beziehungsreich an Kruzifixe erinnern) sowie düsteren, von Blitzen durchzuckten Wolken, projiziert.

Die ganze Bühne ist also –passend zur „schröcklich-grausigen“ Handlung dieser Oper - eine depressiv stimmende Orgie der Trostlosigkeit in den verschiedensten Schwarz- und Grautönen, farblich perfekt passend dazu die an spätes 19. bzw. frühes 20. Jahrhundert erinnernden Kostüme!

Der einzige „Lichtblick“ in dieser Ödnis ist – im wahrsten Sinne des Wortes – ein strahlender Kronleuchter, der ab und an vom Bühnenhimmel in den Vordergrund herabgelassen wird (und die ständig an ihren schicksalhaften Verstrickungen leidenden Protagonisten offenbar an bessere, aber eben unwiederbringlich vergangene Zeiten erinnern soll).
Farblich bringt hingegen allein das gelegentlich an einigen Darstellern mehr oder weniger exzessiv angebrachte Blut eine – mit Sicherheit beabsichtigte – Abwechslung in das triste Einerlei.

Überhaupt – die Handlung!

Musikalisch ist La forza del destino „Verdi at his best“ (um es mal so salopp auszudrücken), da gibt es keine Frage – aber die Handlung dieser Oper strotzt nur so vor dem, was man als typische Opernklischees bezeichnen würde! Ich habe mich hier neulich noch über die Handlung von Ernani mokiert, aber La forza del destino ist eigentlich noch viel schlimmer!
Wenn diese wunderbare Verdi-Musik dazu nicht wäre, würde man dieses Stück heutzutage mit Sicherheit nicht mehr aufführen, denn diese ganze ewige Blutrache-Schwörerei (vor allem die Figur des Don Carlo nervt damit im Verlauf des Stückes mehr und mehr!), das permanente, exzessive Leiden der titelgerecht vom Schicksal mächtig gepeinigten Figuren und nicht zuletzt die völlig unwahrscheinlichen und unlogischen Umstände, unter denen sich die Protagonisten (wie auch die Nebenfiguren) in dieser Oper ständig erneut über den Weg laufen, mögen im 19. Jahrhundert das Publikum ja vielleicht noch beeindruckt haben, heute wirkt das alles nur noch unfreiwillig komisch, anders kann man das leider nicht sagen! Das Pärchen neben mir kommentierte dann auch überflüssigerweise sämtliche besonders skurrilen Aktionen und Szenen regelmäßig mit impertinentem Gekicher… *augenroll*

Daher beneide ich auch keinen Regisseur, der sich dieser zwangsläufig recht undankbar ausfallenden Aufgabe zu widmen hat! Ich wüsste nicht, wie man diese Handlung für ein heutiges Publikum rüberbringen sollte, um hier nicht permanent unfreiwillige Heiterkeit zu erwecken.
Vielleicht als historisches, in bunten Kostümen aufwändig verkleidetes Ausstattungsspektakel, das dadurch eine gewisse geschichtliche Distanz entstehen lässt, die Handlungselemente wie Racheschwüre, Flüche, Zweikämpfe auf Leben und Tod, etc. etwas plausibler erscheinen lassen?

Denn das ist leider eine Falle, in die wohl die meisten Regisseure tappen dürften (so auch Olivier Py), die sich an eine Neuinszenierung dieser Oper wagen: Der Versuch, die eigentlich Mitte des 18. Jahrhunderts spielende Handlung durch Aktualisierungen mehr oder weniger in unsere Gegenwart zu verlegen, kann eigentlich nur schiefgehen und unglaubwürdig bleiben, da viele Elemente, wie zum Beispiel die Klosterszenen, heute so einfach nicht mehr funktionieren, aber weglassen, bzw. einfach ignorieren kann man sie natürlich auch nicht, da sie für den Fortgang der Handlung zu elementar sind.

Hinzu kommt, dass die in dieser Oper ja sehr ausführlichen Szenen, die das Soldaten- und Lagerleben schildern, Verdi eigentlich nur als Vehikel dienen, die wechselvolle Beziehung der beiden männlichen Protagonisten Don Carlo und Alvaro zu schildern. Dass ihm hierbei viele wirklich gelungene musikalische Nummern vor allem für die zahlreichen Nebenfiguren geglückt sind, macht die Oper nur noch hörenswerter, das Problem ist dabei jedoch, dass die ganze (musikalische) Schilderung des Soldatenmilieus von einer für das 19. Jahrhundert nicht untypischen, aus heutiger Sicht jedoch sehr naiv-positiven Grundeinstellung ausgeht: Soldat zu sein und in die Schlacht zu ziehen wird hier als eine Art großes Abenteuer geschildert, zwar gefahrvoll, aber auch voller spannender, abwechslungsreicher Möglichkeiten, die einem auch die Chance bieten, zu Ruhm, Ehre und Ansehen zu gelangen.
Eine solche Ansicht kann in unserer heutigen Zeit wohl niemand mehr nachvollziehen, aber wenn man sich die Musik anhört, die Verdi zu solchen Szenen komponiert hat, dann muss man feststellen, dass sie aus einer Zeit stammt, in der man zu dieser ganzen Thematik noch eine komplett andere Einstellung hatte!
Ein grundsätzliches Problem, das es übrigens nicht nur hier, sondern auch noch in einigen anderen Opern des 19. Jahrhunderts gibt (und das moderne Regisseure wahrscheinlich regelmäßig Schwierigkeiten bereitet), als weiteres Beispiel sei hier nur Donizettis Oper Die Regimentstochter aus dem Jahr 1840 genannt.

Und da wohl die meisten Regisseure mit dieser allzu sorglos-naiven Einstellung der ganzen, wie erwähnt in der Forza del destino eh nur als eine Art Kulisse dienenden Kriegsthematik ganz offensichtlich nicht umgehen können (oder wollen), wird dann das übliche, (viel zu) oft schon auf der Bühne gesehene Kriegsschreckens-Szenario aus dem Beutel gezogen: Raub, Brandschatzung, Vergewaltigung, sinnloses Töten, etc.

So natürlich auch in der aktuellen Kölner Inszenierung von Monsieur Py geschehen…

Ich glaube, man kann davon ausgehen, dass allen heutigen Zuschauern bewusst ist, wie diese ganze Kriegs- und Soldatenthematik moralisch einzuordnen ist – da dürften die meisten wohl auf der gleichen Wellenlänge liegen, wie die Regisseure, die hier gern, mal mehr, mal weniger drastisch den erhobenen Zeigefinger und die Moralkeule schwingen. Deswegen überrascht es mich, dass trotzdem immer wieder der Drang vorzuherrschen scheint, das Publikum hier stets aufs Neue "überzeugen" zu müssen von Dingen, über die sich eh alle längst einig sind – das Ganze ist also eigentlich völlig überflüssig!

Wir hatten mehr oder weniger dieselben Bilder und Szenen allein hier in Köln im vergangenen Jahr schon im Rinaldo oder (natürlich) in Krieg und Frieden. Aber während in letztgenannter Oper zumindest auch der Komponist versucht, den Schrecken und die Sinnlosigkeit des Krieges zu beschreiben, funktionieren dieselben Bilder gerade in der Macht des Schicksals nicht:

Es wirkt albern oder unglaubwürdig – bestenfalls grotesk – wenn zum Beispiel die in der Kölner Inszenierung irgendwo zwischen Wahrsagerin, Marketenderin und Puffmutter changierende Zigeunerin Preziosilla zu ihrer eigenen standrechtlichen Erschießung geführt wird und dabei ein fröhliches, vom Chor begleitetes Soldatenliedchen zu trällern hat – wo bleibt da der Sinn des Ganzen? Wen soll so etwas beeindrucken, so etwas versteht doch niemand, wenn zwischen Musik und szenischer Handlung eine solche Diskrepanz besteht!?!

Ach, was rege ich mich auf, so ist eben das, was man heute als „Regietheater“ bezeichnet – dass aber wirklich fast ausnahmslos jeder Regisseur über solche eigentlich völlig offensichtlichen Fallstricke stolpert, erstaunt schon. Man hat manchmal wirklich den Eindruck, dass solche Leute sich nicht eingehend genug mit der Partitur beschäftigt haben, die so manche Antwort auf manches vermeintliche Inszenierungsproblem liefern würde, wenn man nur mal sorgfältig hinhören würde…

Apropos „Hinhören“ – nun noch schnell ein paar Kommentare zu den Sängerinnen und Sängern des gestrigen Abends:

Adina Aaron, die aus Florida stammende Darstellerin der Leonora (die mir bereits als Vitellia im Titus so gut gefallen und die Anfang 2011 auch als Aida in Köln auf der Bühne gestanden hatte), war wirklich grandios: Eine leidenschaftliche, nie überzogen sondern stets glaubwürdig agierende Darstellerin mit einer raumfüllenden, ganz wundervollen Sopranstimme! Es war eine Freude, sie auf der Bühne zu erleben und man hätte sich noch ein paar Auftritte mehr von ihr gewünscht!

Das konnte man leider, leider von den beiden männlichen Protagonisten, Enrique Ferrer als Alvaro und Anthony Michaels-Moore als Don Carlo, nicht behaupten:
Beide wirkten durchweg sehr angestrengt bis überfordert und mussten des Öfteren forcieren. Anthony Michaels-Moore hatte stellenweise Mühe, sich gegen das Orchester durchzusetzen, seine Solostellen schienen ihn hör- und sichtbar große Anstrengung zu kosten und Enrique Ferrers eigentlich recht kraftvoller Tenor war von einem steten, unangenehm auffallenden Vibrato begleitet. Seine Stimme klang nicht gepresst (was man gern auch als „geknödelt“ bezeichnet), sondern irgendwie gurgelnd (ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll) - es hat mir wahrlich kein allzu großes Vergnügen bereitet, ihm bei seinem Gesang zuzuhören. Vielleicht hatte er auch einfach nur einen schlechten Tag? Ich weiß es nicht...

Von den zahlreichen dankbaren Nebenrollen dieser Oper gefiel mir Patrick Carfizzi als ulkiger Mönch Fra Melitone sängerisch wie darstellerisch sehr gut, aber auch Liang Li als Padre Guardiano war mit seinem sonoren Bass wirklich nicht übel!

Die an der Kölner Oper vielfach in ganz unterschiedlichen Rollen zu erlebende Dalia Schaechter, die ich sonst eigentlich immer ganz gut fand, hat mich in der Rolle der Preziosilla leider eher weniger überzeugt. Ihre Stimme wirkte gestern irgendwie kraftloser und „flattriger“ als ich sie in Erinnerung hatte.

Das Publikum in der höchstens zu zwei Dritteln ausgelasteten Aufführung konnte sich im Übrigen von der präsentierten Vorstellung auch nicht allzu sehr begeistern lassen: Es gab kaum einmal Zwischenapplaus und wenn, dann fiel er, genau wie der Schlussbeifall, eher sparsam und zurückhaltend bis distanziert aus. Der Funke wollte also irgendwie nicht überspringen, was aber, wie ich hier darzustellen versucht habe, an mehreren Faktoren gelegen haben und nicht nur auf die Inszenierung oder die etwas überforderten Herren in den Hauptrollen allein zurückzuführen gewesen sein dürfte.
Deswegen auch mein bereits erwähntes persönliches Fazit „Ernüchternd“!

Ach ja – was die eingangs zitierte Schlagzeile der Boulevard-Presse angeht:

Die „gefeierte blutige Kölner Sex-Oper“ entpuppte sich also als eine wenig begeisternde (und damit feiernswerte) Operninszenierung, in der vielleicht während 10 oder 15 Minuten (von etwas mehr als 3 Stunden) einige leichtgeschürzte, in typischer „Berufsbekleidung“ gewandete Damen die Huren gaben, die im Feldlager den Soldaten ihre Dienste anboten, was auf der Bühne dann auch wieder mal angedeutet wurde (*gähn*) und wobei auch der ein oder andere Busen unverhüllt zu sehen war.
Ach ja – und Theaterblut habe ich in –zig anderen Stücken schon weitaus reichlicher fließen sehen, als gerade in dieser Inszenierung… soviel also zur Erläuterung dieser wirklich maßlos übertriebenen Schlagzeile.

Allerdings – hätte hier irgendjemand ernsthaft etwas anderes erwartet…? ;-)

Mittwoch, 19. September 2012

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Wie in der vergangenen Woche spielte auch heute wieder Andreas Petersen für uns das Mittagskonzert. Er hatte seine Programmauswahl unter das Motto Bach & „Lobe den Herren“ gestellt:

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Fantasie und Fuge g-moll BWV 542
Choralbearbeitung „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ BWV 622

Hans Friedrich Micheelsen (1902-73)
Choralbearbeitung über „Lobe den Herren“

J. S. Bach
Choralbearbeitung über „Lobe den Herren“ BWV 650
(eigentlich "Kommst du nun, Jesu, vom Himmel herunter")
aus den Schübler-Chorälen

Johannes Matthias Michel (geb. 1962)
Choralbearbeitung über „Lobe den Herren“

Johann Gottfried Walther (1684-1748)
Choralbearbeitung über „Lobe den Herren“

Max Reger (1873-1916)
Choralbearbeitung über „Lobe den Herren“ aus op. 67


Nach der ausgesprochen dramatisch und harmonisch kühn beginnenden Fantasie und Fuge g-moll und der besinnlich-ruhigen Choralbearbeitung über „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ konnte man heute sehr schön erleben, was man aus vermeintlich einfachen Melodien (in diesem Fall eben der sehr bekannte Choral „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“) so alles an Ideen und Variationen rausholen kann:
Anhand von fünf Choralbearbeitungen über diese Melodie aus so unterschiedlichen Epochen wie Barock, Spätromantik bis hin zur jazzig angehauchten Gegenwart stellte unser Organist dies heute eindrucksvoll unter Beweis.

Mittwoch, 12. September 2012

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Gastorganist Andreas Petersen, Kantor und Organist der Düsseldorfer Friedens-Kirchengemeinde spielte im heutigen Mittagskonzert folgendes Programm für uns:

Antonio Vivaldi (1678-1741)
Concerto h-moll
(für die Orgel bearbeitet von Johann Gottfried Walther [1684-1748])

Olivier Messiaen (1908-92)
Très lent
Aus dem Diptyque („Essai sur la vie terrestre et l’éternité bienheureuse“)

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Präludium und Fuge C-Dur BWV 547


Nach dem dreisätzigen Konzert von Vivaldi, das bereits von seinem Zeitgenossen, dem Weimarer Organisten und Bach-Freund Johann Gottfried Walther für die Orgel bearbeitet worden war (ohne es nachgeprüft zu haben, gehe ich mal davon aus, dass es sich bei dem Original-Konzert um eines für die Violine gehandelt haben dürfte), bildete das wunderbar meditative „Très lent“ von Messiaen das Zentrum des heutigen Konzerts. Das gut achtminütige Stück ist in der für Messiaen so ganz typischen, unverwechselbaren Tonsprache komponiert und entfaltete seine entspannende Wirkung bereits nach wenigen Takten.
Zum Abschluss gab es wieder mal einen gern gehörten, festlichen „Bach-Klassiker“ mit einem Fugenthema, das ich den ganzen restlichen Nachmittag noch vor mich hingesummt habe – zum Glück, denn da gibt es weiß Gott schlimmere und weitaus nervigere „Ohrwürmer“, denen ich in der Regel bevorzugt zum Opfer falle… ;-)

Sonntag, 9. September 2012

Die CD-Cover-Galerie (2)

Auch heute möchte ich wieder zwei CD-Cover vorstellen – ein besonders gelungenes und ein eher nichtssagendes (um es jetzt mal vorsichtig auszudrücken).

Im Zeitraum 2002 bis 2004 ist bei SONY Classical die Reihe Music for you erschienen, die sich allein schon dadurch auszeichnete, dass in diesem Programm unter den (wieder-)veröffentlichten Titeln zur Abwechslung einmal nicht (nur) die „üblichen Verdächtigen“ vorzufinden waren, sondern auch Musik von eher selten zu hörenden Komponisten (z. B. der Franzose Edouard Lalo), bzw. nicht so häufig gespielte Titel aus dem Schaffen bekannterer Tonkünstler (z. B. Tschaikowskys Klavierzyklus „Die Jahreszeiten“ op. 37b).

Gemeinsames Gestaltungsmerkmal dieser sich sehr puristisch-elegant gebenden Reihe (alle CDs waren zusätzlich in motivgleichen Pappschubern verpackt) war die auffällige Covergestaltung: Präsentiert wurde jeweils eine künstlerisch hochwertige Fotografie, die zum Teil durch ungewöhnliche Perspektiv- oder Farbwahl, bzw. eine besonders originelle Motivwahl dem Betrachter (und potentiellen Käufer) direkt ins Auge fiel.

Das von mir hier präsentierte Cover zeigt eine Fotografie von Mark Citret und trägt den Titel “Fiat 500“.
Die Musik auf dieser im Jahr 2004 erschienenen CD, die den passenden Titel “Italian Album“ trägt, besteht aus einigen italienischen Flötenkonzerten des 18. Jahrhunderts (u. a. von Vivaldi, Sammartini und Cimarosa), die der französische Flötist Jean-Pierre Rampal, begleitet von verschiedenen Instrumentalensembles, in den 1980er Jahren eingespielt hat.

Das Covermotiv hat mich sofort angesprochen (auch wenn es zugegebenermaßen mit der barock-frühklassischen Flötenmusik der eigentlichen CD nichts zu tun hat) – die hier eingefangene pittoreske Szene symbolisiert für mich eine typisch italienische Stadtatmosphäre, die ich wunderbar stimmig finde.
Dass die hierzu „mitgelieferte“ Musik dann zufälligerweise auch noch eine schöne Ergänzung meiner Sammlung bildete, machte mir seinerzeit die Kaufentscheidung doppelt leicht…

Eine bei PHILIPS Anfang der 1990er Jahre erschienene Low-Budget-Serie mit dem Titel Laser Line Classics warb damit, dass alle in dieser Reihe erscheinenden Aufnahmen in der damals ja auch gerade einmal etwas mehr als 10 Jahre alten Digitaltechnik erfolgt seien (also in „DDD“, wie das damals immer beworben wurde!), was für die günstigen CDs einer Low-Budget-Serie zu der Zeit noch nicht ganz so selbstverständlich war, da die neueren Digitalaufnahmen zumindest bei den großen Major-Labels damals in der Regel fast ausschließlich nur zu deutlich höheren Preisen angeboten wurden und in den günstigeren Preissegmenten dieser Labels sich in Regel nur ältere, noch in Analogtechnik entstandene Einspielungen wiederfanden.

Soweit, so gut - allerdings hat man dann, wenn ich mir das nichtssagende Booklet und das wirklich billig wirkende Cover dieser CD mit Aufnahmen von verschiedenen Instrumentalkonzerten Joseph Haydns so ansehe, wirklich an allem anderen gespart, was nur irgendwie möglich war!
Wenigstens ist die Hauptsache an dieser CD (die enthaltenen Haydn-Konzerte) eine gelungene und runde Sache geworden; das lieblose Cover, das aussieht, als hätte es irgendein VHS-Kursteilnehmer am ersten Abend der Veranstaltung „Digitales Gestalten für Anfänger“ mal eben spontan so zusammengeklickt, hätte man sich jedenfalls sparen können! Was das Ganze mit Haydns Musik zu tun haben soll, ist mir absolut schleierhaft, da gibt es ja mehr Bezugspunkte zwischen der Flötenmusik und dem Covermotiv beim oben vorgestellten Fiat 500!

Wahrscheinlich soll das Ganze Modernität und digitale Computertechnik versinnbildlichen, aber da war man auch vor 20 Jahren doch schon einen deutlichen Schritt weiter, als das, was man hier dem potentiellen Käuferpublikum präsentiert hat, oder?

Und so bleibt nur festzustellen:
Die heute zuerst vorgestellte CD war eine, die ich mir wegen, die zweite eine, die ich mir trotz ihres Covers gekauft habe!

Mittwoch, 5. September 2012

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute war Thorsten Göbel, Kantor der evangelischen Kirchengemeinde in Düsseldorf-Oberkassel, unser Gastorganist und er setzte wieder einmal den mobilen Spieltisch der Beckerath-Orgel in der Johanneskirche ein (ich hatte über diese neue technische Errungenschaft bereits berichtet) – in der Mitte des Kirchenschiffs stand der Spieltisch heute und es ergab schon eine besondere Atmosphäre, dass der Organist inmitten seines Publikums Platz nehmen und sich dort musikalisch betätigen konnte.

Folgendes Programm (in dem heute auch zwei Stücke mit Düsseldorfer Lokalbezug vertreten waren) gab er heute zu hören:

Norbert Burgmüller (1810-36)
„Romanze“ aus der Klaviersonate f-moll op. 8
(für die Orgel bearbeitet von Thorsten Göbel)

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-47)
Trauermarsch a-moll op. 103

Marcel Dupré (1886-1971)
Cortège et Litanie op. 19

Louis Vierne (1870-1937)
Carillon
Scherzo aus der Orgelsinfonie Nr. 2 op. 20


Der tragisch früh verstorbene Norbert Burgmüller (er wurde am 8. Februar 1810 in Düsseldorf geboren und ist damit einer der zahlreichen unbekannteren Jubilare des vorvergangenen Jahres!) war einer der beiden Söhne des ersten städtischen Musikdirektors Düsseldorfs, Friedrich August Burgmüller (1766-1824) und wie sein Vater und Bruder war auch er als Komponist und Musiker tätig. Die heute gespielte Romanze aus seiner Klaviersonate überraschte durch einen unerwartet düster-bewegten Mittelteil, der jedoch von zwei erwartungsgemäß lyrisch-romantischen Teilen gerahmt wurde. Ein originelles Stück (auch die beiden Sinfonien Norbert Burgmüllers sind sehr zu empfehlen, schade um diesen jung verstorbenen, vielversprechenden Künstler!)

Felix Mendelssohn war von 1833-35 Generalmusikdirektor in Düsseldorf und lernte Norbert Burgmüller während dieser Zeit kennen und schätzen. Nach dessen frühen, überraschenden Tod komponierte Mendelssohn einen Trauermarsch, der während des Begräbniszuges durch die Stadt gespielt wurde. Der melodiöse Mittelteil enthält eine Melodie, die ein wenig an das bekannte Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“ erinnert. Der eigentlich für Orchester komponierte Marsch wurde von Mendelssohns Schüler Schwab für Orgel bearbeitet.

Nach der effektvoll zum strahlenden Finale hin gesteigerten, 1921 entstandenen Cortège et Litanie von Marcel Dupré, gab es zum Abschluss noch zwei Stücke seines Landsmanns und langjährigen Organisten von Notre-Dame de Paris, Louis Vierne:
Das klangprächtige Carillon (die Nachahmung eines charakteristischen Glockengeläuts, in diesem Falle einer kleinen Schlosskapelle aus Nordfrankreich) und das flink dahin eilende Scherzo aus der 1902 entstandenen 2. Orgelsinfonie op. 20.

Sonntag, 2. September 2012

Zuletzt gehört...

Ernani, uraufgeführt am 9. März 1844 im Teatro La Fenice in Venedig und basierend auf einem Schauspiel des französischen Dichters Victor Hugo aus dem Jahr 1830, ist die fünfte Oper des zu dieser Zeit gerade einmal dreißigjährigen Giuseppe Verdi (1813-1901).

Auf den Tag genau zwei Jahre zuvor, am 9. März 1842, hatte er mit der Uraufführung des Nabucco an der Mailänder Scala seinen Durchbruch erzielt und der Ernani, der ebenfalls direkt ein großer Erfolg wurde, stellt nun einen weiteren wichtigen Schritt in der Entwicklung Verdis zum führenden Opernkomponisten Italiens dar.

Wo im Nabucco vieles noch etwas grobschlächtig und holzschnittartig wirkt (ohne dieser Oper ihre ganz eigene Qualität absprechen zu wollen), ist im Ernani bereits deutlich zu erkennen, was man später als „typisch Verdi“ bezeichnen wird: Eingängige Melodien, zündende Ensemble- und Chorszenen (wie man sie zum Beispiel auch aus dem Troubadour kennt), wunderbar lyrische Passagen (vor allem natürlich für den Titelhelden Ernani und seine Geliebte Elvira).

Ernani hat einfach alles, was man von einer klassischen italienischen Oper des 19. Jahrhunderts erwartet (inklusive der hanebüchenen Handlung, aber wen interessiert die schon bei soviel wunderbarer Musik?) – Verdi mag zwar noch nicht ganz der Komponist seiner Meisterwerke wie La Traviata, Rigoletto oder Un ballo in maschera sein, aber seine Musik verfügt nun über diese wunderbare Mischung aus „Schmissigkeit“, melodiöser Eingängigkeit und dramatischer Kraft, so dass man beim Zuhören einfach nur Freude hat und sich spontan wie im Italienurlaub fühlt - so geht es mir jedenfalls beim Anhören dieser Oper!

Leider wird der Ernani nicht so häufig aufgeführt, wie es diese ausgesprochen gelungene Musik eigentlich verdient hätte - liegt vielleicht doch an der skurrilen Handlung mit ihrem seltsamen Schluss, wo sich der Titelheld freiwillig erdolcht, bloß weil er sich an einen zuvor dem Schurken dieser Oper gegenüber geleisteten Eid gebunden fühlt?

Ich besitze dafür aber eine wirklich schöne Aufnahme aus dem Jahr 1967, die beim Label RCA erschienen ist:

Ernani: Carlo Bergonzi
Donna Elvira: Leontyne Price
Don Carlo: Mario Sereni
Don Ruy Gomez de Silva: Ezio Flagello
Don Riccardo: Fernando Iacopucci
Iago: Hartje Müller
Giovanna: Julia Hamari
RCA Italiana Opera Orchestra and Chorus
Dir.: Thomas Schippers


In den 1960er Jahren hat Thomas Schippers die Oper Ernani gleich drei Mal eingespielt, darunter zweimal mit Carlo Bergonzi und einmal mit Franco Corelli in der Titelrolle. Und auch Leontyne Price war hierbei jedesmal als Donna Elvira mit von der Partie, Mario Sereni immerhin auch noch ein weiteres Mal. Man kann also von einem eingespielten und routinierten Ensemble sprechen, das sich hier im Juli 1967 in Rom (nach zwei vorangegangenen Aufnahmen im Rahmen von Live-Aufführungen an der New Yorker Met 1962 und 1965) für diese Studioproduktion zusammengefunden hat.

Und ich finde, man hört diese Routine (im besten Sinne) der Aufnahme auch an: Alle Beteiligten sind in ihrem Element und füllen ihre Partien mit Leidenschaft und Hingabe.

Allen voran Carlo Bergonzi, dessen jugendlicher Tenor einen wunderbaren Schmelz verströmt – da „scheppert“ oder „knödelt“ nichts – es macht Spaß, ihm zuzuhören!
Auch Leontyne Price bringt eine wirklich beeindruckende Leidenschaft und Intensität rüber – vor allem ihre Soli verfehlen ihre Wirkung nicht!

Auch die übrigen Solisten, Chor und Orchester überzeugen, so dass diese Opernaufnahme einen wirklich guten Eindruck dieser frühen Verdi-Oper hinterlässt und ich sie immer wieder gerne anhöre, wenn mir der Sinn nach einer richtig schönen, typischen Opera all’italiana mit allem, was dazugehört, steht!

Einziger Schönheitsfehler sind die leider an ein paar Stellen etwas unglücklich zu hörenden Schnitte verschiedener Aufnahmesitzungen, die teilweise etwas unsensibel zusammengefügt wurden…

Aber naja: Nobody’s perfect!
Dafür stimmt am Rest dieser immerhin ja auch schon 45 Jahre alten Einspielung so ziemlich alles, da kann man über solche Kleinigkeiten dann auch großzügig hinwegsehen, finde ich!