Freitag, 27. Mai 2011

Oper Köln - Ausblick auf die Spielzeit 2011/12

Als ich neulich in der aktuellen Rinaldo-Inszenierung im Kölner Opernhaus war, habe ich mir gleich mal das brandneue Programm für die Spielzeit 2011/12 mitgenommen.
Was zu Beginn der jetzt allmählich zu Ende gehenden aktuellen Spielzeit seinen Anfang nahm, nämlich das Ausweichen an verschiedene Spielorte im Stadtgebiet, wird auch in der neuen Spielzeit seine Fortsetzung finden.

Das bereits bewährte Motto "Oper in Bewegung" wird (angereichert um den augenzwinkernden Slogan "Kommen Sie mit!") beibehalten; im Vergleich zur Spielzeit 2010/11 wird es in der kommenden Saison allerdings neben den auch weiterhin bespielten angestammten Spielstätten (Opernhaus am Offenbachplatz und Kinderoper in der Südstadt) jedoch deutlich weniger Ausweichspielorte geben, nämlich das bereits bewährte Palladium in Mülheim, das Oberlandesgericht am Reichenspergerplatz und dann die "Oper am Dom".
Hinter diesem noch etwas nebulösen Begriff, der im Moment wahrscheinlich noch den wenigstens Kölnern etwas sagen dürfte, verbirgt sich nichts anderes als der Musical Dome, der seit 1996 mit seinem markanten blauen Zeltdach direkt hinter dem Hauptbahnhof am Breslauer Platz steht und ab Mitte 2012 dann zur dauerhaften Hauptspielstätte für die Kölner Oper während der dann endlich regulär beginnenden, dringend notwendigen Sanierungsarbeiten am Offenbachplatz werden wird.
Nach dem monate- oder sogar jahrelangen (?) Hin und Her im Stadtrat hat man sich zum Glück nun auf diese auch vom Intendanten Uwe Eric Laufenberg favorisierte (und sogar als Bedingung für sein Verbleiben im Amt gemachte) Interimsspielstättenlösung einigen können und somit endlich eine Perspektive geschaffen, die den verantwortlichen Opernschaffenden Planungssicherheit und -möglichkeiten eröffnet (ich bin schon sehr gespannt auf diese Zeit im "blauen Zelt"!) und zugleich dem zwar ausgesprochen kreativen, aber mit Sicherheit auch organisatorisch unglaublich aufwendigen "Zug durch die Gemeinde" ein Ende gesetzt, so dass dann spätestens ab der Spielzeit 2012/13 aus der "Oper in Bewegung" die "Oper im Zelt", bzw. eben die erwähnte "Oper am Dom" werden wird.
Die Renovierungs- und Sanierungsarbeiten am und im Großen Haus am Offenbachplatz werden mit Sicherheit mindestens zwei Jahre dauern, so dass die Kölner sich wohl für eine Weile an diese "Oper am Dom" gewöhnen dürfen - wie es da so zugehen wird (und da bin ich schon sehr neugierig!), wird man dann frühestens mit der ersten Opernproduktion vor Ort am Ende der kommenden Spielzeit erleben können: Am 17. Mai 2012 wird Puccinis "Tosca" in einer Inszenierung von Thilo Reinhardt dort ihre Premiere erleben!

Das neue Opernprogramm, in dem die einzelnen Spielorte und die ihnen zugeordneten "Sehenswürdigkeiten" (= die dort aufgeführten Stücke) vorgestellt werden, beginnt "anstelle eines Vorworts" des Intendanten ungewöhnlicherweise mit einer Chronologie des Opernjahres 2010, in der die diversen Premieren (und sonstigen besonderen Ereignisse) von Januar bis Dezember 2010 aufgelistet und - nicht ohne Stolz - die zum Teil wirklich beachtlichen Auslastungszahlen einzelner Produktionen vermerkt sind. Ein erstes komplettes Kalenderjahr, auf das Kölns neuer Intendant Laufenberg mit Recht stolz sein kann, wie ich finde!

Immerhin 10 Premieren und 4 Wiederaufnahmen (sowie mehrere Gastspiele auswärtiger Tanzensembles) wird es in der neuen Spielzeit in den verschiedenen Spielstätten geben, darunter auch eine szenische Aufführung von Verdis Requiem, seiner oft als "Oper im Kirchengewand" bezeichneten großen Totenmesse und eine zweimalige konzertante Aufführung von Bellinis "Norma" im Opernhaus.

Ich werde mir aus diesem Angebot mal folgende Produktionen, die mich besonders interessieren, vormerken:

Prokofjews "Krieg und Frieden" (ab September im Opernhaus - diesen "Opernkoloss" nach Tolstois nicht minder gewaltiger Romanvorlage wollte ich immer schon mal erleben!);

Mozarts "Clemenza di Tito" (ab Oktober im Oberlandesgericht - das könnte aufgrund des hierfür als Aufführungsort gewählten wilhelminischen Prunkbaus ein fantastisches Opernerlebnis werden!);

Kálmáns "Die Csárdásfürstin" (ab Ende Dezember 2011 im Palladium - nachdem das Stück nicht zuletzt wegen des Hauptdarstellers Christoph Marti in der Titelrolle [!] in dieser Spielzeit gute Kritiken bekommen hat, möchte ich mir die Gelegenheit ungern entgehen lassen, mir das Spektakel einmal selber anzuschauen und bin daher für diese Wiederaufnahme sehr dankbar);

Monterverdis "Il Ritorno d'Ulisse in Patria" (im März 2012 im Palladium - nach den guten Erfahrungen mit der Kölner "Poppea" im letzten Herbst bin ich auf diese weitere Monteverdi-Produktion sehr gespannt!);

Händels "Alcina" (im Juni im Palladium - als Händel-Fan ist das natürlich quasi ein Muss für mich!)

Für diejenigen, die im letzten Herbst die tolle Inszenierung von Monteverdis "L'incoronazione di Poppea" im Haus der ehemaligen Gerling-Konzernzentrale verpasst haben (oder schlicht einfach keine Karten mehr bekommen konnten!), bietet sich in der zweiten Aprilhälfte 2012 an sechs Abenden die Gelegenheit, diese Inszenierung (mit dem Countertenor Franco Fagioli als Nerone) zu erleben. Leider nicht mehr in der einmalig-intimen und eleganten Atmosphäre im erwähnten Gerling-Haus, sondern im deutlich größeren, hallenartigen Palladium - es bleibt zu hoffen, dass diese Räumlichkeit mit ihrem ganz anders gearteten Industriecharme ebenso mit dieser kammerspielartigen Inszenierung harmoniert, wie es bei Gerlings der Fall war! Allerdings dürfte angesichts der zu erwartenden musikalischen Genüsse das Drumherum sowieso eher zweitrangig werden…

In diesem Sinne:
Auf eine spannende neue Spielzeit - ick freue mir schon jetzt! ;-)

P.S.
Der Vollständigkeit halber hier noch die oben nicht weiter erwähnten übrigen Kölner Premieren der kommenden Spielzeit:
Ariadne auf Naxos (Strauss), ab November im Opernhaus,
Rigoletto (Verdi), ab März im Opernhaus,
Der fliegende Holländer (Wagner), ab Mai im Opernhaus
und außerdem gibt es Wiederaufnahmen von La Traviata (ab Mitte Oktober im Opernhaus) und der Meistersinger von Nürnberg (ab April im Opernhaus).

Mittwoch, 25. Mai 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

In diesem Jahr gibt es ja nicht nur der "Jubilare" Gustav Mahler und Franz Liszt zu gedenken (auch wenn man in der einschlägigen Presse derzeit leider den Eindruck bekommt, als wäre dem tatsächlich so!), es gibt auch einige andere runde Geburts- und Todestage interessanter Komponisten, die dazu einladen (sollten), sie und ihr Werk wieder (oder erstmalig) etwas mehr in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Mahler und Liszt werden schließlich auch ohne runde Geburts- oder Todestage ständig gespielt...

Daher habe ich mich sehr gefreut, dass Wolfgang Abendroth im heutigen Konzert für uns eine der 8 großen Orgelsonaten des Franzosen Alexandre Guilmant (1837-1911) spielte, der am 29. März vor genau 100 Jahren verstorben ist.

Es gab die dreisätzige, knapp halbstündige Orgelsonate Nr. 1 d-moll op. 42 zu hören - ein gewaltiges Stück Orgelliteratur mit dem für diese Epoche üppig-symphonischen Anspruch an das ausführende Instrument! Die Beckerath-Orgel der Johanneskirche ist hier also voll in ihrem Element *grins*

Der erste Satz mit seiner wuchtigen langsamen Einleitung ist in der traditionellen Sonatenhauptsatzform komponiert worden - ganz stilecht mit einem ernsten, rhythmisch-markanten 1. Thema (im Pedal) und einem eher sanglichen 2. Thema in den höheren Stimmlagen.
Der zweite Satz, Pastorale betitelt, ist eine atmosphärisch stimmungsvolle musikalische Szene, die unter anderem mit typisch schalmeienartigen Klängen fast durchgehend im romantisch-ländlichen Hirtenmilieu verbleibt.
Der dritte Satz ist ein klassisches Rondo, dessen immer wiederkehrendes Thema ausgesprochen virtuos daherkommt und stark an die zur damaligen Zeit in vielen großen Werken der französischen Orgelromantik gerne als schwungvolle "Rausschmeißer" verwendeten Toccaten erinnert. Die Zwischenepisoden in diesem Satz wirken wie ein Atemholen, bevor es wieder rasend schnell zur Sache geht und am Ende triumphal und ausgeprochen publikumswirksam zum Abschluss kommt!

Von Guilmant würde ich wirklich gern häufiger mal Musik hören - genau mein Geschmack! ;-)

Donnerstag, 19. Mai 2011

Neuerwerbung

Bachs großartige "musikalische Konstruktion" mit dem Titel Die Kunst der Fuge (BWV 1080) hat mich fasziniert, seit wir im Musikunterricht in der Schule anhand einer Studienpartitur ein paar der grundlegenden fugentechnischen Kunststückchen, die der große Thomaskantor hier in unerreichter Perfektion vorexerziert, erklärt (und vorgespielt) bekamen!
Auch wenn wir damals aus Zeitgründen nicht wirklich in die Tiefe dieses nahezu bodenlosen "kontrapunktischen Gewässers" eintauchen konnten, beeindruckt mich bis heute die Meisterschaft, mit der Bach hier so eine Art Quintessenz alles dessen vorführt, was zahllose Musikerkollegen in den Jahrzehnten und Jahrhunderten vor ihm an kompositorischer Finesse im Bereich der mehrstimmigen Musik entwickelt haben.

Der einzige Nachteil an dieser Komposition ist jedoch, dass sämtliche Einzelsätze der Kunst der Fuge einander im Ausdruckscharakter sehr ähnlich sind und (je nach Tempo der Wiedergabe) wie durch eine perfekte Mechanik angetrieben unablässig dahinlaufen. Es besteht also das Risiko, dass eine Aufführung der gesamten Kunst der Fuge (was so zwischen 70 und 80 Minuten dauert) zu einer etwas seelenlos und arg gleichförmig wirkenden Angelegenheit werden kann.

Hinzu kommt, dass das zentrale Fugenthema, das Bach für dieses Werk gewählt hat, ein bisschen farblos (oder neutral) daherkommt. Er hat definitiv melodiösere, "knackigere", unterhaltsamere und markantere Fugenthemen verfasst! Ich vermute jedoch, dass Bach gerade dieses Thema, bei dem es keine großen Intervalle gibt, bewusst so konstruiert hat, dass er die ganzen Kompositionsübungen überhaupt hiermit durchexerzieren kann. Nicht jedes Fugenthema lässt sich schließlich so ohne Weiteres umkehren, spiegeln, auf den Kopf stellen, etc. und klingt dann immer noch gut!
Unter diesen Umständen hat Bach wahrscheinlich noch die bestmögliche Lösung gefunden - jedenfalls trägt das so gefundene, nicht sonderlich markante Fugenthema ebenfalls dazu bei, dass eine Aufführung der Kunst der Fuge Gefahr läuft, in Gleichförmigkeit zu versinken.
Kein Wunder, dass es immer wieder kritische Stimmen gegeben hat, die der Meinung waren, dass Die Kunst der Fuge eigentlich gar nicht aufführbar sei, sondern "lediglich" eine theoretische Studie für Kenner und Lernwillige.

Und genau das finde ich eigentlich überhaupt nicht - nur, wenn diese Notationen auch zum Erklingen gebracht werden, kann man doch den Weg der einzelnen Stimmen wirklich gut verfolgen und man merkt, dass das Ganze eben vor allem auch als erklingende Musik und nicht nur als theoretische Übung seine Existenzberechtigung hat!

Wie bei zahlreichen Kompositionen Bachs ist auch bei der Kunst der Fuge die Besetzungsfrage nicht eindeutig festgelegt, wenn man auch aufgrund verschiedener Charakteristika der Ansicht ist, dass diese Komposition für ein Tasteninstrument (aller Wahrscheinlichkeit nach dann also für Cembalo oder Orgel) gedacht war, natürlich aber ebenso auch mit anderen Besetzungen funktioniert, was bei den erhältlichen diversen Einspielungen dann auch zu einer erfreulichen Vielfalt führt!

Ich persönlich habe mir mehrere Aufnahmen mit den verschiedensten Instrumenten angehört und bin der Meinung, dass die oben erwähnte Gefahr einer gewissen Monotonie bei der Wahl nur eines einzigen Instruments noch am größten ist: So schön eine entsprechend registrierte Orgel oder ein Cembalo (als moderne Alternative trifft man natürlich auch oft auf moderne Konzertflügel) auch klingen mögen, nach einer Viertelstunde oder so lässt die Aufmerksamkeit beim Hören eindeutig nach und ein Satz scheint mit dem nachfolgenden zu verschwimmen (dafür sind sie einander vom Charakter her einfach zu ähnlich). Außerdem fällt es schwer, den gerade hier so wichtigen Verlauf der einzelnen Stimmen nachzuverfolgen.

Eine mindestens ebenso beliebte Alternative zur Aufführung dieses Zyklus mit einem Tasteninstrument ist die Wahl des klassischen Streichquartetts (wobei in einigen Sätzen aufgrund des Tonumfangs einzelner Stimmen z. B. die zweite Geige mit einer weiteren Bratsche getauscht werden müsste), wobei die heute so bekannte Streichquartett-Besetzung zur Barockzeit so eigentlich noch gar nicht existierte - aber moderne Konzertflügel gab es ja auch noch nicht und diese Musik verliert ja nicht dadurch - Hauptsache, man spielt sie überhaupt!

Wenn auch eine Aufführung mit Streichquartett ebenfalls Gefahr läuft, in eine gewisse klangliche und ausdrucksmäßige Gleichförmigkeit zu verfallen (hier sind die einzelnen Spieler dann ganz besonders gefordert, dies zu verhindern!), lassen sich die einzelnen Stimmen mit einer solchen Besetzung doch wesentlich besser verfolgen.
Ich habe seit ein paar Jahren eine Aufnahme des Emerson String Quartet (2003 erschienen), die mich schon sehr anspricht. Sie hat etwas ungemein Meditatives und Beruhigendes, als langweilig oder gleichförmig würde ich sie nicht bezeichnen wollen, dazu merkt man den einzelnen Spielern ihr Engagement und ihre Leidenschaft für diese Sache zu sehr an!

Es gibt auch sehr kuriose Einspielungen der Kunst der Fuge, die ich durchaus originell finde, wie z. B. die Aufnahme der Gruppe Canadian Brass, die mit einem reinen Blechbläser-Ensemble diesem Werk zu Leibe rückt, um auf ihre ganze eigene Art zu beweisen, dass es sich hierbei durchaus um spielens- und hörenswerte Musik handelt.

Ich kenne auch Aufnahmen mit Saxophon-Ensemble oder eine Version für großes Symphonieorchester, die ganz im Geiste der spätromantischen Bachpflege steht und wirklich etwas bizarr (und auch recht schwerfällig) wirkt.

Die für mich persönlich allerdings überzeugendste Lösung für eine möglichst abwechslungsreiche und spannende Aufführung der Kunst der Fuge scheint mir in einer Besetzung für ein mit barocken Instrumenten bestücktes Kammerorchester zu liegen: Durch die Möglichkeit, von Satz zu Satz mit anderen Intrumenten und Klangfarben aufwarten zu können, wird am ehesten der Eindruck eines "kontrapunktischen Einheitsbreis" vermieden - und die einzelnen Stimmen sind aufgrund ihrer Verschiedenartigkeit noch besser auseinanderzuhalten (und damit zu verfolgen) als bei einem Streichquartett, das letztlich ja auch nur aus Instrumenten derselben Gruppe besteht.

Diese Aufführungslösung haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mal Ensembles für sich gewählt (die bekannte Academy of St. Martin in the Fields war, glaube ich, auch schon darunter), dennoch gibt es hier bislang im Vergleich zu anders besetzten Aufnahmen doch erstaunlich wenige Alternativen.

Ganz neu bei harmonia mundi erschienen ist nun eine im Oktober 2009 in Berlin entstandene Einspielung der Akademie für Alte Musik Berlin. Dieses namhafte Kammerorchester tritt hier mit einer 22-köpfigen Besetzung an, die neben 16 Streichern (von der Violine bis zum Kontrabass), auch drei Oboen (darunter je eine in Tenor- und Basslage), je ein Fagott und eine Posaune sowie ein Cembalo (bzw. alternativ eine Truhenorgel) umfasst.

Die einzelnen Sätze werden in verschiedensten Besetzungen dargeboten, die vom Solo-Cembalo über Streicherduo, -trio, -quartett, Bläserquartett bis hin zum gesamten Ensemble reichen und einander in einem bunten Reigen abwechseln.

Hier kommt nun wirklich keine Langeweile, bzw. Gleichförmigkeit auf, zumal das Ganze ein recht flottes Grundtempo besitzt und damit ziemlich schwungvoll rüberkommt. Vor allem die Sätze, die das gesamte Ensemble spielt, haben mich spontan an Musik aus irgendwelchen barocken Concerti grossi oder dergleichen erinnert - wenn man es nicht wüsste, man käme nicht auf den Gedanken, dass man hier tatsächlich einen Satz aus der oft als viel zu trocken und akademisch verschrieenen Kunst der Fuge hört! Eine absolut überzeugende Darbietung!

Es geht also doch :-)

Mittwoch, 18. Mai 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Heute spielte Andreas Petersen, Kantor an der Friedenskirche im Düsseldorfer Stadtteil Bilk, für uns ein Programm, das sich aus Musik des norddeutschen Orgelbarock und Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert zusammensetzte:

Nikolaus Bruhns (1665-97)
Präludium in e-moll

Olivier Messiaen (1908-92)
Banquet célèste

Georg Böhm (1661-1733)
Choralvorspiel zu "Christ lag in Todesbanden"

Andreas Petersen (geb. 1968)
Partita über "Korn, das in die Erde"


Das mehrteilige Präludium zu Beginn hat mir, wie viele ähnlich aufgebaute Stücke aus dieser Epoche (z. B. von Buxtehude), ausgesprochen gut gefallen - diese Musik klingt mit ihrem spontan-improvisatorischen Charakter derart modern und zukunftsweisend, dass man kaum glauben mag, dass sie im ausgehenden 17. Jahrhundert entstanden ist!

Die beiden mittleren Programmteile hatten einen eher meditativen Charakter (besonders der Satz von Messiaen); die abschließende, im Jahr 1995 entstandene Eigenkomposition unseres Organisten, eine sechssätzige Partita, beinhaltete abwechslungsreiche und effektvolle Variationen des im evangelischen Gesangbuch unter der Nr. 98 enthaltenen Liedes, dessen Melodie mir allerdings eher als die des bekannten französischen Weihnachtsliedes "Noël nouvelet" geläufig war.

Mittwoch, 11. Mai 2011

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Zu Beginn spielte Wolfgang Abendroth für uns heute die eigentlich für das Klavier komponierte dreisätzige Suite C-Dur KV 399 von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91).
Diese selten zu hörende Komposition im barocken Stil zeugt von der großen Bewunderung Mozarts für Komponisten wie Bach oder Händel und gerade die im französischen Stil gehaltene einleitende Ouvertüre dieser Suite passte klanglich ganz hervorragend zur Orgel, die Abendroth aber auch gut registriert hatte, so dass die Musik deutlich mehr Fülle bekam, als man von einer Klavierkomposition eigentlich hätte erwarten dürfen. Ob es sich hierbei allerdings um eine Bearbeitung für die Orgel handelte, oder ob er tatsächlich "nur" den originalen Notentext gespielt hat, erwähnte er im Rahmen seiner kurzen Programmeinführung leider nicht.

Weiter ging es mit sechs ausgewählten Stücken aus den von Joseph Haydn (1732-1809) für eine Flötenuhr komponierten kleinen Sätzen. Die für diese damals sehr beliebte vollautomatische kleine "Zimmerorgel" entstandenen Miniaturen hatte unser Organist durch eine entsprechende Registrierung klanglich etwas "aufgepeppt", was den Stücken aber ganz gut bekam. Der spieluhrenartige Charakter dieser Stücke blieb aber erhalten.

Abschließend gab es zwei Stücke von Sigfrid Karg-Elert (1877-1933): Clair de lune ("Mondschein") op. 72 Nr. 2 und Hymn to the Stars ("Hymne an die Sterne") op. 96 Nr. 7, zwei interessante Versuche Karg-Elerts, den Klangkosmos des von ihm bewunderten französischen Impressionismus (Debussy, Ravel, Fauré, Chausson, Chabrier, etc.) auf die Orgel zu übertragen.

Dienstag, 10. Mai 2011

Philharmonie-Konzert: Philippe Jaroussky

Als Fan der Barockoper faszinieren mich seit Jahren die unwirklich-androgyn klingenden Stimmen der Countertenöre, die sich nun schon seit ca. 40 Jahren mit einer sich immer weiter verfeinernden Gesangstechnik peu à peu die ursprünglich von Kastraten verkörperten Männerrollen zurückerobern. Zunächst eine Art Experiment (für das man durchaus bereit war, stimm- und klangtechnische Einbußen in Kauf zu nehmen), aufgrund der immer weiter verbesserten Ausbildung nachwachsender Sängergenerationen zunehmend jedoch eine fast schon als alternativlos zu bezeichnende Besetzungsoption für barocke Kastratenpartien (und für mich gerade live eine viel bessere Alternative zu den über viele Jahre in der Bühnenpraxis gewählten Hosenrollen oder gar dem "Tieferlegen" der Partie in Bariton- oder Basslage)!

Ein Vertreter der derzeit jüngsten Generation junger Countertenöre ist der Franzose Philippe Jaroussky (geb. 1978), der seit ungefähr 10 Jahren (angefüllt mit zahllosen Konzert- und Opernprojekten) von sich reden macht und sich - nicht zuletzt durch mehrere geschmackvoll zusammengestellte und sehr gelungene CD-Programme - eine mittlerweile offensichtlich recht große internationale Fangemeinde erobert hat.

Neben seiner sympathisch-jungenhaften Ausstrahlung fasziniert bei ihm in besonderem Maße seine - so jedenfalls mein Eindruck - in den letzten Jahren immer noch ein wenig heller und höher klingende Countertenor-Stimme: Sein Gesang klingt so völlig schwere- und mühelos, dass man sich wirklich fragt, wie er das bloß macht - er muss über eine stupende Technik, aber wohl auch über entsprechend günstige physische Voraussetzungen verfügen! Jedenfalls eine ideale Kombination, die es ihm ermöglicht, einen vom Alt bis in mittlere Sopranlagen reichenden Stimmmumfang ohne hörbares Forcieren oder sonstige Spuren von Anstrengung und Schärfe zu produzieren - ein wirkliches Faszinosum, dessen irritierend-klangschöner Wikung man sich nur schwer entziehen kann.
Nichts gegen Countertenöre, die eher etwas "erdiger" und kerniger und damit deutlich mehr nach "männlichem Alt" klingen - auch diese haben ihren Reiz und es wäre ja auch traurig, wenn alle Countertenöre einader nahezu unverwechselbar ähnlich klängen...

Jarousskys oben erwähnte, ausgesprochen abwechslungsreiche Diskographie, die neben dem obligatorischen 18. Jahrhundert erfreulicherweise auch eine ganze Menge Musik aus dem 17. Jahrhundert umfasst, wurde im Jahr 2009 (unter dem Titel "OPIUM") durch einen gänzlich unerwarteten Ausflug in das Genre des französischen Klavierlieds vom Ende des 19. Jahrhunderts um einen wirklich interessanten weiteren Mosaikstein bereichert.

Diese kleinen, meist recht knapp gefassten Preziosen stammen von namhaften (zum Teil aber auch heute ziemlich unbekannten) Komponisten des Fin de siècle wie Jules Massenet, Ernest Chausson, Camille Saint-Saëns, Gabriel Fauré, Cécile Chaminade oder Reynaldo Hahn und sind durch ihre Konzeption für "Singstimme" und Klavier natürlich individuell vortragbar (und damit nicht auf eine bestimmte Stimmlage festgeschrieben).

Ich war sehr neugierig, Philippe Jaroussky einmal live im Konzert zu erleben (noch lieber aber eigentlich auf der Opernbühne!), um beurteilen zu können, ob er live genauso charismatisch und stimmlich mühelos rüberkommt, wie auf den CDs.
Also habe ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, als Jaroussky vergangenen Donnerstag (5. Mai) mit seinem "OPIUM"-Programm in der Kölner Philharmonie zu Gast war.

Zusmmen mit Jérôme Ducros, dem Pianisten, mit dem zusammen er sich dieses Programm erarbeitet hat (und der im Programmverlauf auch zwei Solostücke aus derselben Epoche präsentieren durfte), gab er dann vor fast ausverkauftem Haus ein wirklich gelungenes, engagiertes und teilweise sensibel-anrührendes knapp zweistündiges Konzert (inkl. Pause), in dessen Verlauf er immerhin 12 von 21 für die Besetzung Singstimme - Klavier komponierte Lieder seiner gleichnamigen CD zum Besten gab und diese Lieder dann erfreulicherweise durch zahlreiche weitere, so bislang noch nicht aufgenommene Stücke (z. B. auch aus Berlioz' "Nuits d'été") ergänzte.

Wenn es auch irritierend wirkte, dass auf der großen Bühne der Philharmonie, auf der sich normalerweise orchestrale Massen austoben dürfen, lediglich ein Flügel stand, neben dem sich Philippe Jaroussky postierte (und während seiner Gesangsvorträge sympathischerweise auch ohne allzu exaltiertes und ablenkendes Herumgestikulieren auskam!), so sorgte die gute Akustik der Kölner Philharmonie dafür, dass dieses zunächst ein bisschen "einsam" wirkende Duo sich klanglich ohne Abstriche in diesem riesigen Saal entfalten konnte, so dass ich eindeutig feststellen muss: Jawohl - auch im Konzert klingt Philippe Jaroussky genauso faszinierend, leuchtet seine schlanke Stimme scheinbar mühe- und makellos!
Gerade in den eher lyrisch-sentimentalen, ruhigeren Liedern (wie z. B. dem zarten "A Chloris" von Reynaldo Hahn aus dem Jahr 1916) schafften es Sänger und Pianist durch ihre subtile, nie kitschig wirkende Interpretation, eine fast schon intime Atmosphäre entstehen zu lassen, die einen nahezu vergessen ließ, dass man sich ja eigentlich im großen Konzertsaal der Kölner Philharmonie mit fast 2.000 anderen Zuhörern befand...
Das Auditorium war entsprechend begeistert und applaudierte frenetisch - und das Duo Jaroussky - Ducros ließ sich auf diese Weise zu immerhin drei Zugaben überreden :-)
In der letzten Zugabe, die Reprise des charmanten Liedes "Sombrero" von Cécile Chaminade, konnte man dann auch einmal Philippe Jarousskys "normale" Gesangsstimmlage erleben: Mit seinem hellen Tenor, den er in verschiedenen Phrasen dieses Liedes - quasi als Kontrast zum restlichen Vortrag in Countertenorlage - erklingen ließ, überraschte und erfreute er seine Zuhörer: Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, quasi ein kleines "Duett" zwischen hoher und tiefer(er) Stimmlage, vorgetragen von nur einem Sänger, zu erleben?

Ein mitreißender, begeisternder Konzertabend mit einem charismatischen Sänger, auf dessen weiteren Karriereverlauf ich schon sehr gespannt bin!

Mittwoch, 4. Mai 2011

Ein Abend in der Oper - "Rinaldo" in Köln

An der Kölner Oper werden zu meinem Bedauern schon seit Jahren nicht gerade viele Barockopern gegeben, so dass ich mir in der Regel keine Gelegenheit entgehen lasse, wenn es tatsächlich wieder einmal soweit ist.

So besuchte ich am Montagabend (2. Mai) dann auch mit großer Vorfreude und Neugier die Kölner Neuinszenierung von Georg Friedrich Händels Oper Rinaldo (die Premiere war am 30. April), eine meiner Lieblingsopern dieses Komponisten, die ich bislang leider noch nie auf der Bühne erleben konnte.

Das Opernhaus war zu gut 80 % ausgelastet und die Vorstellung dauerte (mit zwei längeren Pausen nach dem ersten und zweiten Akt) immerhin von 19:30 Uhr bis kurz nach 23 Uhr. Weitere Infos und Szenenfotos siehe auch hier!

Die Oper Rinaldo (passenderweise vor genau 300 Jahren - am 24. Februar 1711 - in London uraufgeführt) spielt in Händels Biographie eine besondere Rolle: Sie war, nach seinen beachtlichen Opernerfolgen in Hamburg und dann vor allem auch in Italien, die erste Oper, die Händel für ein Londoner Opernhaus komponierte und um hier ebenfalls entsprechend Furore machen zu können, hat er für dieses mit seinen zahlreichen Bühneneffekten eh schon sehr publikumswirksam ausgestattete Stück eine ganz besonders abwechslungsreiche, überaus farbig instrumentierte Musik komponiert, bzw., einer damals gängigen Tradition folgend, erfolgreiche und beliebte Nummern aus älteren eigenen Werken in die neue Partitur integriert - und das hat sich, wie ich finde, wirklich gelohnt:
Arien wie Almirenas "Lascia ch'io pianga" oder Rinaldos "Cara sposa" gehören zu den schönsten, beliebtesten und bekanntesten Händel-Arien überhaupt und die Figur der Zauberin Armida hat auch nach Händel noch viele weitere Komponisten (wie Haydn, Gluck oder Rossini) inspiriert. Händel hat mit seiner Londoner Debüt-Oper dann auch einen großen (und verdienten) Erfolg für sich verbuchen können und nicht zuletzt diese Tatsache dürfte mit den Ausschlag dafür gegeben haben, sich wenige Jahre später dauerhaft in der englischen Metropole niederzulassen.

In modernen Inszenierungen von Barockopern scheint sich für viele Regisseure die Frage zu stellen, wie man die Gefahr umgehen kann, dass sich das Publikum beim Anschauen einer solchen mit ihrer meist nicht enden wollenden Aneinanderreihung von Rezitativen und Arien nicht tödlich langweilt.
Ein beliebtes Patentrezept lautet hier ganz offensichtlich: "Gegensteuern durch möglichst viel Aktion während der Gesangsvorträge!"

So geschieht es dann auch in der aktuellen Kölner Inszenierung von Sabine Hartmannshenn: Gerade im ersten Akt ging mir das ewige Gerenne, Auf- und Abtreten sowie das Hantieren mit allerlei Requisiten durch die auf der Bühne Anwesenden parallel zum Absingen einer Arie ziemlich auf die Nerven! Dadurch entstand für mein Empfinden viel zu viel Unruhe und man wurde als Zuschauer ständig von der Musik abgelenkt - ob das wirklich nötig war?

Die Handlung der Oper Rinaldo, die ja den Konflikt zwischen Christen und Moslems zur Zeit des ersten Kreuzzugs thematisiert, schreit ja geradezu nach einer politisch möglichst engagierten Aktualisierung (seufz!) und auch hier kann Frau Hartmannshenn (leider) nicht widerstehen:
Sie siedelt die Handlung in der Jetztzeit an - zu Beginn der Oper befinden wir uns in einem etwas angeranzt wirkenden orientalischen Raum (vielleicht eine deutlich in die Jahre gekommene Hotellobby?), der offenbar als eine Art Kommandozentrale der christlichen Streitmacht dient - Accessoires wie ein Cola-Getränkeautomat oder ein Flipper (der den Akteuren eigentlich nur im Weg steht!) scheinen darauf hinzudeuten, dass diese Streitmacht - welche Überraschung - wohl von den US-Amerikanern angeführt wird. Rinaldo betritt als ungestümer, jugendlicher Haudrauf die Szene (zunächst im Outfit eines Polospielers, später in der militärischen Montur eines rambomäßigen "Wüstenkämpfers"), der Heerführer Goffredo kommt in Generalsuniform, sein Bruder Eustazio in Priestersoutane daher (richtig: Wir befinden uns ja in einem Glaubenskrieg!).

Während diese Szenerie alle Beteiligten (den in arabischer Tracht auftretenden Anführer der Gegenseite, Argante, inklusive) sichtbar zu langweilen scheint - man lümmelt auf Sesseln herum, trinkt, spielt lustlos Schach, etc., bringt der Auftritt der Zauberin Armida plötzlich Abwechslung und buchstäblich Farbe und Exotik in die ganze Sache: Bereits ihr erstes Erscheinen (sie zerreißt die große Weltkarte, die bis dahin die Rückwand des Bühnenraums bedeckt hat und offenbart damit eine dahinterliegende weitere Bühnenfläche) ist entsprechend effektvoll gehalten und ihre üppig-barocke Gewandung passt so gar nicht zur bisher gezeigten neuzeitlichen Kostüm-Tristesse der übrigen Figuren!
Nachdem sie einen Stapel mindestens ebenso farbenprächtiger Barockkostüme hinterlassen hat, die sich die Vertreter des christlichen Lagers nach und nach mit zunehmender Faszination überziehen, wird deutlich, dass hiermit quasi der Eintritt der fremden Eroberer in Armidas imaginäre Zauberwelt dargestellt werden soll.

Dass das Ganze durchaus mit einem Augenzwinkern und leichter Ironie einhergeht, fand ich nicht schlecht - die ganze Handlung mit ihren märchenhaft wirkenden Erscheinungen und Verwandlungen lädt ja auch dazu ein - nur übertreiben sollte man den Klamauk dann auch wieder nicht. Etwas gestört hat mich die Tatsache, dass die Szenen, die in Armidas Zauberreich angesiedelt sind (und das ist unter anderem fast der komplette zweite Akt!), sich alle auf einer im Verhältnis zur übrigen Bühne doch recht beengten zweiten, etwas erhöhten und zurückgesetzten "Guckkastenbühne" (hier wirklich im wahrsten Sinne des Wortes!) abspielten. Da wurde es zeitweise etwas eng, wenn drei oder mehr Akteure versuchten, hin- und herzurennen - schade um den verschenkten Bühnenraum, der hier über weite Strecken nicht genutzt wurde.

Im dritten Akt gibt es dann einen nicht minder bizarren Kontrast zum bisher gezeigten Barockzauber: Die christliche Armeeoffensive gegen das feindliche Heer spielt sich auf einer Art schwarz-neongrünen Rampe ab, die - allerdings auf deutlich breiterem Raum als die bisherige barocke Guckkastenbühne - ebenfalls im Hintergrund zur nach wie vor unverändert bleibenden Vorderbühne mit Cola-Automat und allem übrigen Drum und Dran - an eine Mischung aus Geisterbahn und Computerspiel erinnert. Dieses Szenario passte nun überhaupt nicht zum bisher Gesehenen und sollte wohl das Negative und Tödliche der kriegerischen Handlungen versinnbildlichen, wirkte aber eher albern statt eindringlich und ernst: So erscheint der christliche Magier, der Goffredo und Eustazio die entscheidenden Hinweise für die letztlich erfolgreiche Schlacht gegen die Feinde gibt, als totenkopfartige Geisterbahnfigur, die aus einem Sarg heraustritt (und sich danach auch wieder in diesen zurückzieht) und man spürte förmlich den Holzhammer, mit dem die Regisseurin den Zuschauern permanent einbläuen möchte, dass Kriege und Schlachten und das ganze Drumherum schrecklich und böse und verachtenswert sind.

Um dem dann die Krone aufzusetzen gibt es kurz vor Schluss noch eine Folterszene, in der Rinaldo und Co. den gefangenen Argante mit Stromstößen und Peitschenhieben traktieren und selbst das durch zahlreiche Medienberichte in den letzten Jahren so berühmt-berüchtigt gewordene "Waterboarding" wird noch vorgeführt, so dass sich der geschundene, entsprechend wüst zurechtgemachte Sänger zum versöhnlichen Schlussgesang (den die Oper nun einmal so vorgibt) nach überstandener Tortur dann bühnenwirksam nach vorne schleppen und wälzen darf!
Diese ganze Szene hat mich am meisten geärgert: Bis zu diesem Zeitpunkt hatten, so glaube ich, alle Zuschauer verstanden, was die Regisseurin über Krieg und Gewalt aussagen wollte! Während dies bis dahin mehr oder weniger alles mit einer gewissen Ironie oder Sarkasmus rüberkam, wirkte diese Folterszene, in der der Spaß dann offenkundig endgültig sein Ende fand, wie ein Fremdkörper, der so überhaupt nicht zum Rest der Inszenierung passen wollte - auf diese Aktion hätte man meiner Meinung nach wirklich verzichten sollen!
Zumal - und das hat mich hierbei noch am allermeisten geärgert! - auch diese szenische Aktion parallel zu einer Arie stattfand, nämlich der berühmten, von schmetternden Trompetenklängen begleiteten Rinaldo-Arie "Or la tromba in suon festante"!
Dass das Publikum durch die drastischen szenischen Vorgänge total von dieser so unglaublich faszinierenden und hochvirtuosen Arie abgelenkt wurde (die Mezzosopranstimme "duelliert" sich quasi mit der Trompetenstimme, was wirklich fantastisch klingt) und diese somit überhaupt nicht richtig zur Geltung kommen konnte, nehme ich der Regisseurin wirklich übel! Es zeigt mir wieder einmal, dass (zu) viele Opernregisseure heute bereit sind, ihren oft kruden Einfällen auch die musikalischen Aspekte einer Oper gnadenlos zu opfern - und das finde ich unverzeihlich, denn zumindest ich gehe in die Oper vor allem der Musik wegen!

Aber bevor ich mich wieder umsonst aufrege - über weite Strecken war die Kölner Inszenierung gut zu ertragen und manche Szenen (z. B. die von Vogelstimmen begleitete Liebesszene im ersten Akt zwischen Rinaldo und Almirena) waren auch recht poetisch und stimmig. Die Regisseurin schoss halt nur an einigen Stellen deutlich über das Ziel hinaus!

Musikalisch blieben wirklich keine Wünsche offen - und das ist für mich immer noch das Wichtigste!

Die Besetzung sah wie folgt aus:

Rinaldo: Patricia Bardon
Almirena: Krenare Gashi
Goffredo: Hagen Matzeit
Armida: Simone Kermes
Argante: Wolf Matthias Friedrich
Eustazio: Steve Wächter
Mago: Yong Doo Park
Araldo: Gustavo Quaresma Ramos
Zwei Sirenen: Ji-Hyun An & Kathleen Parker
Diener: Harald Beutelstahl
Gürzenich-Orchester Köln
Leitung: Alessandro De Marchi


Ich war überrascht, dass diesmal nicht der sonst regelmäßig für Barockproduktionen herangezogene Konrad Junghänel die Gesamtleitung übernommen hatte, allerdings war mit Alessandro De Marchi ein mindestens ebenso kompetenter wie sympathischer Dirigent am Werke, der das zum Teil mit historischen Instrumenten (2 Basslauten, Blockflöten, Barockharfe, -pauken und 2 Cembali) angereicherte, auf barocke Orchesterstärke zurechtgestutzte Gürzenich-Orchester zu einem respektablen Barockensemble formte, das mit schlankem Klang und flotten Tempi einen sehr guten Eindruck hinterließ! Das Orchester saß erfreulicherweise nicht ganz unten im Orchestergraben, sondern auf halber Höhe vor der Bühne, so dass man als Zuschauer die Musiker so viel besser beobachten und diese wiederum besser mit den Darstellern auf der Bühne interagieren konnten. An einigen wenigen Stellen "hakte" es dann auch mal ein bisschen, aber Signor De Marchi brachte das Ganze schnell wieder mit entschiedenen Gesten ins rechte Lot.

Auch an den Solistinnen und Solisten dieses Abends gab es nichts auszusetzen: Die beiden mir vorher nicht bekannten Countertenöre Hagen Matzeit und Steve Wächter sangen außerordentlich klangschön und stimmstark, die Almirena der jungen Kosovarin Krenare Gashi klang rollenkonform jugendlich, zart und unschuldig (und wurde durch die entsprechende Bühnenerscheinung der Sängerin wunderbar ergänzt!) und Wolf Matthias Friedrichs Bass kam auch volltönend und raumfüllend rüber (wenn er auch ab und an bei manchen gar zu schnellen Koloraturen ein bisschen ins Holpern zu kommen schien).

Allen voran sind aber natürlich die Irin Patricia Bardon als glaubhaft burschikos-jünglingshaft rüberkommender Rinaldo und Simone Kermes als faszinierend energiegeladene Zauberin Armida zu nennen!

Patricia Bardon überzeugte mit Gestaltungswillen in ihren großen Arien, in denen es ihr gut gelang, den großen Bogen zu finden (vor allem im berühmten "Cara sposa") - leider musste sie neben der technisch schwierigen Gesangsleistung in ihrer letzten Arie, die - wie erwähnt - mit der Folterszene kombiniert wurde, auch noch schauspielerische Höchstleistungen vollbringen, was beides zugleich fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein schien - aber auch hier schlug sie sich tapfer (wenn auch die Trompeteneinsätze zu Beginn der Arie ein bisschen aus dem Ruder liefen)!

Vor allem Simone Kermes ist ein echtes "Bühnentier" - man merkt ihr an, wie sehr sie die Barockmusik anspornt und sie mit Energie für halsbrecherische Koloraturen und geradezu artistische Tonsprünge versorgt!
Ich habe es bisher noch nicht erlebt, dass eine Sängerin in einer Barockoper sich zu den federnden Rhythmen dieser Musik bewegt, als stünde sie auf einer Tanzfläche: Da wird gewippt und sich flott im Takt vorwärts bewegt und alles an ihr verströmt die Gewissheit: "Diese Musik hier ist genau das, was ich machen, singen und präsentieren will! Wer Barockmusik jetzt noch für verstaubt und betulich hält, dem kann ich auch nicht mehr helfen!"
Ein ebensolches Novum war für mich dann auch, dass Frau Kermes in der Pause nach dem zweiten Akt in voller Bühnenkostümierung im Foyer Autogramme gab und ihre CDs signierte…! *grins*

Den wohl besten Regieeinfall des Abends durfte dann auch sie präsentieren: Die Schlussarie des zweiten Aktes ist insofern eine musikalische Besonderheit, da Händel, der ja auch als Cembalovirtuose berühmt war, sich hier eine Gelegenheit geschaffen hat, um sich seinem Londoner Publikum auch mit dieser Fähigkeit an prominenter Stelle präsentieren zu können: Besagte Arie enthält an mehreren Stellen (vor allem aber zu Beginn und am Ende) ausführliche und sehr virtuose Soli für das sonst stets brav und dezent im Orchester mitspielende Cembalo. Ein absolutes Unikum, mit dem Händel auch gegen die damalige Konvention verstieß, dass das Ende einer Arie (abgesehen von einem kurzen Orchesternachspiel) grundsätzlich der Sängerin bzw. dem Sänger derselben überlassen blieb, was diese(r) dann zu nicht minder virtuosen Improvisationen und beifallheischenden Stimmkunststückchen nutzte.
Die auch schauspielerisch sehr begabte Simone Kermes in der Rolle der Armida durfte nun mit dem Cembalisten, der ihre Arie begleitete und dann eben auch partiturkonform unterbrach, interagieren, was eine überaus amüsante Idee war, denn es gab eine Menge komischer Gesten und Grimassen der wegen ihres entfallenden großen Arienabschlusses "enttäuschten Primadonna", die darin gipfelten, dass sie dem Cembalisten am Ende eine große barocke Händel-Perücke überstülpte und ihn damit quasi zum Sieger ihres ungleichen Virtuosenduells kürte!
Eine wunderbare Szene - man hätte sich mehr geistreiche und humorvolle Ideen dieser Art gewünscht!

Alles in allem also ein vor allem in musikalischer Sicht ausgesprochen bemerkenswerter barocker Opernabend!

Heute in der Lunch-Time-Orgel

Wolfgang Abendroth spielte heute ein reines Barockprogramm für uns:

John Stanley (1713-86):
Voluntary D-Dur

J. S. Bach (1685-1750):
Triosonate Nr. 6 D-Dur BWV 530

Dietrich Buxtehude (1637-1707):
Präludium C-Dur BuxWV 138